Table Of ContentPeter C. Aichelburg (Hrsg.)
Zeit im Wandel der Zeit
Physik
Facetten der
Physik hat viele
Facetten: historische, technische,
soziale, kulturelle, philosophische und
amüsante. Sie können wesentliche und
bestimmende Motive für die Beschäftigung
mit den Naturwissenschaften sein. Viele
Lehrbücher lassen diese "Facetten der
Physik" nur erahnen. Daher soU
unsere Buchreihe ihnen
gewidmet sein.
Prof. Dr. Roman Sexl
Herausgeber
Eine Liste der erschienenen Bände
finden Sie auf den Seiten 247- 250.
Peter C. Aichelburg (Hrsg.)
Zeit
im Wandel der Zeit
Friedr. Vieweg & Sohn Braunschweig/Wiesbaden
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Zeit im Wandel der Zeit/Peter C.Aichelburg
(Hrsg.). - Braunschweig; Wiesbaden: Vieweg,
1988
(Facetten der Physik; 23)
ISBN 978-3-528-08918-4 ISBN 978-3-322-89451-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-89451-9
NE: Aichelburg, Peter C. [Hrsg.]; GT
Dieses Buch enthält Beiträge aus verschiedenen Quellen. Die Quelle ist jeweils auf der
Titelseite des betreffenden Beitrages als Fußnote angegeben.
Das Umschlagbild zeichnete Rudi Klein, Wien.
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© Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig 1988
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ISBN 978-3-528-08918-4
v
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ....................................... 1
(Peter C. Aichelburg)
1 über Zeit, Bewegung und Veränderung 9
(Aristoteles)
2 Ewigkeit und Zeit 28
(Plotin)
3 Was ist die Zeit? 41
(Augustinus)
4 Von der Zeit 58
(Immanue1 Kant)
5 Newtons Ansichten über Zeit, Raum und Bewegung 74
(Ernst Mach)
6 über die mechanische Erklärung irreversibler Vorgänge 79
(Ludwig Boltzmann)
7 Das Maß der Zeit 86
(Henri Poincan:)
8 Dauer und Intuition ............................ 104
(Henri Bergson)
9 Die Geschichte des Unendlichkeitsproblems .......... 109
(Bertrand Russell)
10 Raum und Zeit 123
(Hermann Minkowski)
VI Inhaltsverzeichnis
11 Der Unterschied von Zeit und Raum ................ 137
(Hans Reichenbach)
12 Newtonscher und Bergsonscher Zeitbegriff .......... 143
(Norbert Wiener)
13 Die Bildung des Zeitbegriffs beim Kinde ............ 154
(J ean Piaget)
14 Eine Bemerkung über die Beziehungen zwischen
Relativitätstheorie und der idealistischen Philosophie .. 161
(Kurt Gödel)
15 Der zweite Hauptsatz und der Unterschied von
Vergangenheit und Zukunft ...................... 168
(earl Friedrich v. Weizsäcker)
16 Zeit als physikalischer Begriff ..................... 178
(Friedrich Hund)
17 Zeitmessung und Zeitbegriff in der Astronomie . . . . . . .. 193
(Otto Heckmann)
18 Kann die Zeit rückwärts gehen? .................... 207
(Martin Gardner)
19 Zeit und Zeiten
225
(Ilya Prigogine und Isabelle Stengers)
20 Zeit als dynamische Größe in der Relativitätstheorie .... 230
(Peter C. Aichelburg)
Peter C. A ichelburg
Einleitung
"Zeit" ist das meistgebrauchte Hauptwort der deutschen Sprachel, woraus
man schließen könnte, daß es sich um einen wohlverstandenen Begriff han
delt. Allein der berühmte Ausspruch Augustinus': "Wenn mich niemand
danach fragt, weiß ich's; will ich's aber einem Fragenden erklären, weiß ich's
nicht", behält auch heute noch seine Gültigkeit. Diese Problematik, daß wir
einerseits die gelebte Zeit als natürlich und vertraut empfinden und daß
andererseits eine genauere Analyse des Begriffs Zeit oft auf Widersprüche
führt, spiegelt sich in den meisten philosophischen Abhandlungen wider.
Das Schrifttum zum Themenkreis "Zeit" ist derart umfassend, daß wohl
kein Werk, welches sich heute mit diesem Problem befaßt, Vollständigkeit
beanspruchen kann. Dementsprechend ist auch der Anspruch dieses Buches
bescheiden: Es wurde der Versuch unternommen, an Hand einer kleinen
Auswahl von Autoren die Entwicklung des Zeitbegriffs und die damit ver
bundenen Problemstellungen über einen Zeitraum von mehr als zweitausend
Jahren aufzuzeigen. Von den griechischen Philosophen ausgehend, ver
schiebt sich mit der Entstehung der Einzelwissenschaften die Thematik von
der Philosophie mehr und mehr zu den Naturwissenschaften. Dabei kommt
der Physik als Grundwissenschaft für alle anderen Naturwissenschaften eine
besondere Rolle zu. Neben Philosophen kommen daher aus den Naturwis
senschaften hauptsächlich Physiker zu Wort. Bei der Auswahl wurde beson
ders Bedacht darauf genommen, daß die aufgenommenen Beiträge aufeinan
der Bezug nehmen bzw. sich ergänzen. Ihre chronologische Anordnung ver
deutlicht die Abhängigkeit philosophischer Reflexionen und naturwissen
schaftlicher Analysen des Zeitbegriffs vom jeweiligen Entwicklungsstand der
Wissenschaften. Dies impliziert jedoch nicht, daß die Beiträge in der ange
führten Reihenfolge gelesen werden sollen. Zum Beispiel sei dem Leser emp
fohlen, zur Problematik der Irreversibilität der Zeit sich zunächst der sehr
klaren Darstellung von F. Hund zu widmen und danach erst den Beiträgen
von L. Boltzmann und C.F. v. Weizsäcker.
Im folgenden wird ein kurzer Überblick der in den einzelnen Beiträgen be
trachteten Problemstellungen gegeben, um einerseits die Zusammenhänge
aufzuzeigen und andererseits dem Leser die Auswahl zu erleichtern.
1 V gl. E. Hallwass, Mehr Erfolg mit gutem Deutsch. Verlag Das Beste, 3. Auflage, Stuttgart 1979
2 Peter C. Aichelburg
Für die frühen griechischen Philosophen war die Frage nach der Identität
der sich in der Zeit ändernden Dinge Ansatzpunkt ihrer Überlegungen. Der
Gegensatz von Permanenz und Änderung, bzw. zwischen "Sein" und "Wer
den", spaltete sie in zwei Lager. So sagt beispielsweise Heraklit (550-480 v.
ehr.), ein Vertreter der sich ständig wandelnden Welt: "Man kann nicht zwei
mal in den gleichen Fluß steigen", denn "Nichts ist wirklich, sondern alle
Dinge werden". Demgegenüber ist für Parmenides (540-470 v. ehr.) und
seinem Schüler Zenon (490-430 v. ehr.) nur das Permanente real und jede
Änderung scheinbar. Plato (427 -347 v. ehr.) versucht die beiden diametra
len Standpunkte dialektisch zu vereinen, indem er vom Veränderlichen auf
das Permanente an den Dingen schließt (Höhlengleichnis).
Das Buch beginnt mit den berühmten Abhandlungen über die Zeit von
Aristoteles und Plotin. Sie gehören, zusammen mit dem nachfolgenden Bei
trag von Augustinus, zu den fundamentalsten der Philosophie.
Aristoteles (384 - 322 v. ehr.) leitet seine Abhandlung mit der Frage ein, ob
Zeit überhaupt ein Dasein hat, indem er feststellt, daß sie aus Teilen besteht,
die entweder schon vergangen sind oder erst kommen werden. "Das Jetzt ist
jedoch kein Teil", sondern "Zeit scheint das zu sein, was wir durch das Jetzt
abgrenzen", und er vergleicht das Jetzt mit einem Punkt einer Strecke, "da
Zeit im Jetzt stetig zusammenhängt". Im weiteren untersucht Aristoteles den
Zusammenhang zwischen Zeit und Bewegung, um zu einem Zeitmaß zu ge
langen. Die Abgrenzung der Zeit von der Bewegung gipfelt in der Aussage,
" ... daß die Zeit weder Bewegung ist, noch ohne Bewegung" und etwas später
genauer: " ... die Zeit ist also nicht Bewegung, sondern das Abzählbare an
ihr". Aristoteles nimmt die Kreisbewegung als Grundbewegung für das Maß,
an der andere Bewegungen, aber auch der Zustand der Ruhe gemessen wer
den, und " ... auch die Zeit selbst erscheint als Kreislauf, und zwar deshalb,
weil sie das Maß eines solchen Vorgangs ist und selber von ihm gemessen
wird".
Aus dem Werk von Plotin (205 - 270 n. ehr) haben wir die Stelle über das
Problem von Zeit und Ewigkeit herausgegriffen, weil es Elemente der christ
lichen Glaubenslehre berührt und insbesondere das Werk von Augustinus
beeinflußte.
Plotin beginnt mit der Feststellung: "Die Ewigkeit und die Zeit nennen wir
verschieden voneinander und weisen jene der ewigen Wesenheit zu, die Zeit
aber dem Reich des Werdens, unserem Weltall ..." , und er setzt sich zunächst
mit dem Begriff der Ewigkeit auseinander, um so vom "Urbild" auf das "Ab
bild, wofür man ja die Zeit ausgibt" zu schließen. Plot in stützt sich auf Plato
und geht im speziellen auf das Verhältnis zwischen Gott und Natur ein: "Un d
wirklich kann man zutreffend sagen, daß die Ewigkeit Gott ist, welcher sich
Einleitung 3
selbst in seinem Wesen darbietet und aufzeigt, nämlich als ein Sein, das un
erschütterlich, mit sich selbst identisch, unveränderlich und festgegründet in
seiner Lebensform dasteht". Demgegenüber " ... hat die Seele erstlich sich
selber verzeitlicht und als Ersatz der Ewigkeit die Zeit erschaffen", als Abbild
der Ewigkeit.
Dieses "Erschaffen der Zeit" finden wir bei Augustinus (354-430 n. ehr.)
wieder. Zunächst knüpft Augustinus bei Aristoteles an, indem er sich mit
dem Dasein der Zeit auseinandersetzt: " Wenna lso die Zeit vorübergeht, kann
sie wahrgenommen werden und gemessen werden". Vergangenes und Zu
künftiges erhalten ihr Dasein durch ein inneres "Im-Geiste-Schauen".
"Aber wie messen wir die Zeit, wenn sie keine Ausdehnung hat?" Und er
geht im weiteren, wie schon Aristoteles, auf den Zusammenhang von Zeit
messung und Bewegung ein. Als Beispiel dafür, daß "Zeit nicht die Bewegung
der Gestirne ist", führt Augustinus die Schlacht Josuas gegen die Amoriter an,
für den die Sonne stillstand, damit er die Schlacht siegreich beenden konnte.
"Also ist die Zeit nicht eine Bewegung des Körpers", und er fragt konsequent
weiter: "Wo ran messe ich denn Zeit selber?" Im Gegensatz zu Aristoteles, der
die Kreisbewegung als Grundelement der Zeitmessung annimmt, verinner
licht Augustinus das Maß der Zeit: "In dir, mein Geist, messe ich meine Zeiten
... der Eindruck, den die vorübergehenden Dinge in dir hervorbringen und
der bleibt, wenn sie vorübergegangen sind, ihn, den gegenwärtigen, messe ich
... also ist er es, den wir die Zeiten nennen, oder aber ich kann die Zeit nicht
messen".
Der nächste Beitrag ist aus Kants (1724-1804) Buch "Kritik der reinen Ver
nunft". Zwischen Kant und Augustinus liegt nicht nur mehr als ein Jahrtau
send, sondern wir überspringen damit Philosophen und Naturforscher wie
Thomas v.Aquin (1225-74), Locke (1632-1704) und damit die Schule der
englischen Empiristen, aber auch Newton (1643 -1727) und Leibniz (1646-
1716), die alle über das Wesen der Zeit reflektiert und es in ihrer Sprache abge
handelt haben. Auf Newtons "absolute Zeit" geht der Beitrag von E. Mach
genauer ein, so daß darauf verzichtet wurde, Teile der "Principia" aufzuneh
men. Wir haben Kant deshalb ausgewählt, weil seine Vorstellungen von
Raum und Zeit wohl am stärksten von den Naturwissenschaftern des ausge
henden 19. und 20. Jahrhunderts in Frage gestellt wurden. "Die Zeit ist kein
empirischer Begriff, der irgend von einer Erfahrung abgezogen worden.
Denn das Zugleichsein oder Aufeinanderfolgen würde selbst nicht in die
Wahrnehmung kommen, wenn die Vorstellung der Zeit nicht apriori zu
grunde läge". Er bejaht damit die absolute Zeit Newtons, jedoch ist für Kant
Zeit weder in den Dingen noch selbst existent. Es ist eine Intuition in unser
Bewußtsein so "eingebaut", daß wir Phänomene als zeitlich sehen. "Zeit ist
nichts anderes als die Form des inneren Sinnes".
4 Peter C. Aichelburg
Der zweite Abschnitt von Kants Abhandlungen bringt die Antinomie über
die Unendlichkeit der Welt. "Die Welt hat einen (keinen)Anfang in der Zeit
..." Thesis und Antithesis, beide durch Kant bewiesen, stehen einander ge
genüber. Erst später, in dem Beitrag von B. Russel, wird die hier hereinspie
lende Problematik der unendlichen Reihen (das Unendlichkeitsproblem)
auch in Zusammenhang mit den Zenonschen Paradoxien unter dem Aspekt
der modernen Mathematik in ein neues Licht gestellt.
Der Beitrag des Physikers und Naturphilosophen E. Mach (1838-1916) ist
seinem Buch "Mechanik, in ihrer Entwicklung, historisch kritisch darge
stellt" (1889) entnommen und betrifft jene Stellen, die sich kritisch mit dem
Zeit begriff Newtons auseinandersetzen. " Die absolute, wahre und mathema
tische Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig ..." ,
schreibt Newton in der "Naturalis philosophia principia mathematica" 1687.
Mach hält dem gegenüber, daß es bei der Zeitmessung nur auf die gegenseitige
Veränderung der Dinge ankommt: "Wir sind ganz außer Stand, die Verände
rungen der Dinge an der Zeit zu messen." Nach Mach wird Newton mit der
Definition der absoluten Zeit seiner Absicht, nur das Tatsächliche zu unter
suchen, nicht gerecht: "Diese absolute Zeit kann an gar keiner Bewegung ab
gemessen werden, sie hat also auch gar keinen praktischen und auch keinen
wissenschaftlichen Wert." Ein weiteres Element der Zeit tritt bei Mach auf;
die Frage nach der Nicht-Umkehrbarkeit. Das Problem der Irreversibilität
der Zeit beschäftigt die Naturwissenschaften bis heute und wird in den weite
ren Beiträgen von L. Boltzmann, C. F. v. Weizsäcker, F. Hund und M. Gard
ner behandelt. Es war L. Boltzmann (1844-1906), der Ende des 19. Jahrhun
derts die Gesetze der Thermodynamik aus einer statistischen Mechanik ablei
tete. Da aber die Gesetze der Mechanik unter Zeitumkehr invariant sind (d. h.
zu jeder Bewegung ist auch die zeitlich umgekehrte möglich), der zweite
Hauptsatz der Wärmelehre aber eine stete Zunahme der Entropie eines abge
schlossenen SY3tems mit der Zeit fordert, scheint hier ein Widerspruch vor
zuliegen. Boltzmann wurde daher von seinen Zeitgenossen, so auch von E.
Zermelo, deswegen heftig angegriffen. Der hier wiedergegebene Beitrag
Boltzmanns ist eine Antwort auf einen Angriff durch Zermelo, in dem er
versucht, diesen Widerspruch zu entkräften. Boltzmann erklärt die beobach
tete Zeitasymmetrie des Geschehens damit, daß sich die Welt weit weg vom
Gleichgewicht befindet. Nach der statistischen Mechanik erfolgt dann die
Zeitentwicklung "im Mittel" zum Gleichgewicht hin, wodurch eine Zeitrich
tung ausgezeichnet wird. Im Mittel bedeutet aber, daß Abweichungen, d. h.
Schwankungen, auftreten können, die, wenn auch nur kurzfristig, vom
Gleichgewicht wegführen. Auf diese Schwankungen stüzt Boltzmann seine
Argumente gegen Zermelo, um zu erklären, warum das Universum sich nicht
Description:l "Zeit" ist das meistgebrauchte Hauptwort der deutschen Sprache , woraus man schließen könnte, daß es sich um einen wohlverstandenen Begriff han delt. Allein der berühmte Ausspruch Augustinus': "Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich's; will ich's aber einem Fragenden erklären, weiß ich'