Table Of ContentMedienkulturen im digitalen Zeitalter
Kornelia Hahn
Alexander Schmidl Hrsg.
Websites &
Sightseeing
Tourismus in Medienkulturen
Medienkulturen im digitalen Zeitalter
Herausgegeben von
K. Hahn, Salzburg, Österreich
R. Winter, Klagenfurt, Österreich
Fortgeschrittene Medienkulturen im 21. Jahrhundert zeichnen sich dadurch aus,
dass alle Kommunikation durch Erfahrungen mit „neuer“, digitaler Medientec
hnologie beeinflusst ist. Es kommt nicht nur zu vielfältigen Transformationen von
Praktiken und Identitäten. Überdies entstehen neue Identifikationen und
Geb rauchsweisen. Auch die Medien selbst werden verändert, weil Inhalte leichter
verf ügbar sind, sich Plattformen und Produzenten vervielfältigen und multiple Kon
vergenzen herausbilden. Die Verknüpfung von traditionellen und neuen Medien
führt immer mehr zur Entfaltung komplexer und intensiver Medienkulturen, die
unser Leben maßgeblich prägen. Dabei ist Medienkommunikation immer bereits
in spezifische Kulturen eingebettet und wird eigensinnig implementiert.
Die Reihe enthält empirische und theoretische Beiträge, die gegenwärtige Medien
kulturen als spezifische Facette des sozialen Wandels fokussieren. Die damit ver
bundenen medialen Transformationen sind gleichzeitig Untersuchungskontext als
auch Gegenstand der kritischen Reflexion. Da Medien in fast allen sozialen Situ
ationen präsent sind, gehen wir nicht von einem Gegensatz zwischen Medienkul
tur und NichtMedienkultur aus, sondern eher von einem Kontinuum bzw. einem
Spektrum an Veränderungen. Während bisher die Erforschung der medienbasier
ten Fernkommunikation überwiegt, gibt die Reihe auch der facetoface
oder ko präsenten Kommunikation und Interaktion in Medienkulturen ein Forum.
Die Beiträge basieren damit auf Untersuchungskonzeptionen, in deren Zentrum die
soziologische Analyse von Medienkulturen steht.
Herausgegeben von
Kornelia Hahn Rainer Winter
Universität Salzburg AlpenAdriaUniversität Klagenfurt
Österreich Österreich
Kornelia Hahn · Alexander Schmidl
(Hrsg.)
Websites & Sightseeing
Tourismus in Medienkulturen
Herausgeber
Prof. Dr. Kornelia Hahn Dr. Alexander Schmidl
Universität Salzburg, Österreich Universität Augsburg, Deutschland
Medienkulturen im digitalen Zeitalter
ISBN 9783658104252 ISBN 9783658104269 (eBook)
DOI 10.1007/9783658104269
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National
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Lektorat: Cori Antonia Mackrodt, Katharina Gonsior
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Inhalt
Einleitung: Zum Verhältnis von Websites und Sightseeing . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Kornelia Hahn und Alexander Schmidl
Medien auf Reise . Repräsentationen von Anwesenheit und Abwesenheit . . . . 13
Kornelia Hahn
„Ich reise, also blogge ich“ Wie Reiseberichte im Social Web zur
multimodalen Echtzeit-Selbstdokumentation werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
Michael Klemm
Zur fotografi schen Vermittlung unmittelbarer Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Robert Schäfer
Reisen ins Dazwischen . Geocaching als Abenteuer in „zerstörten“
Räumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Paul Gebelein
Dispositive Konstruktion des touristischen Blicks – offl ine und online . . . . . 109
Karlheinz Wöhler
Mobilität und Medienwandel in der Erlebniskultur . Die Postkarte als
Reisemedium um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Anett Holzheid
Über den Blick auf das Bekannte: Touristisches Sehen und Reisemedien . . . 167
Susanne Müller
VI Inhalt
Zwischen Tradition und Innovation: Die Rolle von alternativen
Reiseführern in der touristischen Medienlandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Diana Wendland
Tourismus auf den Spuren der Schatten des Windes:
Vom Zusammenspiel medialer Bedeutungskonstruktion und
performativer touristischer Praxen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Anja Saretzki
Making Time Count . Reisen in andere Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
Kornelia Hahn und Alexander Schmidl
Sinnliches Erleben in Medienkulturen – oder: Warum wir nicht
online verreisen wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
Alexander Schmidl
Einleitung: Zum Verhältnis von Websites
und Sightseeing
Kornelia Hahn und Alexander Schmidl
Die Moderne ist eng verbunden mit der Idee der Wahrnehmung und der Inter-
pretation von Bewegung . Es sind die sich wandelnden Beziehungsstrukturen, die
raschen Veränderungen des sozialen Lebens und die Erweiterung der materiellen
und organisatorischen Möglichkeiten durch die Technik, die die Moderne einläuten
und gleichzeitig zur Analyse dieser sozialen Prozesse veranlassen . Bewegungen
der Modernisierung umfassen gleichermaßen soziale Mobilität, worunter klassi-
sche Auf- und Abstiegsprozesse sowie Entgrenzungen von Gesellschaft sschichten
gefasst werden, zeitliche Mobilität, die sich in der Entwicklung von spezifi schen
Verlaufsmustern und Be- oder Entgrenzungen von Zeithorizonten zeigt, sowie
räumliche Mobilität von Körpern und Zeichen . Letztere bildet den Rahmen für
diesen Band, der einerseits durch die Fokussierung auf Tourismusreisen eingegrenzt
ist, andererseits aber dazu einlädt, bei der Betrachtung von räumlicher Mobilität
gerade auch soziale und zeitliche Perspektiven in den Blick zu nehmen .
Dabei ist räumliche Mobilität in Bezug auf Tourismusreisen selbst schon viel-
schichtig . Raumbewegungen von Körpern als sinnhaft e, „touristische“ Handlungen
können nicht unabhängig etwa von infrastrukturellen und individuellen Ressour-
cen und Optionen zu solcherart defi niertem Ortswechsel sowie von praktischem
Wissen und kulturellen Skripten zur „richtigen“ Durchführung dieser Aufent-
halte untersucht werden . Heute scheint ein wesentlicher, kontextueller Einfl uss
auf touristisches Reisen durch neue Kommunikationsmedien zu bestehen . Es ist
jedoch interessant, die vorherrschende Perspektive der raum/zeit-substituieren-
den Folgen der Kommunikation durch neue Medien mit einer komplementären
Perspektive zu ergänzen: nämlich dem Blick auf Kopräsenz und räumliche Nähe,
deren Bedeutung sich infolge neuerer Technologien und den damit verbundenen
Möglichkeiten der Annäherung und Entfernung ebenfalls gewandelt hat . Gerade
auch in Kombination mit den im 19 . und 20 . Jahrhundert noch neuen – und den
Tourismus gleichfalls entscheidend prägenden – Transportmedien, haben die
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K. Hahn und A. Schmidl (Hrsg.), Websites & Sightseeing, Medienkulturen im
digitalen Zeitalter, DOI 10.1007/978-3-658-10426-9_1
2 Kornelia Hahn und Alexander Schmidl
Kommunikationsmedien zu einem komplexeren (Raum-)Erleben geführt, dessen
Koordinaten noch genauer zu untersuchen sind . Touristisches Reisen zeigt sich
hierzu als fruchtbarer Phänomenbereich .
In einer Situation, in der durch neue Kommunikationsmedien veränderte
Raumkonzepte, Strukturprinzipien und Interaktionszusammenhänge entstehen, ist
gleichzeitig jedoch zu konstatieren, dass in der Moderne Reisen und Kommunikation
in Form der aus heutiger Sicht „alten“ Medien immer schon eng gekoppelt sind .
Bereits in der Phase der ersten Wanderbewegung gab es auch Karten zur räumli-
chen Orientierung, und in das frühe 19 . Jahrhundert fällt mit der Durchsetzung
der Eisenbahn auch das Aufkommen der modernen Reiseführer als Buch, wie es
heute noch gebräuchlich ist . Neben diesen neuen, auf „Fakten“ konzentrierten Rei-
sedarstellungen, nachdem vormals und noch bis zum Ende des 18 . Jahrhunderts vor
allem Pilger- und Bildungsreisen durchgeführt wurden, etablierte sich ausgehend
von den ersten kommerziell durchgeführten Reisen durch Thomas Cook ein Markt
der Organisation von Tourismusreisen einschließlich deren aktiver Bewerbung .
Insgesamt hat die Zunahme von Reisen auch wiederum ihre Dokumentation (und
deren Verbreitung) in Schriften, später auch durch Fotografie, angeregt . Medien
sind darüber hinaus auch während des Reiseaufenthaltes – wie John Urrys Arbeiten
zum Tourist Gaze überzeugend dargelegt haben – als Requisite für touristische
Rollen konstitutiv . Mit ihnen werden subjektiv fremde oder vertraut werdende
Orte in spezifischer Weise sinnlich erschlossen, wovon zum Beispiel Ferngläser
an Aussichtspunkten oder die zahlreichen Beschriftungen und Informationen,
mit denen die touristische Bedeutung von den markierten touristischen Orten und
Gebäuden hervorgehoben wird, zeugen . Diese Möglichkeiten zur Intensivierung
des räumlichen Erlebens können durch individuellen Einsatz neuer Medien noch
gesteigert werden .
Dabei verschwimmt die zuvor eindeutigere Trennung der Phasen von Reise-
vorbereitung, Reise und Aufenthalt sowie dokumentierter Erinnerung . 360-Grad
Live-Webcams bieten zum Beispiel einen vermittelten, aber synchronen Einblick .
Es bestehen damit zusätzliche Blickmöglichkeiten zu einem leiblich basierten
Aufenthalt vor Ort . Dieser wird dadurch nicht ersetzt, kann aber die Motivation,
sich am Reiseort aufzuhalten, um diesen mit eigenen Augen (d . h . eigentlich nur
leiblich-sinnlich vermittelt) zu sehen oder auch: nicht nur zu sehen, verändern .
Ebenso können die zeitlichen Grenzen zwischen Aufenthalt und Erinnerung
verwischt werden, wenn sich während des Aufenthaltes Aktivitäten nach der
intendierten Dokumentation richten, kopräsente Interaktionen am Reiseort also
dafür genutzt werden, um diese Situationen einem spezifischen oder unspezifischen
Publikum präsentieren zu können, und insofern stärker an Abwesenden/m als an
Anwesenden/m orientiert wird . Während im Zuge der Kommunikation mit neuen
Einleitung: Zum Verhältnis von Websites und Sightseeing 3
Medien, wie etwa Reiseblogs, diese Sachverhalte breit diskutiert werden, darf nicht
vergessen werden, dass bereits der seit Beginn des 20 . Jahrhunderts zunehmende
Tourismusverkehr auch von zunehmender Medienkommunikation, vor allem durch
Telegramm und Postkarte, begleitet wurde . Die Grenzverwischungen durch neue
Medien sind insofern als relative zu verstehen . Generell ist es natürlich interessant
zu untersuchen, welcher subjektive Sinn von Reisenden (jeweils) verfolgt wird,
wenn sie Abwesende via Postkarte oder nun durch Skype, facebook oder whatsapp
kontaktieren und sich dabei für die Adressierten (aber auch Forschenden) in ihrer
touristischen Rolle beobachtbar machen . Gerade an solchen Situationen zeigt sich
auch, dass analytische Unterscheidungen in reale und virtuelle Situationen oder
Situationen von Anwesenheit und Abwesenheit zunehmend analytisch bedeutungs-
loser werden . Medienkulturen können vielmehr dadurch definiert werden, dass jede
kommunikative Situation durch die Erfahrungen mit (neuen) Medien geprägt ist .
Außer der kontextuellen Einbettung von Tourismusreisen in Medienkommuni-
kation gibt es weitere relevante Einflussfaktoren . Gestaltet werden Reisesituationen
einerseits von darauf spezialisierten Wirtschaftsunternehmen, die Möglichkeits-
strukturen organisierten Reisens nach industriellen Logiken schaffen . Damit werden
Orte einerseits oft zur touristischen Bespielung für umfassendere gesellschaftli-
che Gruppen erst erschlossen und diese finanzierbar gemacht . Dabei tragen die
Reisenden, die durch Käufe und Buchungen kommerzielle touristische Angebote
indirekt befördern oder vom Markt verschwinden lassen, ebenfalls kollektiv zu
touristischen Strukturierungen bei . Andererseits werden unterstützt durch mediale
Vermarktungsstrategien die Wahl des Reiseortes, die Gestaltung des Aufenthaltes
und auch die Interpretation des Erlebens vorgegeben und standardisiert .
Anders als jene Formen der räumlichen Mobilität von Körpern, die zum Beispiel
aufgrund politischer, ökonomischer oder beruflicher Gründe stattfinden, werden
moderne Tourismusreisen in erster Linie mit einer erwünschten Abwechslung zum
Alltag sinnhaft konnotiert . Mit der räumlichen Distanzierung einhergehend sind
es vor allem auch die geänderten Zeitrhythmen und ebenso Optionen auf neue
Sozialkontakte, durch die eine Unterscheidung zum Alltag deutlich markiert wird .
Dabei ist die Tourismusreise aber gerade nicht unabhängig von der Alltagswelt zu
verstehen, in der diese Sinnbedürfnisse generiert werden . Beispielsweise kann mit
der Wahl des Zielortes Reisen als symbolische (Status-)Kommunikation verstan-
den werden oder kann mit der Art der Reise Mut, Aufgeschlossenheit, Wohlstand
und Sinn für Ästhetik gezeigt werden . Die Bedeutung touristischer Reisen wird
in der Alltagswelt verhandelt . Vorbereitung, Durchführung und Erinnerung sind
deshalb immer auch durch die alltagsweltliche Rahmung zu betrachten . Dabei ist
touristischen Skripten ja gerade inhärent, dass durch die Reise auch ein neuer Blick
auf die fraglos gegebene Alltagswelt geschaffen wird, wodurch diese ein Stück weit