Table Of ContentBERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG
Philologisch-historische Klasse
Band 97 • Heft 2
FRIEDRICH WELLER
ZUM MONGOLISCHEN
TANJUR
1949
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19
Lizenz-Nr. 156 • 4713/49-5493/49
Satz und Druck der Buchdruckwerkstätte Gutenberg GmbH, Zweigniederlassung Leipzig
M 316, Auftrags-Nr. 2294
Bestell- und Verlags-Nr. 2026/97/2
Preis: 4,76 DM
Abkürzungen
D = tibetischer Tanjur aus Derge (Exemplar der Staatsbibliothek Berlin).
N = tibetischer Tanjur aus Narthang (Exemplar der Staatsbibliothek Berlin).
Ta = Druck des mongolischen Tanjur = VLADIMIRTSOVS D.
K = Handschrift KOVALEVSKIJ s des mongolischen Bodhicaryävatära.
BB = Bibliotheca Buddhica.
SM = Sanskrittext des Bodhicaryävatära herausgegeben von Minayev.
SV = Sanskrittext des Bodhicaryävatära herausgegeben von de la Vallee
Poussin.
( ) runde Klammern schließen Lesarten ein.
[ ] eckige Klammern grenzen diejenigen Textstücke ab, welche nur zur
Verdeutlichung mit ausgehoben, in der Übersetzung aber nicht mit ab-
gedruckt werden.
Unbeschadet, wie wichtig der eine oder andere Gegenstand
sein mag, das alte oder ältere Indien zu erforschen, gibt es
auf diesem Gebiete der Wissenschaft doch eigentlich nur zwei
Stoffgruppen von alles überragender Bedeutung, nämlich den
Veda und den Buddhismus. Unter diesen aber stellte der letz-
tere Indien den anderen Kulturträgern übervölkischer Bedeu-
tung an die Seite. Angesehen nun das meiste an Quellen in
Indien selbst verloren ging, wird man dankbar auf die Über-
setzungen zurückgreifen, welche uns ein freundliches Geschick
in den Ausstrahlungsgebieten indischer Kultur bewahrte, wenn
es sich darum handelt, die Geschicke jener geschichtlichen Be-
wegung aufzuhellen, welche wir uns unter dem Namen Bud-
dhismus zusammenzufassen gewöhnten.
Doch blieb dieses Schrifttum der Geschichtslosigkeit alt-
indischen Lebens verhaftet. Selbst die Chinesen vermochten
ihm nur das Datum aufzudrücken, zu dem es übersetzt wurde.
In Tibet aber trifft selbst dies nicht einmal zu, oder jedenfalls
ist es für uns nicht lesbar, weil wir die Männer zeitlich nicht
einordnen können, welche, wie die Nachschriften der einzelnen
Werke vermelden, diese übersetzten.
So bleibt auch auf diesem ganzen Felde der Forschung wie
in Indien nur der beschwerliche Weg, zunächst einmal über die
wissenschaftliche Textkritik die innere Geschichte des Schrift-
tums herauszuarbeiten. Denn mag sich nun schon dies oder das
darüber feststellen lassen, wie jene durch ihre Fülle erdrücken-
den Sammlungen indischer Werke des Kanjur und Tanjur im
Laufe der Geschichte als Ganzes geordnet wurden, auch wuch-
sen1, so bleibt man damit doch immer nur beim Endzustande,
eben der abgeschlossenen Sammlung, stehen. Über das Leben
1 Vgl. F. WELLER, OLZ 1936, 201 ff.
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ihrer Teile kann damit nichts erkannt und ausgesagt werden.
An deren Geschichte vermag nur die Kritik des Einzelwerkes
heranzukommen. Weil aber dabei verglichen werden muß, wie
das einzelne literarische Denkmal in verschiedenen solchen
großen Sammlungen ausschaut, denen es angehört, ergibt sich
aus derartiger Textkritik ganz zwangsläufig auch ein Stück der
inneren Geschichte jener Sammlungen selber mit, und viele
solche Untersuchungen müssen ganz von selbst, und zwar in
der denkbar sichersten Weise, wenn auch nicht die Geschichte
.der Sammlung, so doch die quellengeschichtlichen Verhältnisse
der einzelnen Ausgaben jener Sammlungen untereinander klä-
ren. Das ist aber schließlich und endlich die Voraussetzung für
jene weitere Forschung an Kanjur und Tanjur.
So zu arbeiten wird nun aber dadurch behindert, daß die
Quellen recht schwer, wenn überhaupt, zugänglich sind. Be-
stehende Lücken möglichst zu schließen, ist es deshalb an-
gebracht, die mongolische Übersetzung der tibetischen Werke
immer mit heranzuziehen, sie stellt ja auch ein Stück tibetischer
Textüberlieferung dar.
Daß auch hier der Forscher wieder über unbekanntes Land
geht, ist zu bemerken doch vielleicht nicht ganz überflüssig.
Da dem aber so ist, empfiehlt es sich, dort, wo im Mongolischen
ein Werk mehrmals überliefert vorliegt, zuzusehen, ob und wie
diese verschiedenen Textfassungen voneinander abhängen oder
wie sie sonst zueinander stehen. Kann doch nur so eine feste
Grundlage geschaffen werden, auf welcher man die mongolische
Übersetzung zur Kritik der tibetischen Quellen benutzen kann.
Erst dann lassen sich ja etwa auftretende mongolische Les-
arten beurteilen und auswerten.
i. Ehe ich mich deshalb dem zuwende, den tibetischen Text
des Bodhicaryävatära zu untersuchen, soll geklärt werden, wie
die Handschrift K und der Druck im mongolischen Tanjur Ta1
1 In VLADIMIRTSOVS Textausgabe, Bibliotheca Buddhica 28, Leningrad
1929, wird dieser Druck mit D bezeichnet. Ich übernehme dies Sigel deshalb
nicht, weil ich mit D die Derge-Ausgabe des tibetischen Tanjur bezeichne.
Zum mongolischen Tanjur 7
zueinander stehen. Zwar führt nun kein geringerer als VLADI-
MIRTSOV im Vorworte zu dem Werke, welches er veröffentlichte,
aus, jene Handschrift K sei im allgemeinen richtiger und besser
als der Blockdruck Ta1, deshalb sei sie auch mit allen ihren
Eigentümlichkeiten herausgebracht worden. Nur dort, wo un-
zweifelhaft etwas verschrieben, sei dies nach dem gedruckten
Tanjur verbessert in den Text aufgenommen2. Dabei seien
keineswegs alle Abweichungen im Apparate abgedruckt, welche
Ta gegenüber K absetzen, sondern nur diejenigen, welche
entweder den mongolischen Text zu verstehen erleichtern, oder
die herausstellen, daß Ta etwas neuer sei als der handschrift-
liche Text3.
Mich bedünkt nun, Handschrift und Tanjurdruck des mon-
golischen Bodhicaryävatära möchten doch vielleicht anders zu-
einander stehen, als VLADIMIRTSOV es darstellte.
i 1. Dies zu erhärten, gehe ich davon aus, daß der Druck
nicht auf das K0VALEVSKiJsche Manuskript zurückgeht. Wäre
es anders, könnten in der Handschrift nicht Textstücke fehlen,
während sie sich im Drucke vorfinden4. Dabei handelt es sich
VLADIMIRTSOV benutzte, den mongolischen Text herauszugeben, den gedruck-
ten Tanjur des Gelehrtenausschusses der Mongolischen Republik (VLADIMIR-
TSOV, BB 28,' S. vi), ob er dazu auch die Abschrift heranzog, welche sich davon
im Asiatischen Museum zu Leningrad befindet (VLADIMIRTSOV, ebenda, S. iv,
Anm. 2), darüber gibt VLADIMIRTSOV nichts an. Nach dem zu urteilen, was er
mitteilt, halte ich das für ganz unwahrscheinlich. Über die Handschrift K steht
das Nötige in VLADIMIRTSOVs Einleitung zu seiner Ausgabe des Textes, S. i
und Anm. 3 sowie S. iv, Anm. 1. Die meisten der von VLADIMIRTSOV in seiner
Einleitung angegebenen Schriften sind mir unzugänglich, eigene Abzüge,
welche ich besaß, waren ausgelagert und sind anderswohin gekommen als zu
mir zurück, die Bibliotheken helfen nichts.
1 BB 28, S. ii. 2 BB 28, S. iv. 3 BB 28, S. iv.
4 Das erwähnt VLADIMIRTSOV BB 28, S. iv, Zeile 16 ff. Er spricht sich da-
hin aus, diese Stellen seien aus Unachtsamkeit von demjenigen ausgelassen
worden, welcher den Text ins reine schrieb. Fraglich ist dabei nur, woraus
diese Handschrift umgeschrieben wurde, einer Kladde, welche dann in jedem
Falle das Originalmanuskript war, von dem wir nichts wissen, oder aus dem
gedruckten Tanjur, was ja auch möglich ist.
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vi 62 c/d, vii 54 b/c, viii 57 c, ix 26 c/d, ix 112 b/c, ix 127 a—d
um Verszeilen. Bis auf die erste und letzte dieser Stellen kamen
die Lücken so zustande, daß des Abschreibers Auge von einem
Worte auf das gleiche oder ein ähnliches abglitt, welches
folgte1, eine Art Fehler, welche K ausgesprochen als Abschrift
bestimmt, nicht als Reinschrift. Wie es zu erklären sei, daß
ix 127 über drei Yerszeilen ausfielen, weiß ich nicht zu sagen,
es sei denn, die vermutlich gleich geschriebenen Anlaute von
xarangyui . -.. yurban ... yurban trügen mit dem doppelten
yurban Schuld daran. Ebenso ist mir nicht recht durchsichtig,
warum die Yerszeilen vi 62 c/d übersehen wurden. Nur mag
dies wohl auch hier dadurch sein bedingt worden, daß vi 63 a
bisirel xarixu wie vi 62 c steht, wenn an diesem Platze auch
noch busud da voraufgeht. Einen gewissen Einfluß dürfte es
gewiß an den beiden letzten Stellen mit ausgeübt haben, daß
sich gleiche Wörter und Schriftzeichen folgen.
In etlichen Versen fehlen lediglich einzelne Wörter. Im Tan-
jurdrucke sind auch diese alle vorhanden. So ließ der Schrei-
ber iii 18 d küsebesü und jalayu aus, ix 6 a übersprang er ver-
sehentlich burtay.
In allen diesen Fällen ist Ta sicher besser überliefert als K,
das ergibt sich ganz einwandfrei nach dem Tibetischen. Ta ist
im Gegensatze zur Handschrift völlig in Ordnung, ein Tat-
bestand, welcher das Vertrauen in K nicht zu steigern ange-
tan ist.
i 2. Es erübrigt sich nun, Lesarten aus K, welche VLADI-
MIRTSOV selbst verwarf, daraufhin zu prüfen, ob sie gegen die
entsprechenden aus dem Tanjurdrucke verdienen vorgezogen
zu werden, weil VLADIMIRTSOV diese Frage selbst verneinte.
Dagegen wird uns aber den Wert beider Quellen das Ver-
hältnis veranschaulichen, welches zwischen der Zahl der aus K
1 vi 54: gern üd i ... gern üd de; viii 57 folgen sich drei Verszeilen mit
burtay beginnend; ix 26: bütügsen ... bütügsen; ix 112 b/c: bütümüi ...
bütügeldümüi.
Zum mongolischen Tanjur 9
und derjenigen der aus Ta nicht in den Text aufgenommenen,
also nach VLADIMIRTSOVS Auffassung als zu leicht erfundenen
Lesarten obwaltet. Da stehen nun 132 aus K ausgemerzten
Lesarten 63 aus Ta gegenüber, d. h., K ist in doppelt so vielen
Fällen minderwertiger als Ta. Das ist immerhin befremdlich,
wenn K wirklich die bessere Textform enthält. Ein solcher
Befund läßt eine Quelle nicht verläßlicher erscheinen.
i 3 a. Sucht man nun nach einem Mittel, die Dinge zu ent-
scheiden und klar zu erkennen wie die Sachlage sei, so hilft
dazu, sich die Kasusendungen in Ta und K anzusehen. Da
steht an nicht eben wenigen Stellen einem i des gedruckten
Tanjur ein yi der Handschrift gegenüber. So findet sich: Ta:
amuyulang i vi 3c neben amuyulang yi in K; Ta: edeger bölüg
bügüden i ix la neben yi in K; Ta: yayixamsiy i
viii 56d neben yayixamsiy yi in K; Ta: bayasxulang i viii 23d,
viii 173a neben bayasxulang yi in K; Ta: jiryalang i i 7d, i 28c,
d, v 17c, vi 134d, vii 37b, vii 43a neben jiryalang yi in K; Ta:
jobalang i i 28a, ii 20c, ii 40c, iii 8b, iv 22a, c, iv 37c, v 17c,
vi 34b, vi 45a, vi 73a, vi 127c, vi 13 ld, vii 38d, viii 84a,
viii 90c, viii 96b, viii 99a, viii 103a, viii 133c, viii 135b,
viii 155d, viii 186d neben jobalang yi in K. Zufällig kann dies
nicht sein. Sind doch der Fälle so viele, daß man beinahe
zweifelt, ob vii 15a bayasxulang yi sich nicht ebenfalls in K
finde, ob nicht verdruckt sei, daß dies in Ta und bayasxulang i
in K stehe.
Sei dem jedoch, wie ihm wolle. Diese eine Stelle ändert nichts
daran, daß die Akkusativpartikel yi in KOVALEVSKIJS Hand-
schrift vom klassischen Schriftmongolisch aus gesehen falsch
gebraucht wird, und zwar nicht eben selten. Der eine Fall aus
Ta verschwände dem gegenüber, wenn er wirklich zutrifft. Daß
diese Kasusformantien nicht mehr danach auseinandergehalten
werden, wie die Basis auslautet, ist aber in der zeitgenössischen
mongolischen Schriftsprache gang und gäbe1.
1 VLADIMIRTSOV, Mongol'skij sbornik razskazov iz Pancatantra, Petrograd,
1921, S. 55; S. 60, Anm. 2; S. 99, Anm. 10; S. 100, Anm. 15.