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Vom Wohnen der Deutschen
AlPHONS SILBERMAN N
Vom Wohnen der Deutschen
Eine soziologische Studie über das Wohnerlebnis
WESTDEUTSCHER VERLAG· KOLN UND OPLADEN 1963
FüR RENE KöNIG
ISBN 978-3-322-98288-9 ISBN 978-3-322-98991-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-98991-8
INHALT
Kapitell Allgemeine Vorbemerkungen . . 7
Kapitel 2 Soziologische Vorbemerkungen . 11
Kapitel 3 Die Studie über das Wohnerlebnis 21
1. Der Wohnsitz . . . . . . . . 21
2. Der Wohnstandard . . . . . . 25
3. Vorgeschichte der Möblierung des Wohnzimmers 31
4. Leitbilder für die Einrichtung des Wohnzimmers 41
5. Vergleiche mit der elterlichen Wohnung und dem Wohn-
zimmer von Bekannten . . . . . . . 54
6. Das Wohnverhalten in der freien Zeit. 72
7. Die Wohnkultur . 91
a) Der Geschmack 91
b) Die Mode . . . 95
c) Die Farbe . . . 96
d) Kultur und Persönlichkeit 98
Kapitel 4 Das Normative des WohnerIebnisses 111
Kapitel 5 Schlußbemerkungen 122
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . 125
Anhang
Teil Der Fragebogen für die Erhebung in Köln und Bergneustadt . 135
Teil 11 Soziologisch-wirtschaftliche Struktur der Kölner und Bergneu-
städter Stichproben . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 149
Teil 111 Der Fragebogen für die bundesrepublikanische Erhebung .. 153
Teil IV Soziologisch-wirtschaftliche Struktur der bundesrepublikanischen
Stichprobe ....................... 155
5
Teil V Auswertungen . • . • • • . . . • . . • . . • • • . 157
Teil VI Inhaltsanalyse von Zeitschriften, die sich mit Wohnkultur
befassen . . . . . . . . . . . . . 254
Teil VII Inhaltsanalyse von Möbelprospekten 255
Teil VIIIEinrichtungsexperiment . . . . . . . 257
6
KAPITEL 1
Allgemeine Vorbemerkungen
Zu allen Zeiten seiner Existenz hat sich der Mensch um seine Wohnverhältnisse
bekümmert. Ob benannt Höhle oder Windschirm, Heim, Haus oder Hof, Schloß
oder Wohnhaus, Herrenhaus, Unterschlupf, Obdach oder Bude, stets handelte es
sich darum, ein sogenanntes "Dach über dem Kopf" sein eigen zu nennen. Dieses
Dach nun war nicht nur klimatischen und ökologischen Gegebenheiten angepaßt,
es war nicht nur bedingt durch die zu seiner Herstellung vorhandenen Materialien
und Techniken, sondern war auch immer wieder Veränderungen unterworfen,
die der Entwicklung der diversen Gesellschaftsgruppen und Gesellschaften ent
sprangen. Hieß es einstens: der Platz der Frau ist am häuslichen Herd, und lesen
wir heute: 34,3 % der bundesrepublikanischen Arbeitskräfte werden von Frauen
gestellt, so darf man geruhsam sagen, daß auch Heim und Herd einer solchen
"Vandlung ihre Konzessionen haben machen müssen.
So ist es durchaus verständlich, daß Funktionäre, Architekten, Ästhetiker, Kul
turkritiker und Planer, kurz gesagt, alle diejenigen, die für die Behausung von
Menschen verantwortlich zeichnen, sich zusammenfinden, um die Probleme des
Wohnens zu analysieren. Sie alle haben das Wohl der Menschen im Auge und
bedienen sich zu dessen Herstellung der Erkenntnisse, die ihnen das moderne
Denken zu liefern weiß. Dabei wird vielfach vor lauter Bäumen der Wald über
sehen. Fehlt es hier an Koordination, so fehlt es dort an Einzelwissen, und vielfach
entsteht ein Konglomerat, das mehr dem Zufall als der Disziplin gehorcht. Um
dieses Dilemma zu überbrücken, hatte es sich die "Teppichgemeinschaft im Ver
band der deutschen Teppich- und Möbelstoffindustrie" zur Aufgabe gestellt,
im Oktober 1960 internationale Kapazitäten zu ihrem dritten Diskussionsforum
zusammenzurufen, um den Gedankenaustausch über "Schöner Wohnen" zu
fördern.
Bei den ersten bei den Treffen hatte man sich darauf beschränkt, Architekten,
Städteplaner und Kulturphilosophen zum Thema sprechen zu lassen. Bei dem drit
ten Forum jedoch besaß man den "Mut", einen Soziologen, uns selbst nämlich,
zu einem Referat aufzufordern. Hier kann man in der Tat von Mut sprechen.
Denn nicht nur betrachtet man in Deutschland die Soziologie trotz ihrer vielen
Verdienste stets noch gern als eine Sekundärwissenschaft unangenehmster Sorte,
sondern hält sie auch noch, was ihre positivistische und pragmatische Ausrichtung
7
angeht, für außerordentlich lästig. Daher, aber wohl auch aus Gründen monopol
erhaltender Tendenzen, verabscheuen viele der für das Wohnen der Gesellschaft
Verantwortlichen die Hilfe der Sozialwissenschaften. Sie führen als Diplom-Archi
tekten, als Diplom-Ingenieure und als Bau-Ingenieure zwar Bauten und Siedlun
gen aus "unter Berücksichtigung der sozialen, soziologischen, wirtschaftlichen,
verwaltungstechnischen, architektonischen, landschaftlichen, gärtnerischen, tief
bautechnischen und hygienischen Fragen"" vermeiden aber die Hinzuziehung
der Soziologen. Andere wieder fordern zu der Frage heraus: Was ist Wohnen
- was ist eine Wohnung? 2 oder verfassen handliche Ratgeber3 oder glauben, da
sie viel vom Bauen verstehen, deshalb auch alles über das Wohnen zu wissen 4.
Daß dem aber nicht so ist, darauf wiesen wir beim Diskussionsforum in unserem
Referat hin, indem wir baten, doch endlich von ästhetischen, halbphilosophischen
oder pseudokünstlerischen Gedankengängen abzugehen. Vor allem aber von
billigen Soziologismen, die mit den Begriffen Massenherstellung, Massenkonsum,
Massenmode oder industrieller Gesellschaft manipulieren, ohne auch nur einen
Augenblick darüber nachgedacht zu haben, daß es erst das Bestehende zu unter
suchen und zu erkennen gilt, bevor es zur begrifflichen Wahrheit erklärt werden
kann.
Nicht alle Teilnehmer des Diskussionsforums nahmen unsere kritischen Bemer
kungen begeistert auf. Die Leiter der Deutschen Teppichgemeinschaft jedoch griffen
unseren Vorschlag auf, vor allem anderen erst einmal das Phänomen "Wohnen"
empirisch zu untersuchen, und so kam die nachliegende Studie zustande. Wenn
wir an dieser Stelle sagen, daß eine derartig ausgerichtete Untersuchung - eine
Grundlagenforschung nämlich und keine Zweckforschung - unseres Wissens nach
bisher noch nie in dieser Breite durchgeführt wurde, so möchten wir hiermit der
Deutschen Teppichgemeinschaft gegenüber unsere Bewunderung zum Ausdruck
bringen, gleichzeitig aber auch unseren Dank für die materielle Hilfe zu einer
wissenschaftlichen Arbeit, von der wir nur hoffen können, daß sie nicht ohne
Widerhall bleiben wird.
Hier dürfte es am Platze sein, einige Bemerkungen genereller Art anzubringen,
die dazu dienen sollen, von vornherein eine etwaige Unvereinbarkeit zwischen
den Standpunkten des Architekten und des Soziologen zu bereinigen. Ganz
extrem gesprochen besteht nur dort eine Diskrepanz, wo ein Architekt die Archi
tektur als Kunst, als ein Ding an sich, als autonom anzusehen wünscht, wo er auf
den Normalverbraucher von Wohnungen kaum Rücksicht nimmt, während der
Soziologe in der Kunst, neben vielem anderen, primär ein Geschehen, einen so
zialen Prozeß sieht, der sich auf die eine oder andere Weise verdeutlicht. Das
macht es in diesem Zusammenhang für den Soziologen ebenso wie für den
verantwortungsbewußten Architekten unmöglich, die Architektur als eine vom
Wohnungsbewohner unabhängige Kunst aufzufassen. Dies nicht etwa aus
1 Hans Bernhard Reichow und Hans Dettling, Bau der Sennestadt, in Deutsche Bauzeitschrift
1961, Heft 12
2 Erna M. J. Schmidt, Unsere Wohnung, Gütersloh 1960
3 Alice Wirth, Behaglich wohnen, Bern 1957j Gisela Sivkovich, Wie wollen wir wohnen? Darm
stadt 1961
4 So z. B. Rainer Wolff, Das alles in der Wohnung, München 1961
8
Widerspruchsgeist oder um die Architektur ihres Nimbus als Kunst zu berau
ben, sondern nur darum, weil uns die Verhaltensweisen der Gesellschaft, dar
unter auch das Wohnen, als mit dynamischen Qualitäten ausgerüstete Ge
gebenheiten erscheinen. Die Lebensmöglichkeiten von heute sind nicht notwen
digerweise.die von morgen, so heißt es in einem klugen Aphorismus womit ge
5,
sagt sein soll, daß "wir mit dem Erbauen bleibender Strukturen einer unbe
kannten Zukunft gegenüberstehen, die keine Lebensweisenstudie mit Sicherheit
durchdringen kann" Dementsprechend finden sich heute unter den Architekten
6.
nur noch wenige Einzelgänger, die ihre Aufmerksamkeit nicht auch dem Funk
tionalen zuwenden. Sie denken wie Andre O. Wogenscky über "Form und Funk
tion im Wohnbereich" nach sprechen über das "Gespür für den Raum", wei
7,
chen damit allerdings meist in das rein Psychologische aus. Aber selbst wenn sie
sich mehr dem Praktischen als dem Affektiven zuwenden, beschränken sie doch
ihre Erhebungen - soweit sie das Funktionale betreffen - meist auf die Haus
haltsgrößen, auf die Anzahl der Menschen, die unter einem Dach schlafen und
am sei ben Tisch essen. Das aber bedeutet für den Soziologen nur einen der
Aspekte der Soziologie des Wohnens Die anderen entspringen "gewissen Ver
8.
haltensweisen, gewissen Attitüden und gewissen sozialen Verbindungen zu ge
wissen neuen Bedingungen des Lebens" und daher ist es überhaupt erlaubt zu
9,
sagen, daß die Architektur eine breite Mannigfaltigkeit sozialer Tatbestände
widerspiegelt und vereinigt.
Wenn wir uns nun bei unserer Untersuchung darum bemühen, diese sozialen
Tatbestände herauszuarbeiten und zu erweisen, so wollen wir hiermit mehr
fachen Zwecken dienen. Wir wollen erstens versuchen, konstruktiv zu formu
lieren, was bisher vielfach nur als in der Luft liegend empfunden wurde; wir
wollen zweitens dem unmittelbaren Zweck der Soziologie als Wissenschaft
dienen, nämlich sachliche Zusammenhänge zu entdecken; wir möchten drittens
einem latenten Skeptizismus gegenüber bestimmten sozial sanktionierten Vorstel
lungen durch erwiesene Realitäten zu Hilfe kommen; und letztens wollen wir ver
suchen, das so gewonnene Wissen Zwecken zugute kommen zu lassen, die wir
für wünschenswert erachten.
Unsere Untersuchung umfaßt die Zeitspanne vom 1. Mai 1961 bis 1. August 1962.
Nach Erhebungen im Stadtbezirk Köln und in der Stadtgemeinde Bergneustadt
wurde in unserem Auftrag im Mai/April1962 eine Spezialerhebung über "Woh
nen und Wohnungseinrichtung" vom Institut für Meinungsforschung und Sozial
forschung der EMNID, Bielefeld, durchgeführt. Gleichzeitig wurden Inhaltsanaly
sen von Wohnungszeitschriften und Möbelprospekten bewerkstelligt. Die dies
bezüglichen Fragebogen, Dokumente und Erläuterungen finden sich im Anhang.
Oberhaupt haben wir es vorgezogen, das gesamte untersuchungstechnische
Material separat vom Text im Anhang abzudrucken. Dies darum, weil wir wie in
unseren anderen Veröffentlichungen auch hier versuchen möchten, eine Arbeit
5 Svend Riemer, Architeclure for Family Living, in Journal of Social Issues, 1951, Vol. 7, S. 150
6 Ibid
7 Vortrag, abgedruckt in Drittes Diskussionsforum, Schöner Wohnen, Stuttgart 1960, S. 4 ff.
8 Cf. Paul Chombart de Lauwe, Soziologie des Wohnens, in Bauen und Wohnen, Juni 1962, S. 218
9 Paul Chombart de Lauwe, u. a., Familie et habitation, Paris 1960, Bd. 11, S. 17
9
vorzulegen, die nicht nur dem ausgebildeten Soziologen zugänglich ist. Sicherlich,
es werden fachliche Termini anzuwenden sein, aber es geht u. E. bei einem solchen,
weite Kreise der Gesellschaft betreffenden Thema nicht an, den Nicht-Soziologen
durch Statistiken zu verblüffen oder ihn damit zu verwirren. Dies insbeson
dere, da es eine anerkannte Ansicht der Sozialforschung ist, daß die Statistik
nicht dazu dient, Erfahrung und gesunden Menschenverstand zu ruinieren. Und
deswegen werden wir diejenigen, denen die Hilfe der Statistik genehm ist, bei
gegebener Gelegenheit jedesmal auf das Tabellenmaterial im Anhang verweisen.
Zum Abschluß dieser einleitenden Bemerkungen fühlen wir uns verpflichtet, dem
Forschungsinstitut für Soziologie der Universität Köln, seinem Direktor Herrn Prof.
Dr. Rene König, dessen Mitarbeitern Frau Prof. Dr. E. Seeger-Meistermann, Herrn
Privatdozent Dr. E. K. Scheueh, Herrn Dipl.-Kaufmann G. Kunz und unseren ge
treuen wissenschaftlichen Assistenten Fräulein Dipl.-Volkswirt H. Sauer und Herrn
Dipl.-Volkswirt eh. Rudolph sowie Fräulein Dipl.-Volkswirt G. Willenborg und
Herrn stud. rer. pol. W. Berewinkel unseren tiefempfundenen Dank für ihr Inter
esse und ihre Leistungen im Dienste einer Problematik auszusprechen, von der
dieser Tage mehr als einmal gesagt wird, sie berühre eines der brennendsten
Probleme unserer Zeit.
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KAPITEL 2
Soziologische Vorbemerkungen
In der Alltagssprache wird der Begriff" Wohnen" mit unumschriebener Selbst
verständlichkeit benutzt. Das ist durchaus begreiflich, und sagt man von einer
Person oder einer Familie: "Sie wohnt schön", so kann dies bedeuten, daß die
Wohnung geräumig, luftig oder bequem eingerichtet ist, daß sie gut gelegen
ist, in einem eleganten Haus sich befindet und noch vieles andere mehr. Hingegen
nicht so selbstverständlich wäre es, wenn auch eine wissenschaftliche Disziplin
einfach vom Wohnen spräche, ohne zumindest zu spezifizieren, welche von den
vielen Möglichkeiten gemeint sind. Nun ist es aber so, daß Ausdrücke wie "das
Wohnen", ebenso wie "die Musik" oder "die Kunst", nichts anderes sind als
Nominationen, d. h. Ernennungen, die die Gesellschaft gewissen, mit Dynamik
geladenen Vorstellungen gegeben hat. Da mit diesen jedoch in wissenschaftlicher
Hinsicht nicht viel anzufangen ist, bedarf es der Bestimmung oder der Umschrei
bung. Schlagen wir daraufhin eine Kulturgeschichte des Wohnens auf, so finden
wir gleich zu Anfang den bedeutsamen Satz: "Das Wohnen ist innig verknüpft
mit der Wohnung im engeren und mit dem Wohnhause im weiteren Sinne, es
kann nur im Zusammenhang mit diesen begriffen werden Von derartigen
10."
Aussprüchen anwärts, in diesen oder jenen Büchern werden die Ausdrücke "das
Wohnen", "das Haus" und "die Wohnung" wahllos miteinander vermengt, je
nach Situation und Argument.
Sieht man sich daraufhin die englische und amerikanische Fachliteratur an, so
findet man hier schon vom rein Sprachlichen her eine etwas feinere Differenzie
rung. Man spricht von "home" als vom Heim, von "Iiving" als vom Wohnen
und von "housing" als von der Wohnung oder der Unterbringung. Daher defi
niert der "Dictionary of Sociology" das Wort "housing" im engsten Zusammen
hang mit dem Wort "Iiving", indem es heißt: Housing ist 1. die Bildung von
Lebensmöglichkeiten für Menschen oder 2. Lebensmöglichkeiten für Menschen
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- und damit wären wir also auch im Englischen genausoweit wie vorher.
Dieses Dilemma, dessen Ursachen hier nicht weiter nachzugehen ist, macht sich
durch die gesamte soziologische Literatur hin bemerkbar. Oftmals wünscht man
10 Edmund Meier-Oberist, Kulturgeschichte des Wohnens im abendländischen Raum, Hamburg
1956, S.6
11 Henry Pratt Fairchild (Hrsg.), Paterson 1961, S. 145
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