Table Of ContentAlfredo Märker
Stephan Schlothfeldt
Was schulden wir
Flüchtlingen und
Migranten?
Grundlagen einer gerechten
Zuwanderungspolitik
Alfredo Märker' Stephan Schlothfeldt (Hrsg.)
Was schulden wir Flüchtlingen und Migranten?
Alfredo Märker· Stephan Schlothfeldt (Hrsg.)
Was schulden wir
Flüchtlingen
und Migranten?
Grundlagen einer gerechten
Zuwanderungspolitik
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
1. Auflage April 2002
Alle Rechte vorbehalten
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2002
Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden 2002
Lektorat: Nadine Kinne
www.westdeutschervlg.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne
Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk
berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne
der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jeder
mann benutzt werden dürften.
Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt
ISBN 978-3-531-13623-3 ISBN 978-3-663-11815-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-11815-2
Inhalt
Alfredo Märker/Stephan Schlothfeldt
Einleitung .............................................................................................................. 7
I. Flucht und Immigration als politische Herausforderung
Jürgen Fijalkowski
Optionen und Spielraum europäischer Zuwanderungspolitik:
Ein Essay ............................................................................................................... 19
Ina Kerner
Flucht, Migration und die bundesdeutsche Entwicklungszusammenarbeit ........... 45
Ines Sabine Roellecke
"Du bist nur Gast, also verschwinde!"
Überlegungen zur moralischen Rechtfertigung von
Ausweisung und Abschiebung .............................................................................. 68
11. Zuwanderung als Gegenstand philosophischer Analysen
Stephan Schlothfeldt
Ökonomische Migration und globale Verteilungsgerechtigkeit.. .......................... 93
Thomas W. Pogge
Migration und Armut ............................................................................................ 110
Ulrich Steinvorth
Zuwanderung, Klasseninteressen und der moralische Anspruch des
Rechtsradikalismus .............................................................................................. 127
Veit Bader
Praktische Philosophie und Zulassung von Flüchtlingen und Migranten .............. 143
5
IH. Politik- und rechtstheoretische Antworten auf das Migrationsproblem
Alexander Somek
Wie erklären wir potentiellen Einwanderern, was wir unseren
Landsleuten schulden? .......................................................................................... 171
Günter Rieger
Das Menschenrecht auf Mitgliedschaft:
Grenzziehung in der Universalen Republik Dialogia ............................................ 192
Lutz HojJmann
Zuwanderung und kollektive Identität.. ................................................................. 215
Alfredo Märker
Europäisierung der Zuwanderungspolitik:
Eine Chance für einen gerechteren Umgang mit Flüchtlingen
und Migranten? ..................................................................................................... 236
Autorenverzeichnis ............................................................................................... 257
6
Einleitung
Al[redo Märker/Stephan Schlotlifeldt
1. Migration, Flucht und die bundesdeutsche Politik
Schon das ausgeklungene 20. Jahrhundert wird gerne als das "Jahrhundert der Wan
derungen" bezeichnet.' Nach Angaben der "International Organization for Migrati
on" hat das Ausmaß der weltweiten Migration in den letzten 5 Jahren sogar weiter
zugenommen. Schätzungen zufolge beträgt das "grenzüberschreitende" Migrations
aufkommen inzwischen über ISO Millionen Menschen. Binnenwanderungen einge
schlossen liegt die globale Migrantenzahl deutlich höher.2 Die meisten Menschen
verlassen ihr Land nicht freiwillig. Häufig zwingen politische und ökonomische Nöte
- Armut, Kriege, Naturkatastrophen und vieles mehr - sie regelrecht dazu, ihren
Heimatort zu verlassen. Nur die wenigsten von ihnen gelangen überhaupt an die
Grenzen der attraktiven, hochentwickelten Staaten. Gerade Flüchtlinge verbleiben
meistens in den Krisenregionen. Gegenwärtig wird die Anzahl derjenigen, die vor
Krieg, Verfolgung und massiven Menschenrechtsverletzungen über staatliche Gren
zen geflohen sind oder sich in einer flüchtlingsähnlichen Situation befinden, auf etwa
22 Millionen Personen beziffert. Weitere 20 bis 30 Millionen Menschen wurden
innerhalb ihrer Heimatländer vertrieben. ]
In Anbetracht dieser globalen Dimension ist die Anzahl der Migranten, die in
den bevorzugten westlichen Ländern ankommen, relativ gering. Trotzdem stehen
Flüchtlingsaufnahme und Zuwanderung dort fast immer - und zumeist negativ kon
notiert - im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Noch mehr mag es aber
verwundern, dass die Frage "Was schulden wir Flüchtlingen und Migranten?" in den
wohlhabenden Aufnahmeregionen kaum oder überhaupt nicht gestellt wird. Statt
dessen kreisen die Debatten eher um fiktive "Grenzen der Belastbarkeit" und beto
nen damit eine scheinbare "Überschwemmung" durch Flüchtlinge und andere Mi
granten - eine Behauptung, deren empirischer Gehalt gegenwärtig kaum haltbar ist.
Unter dem Eindruck der furchtbaren Attentate islamistischer Terroristen in den USA
hat sich das Meinungsklima gegenüber Zuwanderern womöglich sogar verschlech-
I Stephen Casteles/Mark M. Miller (1998). The Age ofMigration. New York: Guilford Press.
2 Vgl. u.a. "Illegale Einwanderung: Immer mehr Flüchtlinge drängen nach Europa." In: Berliner Zeitung
vom 1. 03. 0 1; sowie Gerald Hödel/Karl HusaiChristof Parnreiter/irene Stach er (200 I). Einleitung. In:
Karl HusaiChristof ParnreiterlIrene Stacher (Hrsg.). Internationale Migration: Die globale Herausforde
rung des 20. Jahrhunderts. Wien: Südwind, 10.
-' Ein Überblick über die aktuellen Flüchtlingsdaten bietet www.unhcr.de/pubs/service/blick.htm.
7
tert. Die moralische Dimension von Zuwanderung gerät angesichts dessen nur allzu
rasch in den Hintergrund.
Gerade die deutsche Zuwanderungs- und Ausländerpolitik war lange Zeit aus
schließlich durch Abwehrängste geprägt. Dem traditionellen Selbstverständnis nach
weder an Zuwanderung interessiert noch vorübergehend auf sie angewiesen, galt die
Formel "Deutschland ist kein Einwanderungsland" seit Mitte der 70er Jahre als offi
zielles Credo aller Bundesregierungen. Mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen An
fang der 90er Jahre gipfelte dieses Dogma schließlich im Asylkompromiss, um eine
"Zuwanderung durch die Hintertür" ebenfalls zu verhindern. Die Integration der
bereits zugewanderten Bevölkerung stand kaum auf der politischen Tagesordnung,
obwohl gerade die Gastarbeiter schon lange nicht mehr vorübergehende Gäste wa
ren, sondern Zuwanderer, deren Familien inzwischen eher in Deutschland beheimatet
sind als in ihren Ursprungsländern. Die mittlerweile durchgeführte Reform des deut
schen Staatsbürgerschaftsrechts erschien deshalb als ein wichtiger, längst überfälli
ger Schritt. Doch nicht nur integrationspolitisch brachte der rot-grüne Regierungs
wechsel aus dem Jahre 1998 eine Trendwende. Auch über Zuwanderung allgemein
wurde zeitweilig breit und sachlich debattiert. In eigens eingesetzten Zuwanderungs
kommissionen suchten Regierung und Opposition zunächst getrennt nach neuen
zuwanderungspolitischen Konzepten. Eine umfassende gesetzliche Neuregelung der
Zuwanderung ist noch vor dem Ende der Legislaturperiode geplant, droht nun aber
im Wahlkampf wieder unterzugehen. Die explizite Frage nach Moral und Gerechtig
keit bleibt ohnehin weiter auf der Strecke. Katalysatoren möglicher Veränderungen
sind weniger moralische Überlegungen, sondern vor allem ökonomische und demo
graphische Notwendigkeiten - ein struktureller Mangel an Fachkräften und die
schleichende Vergreisung der deutschen Bevölkerung. Zusätzlichen Druck übt die
anstehende Harmonisierung der Aufnahmepolitik im Rahmen der EU aus. Die "neue
Debatte" über Zuwanderung in Deutschland ist insofern zwar begrüßenswert, nimmt
sie doch Abstand von der verbreiteten und überdies unzutreffenden Doktrin der
Nullzuwanderung. Zugleich ist sie aber auch moralisch heikel: Die geplante Neuge
staltung geschieht vor allem im Eigeninteresse und beinhaltete zeitweilig auch die
Forderung nach einer weiteren Einschränkung des Asylrechts.
2. Wissenschaßiche Beiträge und Konzeption des Sammelbands
Trotz aller Defizite scheint sich in der deutschen Politik immerhin die Einsicht
durchzusetzen, dass bezüglich der Zuwanderungsproblematik Diskussions- und Re
gelungsbedarfbesteht. Um hier zu vernünftigen Lösungen zu kommen, läge es nahe,
die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen zur Kenntnis zu nehmen -
schließlich gibt es eine Reihe von Disziplinen, die sich aus unterschiedlichen Per
spektiven mit Migration und Flucht beschäftigen. Ob derartige Forschungsergebnisse
bislang einen nennenswerten Einfluss auf die Politik hatten, erscheint aber fraglich.
Am ehesten mag dies noch rur Studien gelten, die sich nicht allzu weit von den Ge-
8
gebenheiten des politischen Geschehens entfernen und die ihre Untersuchungen
weitgehend moral frei anlegen.
Welche Disziplinen sind hinsichtlich der Thematik insbesondere einschlägig?
Zunächst die Politikwissenschaft, in der Migration und Flucht, aber auch damit zu
sammenhängende Fragen wie Entwicklungspolitik und Ausländerintegration unter
sucht werden. Zum zweiten ist die Rechtswissenschaft zu nennen, die die juristischen
Grundlagen von Einbürgerung und Zuwanderung beleuchtet. Im Rahmen der Sozio
logie gibt es gar ein eigenes Feld, die Migrationssoziologie, in der die gesellschaftli
chen Ursachen und Folgen von Wanderungsbewegungen studiert werden. Nicht
vergessen werden sollten kulturwissenschaftliche und pädagogische Beiträge zur
Ausländerintegration sowie die allgemeine Bevölkerungswissenschaft und die
Volkswirtschaftslehre, insbesondere die Entwicklungsökonomie.
Einige der genannten Disziplinen beschränken sich bewusst auf eine deskriptive
Analyse der faktischen Zuwanderung und der damit zusammenhängenden Probleme.
Für andere Untersuchungen gilt dies jedoch nicht: So ist die Rechtswissenschaft
zumindest bis zu einem gewissen Grad eine normative Disziplin. Auch wissen
schaftlich inspirierte Vorschläge zur Integration von Ausländern setzen wertende
Zielvorstellungen voraus. Die Politikwissenschaft stand lange Zeit unter dem Ein
fluss eines realpolitischen, moralfreien Selbstverständnisses; aber zunehmend scheint
sich auch in dieser Disziplin eine Position durchzusetzen, die normativen Fragen
einen höheren Stellenwert einräumt. Das ist insofern kaum überraschend, als auch
die reale Politik normativen Prinzipien folgt, wie sich am Einfluss rechtlicher Stan
dards auf politische Entscheidungen zeigt. Daher kann schon eine Beschreibung
politischer Vorgänge Normen nicht einfach ausblenden.
Als Experten für normative Fragen und ihre Begründung gelten wiederum die
Philosophen. In der Tat gibt es einige - allerdings nicht allzu zahlreiche - philoso
phische Beiträge zur Migration. Dieses spezifische Problem wird aber häufig eher
als Nebenaspekt allgemeinerer Fragestellungen behandelt.4 Und ohnehin führten
an gewandte Fragestellungen in der Philosophie bis vor kurzem eher ein Schattenda
sein. Dennoch kommt, wer normative Implikationen von Flucht und Migration in den
Blick nimmt, an der Philosophie nicht vorbei.
Neben der bereits dargelegten politischen Brisanz des Themas hat eine weitere
Beobachtung zur Entscheidung beigetragen, diesen Sammelband zu konzipieren: Die
erwähnten Disziplinen arbeiten in weitgehender Isolation voneinander. Dies ist gera
de angesichts der Verzahnung von deskriptiven und normativen Aspekten des Pro
blems von Flucht und Migration bedauerlich. Während empirische Untersuchungen
normative Implikationen häufig unterschlagen oder implizite normative Vorausset
zungen nicht offen legen, nehmen normative Studien die faktischen Gegebenheiten
und die Rahmenbedingungen der Problematik nicht hinreichend zur Kenntnis.' Es
4 Dabei handelt es sich insbesondere um Untersuchungen zu den Menschenrechten oder zur globalen
Gerechtigkeit.
, Auch das mag mit dazu beitragen, dass normative Untersuchungen kaum Einfluss auf die politische
Praxis haben.
9
erschien uns daher sinnvoll, Beiträge aus verschiedenen Disziplinen in einem Band
zu versammeln.
Aus den vielfältigen wissenschaftlichen Ansätzen musste eine Auswahl getroffen
werden. Wir haben uns fur Disziplinen entschieden, die im Spannungsfeld zwischen
deskriptiven und normativen Fragestellungen stehen - also insbesondere Politikwis
senschaft, Philosophie, Rechtswissenschaft und Soziologie. Das Hauptgewicht liegt
auf politologischen und philosophischen Beiträgen - nicht (nur) weil die Herausge
ber in diesen Bereichen beheimatet sind, sondern auch, weil es durch die Thematik
nahegelegt wird. Es ist uns gelungen, Autorinnen und Autoren zu gewinnen, die sich
im Vorfeld großteils ausgiebig mit der Thematik auseinandergesetzt haben.
Der Band gliedert sich in drei Hauptabschnitte. Im ersten Teil finden sich Texte,
die die faktische Situation von Flüchtlingen und Migranten aus rechtlicher und poli
tischer Perspektive darstellen und analysieren. Der zweite Teil versammelt Beiträge
von Fachvertretern der Philosophie, der dritte Teil umfasst politik- und rechtstheore
tische Aufsätze. Ursprünglich waren wir davon ausgegangen, dass sich auf diese
Weise eine Abfolge von deskriptiven Untersuchungen über normative Grundlagen
studien hin zu Ansätzen ergeben würde, die beide Perspektiven verbinden. Tatsäch
lich hat sich aber herausgestellt, dass einige Autoren über die Grenzen ihres Faches
hinausgehen: Die philosophischen Beiträge im zweiten Abschnitt sind teils stark
anwendungsorientiert, während einige politik- und rechtswissenschaftliche Aufsätze
im dritten Abschnitt relativ allgemeine normative Überlegungen anstellen. Aber
dieser Umstand sollte eher begrüßt als bedauert werden, da der Sammelband auf
diese Weise dazu beiträgt, die bisherige Kluft zwischen normativen und deskriptiven
wissenschaftlichen Ansätzen zu verringern. Wir hoffen, dass er Leserinnen und Leser
aus unterschiedlichen Fachrichtungen finden wird. Vielleicht ist er gar dazu geeig
net, eine interessierte Öffentlichkeit und aufgeschlossene Politikerinnen und Politiker
zum Nachdenken anzuregen.
Wir danken Reinhard Zintl und Gottfried Seebaß fur ihre kritische Begutachtung
des Manuskripts. Ruth Zimmerling, Stefan Gosepath und Thomas Schmidt gaben uns
wertvolle Tips und konstruktive Anregungen im Vorfeld und bei der Entstehung
dieses Sammelbandes. Seine Veröffentlichung wurde durch einen Druckkostenzu
schuss des FILL-FONDS e.V. aus Augsburg ermöglicht. Schließlich danken wir
Nadine Kinne, die das Manuskript im Auftrag des Westdeutschen Verlags sorgsam
lektoriert hat.
10
Description:Viele Menschen verlassen ihr Land aufgrund von Armut, Kriegen oder Naturkatastrophen. In den für Migranten attraktiven westlichen Ländern stehen Flüchtlingsaufnahme und Zuwanderung seit geraumer Zeit im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Allerdings kreisen die Debatten weniger um die Frage