Table Of ContentMartin Fischer
Von der Arbeitserfahrung
zum Arbeitsprozeßwissen
Rechnergestützte Facharbeit im
Kontext beruflichen Lernens
Martin Fischer
Von der Arbeitserfahrung
zum Arbeitsprozeßwissen
Martin Fischer
Von der Arbeitserfahrung
zum Arbeitsprozeßwissen
Rechnergestützte Facharbeit
im Kontext beruflichen Lemens
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2000
Gedruckt auf săurefreiem und alterungsbestăndigem Papier.
Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme
ISBN 978-3-8100-2867-9 ISBN 978-3-663-11783-4 (e Book)
DOI 10.1007/978-3-663-11783-4
© 2000 Springer Fachmedien Wiesbaden
Urspriinglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 2000
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort ........................................................................................................ 9
1 Zur Einführung: Erfahrungsbildung oder
Wissensvermittlung? - Die Dualität beruflichen Lernens
im Kontext rechnergestützter Facharbeit ................................ 13
1.1 Die Akzentliierung von Erfahrungsbildung im Rahmen
beruflichen Lernens ..................................................................... 13
1.2 Die Problematik beruflichen Lernens im dualen System
der Berufsausbildung ................................................................... 19
2 Psychologische Lerntheorien und ihre (begrenzte)
Bedeutung für das berufliche Lernen ...................................... 31
2.1 Bedingungslernen-der Behaviorismus und die kognitive
Wende in der Psychologie ........................................................... 34
2.2 Handlungslernen-die Tätigkeitspsychologie der
kulturhistorischen Schule und die
Handlungsregulationstheorie ....................................................... 39
2.3 Lernen zwischen Assimilation und Akkomodation
die Entwicklungspsychologie Piagets und der
"Radikale Konstruktivismus" ...................................................... 53
2.4 Kognitives und maschinelles Lernen-
Kognitive Psychologie und "Künstliche Intelligenz" ................. 63
2.5 Implizites Lernen-die "Tacit-Knowledge-Debatte"
und die Folgen ............................................................................. 72
2.6 Lernen durch die dialektische Verknüpfung von Wissen und
Erfahrung - die Philosophen der Aufklärung: Kant und Hegel ... 80
2.7 Zwischenfazit Für eine Pädagogik und Psychologie
vom Gegenstand her .................................................................... 88
3 Arbeitserfahrung und die Aneignung von
Arbeitsprozeßwissen .................................................................. 95
3.1 Momente eines arbeitspädagogischen und
-psychologischen Erfahrungsbegriffs .......................................... 97
5
3.2 Der Begriff des Arbeitsprozeßwissens
als Bezugspunkt beruflichen Lernens ........................................ 118
3.2.1 Aneignung von Arbeitsprozeßwissen im Kontext
der (rechnergestützten) Arbeit ................................................... 121
3.2.2 Arbeitsprozeßwissen und die situative Entwicklung
von Zielen .................................................................................. 131
3.2.3 Arbeitsprozeßwissen und Arbeitsplanung ................................. 134
3.2.4 Arbeitsprozeßwissen und praktisches Tun ................................. 139
3.2.5 Arbeitsprozeßwissen und die Bewertung der Arbeit ................. 153
3.2.6 Arbeitsprozeßwissen im Kontrast zu künstlicher Intelligenz
am Beispiel betrieblicher Instandhaltungsfacharbeit ................. 158
3.2.6.1 Die Behandlung von widersprüchlichen und situativ
wechselnden Zielsetzungen flir Instandhaltungsarbeiten ........... 159
3.2.6.2 Der sozial-kommunikative Charakter der Planung und
Durchführung von Instandsetzungsaufgaben ............................. 161
3.2.6.3 Die wechselseitige Durchdringung von Wissen und
Erfahrung bei der Fehlersuche und -behebung .......................... 163
3.2.6.4 Wissen und Erfahrung als kollektiver Besitzstand
in der betrieblichen Instandhaltung ............................................ 169
3.3 Probleme bei der Aneignung von Arbeitsprozeßwissen ............ 172
3.4 Zwischenfazit Von der Erfahrung zum Arbeitsprozeßwissen .. 176
4 Lernen, Arbeiten und Technikgestaltung-
Wege zu einer Integration ....................................................... 179
4.1 Arbeitsprozeßwissen und die Gestaltung
von Bildungsprozessen .............................................................. 180
4.1.1 Berufliches Lernen und Erfahrung ............................................ 183
4.1.1.1 Die Gestaltung von Erfahrungsräumen in der beruflichen
Erstausbildung - das Beispiel einer metallgewerblichen
Lernfirma ................................................................................... 18 7
4.1.2 Berufliches Lernen und Erkenntnis ........................................... 200
4.1.2.1 Die Untersuchung und Reflexion von Erfahrungen-
am Beispiel der Analyse der betrieblichen
Arbeitsorganisation .................................................................... 202
4.1.3 Berufliches Lernen und Meisterschaft ....................................... 21 0
4.1.3.1 Die Transformation von Wissen zu Können-
Erfahrungsfelder in der Technikerausbildung ........................... 213
4.1.4 Zur Organisation und Organisationsentwicklung beruflicher
Bildung: Erfahrungsbildung und Erkenntnisgewinnung als
Dualität oder Dialog? ................................................................. 222
4.1.4.1 Kritik am dualen System der Berufsausbildung ........................ 224
4.1.4.2 Das Konzept der Personal- und Organisationsentwicklung
und seine Bedeutung fürdie berufliche Bildung ....................... 229
6
4.1.4.3 Der Bremerhavener Weg: Die Etablierung einer
schulinternen Arbeitsgruppe flir Organisationsentwicklung ...... 23 7
4.1.4.4 Team-Entwicklung in der beruflichen Bildung ......................... 240
4.1.4.5 Projektmanagement in der beruflichen Bildung ........................ 242
4.1.4.6 Die Einrichtung einer schulinternen Projektagentur und
eines Netzwerks flir berufliche Bildung .................................... 245
4.1.5 Z wischenfazit: Konsequenzen arbeitsprozeßbezogener
Ausbildung ................................................................................. 247
4.2 Arbeitsprozeßwissen und die Gestaltung von Arbeit
und Technik-die partizipative Entwicklung eines
Arbeitsinformationssystems flir die betriebliche
Instandhaltung ........................................................................... 249
4.2.1 Die wissenschaftliche Konzipierung einer arbeits
orientierten informationstechnischen Unterstützung ................. 251
4.2.1.1 Grundsätze als interpretationsbedürftige Orientierungen
der Software-Entwicklung ......................................................... 254
4.2.2 Partizipative Systementwicklung ............................................... 272
4.2.3 Lernförderliche Eigenschaften der Informationstechnik ........... 284
4.2.4 Fazit: Die Förderung von Arbeitsprozeßwissen
im Rahmen der Gestaltung von Arbeit und Technik ................. 291
5 Resümee und Ausblick ............................................................. 293
6 Literatur-und Quellenverzeichnis ......................................... 301
6.1 Literaturverzeichnis ................................................................... 30 I
6.2 Abbildungsverzeichnis .............................................................. 331
7
Vorwort
Formen und Inhalte der Arbeit unterliegen besonders in der Industrie einem
steten Wandel. Neben der Einftihrung rechnergestützter Technologien sind
dafür ökonomische, organisatorische und kulturelle Leitlinien betrieblicher
Rationalisierung maßgebend. Der Untersuchung und Beschreibung derartiger
Einflüsse galt seit jeher das vorrangige Forschungsinteresse bei der Analyse
industrieller Arbeit. Ausgehend von Technikeinsatz und organisatorischen
Rahmenbedingungen werden gemeinhin objektive Arbeitsanforderungen er
mittelt. Die Weise hingegen, wie Arbeitende mit Arbeitsanforderungen um
gehen - worin ihre tatsächlichen Kompetenzen und Erfahrungen zum Aus
druck kommen-, nimmt in einem solch traditionellen Forschungsdesign eher
den Stellenwert einer abhängigen Variablen ein.
Ohne traditionelle Zusammenhänge gänzlich ignorieren zu wollen, kon
stituiert demgegenüber im Institut Technik & Bildung das Forschungsfeld
"Rechnergestützte Facharbeit" 1 eine andere Forschungsperspektive; die dar
aus erwachsenen Fragestellungen und Ergebnisse sollen im folgenden darge
stellt werden. Ausgehend von der Seite des lernenden und arbeitenden Sub
Jekts wird danach gefragt, welche Formen und Inhalte des Verstehens und
Erfahrens in der Auseinandersetzung mit Technik und industriellen Arbeits
prozessen erworben und angewendet werden. Die Begriffe "Technikver
ständms" und "Arbeitserfahrung" markieren das Forschungsfeld, in dem
solch ein subjektorientierter Ansatz im Spannungsfeld zwischen Qualifikati
onsforschung und soziologischer bzw. sozialpsychologischer Bewußtseins
forschung verortet werden kann.
Zwei Gründe sind im wesentlichen für die Entwicklung dieser ergän
zenden Forschungsperspektive bei der Untersuchung des Zusammenhangs
zwischen Technik, Organisation und Qualifikation ausschlaggebend: Zum
einen ging es beim traditionell anpassungsorientierten Ansatz der Qualifika
tionsforschung - welche Kenntriisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten benötigt
ein Facharbeiter für den Umgang mit einer bestimmten Technik - meist nicht
bloß um die Feststellung der objektiven Arbeitsanforderungen. Zugleich wur-
Forschungsprojekt "Rechnergestützte Facharbeit im Kontext von schulischen und arbeits
immanenten Lemprozessen", gefördert durch das Forschungsinfrastruktur-Programm des
Landes Bremen (vgl. fiseher 1992).
9
de auch nahegelegt, daß die persönlichen Kompetenzen von Facharbeitern
idealerweise formal und inhaltlich identisch seien mit den ermittelten und
meist fachsystematisch geordneten Qualifikationsanforderungen. Zum zwei
ten - und hier ist die Gestaltungsdimension angesprochen - ist damit der
mittlerweile vielfach beklagte Sachverhalt evoziert worden. daß arbeitspsy
chologisch und -pädagogisch begründete Leitlinien für die Entwicklung in
formationstechnischer Systeme sich nicht an dem Arbeitsprozeßwissen von
Facharbeitern orientieren, sondern an den informatikspezifischen Arbeitswei
sen, fl.ir die diese Leitlinien doch ein Wegweiser sein sollen (vgl. Volpert
1987).
Eine Untersuchung darüber, wie sich Technik- und Organisationsent
wicklung vom Standpunkt des Verstehens, Erfahrens und Handeins der be
troffenen und beteiligten Fachkräfte aus darstellen, liegen folgende drei zen
trale Fragestellungen zugrunde:
• Wodurch ist das Verstehen, Erfahren und Handeln von Facharbeitern
und Auszubildenden im gewerblich-technischen Bereich gekennzeich
net?
• Welche Konsequenzen ergeben sich aus facharbeiterspezifischen Vorge
hensweisen fl.ir die Gestaltung von Technik und Arbeitsorganisation?
• Wie ist schließlich der Zusammenhang von Technik, Organisation und
Qualifikation innerhalb der beruflichen Bildung aufzunehmen?
Im Forschungsfeld "Rechnergestützte Facharbeit" des Instituts Technik &
Bildung sind die genannten Fragestellungen für die Bereiche der betriebli
chen Instandhaltung2, der dezentralen Fertigungsplanung und -steuerung3
sowie qualifizierte Chemie-Arbeit' empirisch untersucht worden. Bildungs
prozesse im Bereich rechnergestützter Facharbeit sind als wissenschaftliche
Begleituntersuchungen zu diversen Modellvorhaben zum Gegenstand empiri
scher Forschung gemacht worden.5 Der Bedeutung betrieblicher Arbeitsor
ganisation und Organisationsentwicklung ist im Bildungswesen durch die
beiden Modellversuche
2 Forschungsvorhaben "Expertensysteme und betriebliche lnstandhaltungsfacharbeit"
(Kurztitel), gefördert im Programm Arbeit & Technik des Bundesministeriums für For
schung und Technologie (BMFT) (vgl. Fischer/ Jungeblut/ Römmermann 1995).
3 Forschungs- und Entwicklungsprojekt im ESPRIT -Programm der Europäischen Gemein
schaft: "Human Centered CIM Systems" (vgl. Blumenstein/ Fischer 1991 a+b; Fischer
1995a).
4 Verbundvorhaben "Computergestütztes erfahrungsgeleitetes Lernen in der Chemiearbeit
(CELCA), gefördert durch das Programm Arbeit & Technik des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung (BMBF) (vgl. Fischer/ Röben 1997)
5 Modellversuch des Bundesministenums für Bildung und Wissenschaft (BMßW) und des
Landes Bremen: "Roboter als CIM-Komponenten in der beruflichen Bildung" (Fische!'!
Lehr I 1991) sowie des BMßW und des Landes Hessen: "MCA Hessen" (vgl. Fischer
1991 b+c).
10
• "Arbeitsorganisation als Gegenstand beruflicher Bildung" 6
• "Organisationsentwicklung und berufliche Bildung" 7
Rechnung getragen worden. Im letztgenannten Vorhaben stand die Organi
sationsstruktur der Berufsschule selbst auf dem Prüfstand.
Vorschläge ftir die Gestaltung von Arbeit und Technik, die an dem Er
halt und der Förderung facharbeiterspezifischen Erfahrungswissens orientiert
sind, wurden für den Bereich betrieblicher Instandhaltungsfacharbeit8 sowie
für arbeitsprozeßnahes Planen in Fertigungsinseln9 entwickelt.
Mit der vorliegenden Arbeit wird also der Versuch unternommen, den
Zusammenhang der Ergebnisse der angesprochenen Forschungsvorhaben
darzustellen. Ausgangspunkt ist der zwiespältige Sachverhalt, daß das Erfor
dernis beruflichen Lemens einerseits selten so sehr hervorgehoben worden ist
wie in den letzten Jahren (hierfür ist das "lernende Unternehmen" zum
Schlagwort und Programm geworden). Andererseits scheint das berufliche
Lernen, wie es in der Bundesrepublik Deutschland organisiert ist, in der
Krise zu stecken. Deutlich wird mindestens, daß die Kernelemente des dua
len Ausbildungssystems - die betriebliche Ausbildung und das Lernen in der
Berufsschule-eher durch ein Nebeneinander als durch ein dialogisches Ver
hältnis gekennzeichnet sind, so daß in Frage steht, wie die Auszubildenden
betriebliche Erfahrung und schulische Wissensvermittlung miteinander ver
binden können.10
Bei der wissenschaftlichen Diskussion der Frage, was dieses berufliche
Lernen ist und sein soll, werden gemeinhin psychologische Lerntheorien zu
Rate gezogen. Unübersehbar gibt es hierbei unterschiedliche Moden und ver
schiedene Strömungen: Waren lange Zeit behavioristische Lerntheorien (und
sind es in den USA noch heute) up to date, so wurden diese im Deutschland
der achtziger Jahre auch und gerade im Rahmen beruflicher Qualifizierung
durch Theorien des Handlungsiemens abgelöst, während heute konstruktivi
stische Lerntheorien favorisiert werden. In der vorliegenden Arbeit wird da
her untersucht, welchen Beitrag psychologische Lerntheorien zur Erklärung
von Phänomenen und Prozessen beruflichen Lemens leisten. 11
6 Gleichnamiger Modellversuch des Bundesmisteriums für Bildung und Forschung (BMBF)
und des Landes Hessen (vgl. Fischer 1993a; Fischer/ Stuber 1996a+b).
7 Gleichnamiger Modellversuch des Bundesmisteriums für Bildung und Forschung (BMBF)
und des Landes Bremen (vgl. Fischer/ Uhlig-Schoenian 1995a-d; Fischer/ Uhlig-Schoen
ian 1996.
8 Verbundvorhaben des Bremer Landesprogramms Arbeit & Technik: "Technische Unter
stützung in der betrieblichen Instandhaltung (TUB!)" (vgl. Fischer/ Römmermann/ Ben
ckert 1996, 1997a+b).
9 Vgl. die Dissertation von Franz Stuber: "Rechnerunterstützung flir arbeitsprozeßnahes
Planen" (Stuber 1997).
10 Ygl. Kapitel I.
II Vgl. Kapitel 2.
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