Table Of ContentDEUTSCHE  AKADEMIE  DER WISSENSCHAFTEN  ZU  BERLIN 
Institut  für hellenistisch-römische  Philosophie 
Direktor:. Prof. Dr. Johannes  Stroux 
Veröffentlichung Nr. 1 
OTTO  LUSCHNAT 
ZUM TEXT  VON  PHILODEMS  SCHRIFT 
DE  MUSICA 
1953 
A K A D E M I E - V E R L AG  BERLIN
Copyright 1953 by Akademie-Verlag, Berlin 
Alle Rechte vorbehalten 
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19 
Lizenz-Nr. 202 . 100/111/52 
Satz, Druck und Einband: Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg 
Bestell- und Verlagsnummer: 2053/1 
Printed in Germany
Inhalt 
Vorwort  5 
A.  Die Ausgabe von  Johannes Kemke:  Philodemi de musica librorum quae  extant, 
Lipsiae 1884  7 
B.  Die Grundlagen des Textes von Philodem de musica  .  14 
C.  Die Ausgabe von Dirk Andree van Krevelen: Philodemus — De Muziek, met Vertaling 
en Commentaar, Phil. Diss. Amsterdam 1939  17 
I.  Fehlender Abdruck von Zeichen bei sonst restituierten Zeilen  18 
II.  Inkonsequenz  19 
1. Bezeichnung der Lesungen des Papyrus und der Neapler Kopisten  . . ..  19 
2. Die Frage der Punktierung „verstümmelter, doch nicht zweifelhafter Buch-
staben"  20 
3. Inkonsequenz iii der Setzung der Punkte  über den Buchstaben  25 
4.' Inkonsequenz in der Wiedergabe des iota mutun.  .  25 
III.  Fehler, Flüchtigkeiten und Ungenauigkeiten  26 
1. Übernahme solcher Fehler von Kemke, Gomperz oder v. Arnim  26 
2.  Eigene Fehler, Flüchtigkeiten und Ungenauigkeiten van Krevelens . . ..  28 
a) Flüchtigkeiten  28 
b)  Unsicherheit in der Anwendung der eigenen Methode  .  28 
c) Mangelndes Verständnis  29 
IV.  Editionstechnische Mängel  31 
1. Fehlen der Seitenzahlen von Kemkes Ausgabe  31 
2. Fehlende oder falsche Zeilenzählung  31 
3. Antike Zeichensetzung  "  32 
D.  Die Anwendung des Leidener Klammersystems auf Philodems Schrift de musica  .  34 
Tafel I—IX
Vorwort 
Die  Schrift  des  Epikureers  Philodem  über  die  Musik  gehört  zu  den  von  der 
Forschung vernachlässigten Werken der griechischen Literatur. Das kann nur zum 
geringen Teil an dem schlechten Erhaltungszustand  liegen, in dem sie auf uns ge-
kommen ist, denn es gibt viel lückenhaftere Stücke der griechisch-römischen Hinter-
lassenschaft, mit denen sich die verschiedenen Zweige historischer Forschung immer 
wieder befaßt haben.  Ja, man könnte sagen, daß gerade das Fragmentarische  den 
Scharfsinn der Forscher zu allen Zeiten gereizt hat, sich an Rekonstruktionen  und 
Deutungen  zu versuchen,  auch wenn es sich dabei nicht um die Herstellung  ver-
lorener Kunstwerke ersten Ranges handelte. Eher wäre die Meinung zu  vertreten, 
daß sich keine der modernen Disziplinen eigentlich zuständig für diese Schrift fühlt, 
da sie ein Problem behandelt, das auf der Grenze zwischen Ästhetik,  Psychologie, 
Pädagogik und Philosophie liegt und doch in keins dieser Gebiete in ihrer heutigen 
Umgrenzung zu fallen scheint, weil ihre Kampfstellung gegen die antike Ethoslehre 
in der Musik sie als abseitig und nur für den Musikhistoriker belangvoll  erscheinen 
läßt. 
Der Hauptgrund  für die Vernachlässigung  ist aber doch wohl die  eigentümliche 
Tatsache, daß seit den Tagen des Altertums bis in die Neuzeit hinein auf allem, was 
epikureisch hieß, ein Bann lag, den nur selten ein selbständiger Denker wie GASSENDI 
zu durchbrechen wagte, und der sogar noch heute nachwirkt. Die Erörterung dieser 
Erscheinung gehört nicht hierher, sie wurde nur erwähnt, um darauf  hinzuweisen, 
daß die Forschung mit ihrer in neuester Zeit in verschiedenen Ländern einsetzenden 
Beschäftigung mit der Gedankenwelt Epikurs und seiner Schule nicht nur eine alte 
Schuld abzutragen  beginnt, sondern auch auf Ergebnisse hofien kann,  wie sie auf 
anderen, oft beackerten Feldern kaum mehr zu erwarten sind. 
Der einzige, der Philodems Schrift eine eingehende Würdigung zuteil werden ließ, 
ist HERMANN ABERT in  seinem Buche  Die  Lehre  vom  Ethos  in  der  griechischen 
Musik,  Leipzig 1899.  Er  ordnet Philodem mit Recht in die geistige Strömung ein, 
die sich seit der Mitte des 5. Jahrhunderts auf allen Gebieten vom Autoritätsglauben 
loslöst und alle Erscheinungen  des individuellen und sozialen Lebens einer  unvor-
eingenommenen Kritik zu unterziehen wagt. ABERT sieht in der Anwendung dieser 
Kritik auf die Musiktheorie nicht nur das Destruktive, sondern auch und vor allem 
den  ersten  Versuch,  „der  Musik  aus  ihr  heraus  ästhetisch  beizukommen".  Der 
Bericht über die „Anschauungen" Philodems, den er auf S. 27 bis 32 seines Buches 
gibt,  enthält  mehr  an  eindringender  Interpretation,  als  es  auf  den ersten  Blick 
scheinen  könnte;  auch  kommt  er  in  mehreren  Aufsätzen  wiederholt  auf  unsere
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Schrift zurück1). Trotzdem kann man, ohne ÁBERTS Leistung herabzusetzen, sagen, 
daß ihre Auswertung noch in den Anfängen steht. Um der Fülle des von Philodem 
ausgebreiteten  Materials beizukommen,  wird es vor allem nötig sein, nicht nur von 
musikhistorischen  Gesichtspunkten  auszugehen, sondern die einzelnen Argumente 
daraufhin zu untersuchen, wie sie sich in die epikureische Lehre fügen, und welche 
gegnerischen Anschauungen dabei durchschimmern. Bei dieser  Betrachtungsweise, 
die also historisch-philosophisch  sein müßte,  würde sich, ähnlich wie bei  DIELS' 
Kommentar zu Philodems Schrift neqi &eä>v, noch weiterer reicher Gewinn ergeben. 
Ehe jedoch die hier geforderte Arbeit in Angriff genommen werden kann, muß der 
Text  der Schrift so vorgelegt werden, wie es modernen Editionsgrundsätzen  ent-
spricht. 
Die vorliegenden Untersuchungen verfolgen einen doppelten Zweck: Erstens sollen 
sie über das berichten, was bisher an diesem Text geleistet worden ist, und zeigen, 
was noch zu leisten ist, und sollen insofern der vom Institut für hellenistisch-römische 
Philosophie der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin  vorbereiteten 
Neuausgabe  der Schrift vorarbeiten2);  zweitens aber  — und das mag zur Recht-
fertigung einer vielfach ins Einzelne gehenden Besprechung der beiden vorliegenden 
Ausgaben dienen — sollen sie die besonderen methodischen Gegebenheiten, wie sie 
sich bei Editionen von herculanischen Papyri ständig wiederholen, an einem Muster-
beispiel vor Augen führen. Trotz der durch das Leidener  System weitgehend  ge-
klärten  Situation  auf  dem  Gebiet  der  Papyruseditionen  überhaupt  ergeben  sich 
immer wieder  Sonderfragen aus der Tatsache,  daß wir es hier oft nicht mit  den 
Papyri selbst, sondern mit modernen Abschriften von solchen zu tun haben, die für 
uns, da die Originale — falls überhaupt erhalten — ständig weiter zerfallen, an die 
Stelle der letzteren treten müssen. Es ist klar, daß unter solchen Umständen  be-
sonderes Augenmerk auf die Veränderungen  gerichtet  werden muß, die der  Text 
unter den Händen der neuzeitlichen Abschreiber erlitten hat, damit nicht  Eigen-
tümlichkeiten der Neapler diseyni ins Altertum zurückprojiziert werden. Vor solchen 
Fehlern bewahrt uns nur eine saubere Editionsmethode, die in Übereinstimmung mit 
dem Leidener System, aber unter sinngemäßer Anwendung auf die besonderen Ver-
hältnisse der herculanischen Papyri, ausgearbeitet werden muß. Einen Beitrag zur 
Festlegung einer solchen Methode wollen die nachstehenden Ausführungen nebenbei 
liefern. 
J)  Besonders: Die Stellung  der Musik  in  der antiken  Kultur,  1926 und Der  gegenwärtige 
Stand  der Forschung  über  die antike  Musik,  1921:  Gesammelte  Schriften und  Vorträge, 
hrsg. von FR. BLUME, Halle 1929,  S. 1 und 35. Der zuerst genannte Aufsatz erschien in 
der „Antike" II 1926. 
2)  Die Bearbeitung liegt in den Händen von ANNEMARIE J. NEUBECKER.
A.  Die Ausgabe von JOHANNES  KEMKE 
Philodemi  de música  librorum  quae exstant,  Lipsiae  1884 
Hinter  diesem Titel,  der auf  den ersten Blick nur eine der üblichen  Fragment-
sammlungen zu versprechen scheint, verbirgt sich in Wirklichkeit eine beachtliche 
Leistung,  denn bis zum  Jahre 1884 gab es nur die mit mehr Aufwand als wissen-
schaftlichem Ertrag hergestellte VeröfEentlichung der Reste des vierten Buches in 
Band  I  der  Neapler  Volumina  Herculanensia,  Collectio  Prior,  vom  Jahre  1793. 
Durfte nun schon das Erscheinen einer neuen Ausgabe dieses Buches bei den Fach-
gelehrten einiges Interesse beanspruchen,  so in noch höherem  Grade die Ankündi-
gung  des Titels,  daß  jetzt auch die Reste der übrigen Bücher dieser Schrift Philo-
dems  lesbar  sein sollten. Ein Blick in KEMKES Text zeigt, daß er die inzwischen 
(1862—65) in den Bänden VII, VIII, IX und XI der Collectio Altera  publizierten und 
von  COMPARETTI1) unserer  Schrift zugewiesenen Fragmente  nicht  einfach  anein-
anderreiht, sondern eine Rekonstruktion der Bücher I und III unserer Schrift wagt. 
Die Rechtfertigung der Zuweisung und Anordnung dieser über hundert Einzelstücke 
gibt KEMKE in seiner Praefatio,  doch ist diese infolge ihrer Zitierweise und ihrer nur 
andeutenden Gedankenführung außerordentlich schwer lesbar, was wohl der Haupt-
grund dafür ist, daß KEMKE SO wenig Nachfolger in seiner Arbeit gefunden hat. 
Der einzige, der bald nach dem Erscheinen der Ausgabe ihre Vorzüge voll würdigte, 
zugleich aber auf verschiedene Schwächen hinwies, ist THEODOR GOMPERZ, der 1885 
eine kleine Einzelschrift, Zu  Philodems  Büchern  von der Musik,  ein  kritischer  Bei-
trag,  bei Holder  in Wien  erscheinen  ließ,  und  er  ist wohl auch  der einzige ge-
blieben, der KEMKES Praefatio  wirklich durchgearbeitet hat. Auf den Seiten  6—8 
gibt er mit eigenen Worten KEMKES Gedankengang wieder, der ihn zur Wiederher-
stellung der Bücherl  und III führte. Dabei ist besonders verdienstlich, daß er auch 
die Archivnummern der benutzten Papyri angibt, die nur im Schlußband der Collectio 
Altera,  jedoch nicht bei KEMKE stehen.  Es ist hier nicht der Ort, GOMPERZ' Aus-
führungen zu wiederholen2), jedoch soll alles, was die Benutzung der Volumina  Her-
culanensia  und der Ausgabe KEMKES erleichtern kann, hier festgehalten werden. Die 
KEMKE  praef. p. V  gibt nur den Titel der Abhandlung:  ,,relazione sui  papiri  Erco-
lanesi.  GOMPERZ,  ZU  Philodems  Büchern  von der Musik  (Wien 1885), teilt dazu mit: „Rom 
1880". Er scheint, aus den Seitenzahlen zu schließen, einen Sonderdruck vor Augen gehabt 
zu haben.  Heute  ist  die Arbeit  zu  finden  in:  Atti della R. Accademia dei Lincei  1879/80 
serie 3, vol. 5, pag.  145—179. 
2)  Sie  finden  sich in fast wörtlicher Übersetzung bei D. A. VAN KREVELEN,  Einleitung 
zu seiner Ausgabe Philodemus  — De Muziek,  Diss. Amst. 1939, S. XI—XII.
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Herausgeber der Collectio Altera reproduzierten Faksimilezeichnungen aus der ersten 
Hälfte des 19. Jahrhundert, die von zerbrochenen Rollen größeren und geringeren 
Umfangs in fortlaufenden Nummernfolgen angefertigt waren. Nach den  Angaben 
von  GOMPERZ  und  von  DOMENICO  BASSI,  Papiri  Ercolanesi  Disegnati,  Riv.  di 
Fil. 1913, 427—464, läßt sich folgende Tabelle aufstellen: 
p. 
NPar.p .  CBVaoolnil.dl .  AuHlnetderr cSa. ,.   Nr. der Frag-mente in Voll. Herc. Coli. Alt.  mKiot pJiasth r (dd.i sAegbnsacthorrief)t   Zeichen b. Gom Zugeh. zu Gr. (nach Gomp.)  Zuweisg. zu Buch, (durch Kemke) 
1094  VII  186—190  1—11  1823 F.  CASANOVA  a  B  III 
1578  VIII  7—25  1—24  (1825—47)  C. MALESCI  ß  B  III 
225  VIII  142—160  1—26  1822  G. B.  CASANOVA  Y  B  III 
außer  (Fr.lu.2 
Fr.lu.21)  zu I) 
411  IX  63—73  1—14  1825  G. B.  CASANOVA  Ò  A  I 
1572  XI  69—80  1—12  (1844 ?) F.  CELENTANO  s  A  I 
1575  XI  81—92  1—23  1825 F.  CASANOVA  C  B  III 
Die von GOMPERZ mit den Buchstaben A und B bezeichneten Gruppen von Frag-
menten gehören nach KEMKE in der Weise zusammen, daß sowohl die Fragment-
reihen der Gruppe A wie die von B auseinandergerissene Stücke je nur einer Rolle 
darstellen.  Zum Beweis  genügen die bei KEMKE als Fr. I 21 (S. 11) und III 43/44 
(S. 39f.)  abgedruckten,  aus zwei bzw.  vier halben  Kolumnen  zusammengefügten 
Fragmente: Nachdem KEMKE ihre Zusammengehörigkeit erkannt hatte, konnte er 
auf die Suche nach weiteren Verklammerungen gehen, die bei der Gruppe B sehr 
erfolgreich war. Die von KEMKE auf S. XIV—XV nur andeutungsweise begründete, 
auch von GOMPERZ nicht ausführlich behandelte Zuweisung zu den Büchern I und 
III  ist  neuerdings von R. PHILIPPSON im Artikel Philodemos,  RE. Bd. 19,  1938, 
Sp.- 2457/59 nachgeprüft und bestätigt worden ; in dieser Hinsicht  steht  also die 
Forschung jetzt auf festem Grunde. Sobald man jedoch die Absicht hat, die Anord-
nung der Fragmente innerhalb der beiden Bücher I und III nachzuprüfen, sieht man 
sich gezwungen, auf KEMKES Praejatio  zurückzugreifen, die aber, wie gesagt, sehr 
schwer lesbar ist, weil sie die Fragmente nur mit Bandnummer, Seiten- und Frag-
mentzahl der Voll. Herc. bezeichnet. Doch selbst wenn man die unhandlichen  Volu-
mina  beständig aufschlüge, wäre ein Verfolgen seines Beweisganges sehr mühsam, 
da man sich in jedem Falle inhaltlicher Argumentation erst das Fragment in seiner 
Ausgabe suchen müßte. Um dies zu erleichtern, ist im Anhang eine Tabelle (I) bei-
GOMPERZ benutzt  gerade  Y Fr. 1,  um  die  Zugehörigkeit  der ganzen  Gruppe  B  zu 
Philodems  Schrift darzutun. Das ist nicht im Sinne KEMKES, denn dieser löst es aus  dem 
polemischen  Buch  II  (=  B)  heraus und reiht  es unter  die berichtenden  Fragmente  von 
Buch I ein, vgl. praef.  p. XV und unsere Tabelle I.
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gefügt, die in der ersten Spalte die Numerierung der Voll. Herc., in der zweiten die 
Fragmentnummern  von KEMKE bietet.  Die Kemkeseiten  in Spalte 3 dienen  dem 
schnelleren Auffinden. 
Bevor  wir in  die Erörterung  von  KEMKES Beweisgang  eintreten,  sollen  einige 
störende Versehen berichtigt werden, zu deren Auffindung uns z. T. diese Vergleichs-
tabelle verhalf: 
S. VII  Zeile 12 v. o. lies: cf. 24,9  statt 24,19 
S. XI  Zeile  3 v. o.  ,,  IX 72 fr. 13 B  XI 72 fr. 13 B 
S. XI  Zeile  8 v. o.  ,,  IX 72,12  XI  72,12 
S. XI  Zeile 18 v. o.  ,,  XI (81—92)  XI (69—81) 
S.  1  Überschrift  „  XI 69 fr. 1  IX 69 fr. 1 
S. 36  Überschrift  „  VII 186 fr. 3  VIII 186 fr. 3 
Auf dem sichersten Boden bewegt sich der Herausgeber bei der Anordnung  der 
Fragmente I 21—32 (aus den Stücken d und e), da er hier die feststehende Abfolge 
der Kolumnen in Buch IV, 1—24 als Leitfaden benutzen kann. Der Epitome einer 
Musikschrift des Diogenes  Babylonius  in Buch  I  entspricht Punkt  für Punkt  die 
Polemik in Buch IV (KEMKE Praef.  S. V—IX). 
Beim dritten Buch, d. h. bei den Fragmentgruppen   a, ß, y und C, läßt sich dies 
Verfahren nicht  anwenden,  da  sie selber  die polemischen  Partien  darstellen  und 
Gegner bekämpfen,  die zeitlich vor dem Stoiker Diogenes liegen.  Ein „Leitfaden" 
existiert  hier also nicht. Aber gerade der Umstand,  daß  an  einzelnen  Stellen  die 
Polemik  gegen  Plato  und  Aristoteles  (bzw.  ihre  Schulen)  noch  zu  fassen  ist, 
hilft KEMKE, wie wir noch sehen werden, zur Aufstellung einer annähernd  sicheren 
Reihenfolge. 
Zunächst ist ein äußeres Merkmal der einzuordnenden Stücke wichtig: Alle Frag-
mente  der  Gruppen  a und  £ stammen  vom  oberen  Rand  der  Kolumnen,  die  der 
Gruppen ß und z. T. y1)  vom unteren Rand. Nachdem es nun KEMKE gelungen ist, 
außer dem schon erwähnten Fragment III 43/44 eine ganze Reihe anderer aus linker 
und rechter Hälfte bestehender Kolumnenteile zu vereinigen (S. IX f.), stellt er auch 
das lückenlose Anschließen solcher oberen Kolumnenhälften an die  vorhergehenden 
unteren in drei Fällen fest (S. X f.) und gewinnt damit feste Punkte, um die sich 
weitere Fragmente nach ihrem Inhalt gruppieren lassen. Ehe er jedoch an die Auf-
stellung einer fortlaufenden Reihe geht, macht er noch die wichtige Entdeckung, daß 
die Fragmente des VIII. Bandes (Gruppe ß und y)  nicht  so völlig  durcheinander-
geraten sind wie die der anderen Bände. Eine Begründung dieser Feststellung gibt 
er nicht, doch kann man aus seiner Aufstellung auf S. XI oben, wo seine Nummern 
III  75, 53, 41 und 25 als Polemik gegen I 12, 6, 5 und 3 erkannt  werden, in Ver-
bindung mit den  Zitaten S. XII  aus Plato  (zu III 25) und S. XIII  aus Aristoteles 
(zu  III  53)  schließen,  daß  ihn  diese  inhaltlichen  Bezüge  zu  der  Entdeckung 
geführt haben. Jetzt kann er bereits eine Gruppierung versuchen: auf S. XI  unten 
I)  KEMKES Formulierung S. X Absatz 2  ist irreführend,  da  in Gruppe y nur elf Frag-
mente vom  unteren Rand  15 Mittelstücken  gegenüberstehen.  Für den Beweisgang ist das 
jedoch ohne Bedeutung.