Table Of ContentJulian Strube
VRIL
Julian Strube
VRIL
Eine okkulte Urkraft
in Theosophie und esoterischem
Neonazismus
Wilhelm Fink
Umschlagabbildung:
John Martin (1789-1854), Die Zerstörung von Sodom und Gomorrha
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© 2013 Wilhelm Fink Verlag, München
(Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)
Internet: www.fink.de
Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München
Printed in Germany
Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn
ISBN 978-3-7705-5515-4
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG ...................................................................................... 9
2. ZUR GENEALOGIE DES VRIL ............................................................... 13
2.1 Bulwer-Lyttons Leben und literarischer Erfolg ............................ 13
2.2 Esoterische Motive in Bulwer-Lyttons Schriften .......................... 15
2.2.1 Godolphin und The Last Days of Pompeii ........................... 15
2.2.2 Bulwer-Lyttons esoterisches Hauptwerk: Zanoni .............. 18
2.3 Zwischen Magnetismus und Spiritismus ..................................... 21
2.3.1 Auseinandersetzung mit dem animalischen Magnetismus . 21
2.3.2 Reaktion auf den Spiritismus ............................................ 23
2.3.3 Involvierung in Wissenschaftsdiskurse .............................. 28
3. THE COMING RACE – DIE GEBURTSSTUNDE DES VRIL ....................... 35
3.1 Die subterrane Rasse der Vril-ya ................................................. 35
3.1.1 Hintergründe und Inhalt .................................................. 35
3.1.2 Max Müllers Sprachtheorie als reales Bindeglied ............... 37
3.2 Die Macht des Vril als literarische Metapher ............................... 39
3.2.1 Das Vril zwischen Technologie und Evolution ................. 39
3.2.2 Die „Entzauberung“ des Vril ............................................ 42
3.3 Eine satirische Dystopie als Spiegel der Gesellschaft .................... 45
3.4 Das Vril in der britischen Öffentlichkeit ..................................... 47
3.4.1 Vril als Marketingstrategie ................................................ 47
3.4.2 Frühe literarische Rezeption ............................................. 51
4. DIFFUSION IN ESOTERISCHE DISKURSE ............................................. 55
4.1 Bulwer-Lyttons Verklärung zum „Initiierten“.............................. 55
4.1.1 Angebliche Rosenkreuzer-Mitgliedschaft .......................... 55
4.1.2 Bulwer-Lytton und Eliphas Lévi ....................................... 60
4.1.3 Die Loge der Aufgehenden Morgenröthe ......................... 62
6 INHALTSVERZEICHNIS
4.2 Das theosophische Vril von Blavatsky bis Scott-Elliot ................. 65
4.2.1 H.P. Blavatsky: Der göttliche Bulwer-Lytton.................... 65
4.2.2 Scott-Elliots atlantisches Vril ............................................ 69
4.2.3 Die New-Thought-Bewegung .......................................... 71
5. DIE REZEPTION DES VRIL IM DEUTSCHEN SPRACHRAUM .................. 77
5.1 Rudolf Steiner und die Urkraft der Atlantier ............................... 77
5.2 Die deutschen Okkultisten und das Vril ..................................... 80
5.2.1 Zum Begriff „Okkultismus“ ............................................. 80
5.2.2 Eine neue Wissenschaft .................................................... 85
5.2.3 Bulwer-Lytton, der große Magier ..................................... 89
5.2.4 Die Schriften Peryt Shous ................................................ 91
5.2.5 Karl Schappellers Raumkraft ............................................ 95
5.3 Die „Reichsarbeitsgemeinschaft“ ................................................. 98
5.3.1 Vril, die kosmische Urkraft .............................................. 98
5.3.2 Einfluss der Atlantis-Theorien .......................................... 102
5.3.3 Dynamotechnik gegen Mechanotechnik ........................... 103
5.3.4 Die Weltdynamismus-Broschüre ........................................ 107
5.4 Hintergründe der Reichsarbeitsgemeinschaft ............................... 109
5.4.1 Die RAG als „Frontorganisation“? .................................... 109
5.4.2 Fritz Klein ........................................................................ 111
5.4.3 Die Zeitschrift für Weltdynamismus ................................... 115
5.4.4 Kontextualisierung der RAG ............................................ 120
6. VERKLÄRUNG UND POPULARISIERUNG .............................................. 126
6.1 Der Aufbruch ins dritte Jahrtausend .............................................. 126
6.1.1 Louis Pauwels und Jacques Bergier ................................... 126
6.1.2 Die esoterische Verklärung des Nationalsozialismus ......... 128
6.1.3 Die Vril-Gesellschaft ........................................................ 131
6.1.4 Die Thule-Gesellschaft ..................................................... 134
6.1.5 Agartha und Shamballah .................................................. 136
6.1.6 Die esoterische SS ............................................................ 139
6.1.7 Die Breitenwirkung der „NS-Okkultliteratur“ .................. 141
6.2 Die Rezeption des Vril im esoterischen Neonazismus .................. 142
6.2.1 Esoterischer Neonazismus ................................................ 142
6.2.2 Der Wiener Zirkel ............................................................ 144
6.2.3 Die Schwarze Sonne ......................................................... 149
6.2.4 Die Thule-Trilogie ............................................................ 150
6.2.5 Kontinuitäten zu ariosophischen Inhalten ........................ 153
INHALTSVERZEICHNIS 7
6.2.6 Das Wewelsburg-Ornament und die Schwarze Sonne ...... 155
6.2.7 Miguel Serrano................................................................. 156
6.2.8 Exkurs: Die Katharer ........................................................ 159
6.3 Die Tempelhofgesellschaft und die Causa Nostra ........................ 161
6.3.1 Die Publikationen der Tempelhofgesellschaft ................... 161
6.3.2 Verbindungen zum rechtsextremen Netzwerk .................. 163
6.3.3 Rezeption des UFO-Glaubens .......................................... 164
6.3.4 Das Vril als „interkosmische Religion“ ............................. 167
6.3.5 Germanisches Christentum .............................................. 170
6.3.6 Extraterrestrischer Rassismus: Aldebaran .......................... 172
6.3.7 Verbreitung und Popularisierung ..................................... 175
6.3.8 Der Freundeskreis Causa Nostra ...................................... 176
6.4 Die Erben des Vril ...................................................................... 180
6.4.1 Rezeption und Verbreitung im Internet............................ 180
6.4.2 Die Publikationen des Unitall-Verlags .............................. 181
7. SCHLUSSBETRACHTUNGEN ................................................................ 193
7.1 Vom satirischen Roman zur Nazi-Popkultur ............................... 193
7.2 Die Entzauberung der Magie ...................................................... 196
7.3 Das Vril im Neonazi-Diskurs ...................................................... 198
BIBLIOGRAPHIE........................................................................................... 199
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ......................................................................... 217
REGISTER .................................................................................................... 219
1. EINLEITUNG
Wer sich heute auf die Suche nach dem Ursprung des geheimnisvollen „Vril“
macht, der wird zunächst auf bizarre Geschichten von mächtigen Geheimgesell-
schaften im „Dritten Reich“ stoßen, auf sagenhafte Wunderwaffen und mediale
Kontakte zu fernen Sternen. Im direkten Zusammenhang mit rechtsextremen
und neonazistischen Verschwörungstheorien erscheint das Vril als Topos einer
rassistischen, religiös geprägten Weltanschauung, deren von Templern und Ka-
tharern gehütete Ursprünge bis hin zum alten Babylon führen und weit darüber
hinaus bis zum Sternensystem Aldebaran, der angeblichen Urheimat der Arier.
Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass hinter dem Vril eine bewegte Ge-
schichte steht, die zunächst nichts mit den angeblichen Machenschaften mächti-
ger, schwarzmagischer Geheimgesellschaften zu tun hat, wie sie seit den 1960er
Jahren vor einer millionenstarken und stets wachsenden Leserschaft ausgebreitet
worden sind.
Eine Geschichte, die faszinierende Einblicke in die spannungsreichen Diskurse
zwischen Religion, Wissenschaft und Esoterik gewährt, in deren Kontext das Vril
nicht nur entstanden, sondern auch auf vielseitige Weise rezipiert und neu inter-
pretiert worden ist. Der Ausgangspunkt dieser Geschichte entstammt der Feder
eines der einflussreichsten viktorianischen Autoren, Edward Bulwer-Lytton
(1803-1873). Der englische Lord schrieb seine Ideen zu einer Zeit nieder, in der
die aufstrebenden Naturwissenschaften mit Strömungen wie dem Mesmerismus
und dem Spiritismus um die Deutungshoheit faszinierender Phänomene wie der
Elektrizität und des Magnetismus rangen. Unbekannte, mächtige Kräfte schienen
die gesamte Welt zu durchdringen und eine mögliche Erklärung für Magie und
Wunder zu sein. In diesem kontroversen Diskurs spielte Bulwer-Lytton aufgrund
seiner ausgeprägten „esoterischen“ Interessen eine zentrale Rolle. Mit seinem
Rosenkreuzer-Roman Zanoni (1842) fesselte er eine große Zahl begeisterter Le-
ser, die den Autor als Träger rosenkreuzerischen Geheimwissens zu erkennen
glaubten. Auch in anderen Werken setzte sich Bulwer-Lytton mit dem Phäno-
men verborgener Naturkräfte auseinander, die als Erklärung für Magie zu be-
trachten seien und deren Verständnis nicht nur die Entschlüsselung, sondern die
Beherrschung der Natur bedeuten könnte. Es war in diesem Kontext, dass Bul-
wer-Lytton in seinem Roman The Coming Race (1871) seine Vorstellungen von
einer universellen, alles durchdringenden Urkraft verarbeitete, der er den Namen
Vril gab. Der Roman, einer der ersten Science-Fiction-Romane überhaupt, wurde
von der Öffentlichkeit mit Begeisterung aufgenommen.
Doch auch Theosophen und Okkultisten, die Bulwer-Lytton schon längst als
„Initiierten“ erkannt hatten, waren von The Coming Race gefesselt. Das Vril wur-
de von einflussreichen esoterischen Autoren wie Helena Blavatsky und Rudolf
Steiner rezipiert und als gewaltige Urkraft identifiziert, mit der es den unterge-
10 EINLEITUNG
gangenen Atlantiern möglich gewesen sei, ihre Zivilisation zu errichten – und zu
zerstören. Im Deutschland der Jahrhundertwende wurde das Vril vor dem Hin-
tergrund der Entdeckung unsichtbarer Kräfte wie der Röntgenstrahlen im okkul-
tistischen Milieu lebhaft diskutiert und sollte in der Zwischenkriegszeit dazu
herangezogen werden, um utopische Visionen von einer Gesellschaft zu entwi-
ckeln, die sich der Urkraft des Vril bediente, um letztendlich zur Stufe allmächti-
ger Gottgleichheit aufzusteigen.
Der Erste Weltkrieg hatte vielen Menschen die Destruktivität des technischen
Fortschritts vor Augen geführt, die ultimative Entfremdung des Menschen von
seinem natürlichen Lebensraum durch Industrialisierung und Verstädterung.
Schon deswegen verlangten zahlreiche Zeitgenossen nach einer alternativen, im
Einklang mit Natur und Kosmos stehenden Energie. Die „okkulten Wissenschaf-
ten“ wurden den noch nicht lange etablierten Wissenschaften, die sich dem puren
Materialismus verschrieben hätten, als vollkommene Lehre von den Geheimnis-
sen der Natur gegenübergestellt. Das Vril wurde dabei oftmals zum Sammelbe-
griff oder Synonym für all jene verborgenen Naturkräfte, die Okkultisten zu
ergründen versuchte.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Vril in Verbindung mit einer
mysteriösen „Vril-Gesellschaft“ gebracht, die als dunkle Kraft hinter dem „Drit-
ten Reich“ stand, als okkulte Lenkerin der nationalsozialistischen Eliten. Zeit-
gleich wurde das Vril von einem Kreis esoterischer Autoren rezipiert, die die
Grundlagen für den esoterischen Neonazismus schufen, der Verbindung von
Esoterik mit neonazistischem Gedankengut. Das Vril, das schon bei Bulwer-
Lytton und den Theosophen als Antriebskraft für futuristische Fluggeräte galt,
wurde in diesem Kontext zur technologischen Grundlage für deutsche Geheim-
waffen des Zweiten Weltkriegs erklärt, mit Hilfe derer sich die Eliten des „Drit-
ten Reiches“ nach dessen Niederlage in geheime deutsche Basen in Südamerika
und unter den Polen zurückgezogen hätten. Seitdem führten sie, die Anhänger
des „Mitternachtsbergs“, unter dem Zeichen der „Schwarzen Sonne“ einen spiri-
tuellen Kampf gegen die materialistischen Kräfte des Demiurgen Jahwe und sei-
ner Gefolgsleute vom „Berg Sinai“.
Dieses diskursive Netzwerk prägte das heute vorherrschende Bild vom Vril
maßgeblich. Während der kleine Kreis der Anhänger des esoterischen Neonazis-
mus im politischen Untergrund agierte, übte das von ihnen konstruierte Vril-
Verständnis eine große Faszination auf ein breit gefächertes Publikum aus und
wird in einer unüberschaubaren Masse an Publikationen sowie im Internet weiter
rezipiert. Wie gezeigt werden wird, lässt sich eine klare Rezeption von den An-
fängen des esoterischen Neonazismus im Wien der Nachkriegszeit bis hin zu
immer noch bestehenden Kreisen verfolgen, die aktiver – und effektiver – denn je
ihre Ideen verbreiten. Dies hat auch ein wachsendes öffentliches Interesse am Vril
zur Folge, das sich beispielsweise in der Discovery Channel-Dokumentation Dark
Fellowships: The Vril niederschlägt. Die dortige Darstellung von einer Vril-
Gesellschaft als okkulter Quell der schwarzmagischen Macht des nationalsozialis-
tischen Regimes zeigt, wie dominant die völlige Umdeutung des Vril nach dem