Table Of ContentWahlen 2002 in Sachsen-Anhalt
Klaus-Bernhard Roy (Hrsg.)
Wahlen 2002
in Sachsen-Anhalt
Ausgangsbedingungen
Handlungsrahmen
Entscheidungsaltemativen
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2002
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier.
ISBN 978-3-8100-3509-7 ISBN 978-3-663-11795-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-11795-7
© 2002 Springer Faclunedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Leske & Budrich, Opladen 2002.
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Vorwort
Der vorliegende Band setzt sich mit den Wahlen 2002 in Sachsen-Anhalt
auseinander, ohne im traditionellen Sinne Wahlanalysen oder auch Progno
sen zur Regierungsbildung in den Mittelpunkt zu stellen.
Die Autorinnen und Autoren, allesamt Mitglieder bzw. Doktoranden aus
dem Institut für Politikwissenschaft der Otto-von-Guericke-Universität Mag
deburg, wollen mit ihren eigenverantwortlichen Beiträgen über rein an Insti
tutionen orientierte Untersuchungsraster hinausgehen.
So werden mit theoretischen und empirischen Systematisierungen ganz
unterschiedliche Analyseperspektiven angeboten, die den spezifischen politi
schen Ausgangsbedingungen, Handlungs- und Entscheidungsspielräumen im
Lande Rechnung tragen.
Vor allem für die Zielgruppe der Mittler politischer Bildung und die Leh
rer des Faches Sozialkunde werden für die Auseinandersetzung insbesondere
mit den Landtagswahlen damit Kriterienkataloge angeboten, die ihnen und
ihrer Klientel eine eigenständige Auseinandersetzung mit politischen Ent
wicklungen und Entscheidungsprozessen erleichtern sollen.
Im ersten Abschnitt der Publikation wird der Stellenwert von Landtags
wahlen in der repräsentativen und föderalen Demokratie der Bundesrepublik
generell und speziell in Sachsen-Anhalt herausgearbeitet. Daran schließen
sich zwei Beiträge an, die die theoretischen wie empirischen Besonderheiten
der Ausformung des Parteiensystems im Lande verdeutlichen und eine Ana
lyse des ,,Magdeburger Modells" als interessanter Ausprägung des Regierens
auf Landesebene vornehmen.
Die anschließenden Beiträge setzen sich im zweiten Abschnitt zum einen
mit den ökonomischen und sozialen Entwicklungen als zumindest ambiva
lenten Rahmenbedingungen für die Politik in Sachsen-Anhalt auseinander.
Zum anderen wird thematisiert, welchen theoretischen und politisch-prakti
schen Stellenwert insbesondere soziale Fragen für die Demokratieakzeptanz
und die politischen Entscheidungen der Bürger in den neuen Ländern haben.
Damit treten politische Wahrnehmungen und Urteile der Bürger und der
(partei-) politischen Akteure in den Blickpunkt. In den folgenden Beiträgen
wird diskutiert, wie die Wahlerfolge der rechtsradikalen DVU erklärt werden
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können und warum etwa der Blick auf das vorhandene oder fehlende politi
sche Engagement der Bürger auf der kommunalen Ebene für die repräsentati
ve Demokratie, speziell im Lande, von Bedeutung ist. Danach bietet die Aus
einandersetzung mit Fragen der Wahlbeteiligung eine Chance auf Reflexion
demokratischer Entscheidungs- und Beteiligungsprozesse.
Im dritten Teil der Beiträge wird daran angeknüpft und untersucht, wel
chen demokratietheoretischen Stellenwert politische Einstellungen und speziell
politische Partizipation in den neuen Bundesländern haben. Anschließend wird
diskutiert, dass demokratisches Engagement auch ein Anliegen der Schule und
vor allem des Politikunterrichts ist. Doch dann bedürfen Fragen nach Partei
nahrne, Parteilichkeit und Urteilsbildung der besonderen Aufmerksamkeit, wie
ausführlich und an Fallbeispielen dargelegt wird. Für die hierzu im besonderen
Maße geforderte eigenständige Urteilsbildung der Leser will der abschließende
Materialteil Anregungen und Strukturierungen möglicher Problembetrachtun
gen bieten.
Nicht zuletzt soll erwähnt werden, dass diese Publikation durch die fi
nanzielle Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung des Landes
Sachsen-Anhalt ermöglicht wurde. Dafür danken deren Direktor, Herrn B.
Lüdkemeier, der Herausgeber und das Autorenteam herzlich.
Januar 2002
Klaus-Bernhard Roy
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort ................................................................................................. 5
Wolfgang Renzsch
Landtagswahlen 2002: Zum Verhältnis von Bundestags-,
Europa- und Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt .................................. 9
Klaus Detterbeck
Das Parteiensystem in Sachsen-Anhalt.................................................. 19
Elrid Wol/kopf
Das Magdeburger Modell ...... ...................... ............. ......... ............. ....... 31
Jörg Meyer
Wirtschaftliche Ausgangslage und Entwicklungsmöglichkeiten
in Sachsen-Anhalt.................................................................................. 47
Klaus-Bernhard Roy
Soziale Fragen und Politik -Stellenwert und aktuelle Entwicklungen.. 61
K. Peter Fritzsche
Wer hat noch Angst vorm Münchner Mann? Die DVU in der Falle ..... 75
Erhard Forndran / Britta Krause
Kommunalpolitik und Wahlverhalten.................................................... 89
Michael Schultze
Wahlbeteiligung und Demokratie oder Wie sich ein politisches
System das Verhalten seines Souveräns erklärt? ................................... 103
7
Heike Drygalla
Politische Einstellungen -Entwicklungstendenzen im innerdeutschen
Transformationsprozess und ihre Relevanz für Bürgerbeteiligung und
Schule .................................................................................................... 115
Gotthard Breit
Parteinahme und Parteilichkeit im Politikunterricht
zum Thema Wahlen............................................................................... 133
Christin Ziem
Materialteil............................................................................................. 153
Autorlinnenverzeichnis .. ......... .... ......... .... ........... ... ............. ....... ..... ....... 195
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Wolfg ang Renzsch
Landtagswahlen 2002: Zum Verhältnis von
Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen
in Sachsen-Anhalt
Die politikwissenschaftliche Forschung über das Verhältnis von Wahlen auf
den verschiedenen Ebenen der Bundesrepublik ist schon etwas älteren Da
tums.1 Neuerdings wurde die Fragestellung nach ebenenabhängigen Wahl
verhalten in der britischen Forschung wieder aufgenommen2, weil die devo
lution das zumindest innerstaatliche Wahlmonopol des Unterhauses gebro
chen hat und neben dem Parlament von Westminister nun auch das schotti
sche und die Welsh Assembly gewählt werden. Die neueren britischen For
schungsergebnisse bestätigen die damaligen im wesentlichen, die bereits so
etwas wie conventional wisdom nicht nur in der wissenschaftlichen Zunft,
sondern auch in der Politik und Publizistik sind.
Zusammengefasst zeigen die Untersuchungen über das Wahlverhalten
auf den verschiedenen Ebenen des Bundesstaates, dass die Wählerinnen und
Wähler zwischen Wahlen unterschiedlicher Bedeutung unterscheiden und sie
sich differenziert verhalten. Generell werden Wahlen zu nationalen Parla
menten als wichtig erachtet, sie sind "Hauptwahlen", während die ,,Neben
wahlen"3 zu Parlamenten auf der Landes- und kommunalen Ebene (oder
Siehe Z.B. Georg Fabritius, Wechselwirkungen zwischen Landtagswahlen und Bundespoli
tik, Verlag Anton Hain, Meisenheim 1978; Karlheinz ReiflHermarm Schrnitt, Nine Second
Order Elections: A Conceptual Framework for the Analysis of European Election Results,
in: European Journal of Political Research, Vol. 8 Nr. I, 1980, S. 3 - 44; Karlheinz Reif,
Reflections: European elections as rnember states second-order elections revisited, in: ebd.,
Vol. 31, 1997, S. 115 - 14; ders., National Election Cycles and European Elections 1979
and 1984, Electoral Studies, Vol. 3 1984, S. 244-255; ders., Ten second-order national
elections, in: Ten European Elections, in: ders. (Hrsg.), Aldershot 1985; Reiner Dinkel, Der
Zusammenhang zwischen Bundes-und Landtagswahlergebnissen, in: PVS Bd. 18, 1977, S.
348 - 359; ders., The Relationship Between Federal and State Elections in West Germany,
in: Max Kaasel Klaus von Beyme (Hrsg.); Elections and Parties, Sage, London and Beverly
Hills 1978, S. 53 - 64.
2 Dan Houghl Charlie Jeffrey, Patterns of Re1ationship Between Regional and National
Elections in Western Europe (and Canada); John Cunice, First or Second Order?; Dafydd
Trystan, Elections in Wales: Multi Level Voting?, erscheinen alle in einem Sonderband von
West European Politics im Jahr 2002.
3 Diese Begriffe benutzt Karlheinz Reif.
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allgemeiner sub-nationalen Ebene) und dem Europaparlament als weniger
wichtig wahrgenommen werden. Bei den Europawahlen kommt "erschwe
rend" hinzu, dass sie - im Unterschied zu Landtags- und Bundestagswahlen -
nicht mit einer Regierungsbildung verbunden sind.4 Diese unterschiedliche
"Wichtigkeit" von verschiedenen Wahlen erklärt unterschiedliche Wahlbe
teiligungen zu einem wesentlichen Teil. Da Wahl auf Bundes- und Landes
ebene aus der Sicht der Wähler nicht "bloß" Parlamentswahlen, sondern
vielmehr als Entscheidungen über Regierungszusammensetzungen, als Ple
biszite über Regierung und Opposition wahrgenommen werden, wird das
Wahlverhalten auch von den vermuteten Ergebnis der Wahlen beeinflusst.
Herrscht die Meinung vor, die bisherige Regierungen werde bestätigt, fällt
die Mobilisierung der Wähler schwerer als dann, wenn "es knapp werden
könnte" oder ein Regierungswechsel erwartet wird.
Nicht nur die Wahlbeteiligung, sondern auch das Abstimmungsverhalten
selbst wird von diesen Wahrnehmungen der Wähler beeinflusst. Wenn es
"wichtig" ist, dann zählen im Regelfall die längerfristigen politischen Bin
dungen und die Grundüberzeugungen, ist es "weniger wichtig", nimmt die
Bereitschaft zu, bei der Wahl zu experimentieren oder ,,Protest" zu wählen
und der regierenden Partei, insbesondere den Parteien, die die Bundesregie
rung stellen, einen "Denkzettel zu verpassen". Die größere Bereitschaft der
Wähler, bei ,,Nebenwahlen" anders zu wählen als bei "Hauptwahlen", zu ex
perimentieren oder Protest auszudrücken, erklärt, warum neue Parteien eher
auf Landesebene reüssieren, nicht aber auf Bundesebene. Die übliche Kurz
lebigkeit solcher Parteien legt es Schluss nahe, hier werde eher politischer
Protest, meist gegen die Bundesregierung ausgedrückt, als politische Grund
überzeugungen ausgedrückt.
Die Bereitschaft der Wähler, bei Nebenwahlen die Partei ihrer zweiten
Wahl anzukreuzen, eröffnet kleineren, neuen oder Protestparteien Chancen,
die sie bei Hauptwahlen nicht haben. Außerdem ist bei diesen Wahlen der
Anteil der ungültigen Stimmen meist höher. Typischerweise verlieren bei
Nebenwahl die Regierungsparteien auf nationaler Ebene. Die Verluste sind
kurz vor oder kurz nach den Hauptwahlen eher geringer, bei größeren zeitli
chen Entfernung von den Hauptwahlen eher höher.
Nicht nur Wähler erproben bei Nebenwahlen andere oder neue Optionen,
auch die Politik tut dieses. Neue Koalitionsmöglichkeiten wurden zuerst in
den Ländern "erprobt", so beispielsweise die Koalition zwischen SPD und
den GRÜNEN, die ,,Ampel", das Mitte-Rechts-Bündnis von CDU, FDP und
PRO (Schill-Partei) in Hamburg, die "verfassungsrechtlich gestützte Minder-
4 Auf der kommunalen Ebene fördert die zeitliche Trennung der Wahlen von Stadt- und
Gemeinderäten einerseits und von Landräten und (Ober-)Bürgermeistern vermutlich die
Tendenz zur Wahlabstinenz, weil es um relativ "wenig" geht. So belief die Wahlbeteiligung
bei der Magdeburger Oberbürgermeisterwahl vom 6. Mai 2001 auf nur 36,9% der Wahlbe
rechtigten, vgl. http://www.magdeburg.de/Aktuell. dort das Wahlergebnis.
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