Table Of Content· Georg Lukacs
Zur Kritik der
faschistischen
Ideologie
Lukics · Zur Kritik der faschistischen Ideologie
ii Dokumentation
Essayistik
Literaturwissenschaft
Georg Lukacs
Zur Kritik der
faschistischen Ideologie
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
Textrevision: Jürgen Jahn
Mit einem Nachwort
von Llszl6 Sziklai
Lukäcs, Georg:
Zur Kritik der faschistischen Ideologie/ [mit e. Nachw. von Laszl6 Sziklai. Textrev.:
Jürgen Jahn]. - 1. Aufl.
Berlin; Weimar: Aufbau-Ver!., 1989.
(Dokumentation. Essayistik, Literaturwissenschaft)
1. Auflage 1989
©Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1989 (für diese Ausgabe)
© Ferenc J:inossy (1982)
Originalverlag: Akademiai Kiad6, Budapest
Einbandgestaltung Gerhard Bunke
Lichtsatz Karl-Marx-Werk. Graphischer Großbetrieb, Pößneck Vl5/30
Druck und Binden
Offizin Andersen Nexö Leipzig
Printed in the German Democratic Republic
Lizenznummer 301. 120/261/89
Bestellnummer 613 732 8
01580
ISBN 3-351-01251-9
Wie ist die faschistische Philosophie
in Deutschland entstanden?
Vorwort
Dieses Buch ist eine Kampfschrift. Eine Kampfschrift gegen
die Ideologie des Faschismus. Es hat also von vornherein
nicht die Absicht, eine systematische und vollständige Über
sicht über die deutsche Philosophie der imperialistischen Pe
riode zu geben. Es wurden vielmehr nur jene Autoren ange
führt, nur jene Werke zitiert, die diese ihre grundlegende
Tendenz - was die Entwicklung der bürgerlichen Ideologie in
ihr betrifft -, die Entwicklung zur faschistischen Ideologie in
ihren wichtigsten Etappen am deutlichsten zeigen. Wenn sich
also Autoren beleidigt fühlen, entweder weil sie in diesen Zu
sammenhängen erscheinen oder weil sie nicht berücksichtigt
wurden, wenn sie deshalb wegen „Willkür" in der Auswahl
klagen, so sei ihnen gesagt: Der Verfasser dieses Buches weiß
genau, daß viel mehr deutsche Autoren, als er imstande war
zu zitieren, in diese Entwicklungsreihe gehören. Aber - um
an einem Beispiel die Methode der Auswahl konkret zu illu
strieren - es ist interessant und erwähnenswert, daß die Neo
machisten, die Marx für nicht genügend „wissenschaftlich"
halten, in ihrer Ablehnung der „wahren Wirklichkeit" auf
Nietzsche zurückgreifen. Dagegen ist es absolut selbstver
ständlich, daß Hugo Fischer Hegel und Nietzsche in eine Ent
wicklungsreihe bringen muß; es ist also überflüssig, [über] sol
che Selbstverständlichkeiten auch nur ein Wort zu verlieren.
Oder es ist klar, daß etwa Klages eine Etappe zwischen Speng
ler und Baeumler bedeutet. Es schien uns aber überflüssig, die
große Linie der Entwicklung durch Einfügen allzu vieler Zwi
schenglieder unübersichtlich zu machen. Und so fort in noch
Hunderten von Beispielen. .
Wichtiger scheint der Einwand, daß das Aufzeigen des ge
schichtlichen Entwicklungsganges, der ideologisch zur faschi
stischen Weltanschauung führt, das Aufzeigen der Einheit
lichkeit und Notwendigkeit dieser Entwicklung den Kampf
gegen den Nationalsozialismus abschwächen könnte. Ist es
doch - sagen manche - unsere Hauptaufgabe, gegen das Hit
lerregime, gegen seine Ideologie einen unnachsichtigen
Kampf zu führen. Zeigt man - wie es dieses Buch auf dem
Gebiet der Philosophie zu zeigen versucht -, daß der gegen-
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waruge Nationalsozialismus in Deutschland die notwendige
Frucht der Entwicklung der deutschen Bourgeoisie im Impe
rialismus gewesen ist, so mindert man die „Verantwortung"
der deutschen Machthaber, so stumpft man die Waffe, die ge
gen sie geschwungen werden muß, ab, indem man die ganze
letzte Vergangenheit des bürgerlichen Deutschlands zum Mit
schuldigen an der Aufrichtung der faschistischen Herrschaft
macht. Man muß - sagen dieselben - die in Deutschland herr
schenden Lumpen in ihrer ganzen Niederträchtigkeit entlar
ven, man muß zeigen, daß sie ein Pack von Lumpenprole
tariat und Lumpenbourgeoisie sind, ein Häufchen von Aben
teurern - eine Neuauflage der Dezembermänner weiland
Napoleon[s] III. -, die ganz Deutschland, die Bourgeoisie mit
inbegriffen, ihrer sadistischen Tyrannei unterworfen haben.
Diese und ähnliche Gedankengänge, denen der Verfasser,
wie so viele andere, in Wort und Schrift ununterbrochen be
gegnet ist, klingen außerordentlich radikal, sind aber in Wirk
lichkeit nichts weiter als das Aufgeben eines jeden wirklichen
Kampfes. Jeder, der die politischen Kämpfe der letzten Jahre
in Deutschland verfolgt hat, ist ja Schritt auf Tritt auf Varian
ten dieser Auffassung gestoßen. Man sagte: Brüning müsse
unterstützt, Hindenburg müsse zum Präsidenten gemacht
werden usw., damit Hitler nicht komme. Das praktische Resul
tat einer solchen „Realpolitik" kann heute jeder übersehen; es
kommt heute darauf an, die politischen Konsequenzen zu ziehen.
Das heißt, es kommt darauf an, klar zu sehen, was Hitler ist,
auf wen er sich stützen kann, wer seine wirklichen Feinde und
wer seine bloß scheinbaren „Gegner" sind, wessen Kampf gegen
ihn sein System stürzen will und kann und wessen Opposition
eine bloße Spiegelfechterei ist.
Man denke nur an den 20. Juli 1932. Die Absetzung der
preußischen Regierung hing schon seit Wochen in der Luft.
Aus „linken" sozialdemokratischen und Zentrumkreisen wur
den Gerüchte über entschlossenen Widerstand verbreitet; die
Umgebung Hirtsiefers behauptete sogar, man würde in einem
solchen Fall den Sitz der preußischen Regierung nach Essen
verlegen und sie unter den Schutz der Arbeiter des Ruhrge
bietes stellen. Wäre ein solcher Widerstand aussichtsreich ge
wesen? Selbstverständlich. Man erinnere sich bloß an die Wir
kung des Generalstreiks als Antwort auf den Kapp-Putsch.
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