Table Of ContentFrank Bauer
Zeitbewirtschaftung in Familien
Soziale Chancen
Schriftenreihe des ISO-Instituts, Kaln
Herausgegeben von
Walter R. Heinz
Band 1
Frank Bauer
Zeitbewirtschaftung
in Familien
Konstitution und Konsolidierung
familialer Lebenspraxis
im Spannungsfeld von beruflichen
und auBerberuflichen Anforderungen
Leske + Budrich, Opladen 2000
Gedruckt auf saurefreiem und alterungsbestandigem Papier.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Frank Bauer
Zeitbewirtschaftung in Familien : Konstitution und Konsolidierung familialer Lebenspra
xis im Spannungsfeld von beruflichen und auBerberuflichen Anforderungen / Frank Bau
er. -Opladen : Leske + Budrich, 2000
ISBN 978-3-8100-2734-4 ISBN 978-3-322-95161-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-95161-8
(Soziale Chancen, Schriftenreihe des ISO-Instituts, Kaln ; Bd. I)
Zugi.: Bielefeld, Univ., Diss., 1998
© 2000 Leske + Budrich, Opladen
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Inhalt
I. Lebenspraxis im Spannungsfeld von beruflichen und
auBerberuflichen Anforderungen 9
1. ProblemaufriB 9
2. Zur Anlage und zum Autbau der Untersuchung 18
II. Gesellschaft als Lebenswelt und System 22
1. Rationalisierung der allgemeinen Lebensweltstrukturen
und Pluralisierung der Lebensformen 23
2. Entkoppelung von System und Lebenswelt 27
3. Die Neutralisierungsleistungen formaler Organisationen 31
3.1 Person und Mitgliedschaftsrolle 31
3.2 Gesellschaft und Steuerungsmedien 32
3.3 Kultur und selbstreferentielle Programmierung 34
4. Erwerbsarbeit als Leistung und Handlung 34
4.1 Zur Machtasymmetrie am Arbeitsmarkt und dem
Herrschaftscharakter der betrieblichen Interaktion 36
4.2 Betriebswirtschaftliche Argumente flir eine Reduktion
des Herrschaftscharakters betrieblicher Beziehungen 37
4.3 Strukturelle Interessen der abhangig Beschaftigten 40
III. Das Konzept der autonomen Lebenspraxis 44
1. Lebenspraxis als widersprtichliche Einheit von
Entscheidungszwang und Begrtindungsverpflichtung 44
2. Lebenspraxis und soziale Zeit 51
3. Familiale Lebenspraxis 55
4. Familie und soziale Zeit 68
IV. Sozialstatistische und quantitative Analysen 75
1. Ein erweiterter Begriff gesellschaftlicher Arbeit 75
2. Uberblick tiber den empirischen Untersuchungsteil 78
2.1 Die sozialstatistischen Untersuchungen 78
2.2 Zur Datenbasis 79
3. Erwerbsarbeitskonstellationen in West- und Ostdeutschland 81
4. Soziodemographische Merkmale der Beschaftigten
in den am haufigsten vertretenen Erwerbskonstellationen 85
4.1 Vollzeitbeschaftigte Manner mit nicht-erwerbstatigen
Partnerinnen 85
4.2 Vollzeitbeschaftigte Manner und teilzeitbeschaftigte Frauen 87
4.3 Zwei vollzeiterwerbstatige Partner 89
4.4 Zusammenfassung der Ergebnisse 93
5. Arbeitszeitformen als Instrumente betrieblichen
Arbeitszeitmanagements und als Einflu13gro13en fUr die
au13erberufliche Zeitverwendung 94
5.1 Oberstunden 95
5.2 Haufigkeit, Volumen und Abgeltungsformen von
Oberstundenarbeit bei Beschaftigten in Paarhaushalten
mit Kindem 96
5.3 Schichtarbeit 100
5.4 Haufigkeit und Struktur der Schichtarbeit 102
5.5 Teilzeitarbeit 103
5.6 Ausma13 und Formen der Teilzeitbeschaftigung 104
5.7 Wochenendarbeit 105
5.8 Ausma13 und Struktur der Samstagsarbeit 106
5.9 Ausma13 und Struktur der Sonntagsarbeit 108
5.10 Gleitzeitarbeit 108
5.11 Verbreitung und Struktur der Gleitzeitarbeit 109
6. Zur Zeitverwendung im beruflichen und au13erberuflichen
Bereich 110
6.1 Zeitverwendung nach typischen Erwerbsarbeitskonstellationen 112
6.2 Zeitverwendung und Alter des jGngsten Kindes 115
6.3 Zeitverwendung und innerfamiliare Arbeitsteilung 117
6.4 Zeitverwendung an Arbeitstagen und an arbeitsfreien Tagen 120
6
v.
Vier Sequenzanalysen 122
1. Einleitung 122
2. Erwerbsarbeitsinduzierte fami1ia1e Zeitnot und deren
Konsequenzen fUr das Fami1ien1eben: Frau und Herr M. 129
2.1 Objektive Daten 129
2.2 Sequenzana1yse des Interviews mit B. (Herr M.) und
F. (Frau M.) 131
2.3 Sch1uI3fo1gerungen 175
3. Forcierter fami1ia1er Traditiona1ismus a1s Gegenku1tur
zur staatlich betriebenen Sakularisierung: Herr E. 179
3.1 Objektive Daten 179
3.2 Sequenzana1yse 181
3.3 Sch1uI3fo1gerungen 211
4. Eine Selbstdarstellung als Vereinbarungspionierin: Frau G. 216
4.1 Objektive Daten 216
4.2 Sequenzana1yse 218
4.3 SchluI3folgerungen 255
5. Eskapismus und atomisierte fami1ia1e Praxis: Herr D. 258
5.1 Objektive Daten 258
5.2 Sequenzana1yse 260
5.3 SchluI3folgerungen 300
VI. Resiimee und kontrastierender Vergleich 305
1. Ergebnisse der theoretischen Uberlegungen und der
sozialstatistischen Ana1ysen 305
2. Arbeitszeiten und Arbeitszeitformen 312
3. Die Balance von Solidaritat und Eigeninteresse 314
4. Die Position der Eltern-Kind-Dyaden in der fami1ialen Triade 319
5. Gegenuberstellung in der Perspektive der Theorie der
sozialen Zeit 321
6. Die Thematisierung der Erwerbsarbeit der Frauen und MUtter 324
7. Ausb1ick 329
Literatur 332
Anhang 339
7
I. Lebenspraxis im Spannungsfeld von beruflichen
und auBerberuflichen Anforderungen
1. ProblemaufriB
Das Problem der Vereinbarung beruflicher mit familialen Anforderungen
wird zumeist anhand des Verhaltnisses von Frau und Beruf diskutiert. Es
wird betont, daJ3 die Anforderungen des Familienlebens vielen Frauen eine
Erwerbsbeteiligung unmoglich machen oder zumindest erheblich erschwe
ren. Haufig sei eine Erwerbsbeteiligung nur auf dem zeitlichen Niveau
einer Teilzeitbeschiiftigung moglich. Die Familienverantwortung dieser
Frauen fUhre dazu, daB ihnen eine in zeitlicher und beruflicher Hinsicht
qualifizierte Erwerbsarbeit unmoglich sei -ganz im Unterschied zu Man
nern bzw. Vatern, deren Erwerbskarriere durch den Familienstand nicht
bertihrt werde.
Wenn es auch zweifellos zutrifft, daB die Vereinbarung von familialen
mit beruflichen Anforderungen ein Problem ist, welches fast ausschliel3lich
ftir Frauen zu beruflichen Nachteilen fUhrt, beispielsweise Erwerbsunter
brechungen und Wiedereinstiegsschwierigkeiten oder eine nur teilzeitige
Erwerbsteilnahme mit Dequalifizierungseffekten, so scheint es doch ange
zeigt, das Thema der Vereinbarung von Beruf und Familie nicht auf diese
Diskussion zu beschriinken. Die Entscheidungen tiber Art und Umfang der
Erwerbsbeteiligung von Frauen, die in Familien leben, werden in diesen
Familien getroffen. Sie reichen we it tiber die Arbeitsmarktproblematik
hinaus - auch wenn die Arbeitsmarktchancen und -aspirationen stets Be
standteil der Entscheidungsprozesse sein dtirften. Die Entscheidungen
mtissen aber ebenso vor dem Hintergrund der jeweiligen LebensfUhrungs
konzepte, der moglichen Konsequenzen fUr das gesamte familiale Leben
und der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die sich nicht nur auf
Arbeitsmarktbedingungen beschranken, getroffen - und eben auch beo
bachtet bzw. rekonstruiert werden.
In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, das Span
nungsverhaltnis von Familie und Erwerbsarbeit aus der Enge eines "Frau
enthemas" herauszu16sen und als familiales Problem zu begreifen. Dabei
soli nun keineswegs mit der Konzentration auf Familie gleichsam in neo-
9
konservativer Manier hinter das Postulat der Chancengleichheit der Ge
schlechter zurilckgefallen und erwerbs- und karriereorientierten Frauen (als
MOttern) der "Schwarze Peter" des familienvergessenen Unruhestifters
oder der "Rabenmutter" untergeschoben werden. Vielmehr wird in moder
nisierungstheoretischer Perspektive davon ausgegangen, daB die gestiegene
Erwerbsbeteiligung insbesondere von MOttern Resultat eines Prozesses der
Erosion freiheits- und gleichheitseinschrankender Traditionen ist. Dieser
ProzeB betrifft nicht nur traditionelle Erwerbsbeschrankungen von MOttern,
er betrifft die Lebensform der tradition ellen Kleinfamilie auf ganzer Breite.
Die Transformation der wissenschaftlichen Behandlung des "Vereinba
rungsproblems" zeigt, daB das Lamento der Gefahrdung der traditionellen
Familie durch die weibliche Erwerbsbeteiligung einer Fokussierung der Be
nachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt weichen muBte, weil die Fest
legung von Frauen auf die "expressive Rolle" und damit verbunden auf Fa
milientatigkeiten nicht mehr rational zu begrOnden war. Daraufweist Birgit
Geissler (1994, 231) hin: "Nicht mehr die Folgen der Berufstatigkeit der
Frau (als Mutter) flir die Familie werden untersucht, sondern umgekehrt die
Folgen der Familienverantwortung der Frau flir ihre Berufstatigkeit." Sie
flihrt diese Veranderung der wissenschaftlichen Diskussion darauf zurOek,
daB weder ontologische Argumentationen, welehe die "Natur der Frau" als
Grundlage der Askription von Familientatigkeiten und der Forderung nach
Erwerbsverzieht nehmen, ernstlieh vertreten werden k6nnen noehfunktio
nalistische Konstruktionen, die zugesehriebene Familienpflichten als Legi
timation flir die berufliehe Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt
und in den Betrieben betraehten. Vielmehr wOrden die Berufsehancen und
Arbeitsmarktbedingungen von Frauen "he ute unter dem Postulat der
Gleiehheit der Gesehleehter bewertet" (231). Benaehteiligungen - so ist zu
folgern - werden als Ungereehtigkeit beurteilt. Frauenerwerbstatigkeit gilt
heute aus der Perspektive der Familiensoziologie nieht mehr als "Sonder
problem" (231) mit abzulehnenden Konsequenzen, sondern als Verwirkli
chung eines legitim en Anspruchs auf Teilhabe am Erwerbsleben und auf
eigenes Einkommen, der Frauen und Mannern gleichermaBen zusteht.
Nun ist diese Entwieklung nicht als eine wissensehaftsinterne miBzuver
steben, wie ein einfaeber Hinweis auf die Korrespondenz von Frauenbewe
gung und Familienforschung zeigt. Aueh bescbrankt sich der Modernisie
rungsprozeB nieht auf den Emanzipationskampfvon Frauen im allgemeinen
und Frauenbewegung und -forsehung im besonderen, sondern er ist ein
zubetten in die Gesehiehte der sozialen Emanzipationsprozesse insgesamt.
Die BemOhungen der Frauen unterseheiden sieh deutlieh von Interessen-
10
kampfen partikularer Interessenverbande urn eine bessere Marktstellung,
und zwar im Ziel. Habermas interpretiert sie als einen Kampf urn die
universelle Durchsetzung von Burgerrechten:
"Der inzwischen breitenwirksam in Gang gekommene Emanzipationsschub, fUr
den der Feminismus seit zwei Jahrhunderten kampft, liegt ebenso wie die soziale
Emanzipation der lohnabhangig Arbeitenden auf der Linie einer Universalisierung
von BUrgerrechten. Anders als die Institutionalisierung des Klassenkampfes greifen
jedoch Veranderungen des Geschlechterverhaltnisses nicht nur ins okonomische
System, sondern auch in den privaten Kernbereich des familialen Binnenraumes
ein." (1990,18)
Insofem also der ProzeB der Detraditionalisierung nieht lediglich im wis
senschaftsintemen Bereich stattfindet und auch nicht schierer Traditions
verlust, sondem eben auch der gerichtete Abbau von Gleichheitseinschran
kungen ist, kann er als lebensweltlieher RationalisierungsprozeB verstanden
werden. Damit ist "nur" gesagt, daB traditionelle Begrlindungsmuster ange
sichts ausgepragter Gleiehheitsinteressen und der Nachfrage nach deren Le
gitimitat schlichtweg ihre Uberzeugungskraft einbliBen. Es ist selbstver
standlich, daB ein solcher ProzeB -wie immer auch ungleichzeitig und ver
zerrt er sich in der Alltagspraxis darstellen mag - die Familie als Lebens
form unter Veranderungsdruck setzt und die binnenfamiliale Interaktion
belastet.
Die Rationalisierung und Detraditionalisierung der Lebenswelt macht die
familiale Interaktion insgesamt zeitaufivendiger, weil sie diese mit Gestal
tungsanforderungen und Entscheidungsprozessen belastet. So hat beispiels
weise im Zuge der Auflosung kultureller, motivationaler und normativer
Selbstverstandlichkeiten die Ehe als Institution einen Bedeutungsverlust er
litten ("De-Institutionalisierungsthese"). Zwar ist nach wie vor der liberwie
gende Anteil der mit Kindem zusammenlebenden Gatten verheiratet, aber
eine Abweichung von diesem institutionellen Muster wird keineswegs
mehr in einem MaBe sozial sanktioniert, wie dies noch vor vierzig lahren
der Fall war. Die Ehe ist nicht mehr die unumgangliche Legitimation fami
lialen Zusammenlebens und auch nicht mehr die notwendige soziale Vor
aussetzung der Geburt von Kindem. Auch die Eltemschaft ist biographisch
disponibel geworden. Sie ist eben nicht mehr die mehr oder weniger selbst
verstandliche, quasi schicksalhafte Konsequenz der Ehe, sondem wie diese
Resultat einer expliziten Entscheidung, "verantwortete Eltemschaft". Es
sind insbesondere die biographisch herausragenden Passagen -Heirat (oder
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