Table Of ContentWeltbilder Wahmehmung Wirklichkeit
Schriftenreihe der Gesellschaft für Medien und
Kommunikationskultur in der Bundesrepublik e.V.
Band 8
zum Anlaß des 40jährigen Jubiläums des
Landesfilmdienstes Hessen e. V.
Institut für Medienpädagogik und Kommunikation
Dieter Baacke/Franz Josef Röll (Hrsg.)
Weltbilder
Wahrnehmung
Wirklichkeit
Bildung als ästhetischer Lernprozeß
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1995
ISBN 978-3-663-11826-8 ISBN 978-3-663-11825-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-11825-1
© 1995 by Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1995
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zu
stimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Ver
vielfliltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und
Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7
Einleitung 13
L Theoretischer Teil
Dieter Baacke
Zum pädagogischen Widerwillen gegen den Sehsinn 25
Thomas Meyer
Herausforderungen und Perspektiven einer visuellen Kultur 50
Wolfgang Welsch
Künstliche Paradiese? Betrachtungen zur Welt der elektronischen
Medien und zu anderen Welten 71
Hermann Glaser
Künstliche Paradiese? Exorbitanz und die Normalität der
Grenzüberschreitung 96
Ho/ger van den Boom
Die Welt -ein Theater. Über digitale Spektakel 106
Florian Rö!zer
Vom Paradigma der Ästhetik zum Paradigma des Spiels 119
Franz JosejR öll
Bild, Raum und Identität -Sinnsuche im Medienzeitalter 142
IL Instrumenteller Teil
Franz JosefRöll; Hildegard Wolf
Grundlagen der Bildgestaltung -Hinweise zur normativen Kraft der
Ästhetik 171
Franz JosefRöll; Hildegard Wolf
Triade -Handlungsorientierte Medienarbeit als künstlerischer
Selbstausdruck 197
Pit Schulz
Sound & Vision -ein interkulturelles Musik-und Videoprojekt mit
Jugendlichen aus sechs Nationen 214
Inge Schmittinger
Körperwahrnehmung im Spannungsfeld zwischen Technik und
Abbild -Geschlechtsspezifische Medienaneignung von Mädchen 223
Karsten Krügler
Die inversale Aktion -ein Ergebnis multimedialer Inszenierungen 233
Franz Gerlach
Ästhetische Handlungsfelder in der Arbeit mit Kindern 248
AutorInnen 261
Bildnachweis 261
Vorwort
Massenmedien wie Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Hörfunk, Film und
Fernsehen vermitteln nicht nur Informationen, sie produzieren auch Mei
nungen, können Stimmungen erzeugen und damit Werte und Normen be
einflussen. Die Gefiihle, die Medien auszulösen imstande sind, waren auch
meist Motiv fiir Politiker, gleich welcher politischer Überzeugung, den Me
dien eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Meist benutzten sie die
Medien als Selbstdarstellungs-und Propagandainstrumente.
Gerade die deutsche Geschichte zeigt, welch hohe Bedeutung den Medien
bei der politischen Meinungsbildung zukam. Dies gilt sowohl für die Hu
genbergsehe Presse in der Weimarer Republik, als auch fiir die Medienpoli
tik der Nationalsozialisten. Noch gut in Erinnerung ist die beispiellose In
dienstnahme des Mediums Radio (Volksempfanger) und des Filmes durch
die Nationalsozialisten. Entsprechend der technischen Entwicklung wurden
die Medien für das jeweilige Eigeninteresse 'genutzt'.
Auch den Amerikanern blieb die Bedeutung der Medien, die Faszination,
die z.B. das Medium Film auf die ZuschauerInnen ausübte, nicht verborgen.
So setzten sie ab 1941 bewußt Spielfilme ein, um die amerikanische Bevöl
kerung zu einem deutschen Feindbild zu erziehen. Da diese Maßnahmen
anscheinend Erfolg hatten, unterstellte man dem Film eine besondere psy
chologische Wirkung. So war es nicht verwunderlich, daß der Film in der
Nachkriegszeit eine besondere Bedeutung erlangte. Bereits 1946 wurde im
State Department in Washington ein Dokument zur re-education konzipiert.
Unter diesem Leitwort sollte eine Wiederherstellung und Beeinflussung des
gesamten kulturellen und geistigen Lebens in den Besatzungszonen erzielt
werden. Das Erziehungswesen sollte als ein Hauptansatzpunkt für re-educa
tion genutzt werden. Amerikanische Jugendoffiziere versorgten im Rahmen
dieser re-education vor allem Jugendliche mit Filmen. Diese Filme sollten
einen Eindruck vom Leben in einer Demokratie vermitteln, genau genom
men ging es um einen Einblick in den american way o/life; dies war der
Inhalt und die Botschaft der Filme. Mit Hilfe dieser Filme sollten die deut
schen Jugendlichen zu guten DemokratInnen erzogen werden. In der Nach
kriegszeit wurde somit der Film als Erziehungs- und Bildungsmittel einge
setzt. Die Filmveranstaltung selbst galt bereits als Erziehung und Bildung.
7
Als sich Ende der vierziger Jahre die amerikanischen Dienststellen langsam
zurückzogen, bildeten sie in den hessischen Landkreisen und kreisfreien
Städten Stadt- und Kreisfilmdienste als kommunale Einrichtungen. Wegen
der engen personellen Verflechtungen der Bildstellen mit dem Naziregime
wollten sie als Träger dieser Umerziehungsarbeit sich nicht auf die beste
henden Strukturen, die Bildstellen, stützen. Die Stadt-und Kreisfilmdienste
wurden zu jugendpflegerischen Urzellen. Aus vielen dieser Einrichtungen,
mitbedingt durch die personelle Verzahnung, entwickelten sich in den Krei
sen und Städten Hessens 1954 kommunale Jugendpflegeeinrichtungen als
Pflichtaufgabe nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz.
In diesem pädagogischen Kontext beginnt die Geschichte des Landes
filmdienstes. 1953 gründeten 26 hessische Filmdienste die Arbeitsgemein
schaft der Filmdienste ./Ur Jugend- und Volksbildung. 1954 entstand daraus
der Landesfllmdienst./Ur Jugend- und Volksbildung. Mit dieser Einrichtung
sollten die erzieherischen Filmaktivitäten gebündelt werden. Kurz nach der
Gründung des Landesfilmdienstes wurde als Aufgabe für die Zukunft eine
"Förderung der erzieherischen Filmarbeit in Jugendpflege, Erwachsenenbil
dung und Schule" gesehen. Es wurde ein zentrales Filmarchiv in Frankfurt
eingerichtet, um, im Sinne einer Dienstleistung, einen geeigneten Verleih
von Filmen zur Verfügung stellen zu können. Der aktuelle, insbesondere der
politisch bildende Film sollte den Einrichtungen der Jugendpflege und
Volksbildung zugänglich gemacht werden.
Der Medienverleih als Dienstleistung begann Mitte der fünfziger Jahre,
nachdem das Bundespresse- und Informationsamt Filme für den Verleih
bereitstellte und der Industrie- und Wirtschaftsfilm über die Landes
filmdienste verbreitet wurde. Das zentrale Filmarchiv des Landesfilmdien
stes in Frankfurt dient heute noch als Grundlage für die medienerzieherische
Arbeit als ein Teil der Tätigkeit des Landesfilmdienstes.
Seit 1960 wurde der Landesfilmdienst Hessen vom Ministerium für Ju
gend, Familie und Gesundheit finanziell unterstützt. Bereits 1961 wurde
deutlich, daß die ursprüngliche erzieherische Arbeit mit dem Film, die allein
durch die Informationsvermittlung Verhaltensveränderung zu bewirken
vermutete, ergänzt werden mußte durch eine Auseinandersetzung mit dem
Medium selbst. Dementsprechend formulierte die damalige Satzung als
Aufgabenstellung: "Der Landesfilmdienst für Jugend- und Volksbildung
e.V. in Hessen dient der volksbildenden Kultur- und Dokumentarfilmarbeit
und der Erziehung zum guten Film." Die Pädagogik begann nunmehr, den
Film zu vereinnahmen und ihn zu instrumentalisieren. Durch Vor- und
Nacharbeit und andere didaktische Methoden sollte der Wert des Filmes
erhöht werden, zum Nutzen einer didaktisch orientierten Pädagogik.
Angesichts der wachsenden Kinokultur und der zunehmenden Bedeutung
des Filmes wurde das Bildungsanliegen erweitert und der gesellschaftlichen
Realität Rechnung getragen. Der Medienverleih wurde aktiv ergänzt durch
8
medienkundliche Veranstaltungen, Kurse, Lehrgänge und medientechnische
Einführungen (z.B. Filmvorführschein). Die pädagogische Arbeit umfaßte
verstärkt Beratung und Information über den Film, Beschaffung und Ausar
beitung von Arbeitshilfen für den Filmeinsatz, Koordination und Zusam
menarbeit mit Organisationen, Verbänden, Parteien und Behörden sowie
Bereitstellung der technischen Mittel für die pädagogische Arbeit.
Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die Übernahme der Filme der
Hessischen Staatskanzlei und der Hessischen Landeszentrale für politische
Bildung. Dadurch konnte sich die Arbeit auf den Aspekt der politischen
Bildung mit Medien konzentrieren.
In einem Jahresbericht aus dem Jahre 1968 werden die Aufgaben des
Landesfilmdienstes im pädagogischen Bereich konzeptionell konkretisiert:
"Für die Arbeit der Jugendorganisationen und der Hilfe der nichtorganisier
ten Jugend stellt der Landesfilmdienst Filme zur Verfügung, die sich für die
Verwendung in der Erziehungs- und Bildungsarbeit eignen. Dabei soll der
Film als optisch-akustisches Hilfsmittel Werkzeug und Arbeitsmaterial in
der Hand der Jugendpfleger, des Diskussions- und Gruppenleiters sein. Da
rüber hinaus arbeitet der Landesfilmdienst in der Förderung der Erwachse
nenbildung im Einvernehmen mit allen Einrichtungen die der Volksbildung
dienen." Die erzieherische Aufgabe sollte in allen Bereichen des bürgerli
chen Lebens zum Ausdruck kommen, um "die mitbÜfgerliche Haltung und
das staatsbürgerliche Verantwortungsbewußtsein zu wecken und zu entfal
ten."
Weiterhin wurde der Landesfilmdienst seitens der Hessischen Landesre
gierung unterstützt und sukzessive zu einer zentralen Medieneinrichtung für
den außerschulischen Bereich ausgebaut. Diesem Engagement liegt die
Überlegung zugrunde, mit dem Landesfilmdienst eine auf Kontinuität ange
legte aktive medienpädagogische Arbeit in Hessen zu installieren. Folge
richtig veränderte der Landesfilmdienst im Jahre 1974 seinen Namen und
nannte sich nunmehr Landesfilmdienst für Jugend- und Erwachsenenbil
dung in Hessen e. V. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Medien immer noch
als Hilfsmittel (nachgeordnete Mittler) begriffen, um im Verlauf von päd
agogischen Prozessen Inhalte besser vermitteln zu können. Medien wurden
ähnlich wie die Tafel und Bücher, als didaktisches Material interpretiert.
Die 'andere' Qualität von Filmen, die Veranschaulichung von komplexen
Zusammenhängen, die Möglichkeit des kommunikativen Diskurses mit
Hilfe von Bildmedien wurde noch nicht erkannt.
Verbunden mit der rasanten technischen Entwicklung wurde die Stellung
der Medien im gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß immer bedeutsa
mer. Damit verbunden war der Vorwurf gegenüber den Medien, ein 'gehei
mer Miterzieher' zu sein. Es entwickelte sich die Überzeugung mit der
Prämisse insbesondere Kinder und Jugendliche vor den Medien schützen.
Die sogenannte bewahrende Medienpädagogik etablierte sich. Bis heute fin-
9