Table Of ContentGerda Henkel V orlesung
Gerda Henkel Vorlesung
herausgegeben von der gemeinsamen Kommission
der Rheinisch-Westfalischen Akademie der Wissenschaften und
der Gerda Henkel Stiftung
Wege zur Bildgestaltung
Vom Einfall zur Ausfiihrung
Ernst Gombrich
Westdeutscher Verlag
Der Vortrag wurde am 1. Oktober 1987 in Dusseldorf gehalten.
Gombnch. Em. . H.:
W<l< 'u. Bildg"".i<un~: ..,m Einf.1I ru. A".f"h."n~ (<I<. v"""~ .•, ,,ok .m
l. Oktok. 19117 on W...,ldorf &<h>.lt<nJ I E."" Gombnch. _ OpI>o.n: W'>ld<.
V.,I.,198'1
(Cerda. t l<nkoJ.V",I«ung)
DeT Westdeutsche Verlag ist ~in Unl~rnehmen def Verlagsgruppe Bertelsmann.
It> 1989 by Wcsldeutschef Verlag GmbH Oplad~n
Herstellung: We\tdeutscher Verlag
Sail', Druck und buchbinderische Ve,arbeitung: BoS$-oDruck, Kleve
ISBN 978-3-531-11962-5 ISBN 978-3-322-86416-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-86416-1
Jeder Kunstler, der den Mut oder die Unbekummertheit aufgebracht hat, seine
Staffelei an einem offentlichen Orte aufzustellen, urn dort zu malen, hat gewig die
Erfahrung gemacht, wie viele Leute sich urn ihn scharen, urn das spannende Schau
spiel zu erleben, wie das Bild unter seinen Hinden Gestalt gewinnt. Einer der
grogten Meister unseres J ahrhunderts hat sich sogar uberreden lassen zu erlauben,
dag die Filmkamera uber seine Schulter guckt. Ich spreche naturlich von dem fas
zinierenden Film, der Picasso beim Zeichnen und Malen zeigt, wobei ich beson
ders an den Moment denke, wo er irgendwie nicht weiter konnte und murmelte
"s;a va mal, tres mal!"
Ich darf hoffen, dag der Titel meines Vortrages nicht die Erwartung geweckt
hat, ich werde Ihnen nun heute vorfuhren, wie etwa Leonardo beim Malen des
Uichelns der Mona Lisa zogerte oder wie Rembrandt sich mit der Nachtwache
plagte. Das Erste, was jeder Historiker lernen mug, ist, sich zu bescheiden. Es gibt
so unendlich viel, was er gerne wiigte und niemals wissen wird. Aber auch da, wo
wir nicht dabei waren, durfen wir mitunter den Versuch wagen zu erschliegen,
was sich abgespielt haben mag, indem wir etwa ganz allgemein fragen, unter
welchen Bedingungen ein Bildwerk zustande kommen kann.
Gewig waren wir aIle lieber Augenzeugen gewesen, wie der liebenswerte fran
zosische Maler Hubert Robert im 18. J ahrhundert unter den Augen seiner Gattin
sein kleines Tochterchen zeichnete (Abb. 1). Gewig hatten wir auch gerne das
Atelier seines Zeitgenossen, des grogen Bildhauers Houdon besucht, den uns
Boilly dabei zeigt, wie er eine kleine Statuette nach dem Modell fertigstellt, das
auch ein junger Student abzeichnet (Abb. 2). Aber was wir in jedem Falle
wissen, ist, dag sowohl Hubert Robert als Houdon geschulte Meister einer Epoche
waren, denen die Nachbildung eines Naturvorbildes eine Selbstverstandlichkeit
war - was ja nicht fur alle Zeiten oder Kulturen zutrifft. Ihre Hand hatte gelernt,
ihrem Auge zu gehorchen, denn ohne dieses Zusammenspiel von Auge und Hand
konnte es ja nicht zur bildnerischen Gestaltung kommen.
Aber noch vor diesem Zusammenspiel liegt eine Entscheidung, die beide
Kunstler treffen mug ten, urn uberhaupt anfangen zu konnen. Ich spreche von der
Wahl eines Ausgangspunktes fur ihr Schaffen. Die Notwendigkeit eines solchen
6 Ernst Gombrich
Ausgangspunktes habe ich mehrmals in "Kunst und Illusion" betont.1 Ich sprach
davon, daB auch der getreuen Naturnachbildung immer ein Geriist, ein Schema
zugrunde liegen muB, und eine Folge dieser kiinstlerischen Notwendigkeit habe
ich ja auch in dem ersten Vo rtrag behandelt, den ich hier vor fiinf J ahren auf Ein
ladung der Gerda Henkel Stiftung halten durfte, wo ich yom erlernten Typus als
einer Form des Schemas sprach.2
U nd doch habe ich vielleicht unterlassen zu erklaren, warum der Weg zur N atur
darstellung immer von einem solchen Schema ausgehen muK Kurz gesagt bedarf
der Kiinstler eines solchen Schemas, weil er im Gegensatz zum Photographen ja
keinen mechanischen Abklatsch der Natur erzielen kann, sondern immer wieder
eine Neuschopfung anstrebt. Genauer gesagt: Der Abklatsch ware ein bloBer
Grenzfall, wenn auch gerade deshalb recht instruktiv. So kann der Bildhauer einen
GipsabguB machen, und unter denen, die wir in Houdons Werkstatt sehen,
konnte auch eine Lebensmaske sein; auch der Maler konnte schon vor der Erfin
dung der Photographie bei einem mechanischen Hilfsmittel Zuflucht finden.
Hubert Robert war gewiB mit einem solchen Verfahren vertraut, das im spaten
18. Jahrhundert sehr in Mode war, mit dem SchattenriB oder der Silhouette, bei
dem die relative Entfernung von Kerze und Schirm den MaBstab des Bildnisses
bestimmt (Abb. 3). Hier geniigte in der Tat ein aufmerksames Auge und eine
sichere Hand, den UmriB des Profils sozusagen abzupausen.
Woes keine solche auBere Stiitze gibt, schafft sich der Kiinstler eben zunachst
das Geriist, welches ihm den MaBstab festlegt, in dem er zu arbeiten gedenkt. Ein
Blick in den Aktsaal jeder beliebigen Kunstschule kann diesen ProzeB veranschau
lichen (Abb. 4). Ich entnehme diese Aufnahme dem ausgezeichneten Lehrbuch
von W.A. Berry: "Drawing the Human Form". Es ist klar, daB der Zeichner sich
zunachst auf ein Format festlegen muB, bevor er mit dem eigentlichen Abzeich
nen beginnen kann. In dieser Arbeit liegt nichts Mechanisches; wie man sieht,
muB er das Modell sozusagen von Grund aufbauen, bevor er an den Vergleich
zwischen Vorbild und Abbild herangehen kann.
Wer den Weg yom Einfall zur Ausfiihrung untersuchen will, muB sich also not
gedrungen mit diesem urspriinglichen Ausgangspunkt befassen, wobei es aber
auch klar wird, daB Art und Grad dieser Festlegung in verschiedenen Kunststilen
und T echniken eine sehr verschiedene Rolle spielen.
Eine unfertige altagyptische Kleinplastik, die den Gott Osiris vorstellen sollte,
zeigt uns sozusagen eine Station auf der geraden StraBe von der Absicht zur Aus
fiihrung (Abb. 5). Die Hilfslinien am Block legen bereits die Proportionen fest, die
I Koin 1967, Stuttgart 1978.
2 Ideal und Typus in der italienischen Renaissancemalerei, Gerda Henkel Vorlesung, Opiaden 1983.
Wege zur Bildgestaltung 7
der MeiGel dann herausarbeiten wird, wobei es eigentlich kein Zuriick gibt, denn
wenn der Block verhauen ist, ist er unbrauchbar.
Was fiirs MeiGeln oder Schnitzen gilt, gilt allerdings keineswegs fiir das Model
lieren in Ton (Abb. 6). Hier kann die bildende Hand jederzeit einer frischen Ein
gebung folgen, ja eine Zufallsbewegung kann das Auge anregen, die urspriingliche
Absicht zu verandern oder gar fallen zu lassen. Bis zu einem gewissen Grad ist hier
der Weg zur Gestaltung unvorhersehbar geworden, aber darum nicht weniger
mteressant.
Befragen wir einen Psychologen, so wird er uns wohl belehren, daG ein gewisser
Freiheitsgrad zu allen Zweckhandlungen gehort. Unsere eigentliche Absicht
bezieht sich in der Regel ganz allgemein auf das Was und weniger auf das Wie.
Ob ich nun den Telephonhorer abhebe oder den Schliissel ins Loch stecken will,
immer verlasse ich mich dankbar auf meine gesunden Augen, die es mir ersparen,
herumzutasten und zu tappen und die Hand zum Ziele steuern, wobei der iiber
wachende Blick eben jeden Ansatz zu einer Fehlbewegung sogleich korrigiert.
In der Sprache der Techniker heiGt diese Art der Wechselwirkung Riickkoppe
lung oder englisch feed-back. 1m GroGen und Ganzen diirfen wir sagen: Wenn die
Absicht das Was bestimmt, so beherrscht der feed-back das Wie. Art und Grad die
ser Wechselwirkung beeinflussen darum auch das Bildermachen yom Einfall zur
Ausfiihrung ganz entscheidend.
Ich sagte Bildermachen und nicht kiinstlerisches Schaffen, denn das Gebiet, auf
dem die Psychologie diese Verhaltnisse zunachst studiert hat, war das der Entwick
lung der Kinderzeichnung.3 Es ist bekannt, daG es kleinen Kindern SpaG macht,
auf dem Papier wild herumzufahren, urn ihrer Bewegungsfreude Luft zu machen,
wobei dem Auge nur eine sehr geringe steuernde Rolle zukommt (Abb. 7). Erst
allmahlich stellt sich die Absicht ein, es den Klassenkameraden oder dem Bilder
buch gleich zu tun und etwas darzustellen. Abb. 8 zeigt solehe erste Versuche,
einen Mann, einen Baren und einen Affen zu zeichnen; aber bei aller guten
Absicht hat das Kind noch nicht gelernt, die wesentlichen U nterschei
dungsmerkmale anzubringen. Urn diese geht es ja dem Kind, und so ungelenk
seine Hand auch sein mag, beherrscht es bald die Bewegung doch genug, urn etwa
Kopf und GliedmaGen irgendwie zu kennzeichnen (Abb. 9). Dabei ist es zufrieden,
wenn ihm das Was gelingt. Das Wie iiberlaGt es noch weitgehend dem Zufall,
einem Zufall, der oft ihm wie uns Freude macht. Ja wir bedauern es, wenn das
Kind sozusagen seine U nschuld verliert und seine wachsende U nzufriedenheit mit
3 Fur die Geschichte der psychologischen Studie der Kinderzeichnungen siehe George Boas, The Cult
o/Childhood, Studies of the Warburg Institute, London 1966, S. 79ff. Einen Zugang zu der spateren
psychologischen Literatur gewahrt Rudolf Arnheim, A rt and Visual Perception. Siehe auch Peter van
Sommers, Drawings and Cognition, Descriptive and Experimental Studies 0/ Graphic Production Pro
cesses, Cambridge (England) 1984.
8 Ernst Gombrich
dem Wie ihm das Zeichnen verleidet. Den Meisten von uns ist es ja so gegangen,
sobald es uns klar wurde, daG das Zeichnen eine Kunst ist, die gelernt sein will. Wie
Max Liebermann einmal sagte: "Kunst kommt von Konnen, wenn es vom Wollen
kame, hieGe es Wulst".
Allerdings gibt es eine Form manueller Geschicklichkeit, die das Kind noch
immer in der Schule lernen muG, wenn auch hier die Anspruche nachzulassen
scheinen. Ich spreche naturlich von der Kunst des Schreibens. 1m Gegensatz zum
Lesen muG der Schuler nicht nur die Unterscheidungsmerkmale aller Buchstaben
kennen, so daG er sich sozusagen kein X fur ein U vormachen laGt; er muG sie auch
zu formen lernen, bis die Fertigkeit fast automatisch wird. Ein englisches Vorlage
buch aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts (Abb. 10) enthalt das optimisti
sche Versprechen, daG dem Benutzer, der seinen Anweisungen folgt, sowohl das
Schreiben wie das Zeichnen leicht fallen wird. Sei dem, wie es sei, ich habe noch in
der Volksschule fleiGig Sagezahne machen mussen, mit sorgfaltiger Unterschei
dung von Haar-und Schattenstrichen. Ich glaube, dieser Drill ist der Abschaffung
der Kurrentschrift zum Opfer gefallen und es ist nicht schade urn ihn. Was immer
die technischen Forderungen einer Kunstfertigkeit sein mogen, so wird der
Lernende gut daran tun, sie in ihre Elemente zu zerlegen, die die englischen
Psychologen "Chunks", also Happen oder Bissen, nennen, Elemente, aus denen
sich komplexere Aufgaben zusammensetzen. Der Sanger muG Skalen uben, der
Geiger Stricharten und der Kalligraph etwa Schleifen und Schlingen, wie unser
Lehrbuch zeigt.
Auch das Studium der Handschrift ist eine Wissenschaft geworden, von deren
Resultaten die Kunstwissenschaft gewiG noch profitieren wird.4 Liegen doch in
der Handschrift die zwei Grundelemente, von denen ich sprach, sozusagen am
Tageslicht: der motorische Impuls der schreibenden Hand und die Beherrschung
der Buchstaben. Idealerweise soll es zu einem vollkommenen A usgleich dieser T en
denzen kommen, aber bei manchen Schriften hat man den Eindruck, daG be ide
urn den V orrang ringen. Eine extreme, fast ungebandigte Motorik zeigt sich in der
4 Ich denke hier weniger an die Beziehungen zwischen Handschrift und Charakter (die eigentliche Gra
phologie), als an das Studium graphischer Prozesse, eine Forschungsrichtung, deren Kenntnis ich Pro
fessor Colette Sirat verdanke. Dnter ihren Veriiffentlichungen hebe ich hervor: L'EXdmen des Ecritu·
res: L'Oeil et la machine, Essai de Mhhodologie, Centre National de la Recherche Scientifique 1981, Ecri
ture et Civilisations (im gleichen Verlag, ohne Erscheinungsjahr), und La morphologie humaine et la
direction des Ecritures, Academie des Inscriptions et Belles-Lettres, Comptes Rendus 1987, Janvier
Mars, Paris 1987. Einen Einblick in diese Forschungsrichtung bieten auch P. Viviani und C. Ter
zuolo, The Organization 0/ Movement in Handwriting and Typing, Language Production, Bd. 2, 1983,
S. 103-146, und P. Viviani und Marco Cenzato, Segmentation and Coupling in Complex Movements,
Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 1985, Nr. 6, S. 828-845,
beide mit Bibliographie, sowie auch das in Anm. 3 genannte Buch von Peter van Sommers.
Wege zur Bildgestaltung 9
Handschrift Beethovens (Abb.11), dessen Notizen an Schindler von nichts Aufre
genderem handeln als von dem Wunsch, der Schuster solle dem Neffen Karl
Schuhe anmessen. In der Handschrift Goethes (Abb. 12) zeigt sich hingegen etwas
von "Wanderers Gemlitsruhe", und das gerade in dem so liberschriebenen Vers
aus dem Westostlichen Diwan, der beginnt: "Ubers Niedertrachtige niemand sich
beklage, denn es ist das Machtige, was man dir auch sage".
Beide Schriftproben zeigen die personliche Art, in der die erlernten Buchstaben
formen in den Duktus der Schrift sozusagen eingeschliffen werden, wobei die
Hand oft im Interesse der Geschwindigkeit und Bequemlichkeit mehr fordert, als
ihr das prlifende Auge gestatten sollte. Sie kann das tun, da ja die meisten Zeichen
systeme einen Sicherheitsfaktor eingebaut haben, der in der Sprache der Nachrich
tentechniker Redundanz heiBt. Dieser Sicherheitsfaktor ist natlirlich der Sinnzu
sammenhang, auf den der Schreiber wie auch der willige Leser sich verlaBt. Am
Verzeihlichsten sind denn auch die Verschleifungen der Buchstaben in jenen
Formeln, die sich aus dem Zusammenhang ergeben, wie in der Unterschrift des
Maiers Kalkreuth (Abb. 13): "Besten GruB, Ihr sehr ergebener Kalkreuth".
Ich entnehme das Beispiel einem anregenden Buch liber Handschrift und Zeich
nung aus dem NachlaB des Sammlers Seliger, der viele zeitgenossische Klinstler
bat, ihm Proben beider Art zukommen zu lassen. Viele seiner Korrespondenten
waren geschmeichelt, nur Max Slevogt auBerte seine Zweifel (Abb. 14). Die
Schrift, die auf bloGer Ubereinkunft beruht, habe nichts gemein mit der frei ent
stehenden Zeichnung. GewiB besteht Slevogts Einwand zurecht. Das Erlernen
von sechsundzwanzig Buchstaben laBt sich nicht mit dem Erlernen der Malerei
vergleichen. Und doch hat er vielleicht libersehen, daB seine Auffassung von der
Freiheit des Klinstlers eine verhaltnismaBig neue war.
In den vergangenen Zeitaltern, in denen die Kunst eben Handwerk war, war die
Verwandtschaft zwischen Bild und Schrift viel augenfalliger. Beide Gestaltungs
formen beruhten auf Ubereinkommen, einem Formenschatz, der gelernt werden
muBte. Das bestatigt sich bei den erhaltenen Probestlicken aus dem alten Agypten,
auf denen wir sehen, wie die Lehrlinge ihre Handfertigkeit libten. Ein solches Bei
spiel aus Theben (Abb.15) zeigt uns den Versuch, ein menschliches Profil und eine
Hieroglyphe hinzuschreiben, wobei das Profil zunachst sehr schlecht gelang und
vielleicht von dem Meister vorgezeichnet wurde. Ich liberspringe etwa drei
Ja hrtausende, urn Ihnen zu zeigen, daG auch eine unfertige Bilderhandschrift des
deutschen Epos Willehalm aus dem vierzehnten Ja hrhundert noch wenig von jener
Freiheit des Ausdrucks zeigt, auf die es Max Slevogt ankam (Abb. 16). Es gibt da
noch keinen wesentlichen Unterschied zwischen den traditionell festgelegten goti
schen Schriftzeichen und den sic her hingeschriebenen U mrissen der Figuren, die
erst der Bemalung harren. U nd doch ist hier ein neues Element hinzugekommen,
10 Ernst Gombrich
das im alten Agypten wohl unvorstellbar ware: die eleganten Schnorkel, die die Ini
tialen umspielen, sollen die Handfertigkeit des Schreibers unter Beweis stellen.
Vielleicht sind wir nun so weit, von einem Spektrum sprechen zu diirfen, das
sich zwischen zwei Extremen erstreckt. Auf der einen Seite stehen die Gestal
tungsweisen, die sozusagen auf einem Drill beruhen, auf der anderen die freie
Improvisation, die hier in dem Schnorkel noch einen bescheidenen Platz
einnimmt.
Auf der einen Seite, also beim erlernten Drill, fallt das Was und das Wie noch
zusammen, der Schreiber weiG, was er will, weil er es ja auch schon oft fertigge
bracht hat; schon bei Schnorkeln liegen die Dinge etwas anders. Auch hier folgt er
seinem Einfall, indem er seiner Hand freien Lauf laGt. Das Was muG ihm klar gewe
sen sein, beim Wie kommt schon ein Element der Freiheit zur Geltung. Besteht
doch das Federspiel gerade in einem gegliickten Zusammenklang zwischen Einfall
und Freier Gestaltung. Es zeigt sich namlich, daG der Kiinstler, wo immer er von
der vorgeschriebenen Schablone abzweigt, auch ein wenig mit dem gliicklichen
Zufall rechnen muG. Das Was laGt sich planen, das Wie nie ganz so vollstandig.
Auch an das, was ihm "vorschwebt", wie es die Sprache so treffend beschreibt,
muG sich der Kiinstler ebenso heranpirschen, wie das beim Nachbilden des Natur
vorbildes der Fall ist.
Ich habe einmal eine Gruppe von Kiinstlern gefragt, ob sie sich imstande
fiihlten, sich auch nur einen einzigen Strich oder Farbfleck so genau vorzustellen,
daG sie ihn ohne jede Abweichung aufs Papier bringen konnten. Es fand sich
keiner unter ihnen, der sicher war, daG das moglich sei. Was moglich ist und
worauf sich der Kiinstler natiirlich verlaGt, ist eben der ProzeG des feed-backs, der
nachtraglichen Korrektur oder U mgestaltung, die ihn wieder naher an die
urspriingliche Absicht heranfiihrt, falls er es nicht vorzieht, der Anregung des
Zufalls zu folgen und neue Wirkungen zu erstreben.
Es war der erste Historiker der italienischen Renaissancekunst, der Maler Gior
gio Vasari, der diese Einsicht zum erstenmal formulierte.5 Er erinnerte die venezia
nischen Maler, von denen er behauptete, sie unterschatzten die Rolle der Zeich
nung, daran, daG die menschliche Vorstellungskraft nicht ausreiche, das, was wir
in der Phantasie zu sehen glauben, auch im Kunstwerk zu verwirklichen. Wir
bediirften des Mittels der Skizze, urn un sere Vorstellung sozusagen dem korper
lichen Auge zu unterbreiten. Dabei ist ihm die Skizze natiirlich eine Durch
gangsphase im SchaffensprozeG. Der Kiinstler wirft sie aufs Papier, urn sie selbst
zu korrigieren, weil sie eben nicht seinem urspriinglichen Einfall entsprechen
konnte. Der Weg yom Einfall zur Ausfiihrung fiihrt iiber die Selbstkritik.
, 1m "Leben des Tizian", siehe Le Vite, hsg. v. G. Milanesi, Mailand 1881. Eine wortliche Ubersetzung
habe ich in Bild und Auge, Stuttgart 1984, 5.224, gegeben.