Table Of ContentSusanne Kailitz
Von den Worten zu den Waffen?
Susanne Kailitz
Von den Worten
zu den Waffen?
Frankfurter Schule,
Studentenbewegung,
RAF und die Gewaltfrage
VS VERLAG FUR SOZIALWISSENSCHAFTEN
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothel< verzeichnet diese Publil<ation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iJber
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
I.Auflage April 2007
Alle Rechte vorbehalten
© VS Verlag fiJr Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007
Lektorat: Monika Mulhausen / Bettina Endres
Der VS Verlag fiJr Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.
www.vs-verlag.de
DasWerk einschlieBlich aller seiner Telle ist urheberrechtlichgeschiJtzt.Jede
Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist
ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere
fiJr Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-
cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche
Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten
waren und daher von jedermann benutzt werden durften.
Umschlaggestaltung: KunkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v, Meppel
Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands
ISBN 978-3-531-14560-0
Danksagung
Das vorliegende Buch ist die leicht iiberarbeitete Fassung meiner Dissertation, die
der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultat der Universitat Chemnitz
im Mai 2004 angenommen hat. Mein Dank gilt meinem Doktorvater Eckhard Jesse,
der sich weit iiber das iibliche MaB hinaus fur das Fortkommen der Studie einge-
setzt hat.
Meine Dissertation hatte ich nicht schreiben konnen ohne ein Promotionssti-
pendium der Friedrich-Ebert-Stiftiing, die mich bereits wahrend meines ganzen
Studiums gefordert hat. Insbesondere meine Betreuerin Marianne Braun hatte fiir
alle Sorgen und Note ein offenes Ohr und hat alles dafur getan, die Forderung
optimal zu gestalten. Dafiir bedanke ich mich.
Ich danke auch aUen Menschen, die in vielen Gesprachen mit Anregungen und
Kritik zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben: den Teilnehmern des Dokto-
randenkollegs von Eckhard Jesse, meinen Interviewpartnern, den Teilnehmern des
Graduiertenkollegs der Friedrich-Ebert-Stiftung und den Mitarbeitern der Archive
des Otto-Suhr-Instituts in Berlin und des Hamburger Instituts fiir Sozialforschung.
Noch hilfreicher aber waren die wichtigsten Menschen in meinem Leben, de-
nen diese Dissertation einiges an Arbeit und Nerven abverlangt hat: Meine Eltern
haben mich in allem unterstiitzt, was ich tun wollte. Ihnen verdanke ich alles —
deshalb ist ihnen diese Arbeit gewidmet. Meinem Bruder danke ich von Herzen
dafiir, dass er immer da war, wenn ich ihn gebraucht habe. Seine kleine Schwester
zu sein, ist ein groBes Gliick. Mein allergroBter Dank gilt meinem Mann, Dr. Steffen
Kailitz. Er ist in den vergangenen Jahren immer fiir mich da gewesen, hat mir Mut
gemacht und mich stets unterstiitzt. Viel wichtiger als alle Anregungen, Kritik und
unermiidliches Korrekturlesen aber war seine bestandige Liebe. Dafiir danke ich
ihm.
Berlin, Februar 2007
Susanne Kailitz
Inhalt
Geleitwort 11
I. Einleitung 13
1. Untersuchungsgegenstand 13
2. Problemstellung 16
3. Der Gewaltbegriff 20
4. Quellenlage und Forschungsstand 22
5. Aufbau 35
II. Analyseraster 38
1. Auswahlkriterien 38
2. Wahrnehmung der politischen Situation 40
2.1. AUgemeine politische Unzufriedenheit 40
2.2. Wahrnehmung von Repression 42
2.3. Wahrnehmung von Repression und Inanspruchnahme eines
Widerstandsrechts 44
2.4. Wahrnehmung einer revolutionaren Situation 46
3. Bewertung der Mittel 49
3.1. Gewaltloser Protest und ziviler Ungehorsam 49
3.2. Gewalt gegen Sachen 51
3.3. Gewalt gegen Personen 52
3.4. Terrorismus und Guerilla 53
4. Zusammenhang 56
III. Vater, Sohne und Enkel? 58
1. Frankfurter Schxile 58
2. Studentenbewegung 64
3. Rote Armee Fraktion 69
IV. Die Frankfurter Schule und die Gewaltfrage 76
1. Max Horkheimer und Theodor Adorno 76
1.1. Biographic 76
1.2. Wahrnehmung der politischen Situation 78
1.3. Bewertung der Mittel 85
1.4. Fazit 89
2. Herbert Marcuse 91
2.1.Biographie 91
2.2. Wahrnehmung der politischen Situation 92
2.3. Bewertung der Mittel 96
2.4. Fazit 100
3. Jiirgen Habermas 102
3.1. Biographic 102
3.2. Wahrnehmung der politischen Situation 103
3.3. Bewertung der Mittel 106
3.4. Fazit 109
4. Vergleich 110
V. Die Studentenbewegung und die Gewaltfrage 118
1. Hans-Jiirgen Krahl 118
1.1. Biographic 118
1.2. Wahrnehmung der politischen Situation 119
1.3. Bewertung der Mittel 123
1.4. Fazit 127
2. Rudi Dutschke 129
2.1. Biographic 129
2.2. Wahrnehmung der politischen Situation 130
2.3. Bewertung der Mittel 134
2.4. Fazit 138
3. Daniel Cohn-Bcndit 140
3.1. Biographic 140
3.2. Wahrnehmung der politischen Situation 142
3.3. Bewertung der Mittel 145
3.4. Fazit 147
4. Vergleich 148
VI. Die RAF und die Gewaltfrage 154
1. Ulrike Marie Meinhof 154
1.1. Biographic 154
1.2. Wahmehmung der poHtischen Situation 156
1.3. Bewertung der Mittel 161
1.4. Fazit 164
2. Horst Mahler 165
2.1.Biographie 165
2.2. Wahrnehmung der politischen Situation 167
2.3. Bewertung der Mittel 171
2.4. Fazit 174
3. Gudrun Ensslin und Andreas Baader 176
3.1. Biographie 176
3.2. Wahrnehmung der politischen Situation 177
3.3. Bewertung der Mittel 180
3.4. Fazit 182
4. Vergleich 183
VII. Die Revolution frisst ihre Vater: Drei Konflikte um
Theorie und Praxis 190
1. Der Konflikt zwischen Frankfurter Schule und Studentenbewegung 190
2. Der Konflikt zwischen Studentenbewegung und RAF 199
3. Der Konflikt zwischen Frankfurter Schule und RAF 211
VIII. Schlussbetfachtung 217
1. Wahrnehmung der politischen Situation 217
2. Bewertung der Mittel 223
3. Gewalt als Familienerbe? 229
Quellen und Literatur 235
QueUen 235
Selbstandig erschienene Literatur 237
Unselbstandig erschienene Literatur 243
Geleitwoft
Das Thema der deutschen „Studentenbewegung" erhitzt immer noch bzw. schon
wieder die Gemiiter. Wie ist sie zu wiirdigen? Sind ihre Folgen fundamentaler oder
nur marginaler Natur? Wie hat sie die politische Kultur verandert? Susanne Kailitz
nimmt sich in ihrer Doktorarbeit der so bedeutsamen wie heiklen Frage an, ob es in
der Gewaltfrage Verbindungslinien zwischen der Frankfurter Schule, der Studen-
tenbewegung und der „Roten Armee Fraktion" (RAF) gegeben hat. Die in dieser
Form bisher noch nicht ausfuhrlich erorterte Thematik darf in jeder Hinsicht als
dissertationswiirdig gelten.
Die Einleitung erortert in iiberzeugender Weise den Untersuchungsgegens-
tand, die Problemstellung, den Gewakbegriff, den Forschungsstand sowie den Auf-
bau. Sehr gut arbeitet die Autorin ihre Leitfragen heraus. Zu den wichtigsten geho-
ren: „Welche Konzepte von Gewalt und Widerstand finden sich im Ideengut der
drei untersuchten Generationen Frankfurter Schule, Studentenbewegung und RAF?
Wo bestehen Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede?" Ihr personalistischer Ansatz ist
plausibel begriindet (nicht zuletzt wegen der Schwammigkeit des Begriffs der Stu
dentenbewegung), um quellenkritisch tatsachliche oder auch nur vermeintliche
Zusammenhange zu iiberprufen. Die Auswahl der Personen prajudiziert kein be-
stimmtes Ergebnis. Das zweite Kapitel legt ein komplexes Analyseraster fur Gewalt
vor (sogar mit kleinen strafrechtlichen Exkursen). Die Verfasserin unterscheidet
zwischen der Wahrnehmung der politischen Situation, differenziert dabei nach
allgemeiner politischer Unzufriedenheit, nach der Wahrnehmung von Repression
(mit Anspruchnahme eines Widerstandsrechts), nach der Wahrnehmung einer revo-
lutionaren Situation und der Bewertung der Mittel (gewaltloser Protest und ziviler
Ungehorsam, Gewalt gegen Sachen, Gewalt gegen Personen, Guerilla und Terro-
rismus). Dieses Analyseraster, das der Arbeit einen hohen wissenschaftlichen An-
spruch verleiht, ermogHcht einen systematischen Vergleich. Vor allem ist die These
wichtig, dass die Frage nach der Wahrnehmung der politischen Situation darauf
zielt, „ob eine mogliche Ablehnung gewaltsamer Mittel aus prinzipiellen oder strate-
gischen Griinden erfolgt".
Wahrend das knappe dritte Kapitel durch die Vorstellung der drei Personen-
gruppen in die Thematik einfiihrt, handeln die Kapitel 4-6 — die zentralen Teile der
Arbeit - das Verhaltnis der Frankfurter Schule, der Studentenbewegung und der
RAF zur Gewaltfrage ab. Jedes Kapitel ist gleich aufgebaut und nach den jeweiligen
Protagonisten untergliedert. Die Autorin geht systematisch vor und unterscheidet
jeweils zwischen der Wahrnehmung der politischen Situation sowie der Bewertung
der Mittel (imter Einbeziehung eines Vergleiches). Folgende Personen werden auf
ihre Einstellvmg zur Gewalt untersucht: Max Horkheimer und Theodor Adorno,
Herbert Marcuse, Jiirgen Habermas als Reprasentanten der Frankfurter Schule,
Hans-Jiirgen Krahl, Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit als Reprasentanten der
11
Studentenbewegung, Ulrike Marie Meinhof, Horst Mahler, Gudnm Ensslin und
Andreas Baader als Reprasentanten der RAF. Wie diese Kernkapitel deutlich ma-
chen, stellen die einzelnen Gruppen keine homogene Einheit dar. Besonders die
Vorstellungen innerhalb der Frankfurter Schule weichen weit voneinander ab.
Lehnt(e) Jiirgen Habermas im Prinzip alle Formen der Gewalt ab, kann davon bei
Herbert Marcuse, der auf die Studentenschaft als revolutionare Kraft setzte, keine
Rede sein. Die Kapitel sind nicht zuletzt wegen der textnahen Interpretation iiber-
zeugend. Durch die einheitliche Vorgehensweise und den Vergleich kann Kailitz
mannigfache Parallelen und Unterschiede innerhalb einer Personengruppe gut her-
ausarbeiten. Das siebte Kapitel analysiert eingangig Konflikte zwischen den drei
Personengruppen: der Frankfurter Schule und der Studentenbewegung, der Studen
tenbewegung und der RAF, der Frankfurter Schule und der RAF. Die Konflikte
entziindeten sich in der Tat wesentlich an der Gewaltfrage. Gut wird folgender
Sachverhalt auf den Begriff gebracht: „Es ist ein interessantes Paradoxon, dass die
Studentenbewegung in einen erbitterten Streit mit den Mitgliedern der Frankfurter
Schule geraten war, weil diese die Gewaltrhetorik der Studenten ablehnten und vor
einem Umschlag in den Terrorismus warnten, und nur kurze Zeit spater in Konflikt
zur RAF geriet, weil diese eben den Weg einschlug, mit dem die Studenten immer
kokettiert hatten, von denen aber nur eine verschwindende Minderheit, namlich die
Terroristen, zu Waffen gegriffen hatte''. Die Schlussbetrachtung macht zu Recht
noch einmal die Differenzen innerhalb der einzelnen Personengruppen plausibel.
Ich stimme der Auffassung zu, die Frankfurter Schule konne nicht fiir
den Terrorismus der RAF verantwortlich gemacht werden. Anders sieht es mit der
Verantwortlichkeit der radikalen Studentenbewegung aus. Hat diese nicht doch eine
bis heute anhaltende Enttabuisierung von Gewaltanwendung ausgelost? Kailitz
schreibt selbst: „Jeder Siebte habe nicht ausschlieBen wollen, dass er ein Mitglied
der [Baader-Meinhof-JGruppe fur eine Nacht bei sich aufnehmen wiirde, um es vor
der Polizei zu schiitzen. Viele [besser: einige] Angehorigen der Linken taten dies
auch — und nahmen wie etwa der Hochschulprofessor Peter Bruckner dafiir groBe
Schwierigkeiten in ihrem beruflichem Leben auf sich." Sofern von einer Ablehnung
der Gewalt die Rede war, ging diese wesentlich auf eine taktisch-strategische Moti
vation zuriick, was die Autorin auch erwahnt. Der „individuelle Terror", hieB es
damals, provoziere eine „Kriminalisierung der Linken".
Insgesamt hat Susanne Kailitz eine iiberzeugende Analyse zu den Verbin-
dungslinien von Frankfurter Schule, Studentenbewegung und „Roter Armee Frakti-
on" mit Blick auf die Frage der Gewalt vorgelegt. Quellen und Literatur sind umfas-
send ausgewertet und einleuchtend interpretiert worden. Diese Arbeit kann sich
durch die Vielfalt der Vergleiche sowie durch ihre differenzierte Argumentation
sehen lassen. Auch nach dieser Publikation diirfte weiter iiber die Studentenbewe-
gxmg und ihre Folgen gestritten werden - vielleicht auf einem hoheren Niveau.
Eckhard Jesse
12