Table Of ContentZwischenbilanz der Wiedervereinigung
Reihe "Sozialstrukturanalyse"
Herausgegeben von Stefan Hradil
Band 8
Martin Diewald/Karl Ulrich Mayer (Hrsg.)
Z wischenbilanz der
Wiedervereinigung
Strukturwandel und Mobilitat
im TransformationsprozeB
Leske + Budrich, Opladen 1996
ISBN 978-3-8100-1446-7 ISBN 978-3-322-95728-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-95728-3
© 1996 Leske + Budrich, Opladen
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Inhaltsverzeichnis
Martin Diewald und Karl Ulrich Mayer: Vorwort
ErwerbsverHinfe nnd berufliche Mobilitiit
Reinhold Sackmann
BerufsverHiufe im TransformationsprozeB . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11
Horst Berger, Thomas Bulmahn und Wilhelm Himichs
Erwerbsverlaufe in Ostdeutschland und ihre Auswirkungen
auf das Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 33
Martin ·Diewald und Annemette Sprensen
Erwerbsverlaufe und soziale Mobilitat von Frauen und
Mannern in Ostdeutschland: Makrostrukturelle Umbriiche und
Kontinuitaten im Lebensverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 63
Heike Solga
Der Elitenimport nach Ostdeutschland. Transformationstypen
und Veranderungen in der Elitenrekrutierung . . . . . . . . . . . . . . . .. 89
Thomas Hinz
Existenzgriindungen in Ostdeutschland:
Ein erfolgreicher Weg aus der Arbeitslosigkeit? . . . . . . . . . . . . .. 111
Martin Heidemeich
Ungleichheiten und institutionelle Rahmenbedingungen im
ostdeutschen TransformationsprozeB. Ein Diskussionsbeitrag . . . .. 135
Bogdan W. Mach und Kazirnierz M. Slomczynski
The Polish Experience: From Nomenklatura to Where?
Occupational Trajectories of State-Socialist Managers
under Conditions of Systemic Change: Poland 1988-1993 145
Einkommensmobilitat
Richard Hauser
Die Entwicklung der Einkommensverteilung in den
neuen BundesHindern seit der Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 165
Viktor Steiner und Florian Kraus
Aufsteiger und Absteiger in der ostdeutschen
Einkommensverteilung: 1989-1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 189
Die subjektive Verarbeitung veranderter Lebensbedingungen
Margit Weihrich
Alltag im Umbruch? Alltagliche Lebensftihrung und berufliche
Veranderung in Ostdeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 215
Joachim Singelmann und Dieter Urban
Demokratieverstandnis zwischen Euphorie und Erniichterung:
Eine Thiiringer Fallstudie, 1992-95 ...................... 229
Johannes Huinink, Martin Diewald und Jutta Heckhausen
Wendeschicksale nach 1989 und ihr Zusammenhang mit Kontroll-
iiberzeugungen, Kontrollstrategien und dem Selbstwertgeftihl 251
Geht es abwarts oder geht es aufwarts? Zurn Ertrag von
Ernpirie und Theorie
Helmut Wiesenthal
Sozio-okonomische Transformation und Interessenvertretung . . . .. 279
Rainer GeiBler
Von der realsozialistischen zur sozialstaatlichen Struktur
der sozialen Ungleichheit. Umbriiche im ostdeutschen
Ungleichheitsgeftige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 289
Sabine Schenk
Von der geschlossenen zur offenen Gesellschaft? Ostdeutsche
Erwerbsverlaufe im Spiegel von Umfrageergebnissen . . . . . . . . .. 303
Wolfgang Zapf
Zwei Geschwindigkeiten in Ost- und Westdeutschland . . . . . . . .. 317
Karl Ulrich Mayer
Lebensverlaufe und Transformation in Ostdeutschland -
eine Zwischenbilanz 329
Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 347
Vorwort
Der TransformationsprozeB in Ostdeutschland gehort gewiB nicht zu den
Forschungsfeldem, in denen wenig Aktivitat herrscht. Allerdings gibt es
einen Mangel an genuinen Langsschnittstudien, die am ehesten dem ProzefJ
charakter der Transformation gerecht werden konnen. So1che Studien sind
umso notwendiger, als es sich bei der ostdeutschen Transformation ja kei
neswegs urn einen bereits abgeschlossenen Vorgang, sondem urn einen noch
andauemden VeranderungsprozeB handelt.
Die Gemeinsamkeit der in diesem Band versammelten Beitrage liegt darin,
daB es sich urn empirische Langsschnittanalysen sozialer Ungleichheiten
unter verschiedenen Aspekten handelt oder urn eher theoretische Ausein
andersetzungen mit dem Transformationsverlauf Angesprochen werden
dabei vor allem Erwerbschancen und Berufsverlaufe (Teil 1), aber auch
Veranderungen der Einkommen (Teil 2), Einstellungen und Personlichkeits
merkmale (Teil 3) sowie institutionelle Veranderungen als Rahmenbedin
gungen der beschriebenen individuellen Verlaufe. 1m letzten Teil dieses
Sammelbandes sind Beitrage versammelt, die sich das Ziel gesetzt haben,
die verschiedenen Entwicklungsstrange zu resiimieren.
Die Beitrage gehen zum groBten Teil auf die Tagung "Mobilitat im Trans
formationsprozeB" zurUck, die die Herausgeber am 30. September/I. Oktober
1994 als Tagung der Sektion "Soziale Ungleichheit und Sozialstrukturanaly
se" der Deutschen Gesellschaft fUr Soziologie in Berlin veranstaltet haben.
Fast aIle der dort vorgetragenen Referate konnten wir fUr diese Publikation
gewinnen. Zusatzlich haben wir zwei bisher unverOffentlichte Beitrage von
Wolfgang Zapf sowie von Joachim Singelmann und Dieter Urban aufgenom
men, die thematisch in unsere Fragestellung passen und in diesem Sinne eine
hervorragende Erganzung und Abrundung der Tagungsbeitrage darstellen.
Ais Herausgeber mochten wir an dieser Stelle allen Beitragenden fUr die Be
reitstellung ihrer Texte danken. Unser besonderer Dank gilt Barbara Schinn
fUr ihre umfangreiche und umsichtige Arbeit bei der formalen Gestaltung
des Bandes.
Berlin, im Oktober 1995
Martin Diewald Karl Ulrich Mayer
ERWERBSVERLAuFE UND BERUFLICHE MOBILITAT
BerufsverHiufe im TransformationsprozeB
Reinhold Sackmann und Matthias Wingens
1. Einleitung
In der neueren Ungleichheitsforschung hat sich zur Bezeichnung des
Phanomens, daB viele Ungleichheitslagen nicht zeitkonstant dieselben
Personen betreffen, also einen dynamischen Charakter im Sinne mehr oder
weniger bedeutsamer Ubergangsepisoden aufweisen, der Begriff der
"Verzeitlichung sozialer Ungleichheit" eingebiirgert. Dieser Begriff verkniipft
neuere Lebenslauftheorien und Ungleichheitstheorien miteinander. In der
Theorie des Lebenslaufs (Kohli 1985, 1986) wurde festgestelIt, daB der
individuelle Lebenslauf als Abfolge institutionell definierter Lebensphasen
selbst den Charakter einer Institution angenommen hat, indem Verlaufe
planbar und erwartbar gestaltet werden. Hierbei wurde die zeitliche
Strukturierung individueller Verlaufe thematisiert. In der Ungleichheits
theorie (Berger 1990; Osterland 1990) wurde betont, daB die zunehmende
Dynamik makrosozialer Veranderungen seit den 70er lahren zu "irregulare
ren" beruflichen Verlaufen fiihrt, deren zeitlichem Moment in Form von
befristeten Stellen und Ungleichheitsphasen ein bedeutendes Gewicht bei der
Bestimmung der Sozialstruktur der Gegenwartsgesellschaft zukomrnt. In
dieser Forschungsrichtung wurde starker die zeitliche Bedeutung von
makrosozialen Veranderungen in den Vordergrund geriickt. Der neue
dynamische Ansatz, soziale Ungleichheit unter beiden Aspekten: dem
individueller Lebenslaufveranderungen und makrosozialer Veranderungen in
Langsschnittstudien zu untersuchen, wurde in Deutschland durch die Studien
des Max-Planck-Instituts bekannt (Mayer 1990).
In diesem Rahmen wurde u.a. festgestelIt, daB es im Lebenslauf
entscheidende Statuspassagen gibt, die den folgenden Verlauf weitgehend
determinieren (Blossfeld 1989, 1990). Dem Ubergang yom Bildungs-in das
Berufssystem, dem sogenannten "entry-job", kommt dabei eine verlaufs
pragende Stellung zu. Gleichzeitig bewirkt der gesellschaftsgeschichtliche
Zeitpunkt des Berufseintritts als Kodeterminante einen kohortenspezifischen
Pragungseffekt. 1st die Arbeitsmarktsituation zum Zeitpunkt des Berufs
eintritts schlecht, kommt es zu langwirkenden Beeintrachtigungen des
Berufsverlaufs dieser Kohorten, einem sogenannten "scarring" (DECD 1986).
Bei Kohorten, deren Berufseintritt in Zeiten "giinstiger" Arbeitsmarktlagen
feilIt, treten dagegen langfristig wirkende Startvorteile auf. Die "entry job"
These enthalt sowohl eine makro- als auch eine mikrosoziologische
Komponente, die in der arbeitsmarktorientierten Lebenslaufforschung haufig
nicht klar unterschieden werden. In ihrer mikrosoziologischen Komponente
besagt die "entry job"-These, daB der Statuspassage yom Bildungs- in das
12 Reinhold Sackmann und Matthias Wing ens
Beschaftigungssystem eine Weichenstellungsfunktion fUr den weiteren
Berufsverlauf zukommt, behauptet also eine verlaufspragende Bedeutung der
beruflichen Erstplazierung. So konnte z.B. empirisch gezeigt werden, daB die
intragenerationelle Mobilitat nach dem 30. Lebensjahr, also nach der
Berufseintrittsphase, gering ist. In ihrer makrosoziologischen Komponente
besagt die "entry job" -These, daB neueintretende Kohorten als Tragergruppen
sozialen Wandels fungieren. So konnte z.B. empirisch gezeigt werden, daB
Prozesse der Tertiarisierung, des Qualifikationszuwachses und des berufs
strukturellen Wandels iiberwiegend durch neueintretende Kohorten prozediert
werden (vgl. Blossfeld 1990; Miiller 1986).
International vergleichende Studien (Allmendinger 1989; Kappelhoffl
Teckenberg 1987) verweisen darauf, daB die Verzahnung von mikro- und
makrosoziologischer Komponente der "entry job" -These in ihrer Deutlichkeit
nur bei einer strukturell engen Verkopplung von Bildungs- und Beschafti
gungssystem auftritt. Dies ist in Deutschland der Fall, wo insbesondere das
duale System der beruflichen Bildung und der EinfluB von (Aus-) Bildungs
zertifikaten eine phasengeordnete Kopplung von Bildungs- und Beschafti-·
gungssystem bewirken.! Selbst fUr Gesellschaften mit strukturell enger
Kopplung von Bildungs-und Beschaftigungssystem (wie die Bundesrepublik
und die ehemalige DDR) ist jedoch ungeklart, inwieweit die Geltung der
"entry job"-These von stabilen, kontinuierlichen sozialstrukturellen
Bedingungen abhangt. Berufseintritt und -verlauf derjenigen Kohorten,
anhand derer die Geltung der "entry job"-These fUr die Bundesrepublik
empirisch belegt wurde, sind historisch eingebettet in eine Peri ode relativ
stetigen Wirtschaftswachstums und ruhig verlaufenden sozialstrukturellen
Wandels. Fraglich ist also, ob die verlaufspragende Funktion der beruflichen
Erstplazierung, d.h. die Weichenstellungsfunktion der Statuspassage yom
Bildungs-ins Beschaftigungssystem auch unter "diskontinuierlichen" gesell
schaftsstrukturellen Bedingungen (Berger 1991), wie sie nach dem
Zusammenbruch des DDR-Systems in den neuen Bundeslandern gegeben
sind, erhalten bleibt.
Diese Frage haben wir in einer Pilotstudie2 zu einer groBangelegten
Retrospektiverhebung ostdeutscher Berufsverlaufe zum Zusammenhang von
Berufsverlauf und sozialem Wandel untersucht. In dieser Pilotstudie3 wurde
der Berufsverlauf zweier Kohorten von Hochschulabsolventen (1985 und
1990) analysiert, deren Berufseintritt unter stark differierenden Arbeitsmarkt
lagen erfolgte. Der Berufseintritt der 85er-Kohorte fand unter den Bedingun
gen des alten DDR-Regimes, d.h. als staatlich garantierte und risikolose
Statuspassage statt. Der Berufseintritt der 90er-Kohorte fiel dagegen in die
turbulente "Wende-Zeit", die einen besonders risikoreichen Berufseintritt
wahrscheinlich machte. Der "entry job" -These zufolge ware in dieser
Situation mit langanhaltenden Schwierigkeiten der Absolventenkohorte 1990
zu rechnen, wahrend die Absolventenkohorte 1985 nach ihrem bereits
gelungenen Berufseinstieg mit geringeren Problemen auf dem Trans-