Table Of ContentZukunftsgenese
Victor Tiberius (Hrsg.)
Zukunftsgenese
Theorien des zukünftigen Wandels
RESEARCH
Herausgeber
Victor Tiberius Bernhard Schmidt
Voestalpine Langenhagen, Deutschland
Linz, Österreich
Springer VS
ISBN 978-3-531-17675-8 ISBN 978-3-531-93327-6 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-531-93327-6
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Vorwort
Wie wird die Gesellschaft sein, in der wir in zehn, 20, 50 oder 100 Jahren leben?
Werden wir ein Heer von Individualisten sein, die atomistisch nebeneinander
existieren oder gar gegeneinander kämpfen werden – oder wird das Gemein-
schaftsgefühl stärker werden? Werden sich die Nationalstaaten auflösen und
einer Weltregierung Platz machen – oder erleben wir verstärkten Protektionis-
mus? Werden die Menschen mehr an Religion und Mystik glauben – oder
nimmt die Rationalität zu? Wie wird der technische Fortschritt unser Leben
verändern? In welchen Abstimmungsmodalitäten werden wir weitreichende Ent-
scheidungen treffen? Die Liste der spannenden Fragen, die Menschen, Unter-
nehmen und andere Organisationen sowie Regierungen bewegen, ist so umfas-
send wie die soziale Realität.
Trotz noch so großen Erkenntnisinteresses ist keine dieser Fragen mit
abschließender Sicherheit zu beantworten. Für die Gesellschaft von morgen
können verschiedene Szenarien formuliert werden. Wir können mögliche und
wahrscheinliche Zukünfte explorieren und wir können darüber diskutieren, welche
davon wünschens- oder vermeidenswert sind. Ein Vorherwissen ist unmöglich –
eine Vorausschau notwendig, um Entwicklungen in lebenswerte Richtungen zu
steuern und Gefahren abzuwenden.
An Szenarien zur Beschreibung der zukünftigen Gesellschaft mangelt es
nicht. Fachlich versierte Experten aus den verschiedenen Wissenschaftsdiszi-
plinen, interdisziplinär arbeitende Zukunftsforscher und leider auch viele Schar-
latane formulieren sie für Organisationen in Wirtschaft und Politik. Auch in der
Kunst finden sich Zukunftsszenarien, insbesondere in der utopischen Science-
Fiction-Belletristik und entsprechenden Filmen.
Doch Szenarien sind lediglich Zustandsbeschreibungen. Zum einen stellen
sie mögliche, plausible und wahrscheinliche Zustände dar, die also eventuell zu
einem Zeitpunkt in der Zukunft gelten. Sie umfassen jedoch nicht den Zeitraum
von der Gegenwart bis zur gewählten Zukunft, in dem die Transformation von
Zustand 1 zu Zustand 2 vonstattengeht. Zum anderen – und damit eng zusam-
menhängend – handelt es sich um reine Beschreibungen, mithin: nicht um Er-
klärungen, die theoretisch erläutern, weshalb und wie der Wandel stattfindet.
6 Vorwort
Mit diesen Defiziten setzt sich der vorliegende Band auseinander. Anstelle
von Zustandsbeschreibungen strebt er Transformationserklärungen an. Um den
zukünftigen Wandel der Gesellschaft zu erklären, bedarf es Theorien des zu-
künftigen sozialen Wandels bzw. Theorien der Zukunftsgenese. Inwiefern ist –
von der Gegenwart (nicht von der Vergangenheit) ausgehend – die Veränderung
der Gesellschaft ein zufälliger, von externen bzw. gegebenen Faktoren abhän-
giger oder ein willentlich gestalteter Prozess? Wer oder was treibt die Ent-
wicklung voran? Wie konkret verläuft dieser Prozess? Diese Fragen muss eine
Theorie der Zukunftsgenese beantworten können, um auf diese Weise nicht nur
fertige Szenarien präsentieren, sondern auch deren Zustandekommen erklären
zu können.
Im vorliegenden Band haben sich ausgewiesene Kenner sozialwissen-
schaftlicher Theorien des Wandels zusammengefunden, um das Potenzial dieser
Theorien zur zukunftsgenetischen Erklärung auszuloten. Der Autorin und den
Autoren danke ich herzlich für ihr Einlassen auf dieses anspruchsvolle Unter-
fangen und für ihre kompetenten und wertvollen Beiträge zur explorativen
Beantwortung des Erkenntnisproblems. Ich bedanke mich wieder herzlich bei
meinem langjährigen Lektor Herrn Dr. Bernd Knappmann für das stets sorg-
fältige Lektorat und Layout sowie bei Frau Anita Wilke vom VS Verlag für das
angenehme Handling und die Betreuung des Projekts.
Ich wünsche den Leserinnen und Lesern eine spannende Lektüre sowie
interessante Erkenntnisse und hoffe, dass der vorliegende Band zu weiter-
gehenden Forschungsbemühungen Anlass gibt.
Berlin und Potsdam, im Oktober 2011 Victor Tiberius
Inhaltsverzeichnis
Vorwort...............................................................................................................5
I. Einführung
Victor Tiberius
Theorien des Wandels – Theorien der Zukunftsgenese?....................................11
II. Theorien der Zukunftsgenese
Frank E. P. Dievernich
Pfadabhängigkeitstheoretische Beiträge zur Zukunftsgestaltung.......................57
Michael von Engelhardt
Möglichkeiten und Grenzen der Prognose im Symbolischen
Interaktionismus.................................................................................................73
Hardy Frehe
Baumans Soziologie der flüchtigen Moderne....................................................91
Detlef Horster
Luhmann und die nächste Gesellschaft............................................................107
Jörn Lamla und Henning Laux
Die Theorie reflexiver Modernisierung. Ein Blick zurück in die Zukunft.......129
Stefan Lange
Etzionis Theorie der normativen Integration und gesellschaftlichen Steuerung.
Schlussfolgerungen für Zukunftsbewertung und -gestaltung...........................143
8 Inhaltsverzeichnis
Stefan Müller-Doohm
Zukunftsprognose als Zeitdiagnose. Habermas’ Weg von der
Geschichtsphilosophie zur Evolutionstheorie bis zum Konzept
lebensweltlicher Pathologien............................................................................159
Georg W. Oesterdiekhoff
Modernisierung und Zukunftschancen der Gesellschaften. Der Beitrag der
Zivilisationstheorie und der strukturgenetischen Soziologie zur Prognose
sozialen Wandels..............................................................................................179
Gernot Saalmann
Zur Zukunftsgenese in Bourdieus Theorie der Praxis......................................199
Anna Schwarz
Trendvorausschau in Ogburns Modell des technologisch-sozialen Kreislaufs211
Fernando Suárez Müller
Postmoderne als Zukunft ohne Ankunft. Das endlos Kommende in der
postmodernistischen Philosophie.....................................................................231
Victor Tiberius
Pfadbrechung und Pfadkreation als zukunftsgenetische Ansätze.
Geplante Pfademergenz als restriktiv-indeterministischer Mittelweg..............263
Victor Tiberius und Christoph Rasche
Zur Antizipation sozialen Wandels mithilfe des strukturellen
Netzwerkansatzes.............................................................................................273
Thomas Welskopp
Kontingenz als Prognose. Die Modellierung von Zukunft in der
Strukturierungstheorie à la Giddens.................................................................281
Autoren und Herausgeber.................................................................................297
I. Einführung
Theorien des Wandels – Theorien der Zukunftsgenese?
Victor Tiberius
1 Einführung
Was wird die Zukunft bringen? Kaum eine Frage ist spannender, aber auch
unbefriedigender zu beantworten. Wissen über die Zukunft wäre das nützlichste
überhaupt.1 Man könnte sich auf das, was kommen wird, vorbereiten und
ungünstigen Entwicklungen im Sinne eines Frühwarnsystems2 entgegentreten.
Doch da die Zukunft ontologisch noch3 nicht existiert,4 ist auch jede sichere
Erkenntnis über sie kategorisch unmöglich.5 In Zentrum eines jeden zukunfts-
gerichteten Erkenntnisinteresses steht daher nicht das Vorherwissen (engl.:
foreknowledge/precognition, franz.: prévision), sondern die auf alternative
Möglichkeiten orientierte, explorative Vorausschau (engl.: foresight, franz.:
prévoyance).6
Die Zukunftsforschung ist heute in der Lage, mithilfe zahlreicher7 ausge-
feilter Methoden – von der einfachen Trendextrapolation über die Cross-Impact-
Analyse, die Szenariotechnik und Simulationsmodelle bis zur Delphi-Methode –8
mögliche und wahrscheinliche Zukünfte9 oder genauer: Zukunftsvorstellungen10
1 Vgl. de Jouvenel (1967), S. 5; Bell/Olick (1989), S. 135; Bell (2003), S. 144.
2 Vgl. Kreibich (2000), S. 16.
3 Es kann auch gesagt werden, dass die Zukunft nie existiert, da sie, sobald sie eintritt, zur
Gegenwart wird, so auch Serra del Pino (2002), S. 284.
4 Vgl. Prior (1967), S. 28 f.; Fowles (1978), S. ix; Rescher (1998), S. 70 f.; Grunwald (2009),
S. 26; Tiberius (2011a), S. 66; Tiberius (2011c), S. 40.
5 Vgl. Amara (1978), S. 41; Amara (1981), S. 25; Michael (1985), S. 95; Bell/Olick (1989),
S. 121, 125; Inayatullah (1990), S. 134; Coyle (1997), S. 77; May (1997), S. 229; Slaughter
(1993), S. 304; de Jouvenel (2000), S. 57; Kreibich (2000), S. 9; Dator (2002), S. 7; Slaughter
(2002), S. 27; Bell (2003), S. 148; Göpfert (2006), S. 4, m. w. V.; Hideg (2007), S. 39.
6 Vgl. de Jouvenel (1967b), S. 15, m. w. V.; Rescher (1998), S. 53 f.; Tiberius (2011a), S. 75;
Tiberius (2011c), S. 46.
7 Kreibich (2000), S. 10, spricht von mehr als 200 zukunftsgerichteten Methoden aus den
unterschiedlichsten Disziplinen.
8 Für eine kurze Charakterisierung dieser zentralen Methoden vgl. Tiberius (2011a), S. 91 ff.;
Tiberius (2011c), S. 62 ff.
9 Vgl. für viele Kahn/Wiener (1967), S. 3; Coates (1985), S. 21; Masini (1988), S. 17; Slaughter
(1993), S. 290, 295; Dator (2002), S. 6; Bell (2003), S. 106; Göpfert (2006), S. 4, 6, m. w. V.;
Schüll (2006), S. 2, 27; Tiberius (2011a), S. 66 f.; Tiberius (2011c), S. 41.
V. Tiberius (Hrsg.), Zukunftsgenese,
DOI 10.1007/978-3-531-93327-6_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2012