Table Of ContentMichael Herweg
Zeitaspekte
Die Bedeutung von Tempus, Aspekt und
temporalen Konjunktionen
Michael Herweg
Zeitaspekte
Die Bedeutung von Tempus, Aspekt und
temporalen Koniunktionen
~
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
CIP-Tilelaufnahme der Deulschen Bibliolhek
Herweg, Michael:
Zeilaspekle : die Bedeulung von Te mpus, Aspekl und
lemporolen Konjunklionen 1 Michoel Herweg.
(DUV : Sprochwissenschaft)
Zugl.: Dusseldorf, Univ., Diss., 1989
ISBN 978-3-663-01648-9 ISBN 978-3-663-01647-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-01647-2
D 61
©Springer Fachmedien Wiesbaden 19 90
Ursprunglich erschienen bei Deutscher Universităts-Verlag GmbH, Wiesbaden 1990
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selzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Ver
arbeilung in eleklronischen Syslemen.
Inhalt
1. Einleitung ....................................................................................... 9
1.1 Gegenstand der Arbeit .................................................................. 9
1.2 Theoretische Grundpositionen ...................................................... 21
1.3 Aufbau der Arbeit und Literaturlage ............................................ 27
2. Aspekte und Situationen .............................................................. 30
2.1 Aspekt, Aktionsart, Zeitkonstitution ............................................. 30
2.2 Die Vendler-Klassifikation .......................................................... 35
2.3 Die Vendler-Klassifikation in der Logischen Semantik .................. .46
2.4 Ereignis, Prozeß, Zustand ........................................................... 53
2.5 Situationssorte und Aspekt.. ......................................................... 66
2.6 Galtons Aspektlogik .................................................................... 71
2.6.1 The Logic of Aspect. ................................................................ 71
2.6.2 The Logic of Occurrence .......................................................... 81
3. Eine formale Theorie von Zeiten, Zuständen und Ereignissen 91
3 .I Zeitstrukturen ............................................................................ 91
3.1.1 Zur Wahl der temporalen Individuen ......................................... 91
3 .1.2 Periodenstrukturen .................................................................. 94
3 .1.3 Periodenstrukturen als Intervallstrukturen .................................. 99
3.2 Zustände und Ereignisse ............................................................ l01
4. Tempus ....................................................................................... 110
4.1 Kritik zweier Traditionen der Tempustheorie .............................. llO
4.1.1 Propositionenorientierte Tempustheorien ................................. 112
4.1.2 Ereignisorientierte Tempustheorien ......................................... 125
4.2 Eine einheitliche Tempustheorie ................................................. 143
4.2.1 Satzradikale, Tempora und Adverbia1e ..................................... 143
4.2.2 Die einfachen Tempora des Deutschen ..................................... 160
4.2.3 Die Aspekte Perfekt, Progressiv und Prospektiv ....................... 180
4.2.3.1 Perfekt. .............................................................................. 180
4.2.3.2 Progressiv und Prospektiv ................................................... 187
4.2.4 Die komplexen Tempora des Deutschen ................................... 194
4.2.5 Perfekt und Temporaladverbiale ............................................. 198
4.2.6 Negation von Ereignis- und Zustandsaussagen ........................... 203
5
5. Temporale und durative Konjunktionen ................................... 206
5.1 Einleitung ................................................................................ 206
5.2 Temporale Konjunktionen ......................................................... 217
5.2.1 nachdem ............................................................................... 217
5.2.2 bevor .................................................................................... 234
5.2.3 während ................................................................................ 253
5.2.4 als und wenn ......................................................................... 267
5.2.5 Weitere Konjunktionen ........................................................... 279
5.2.5.1 indem ................................................................................ 280
5 .2.5 .2 sobald und sowie ................................................................. 284
5.3 Durative Konjunktionen ............................................................ 294
5.3.1 Vorbemerkungen ................................................................... 294
5.3.2 solange ................................................................................. 298
5.3.3 seit(d em) und bis ................................................................... 302
6. Resümee und Schlußbemerkungen ............................................ 311
Anhang 1: Verzeichnis wichtiger Definitionen ........................................ 319
Anhang II: Verzeichnis wichtiger semantischer Repräsentationen ............ 320
Literatur ............................................................................................ 323
6
Vorwort
Die vorliegende Untersuchung ist eine in Teilen überarbeitete und erweiterte
Fasssung meiner Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Heinrich
Heine-Universität Düsseldorf mit dem Titel Semantik von Tempus, Aspekt und
subordinierenden temporalen Konjunktionen, die ich im Sommer 1989 unter
der Betreuung von Dieter Wunderlich fertiggestellt habe. Meine Beschäftigung
mit der Temporalsemantik begann im September 1985, als ich am Seminar für
Allgemeine Sprachwissenschaft der Universität Düsseldorf gemeinsam mit
Sebastian Löbner für ein Jahr in einem von Dieter Wunderlich geleiteten
Forschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft über dieses Thema
gearbeitet habe. Sebastian Löbner hat während dieser Zeit meine Vorstellungen
in unermüdlichen Diskussionen mit mir erörtert und so entscheidend geprägt.
Dieter Wunderlich hat die Entstehung dieser Arbeit betreut und dabei viel
Geduld bewiesen, wenn ich mich allzu häufig anderen Themen zugewandt habe
und dadurch die Fertigstellung der Arbeit verzögert habe. Er hat mir in den
verschiedenen Stadien meiner Arbeit viele wertvolle Anregungen gegeben und
wesentlich dazu beigetragen, daß ich schließlich meine allgemeine Auffassung
von natürlichsprachlicher Semantik definieren konnte. Beiden, Sebastian
Löbner und Dieter Wunderlich, danke ich herzlich.
Nach meinem Wechsel an die Universität Harnburg gab mir Christopher
Habel die Gelegenheit, mich neben meinen Verpflichtungen am dortigen
Arbeitsbereich "Wissens- und Sprachverarbeitung" am Fachbereich Informatik
weiter mit linguistischen Fragen der Temporalsemantik zu beschäftigen.
Hierfür und für sein Interesse und seine Diskussionsbereitschaft danke ich ihm
sehr. Ein besonderer Dank geht an meine Hamburger Kolleginnen Carola
Eschenbach und Claudia Maienbom, die mit viel Engagement eine frühere
Version dieser Arbeit mit mir diskutiert haben. Aus den Diskussionen mit
beiden und ihrer konstruktiven Kritik habe ich viele wichtige Anregungen
bekommen.
Nicht zuletzt danke ich meiner Frau Marlies Herweg, die sich häufig meine
Klagen über den Stoff und den Fortgang der Arbeit anhören mußte und mich
immer wieder zur Fertigstellung der Arbeit ermuntert hat.
Hamburg, im April 1990 Michael Herweg
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1. Einleitung
1.1 Der Gegenstand der Arbeit
Das temporale Ausdrucksinventar der Sprache charakterisiert die Beziehung
von Situationen, d.h. Ereignissen, Zuständen und Prozessen, von denen in
einem Satz oder einem Text die Rede ist, zur Zeit sowie die zeitlichen Bezie
hungen zwischen verschiedenen Situationen. Aktionsarten betreffen die interne
temporale Struktur von Situationen. Sie charakterisieren ein Geschehen z.B. als
zeitlich ausgedehnt oder nicht ausgedehnt, als zielgerichtet oder nicht zielge
richtet usw. Aspekte betreffen die Perspektiven, unter denen eine Situation in
bezug auf die Zeit präsentiert wird, ob mit expliziter Referenz auf ihren zeit
lichen Ablauf oder als zeitlich unanalysiertes Ganzes. Mit Hilfe der Tempora
wird das beschriebene Geschehen in der Zeit eingeordnet - "zeitlich lokali
siert" -, indem es beispielsweise als vergangen, gegenwärtig oder zukünftig
relativ zu einer vorgegebenen Evaluationszeit, z.B. der Äußerungszeit,
charakterisiert wird. Durch Temporaladverbien können Zeitspannen wie 'Ver
gangenheit', 'Gegenwart' und 'Zukunft' weiter eingegrenzt werden. Temporale
Konjunktionen schließlich spezifizieren zeitliche Relationen zwischen Situa
tionen; beispielsweise wird eine Situation vorzeitig oder gleichzeitig oder
nachzeitig zu einer anderen Situation eingeordnet.
Gegenstand dieser Arbeit ist eine generelle semantische Theorie von
Tempus, Aspekt und verschiedenen Arten von temporalen Adverbialen mit
Anwendung auf das Deutsche und, darauf aufbauend, die Semantik der sub
ordinierenden temporalen Konjunktionen des Deutschen. Es wird ein Basisin
ventar an theoretischen Konzepten entwickelt, mittels derer sich die Bedeutung
temporaler Ausdrücke in einem einheitlichen formalen Rahmen analysieren
läßt. Im Unterschied zu den meisten existierenden Ansätzen schließt das vorge
schlagene Basisinventar nicht nur rein zeitliche Konzepte wie z.B. die bekann
ten Relationen der zeitlichen Präzedenz, Überlappung etc. ein. Vielmehr macht
die Theorie an entscheidender Stelle Gebrauch von nicht rein zeitlichen Rela
tionen - in einem Vorgriff auf Kap. 4 seien hier die Relationen der Proximität
und Distalität zwischen Ereignissen und Zeiten genannt -, die einerseits für die
semantische Analyse der Tempora, Aspekte und temporalen Konjunktionen
benötigt werden und andererseits die Grundlage für die pragmatische Erklä
rung bestimmter nichttemporaler Verwendungen von Tempora und Konjunk
tionen liefern (s.u.).
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Sehen wir uns zunächst die semantischen Funktionen von Tempus, Aspekt
und temporalen Konjunktionen etwas gerrauer an. Tempus ist eine deiktische
Kategorie (LYONS 1977: Kap. 15.4, COMRIE 1985: 13 ff.). Durch das Tempus
eines Satzes, das in den weitaus meisten Sprachen morphologisch in der
Verbflexion realisiert ist, semantisch aber eine Kategorie des Satzes ist (s. z.B.
LYONS 1977: 678 u.v.a.), wird die im Satz eingeführte Situation relativ zu
einem deiktischen Zentrum in der Zeit lokalisiert -oder, um die raumbezogene
Metapher der Lokalisierung in der Zeit zu vermeiden: in den Zeitverlauf
eingeordnet. Das deiktische Zentrum ist im Normalfall die temporale origo
einer Äußerungssituaüon, die Äußerungszeit. Diese Charakterisierung trifft die
sogenannten absoluten Tempora, die traditionell von den relativen Tempora
unterschieden werden (s. z.B. COMRIE 1985). Die absoluten Tempora des
Deutschen sind die einfachen Tempora Präsens (Hans schläft) und Präteritum
(Hans schlief> sowie, nach meiner Auffassung, das zusammengesetzte Tempus
Futur (Hans wird schlafen). Diese Zuordnung von Futur ist allerdings wegen
der modalen VeiWendungen dieser Form (Hans wird wohl gerade schlafen) in
der Literatur heftig umstritten (s.u., 4.2.2).
Relative Tempora ordnen eine Situation relativ zu einem zweiten zeitlichen
Bezugszentrum ein, das durch den Kontext festgelegt wird und mit der
Äußerungszeit identisch oder von ihr verschieden sein kann. Betrachten wir
nur die temporale Komponente und lassen die aspektuelle Komponente außer
acht, so ist im Deutschen Partizip Perfekt (geschlafen (haben)) als relatives
Tempus zu klassifizieren: Partizip Perfekt drückt die Vorzeitigkeit einer
Situation zu einer kontextuell bestimmten Bezugszeit aus (s. COMRIE 1985: 59;
s. z.B. auch die Behandlung von Partizip Perfekt und den zusammengesetzten
Tempora in BALLWEG 1986, 1988a, 1988b). Die zusammengesetzten Formen
Präsens-Perfekt (Hans hat geschlafen), Präteritum-Perfekt (Hans hatte
geschlafen) und Futur-Perfekt (Hans wird geschlafen haben) können als
gemischt absolut-relative Tempora klassifiziert werden, deren Bedeutungen
sich kompositional aus den Bedeutungen ihrer absoluten und relativen
Bestandteile ergeben. Den absoluten Anteil liefern die finiten Hilfsverben.
Durch das Hilfsverbtempus wird vom deiktischen Zentrum der Äußerung aus
die Position einer zweiten Bezugszeit bestimmt. Partizip Perfekt lokalisiert
dann die fragliche Situation vor dieser zweiten Bezugszeit
Die beiden grundlegenden Aspekte sind der perfektive und der imperfektive
Aspekt. In der Literatur finden sich diverse Charakterisierungen dieser beiden
Aspekte, z.T. unter Verwendung divergierender Terminologien. Für eine erste
Klärung greife ich hier auf die informellen Charakterisierungen in BERNARD
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COMRIEs Standardwerk über Aspekt (COMRIE 1976) zurück. Nach COMRIE
(1976: 16) stellt ein Satz mit perfektivem Aspekt eine Situation als ein einzel
nes Ganzes ("a single whole") dar, wobei die verschiedenen Zeitphasen, aus
denen sich die Situation zusammensetzt, nicht unterschieden werden. Dem
gegenüber nimmt ein Satz mit imperfektivem Aspekt explizit Bezug auf die
Existenz einer internen zeitlichen Struktur der dargestellten Situation. Die
Situation wird nicht als unanalysierte Einheit präsentiert, sondern mit Bezug
auf ihre Zusammensetzung aus unterscheidbaren Phasen. Von den Begren
zungen, die für eine Einheit wesentlich sind - im Fall von Situationen: ihr
Anfang und ihr Ende -, wird dabei abgesehen.
Mit dieser Charakterisierung sollen die aspektuellen Distinktionen in Sätzen
wie den folgenden (partiell) erfaßt werden:
(1) John was reading a book, when I entered the room.
(2) a. Hans las ein Buch, als ich das Zimmer betrat.
b. Hans las in einem Buch, als ich das Zimmer betrat.
c. Hans war (ein Buch) am Lesen, als ich das Zimmer betrat.
In diesen komplexen Sätzen ist jeweils der Hauptsatz imperfektiv, der Neben
satz perfektiv. Zur Identifikation von perfektivem und imperfektivem Aspekt
kann das Kriterium der Kombinierbarkeit mit Zeitdauerangaben (Durativ
adverbialen) benutzt werden (s. DOWTY 1979: Kap. 2), auf das ich unten (Kap.
2 und 4.2.1) detaillierter eingehen werde. Imperfektive Aussagen sind kompa
tibel mit Durativadverbialen wie eine Stunde lang, minutenlang, perfektive
Aussagen nicht.l Vgl.:
(3) a. Hans las eine Stunde lang ein Buch.
b. Hans las eine Stunde lang in einem Buch.
Mit der Anwendung dieses Kriteriums ist allerdings eine Schwierigkeit verbunden. Unter
Umständen sind Kombinationen von perfektiven Konstruktionen mit Durativadverbialen
nicht ungrammatisch, sondern nur eingeschränkt akzeptabel. So kann z.B. möglicherweise
sogar (3.d) unter dem Zwang, eine Interpretation angeben zu müssen, interpretiert werden,
und zwar wie folgt: Nicht das einmalige Betreten des Zimmers, von dem in den Sätzen unter
(2) die Rede ist, dauerte eine gewisse Zeit, sondern über eine Zeitspanne von mehreren
Minuten wurde das Zimmer mehrmals hintereinander betreten. Deutlicher noch wird diese
iterative Interpretationsmöglichkeit in einem Satz wie (?)Sie trafen sichjahrelang vor dem
Kino am Gänsemarkt, der akzeptiert werden kann, wenn man sich beispielsweise die
Angabe einer zyklisch wiederkehrenden Zeitspanne hinzudenkt, in der die einzelnen Treffen
regelmäßig stattgefunden haben, etwa wie in Sie trafen sich jahrelang sanntags vor dem
Kino am Gänsemarkt. Derartige Interpretationen sind aber ohne weiteres als Urninterpreta
tionen zu identifizieren, so daß der heuristische Wert des Kriteriums für die Aspektbestim
mung nicht eingeschränkt wird (zum Status von Urninterpretationen s.u., Kap. 2).
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