Table Of ContentVom
monarchischen Konstitutionalismus
zur
parlamentarischen Demokratie
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Studien zur Regierungslehre und Internationalen Politik
llerausgegeben von
Klaus von Beyme, Günther Doeker,
Dieter Grosser, Winfried Steffani
I
l)ieter C;rosser
Vom monarchischen Konstitutionalismus
zur parlamentarischen Demokratie
Studien zur Regierungslehre und Internationalen Politik
Vom
monarchischen Konstitutionalismus
zur
parlamentarischen Demokratie
Die Verfossungspolitik
der deutschen Parteien im letzten Jahrzehnt
des Kaiserreiches
I)ieter (;rosser
11
Springer-Science+
Business Media, B.V. - 1970
© 1970 by Springer Science+ Business Media Dordrecht
Urspriinglich erschienen bei Martinus Nijhoff, The Hague, Nertherlands 1970
Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1970
Ali rights reserved, including the right to translate or
to reproduce this book or parts thereof in any form.
ISBN 978-90-247-0505-4 ISBN 978-94-010-3202-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-94-010-3202-5
Inhaltsverzeichnis
IX VORBBMBRKUNGBN
I BINLBITUNG: DBR MONARCHISCHB KONSTITUTIONALISMUS - BIN
'DILATORISCHBR KOMPROMISS'?
I A. Konstitutionelles und parlamentarisches System
4 B. Die Aufgaben des Reiches vor 1914
6 C. Die Führungsschwäche der monarchischen Kanzlerregierung
I I D. Der Antiparteienaffekt als Stabilisierungsfaktor
15 E. Entwicklullgstendenzen im Parteiensystem der Vorkriegszeit
31 TBIL I DIB STBLLUNG DBR DBUTSCHBN PARTBIBN ZUR
VBRFASSUNGSRBFORM 1907-1914
33 A. Die Sozialdemokratische Partei
33 I. Der Stand der Parlamentarismusdebatte am Beginn der Blockperiode
39 2. Das Vordringen der reformistischen Haltung zum Parlamentarismus
1907-1913
49 3· Das parlamentarische System als Verfassungsziel der SPD
55 4· Das theoretische Verständnis des parlamentarischen Systems
60 B. Die Linksliberalen
60 I. Verfassungsforderungen und Verfassungspolitik
64 2. Das theoretische Verständnis des parlamentarischen Systems
V
Inhaltsverzeichnis
69 C. Die NationalIiberalen
69 I. Verfassungsziele und Verfassungspolitik
72 2. Die Motive für die Ablehnung des parlamentarischen Systems durch die
Nationalliberalen
75 D. Das Zentrum
75 I. Verfassungsziele und Verfassungspolitik
79 2. Die Ideologie der wechselnden Mehrheiten
81 E. Die Konservativen
86 F. Die Faktoren der Stabilisierung der konstitutionellen Monarchie im Parteien
system
101 TEIL 11 REALITÄT UND IDEOLOGIE DES VERFASSUNGSWANDELS IM
WELTKRIEGE
103 A. Triebkräfte des Verfassungswandels 1914-1917
103 I. Veränderungen im Parteiensystem
103 a. Die SPD gewinnt eine Schlüsselstellung
II2 b. Die Schwenkung der Nationalliberalen in der Verfassungsfrage als
Folge des Kriegszielstreites
II8 c. Die Wendung des Zentrums vom Burgfrieden zur Friedensresolution
123 d. Die FVP im Wandel des Parteiensystems
124 e. Der Widerstand der Konservativen gegen die Verfassungsreform
126 2. Der Zusammenbruch der monarchischen Kanzlerregierung im Juli 1917
129 B. Die Ursachen für das Zögern der Parteien beim Griff nach der parlamentarischen
Regierung im Juli 1917
129 I. Erwägungen der politischen Strategie und Taktik
135 2. Die Kritik an den westlichen Verfassungsmodellen
139 3· Das Gegenbild der'd eutschen' Demokratie
VI
Inhaltsverzeichnis
145 C. Taktik und Ideologie in der Verfassungspolitik 1917-1918
145 I. Parlamen, t und Regierung unter der 'deutschen Form des Parlamen-
tarismus
152 2. Die Verfassungsdiskussion in SPD und USPD
163 3· Die Verfassungsdiskussion in der FVP
168 4· Die Verfassungsdiskussion in der Nationalliberalen Partei
174 5· Die Verfassungsdiskussion im Zentrum
178 6. Die Verfassungsdiskussion bei den Konservativen
205 TEIL III ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
207 A. Hindernisse und chancen für den Übergang zur parlamentarischen Regierung
im deutschen Parteiensystem vor 1918
216 B. Belastungen der Weimarer Demokratie
221 QUELLEN UND LITERATUR
VII
Vorbemerkungen
Das parlamentarische Regierungssystem wird in Deutschland wieder einmal scharfer
Kritik unterzogen. Radikaldemokraten und Radikalsozialisten sehen in ihm eine repres
sive Institution des 'spätkapitalistischen' Staates, dazu bestimmt, die 'Massen' von der
Herrschaft fernzuhalten, während ihnen die Illusion vermittelt wird, souveränes Volk
zu sein Andere Sozialwissenschaftler und Publizisten, die sich der liberalen Theorie
1.
des Parlamentarismus verbunden fühlen, sprechen vom Machtverlust des Parlaments,
das zum 'gouvernementalen Begleitchor' herabgesunken sei und seine Kontrollfunk
tion nicht mehr wahrnehme. Allen Beobachtern gemeinsam ist die Klage darüber, dass
im gegenwärtigen parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik, aber auch
Grossbritanniens, die Kluft zwischen dem politisch Möglichen und dem aus sachlichen
Gründen Notwendigen zu gross geworden sei, weil es zu wenig Mittel gebe, eine
vorausschauende Politik gegen die Sonderinteressen der Vetogruppen durchzusetzen.
Unmittelbare Impulse dieser Kritik bildeten in der Bundesrepublik die Rezession
1966/67 und das Unbehagen über die Grosse Koalition, in Grossbritannien die man
gelnde Leistungsfähigkeit der Regierung bei der Bekämpfung der jahrelangen Zahlungs
bilanzkrise. Obwohl die Bundesrepublik bisher (1969) vor geringeren Schwierigkeiten
stand als Grossbritannien und mindestens die ökonomischen Probleme besser lösen
konnte, ist hier die Kritik am parlamentarischen System grundsätzlicher und erregter;
es scheint, als ob sich trotz der politischen und wirtschaftlichen Erfolge der fünfziger
Jahre noch kein breiter und fester consensus der Bürger über das Bonner Regierungs
system gebildet hat und die Bewährungsprobe dieses SysteIns noch aussteht.
In dieser Lage gewinnt die Debatte um die Einführung des parlamentarischen
Systems in Deutschland, die vor allem zwischen 1907 und 1918 geführt wurde, neue
Aktualität. Nur wenige der heute vorgebrachten Argumente für oder wider das parla
mentarische System sind neu; die meisten wurden schon im Streit um die Verfassungs
politik vor 1918 verwendet. Im besonderen wirkt die gegenwärtige radikaldemokra
tische oder radikalsozialistische Kritik am parlamentarischen System wie eine Wieder
aufnahme der von Rosa Luxemburg, aber auch von Teilen der Mehrheitssozialdemo
kratie verfochtenen Thesen. Es wird zu prüfen sein, ob diese Thesen unter den sozialen
und politischen Bedingungen vor 1918 zweckrational, d.h. ob sie geeignet waren, die
Ziele der verschiedenen sozialistischen Gruppen zu fördern. Eine Beantwortung dieser
Frage wird auch das Urteil darüber erleichtern, ob die inhaltlich sehr ähnliche gegen
wärtige Kritik unter den heutigen Bedingungen Zweckrationalität beanspruchen kann.
Vorrangiges Motiv der folgenden Untersuchung ist jedoch nicht der aktuelle Bezug,
sondern die Frage, warum in den deutschen Parteien vor 1918 die Bereitschaft zur
IX.
Vorbemerkungen
Durchsetzung des parlamentarischen Systems und damit zum Griff nach der Macht
kaum vorhanden war. Lediglich die linksliberale Fortschrittliche Volkspartei trat
einigermassen geschlossen für das parlamentarische System ein; die Mehrheit in den
Führungsgruppen der Sozialdemokratie akzeptierte nach langen Auseinandersetzungen
das parlamentarische System lediglich als Notlösung; im Zentrum und bei den Natio
nalliberalen überwogen die Anhänger der monarchischen Kanzlerregierung. Die Ant
wort auf die Frage nach den Ursachen dieser Abstinenz von der politischen Macht kann
als ein Beitrag zur deutschen Verfassungsgeschichte und zur Theorie der Parteien be
trachtet werden. Es wird zu zeigen sein, dass die Entwicklung von der monarchischen
Kanzlerregierung zum parlamentarischen Regierungssystem keinesfalls so einleuchtend
und zwingend war, wie es dem rückblickenden Betrachter erscheinen mag, vor allem,
wenn er im parlamentarischen System das unter den Bedingungen der modernen
Industriegesellschaft leistungsfähigere Regierungssystem sieht. Gewiss stieg nach 1890
der Einfluss des Reichstages und damit der Parteien im Vergleich zu dem des Kanzlers,
des Monarchen, der Staatssekretäre und des preussischen Staatsministeriums, doch diese
'Demokratisierung des deutschen Konstitutionalismus' war eher die Folge der system
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bedingten Führungsschwäche der monarchischen Kanzlerregierung und des steigenden
Finanzbedarfs des Reiches als einer zielbewussten und kontinuierlichen Politik der
Reichstagsparteien, die weder eine klare verfassungspolitische Zielvorstellung noch
eine konsistente Verfassungspolitik entwickelten - wenn man von der folgerichtig
durchgehaltenen reaktionären Politik der Konservativen absieht.
In der Literatur ist das Problem bisher vor allem unter ideengeschichtlichen Aspekten
untersucht worden, oder es wurde der Prozess der 'Parlamentarisierung' 1917/18 auf
gezeichnet und analysiert. So hat die deutsche politische Wissenschaft die Frage nach
den 'historischen Vorbelastungen des deutschen Parlamentarismus' gestellt. Es wurde
3
nachgewiesen, dass Fehlinterpretationen der englischen Verfassung dazu beitrugen, das
Verständnis für den durch die Demokratisierung hervorgerufenen Wandel des eng
lischen Parlamentarismus zu erschweren Die von Erich Matthias und Rudolf Morsey
4.
herausgegebenen Quellen zum Interfraktionellen Ausschuss und zur Regierung Max
von Baden 5 gewährten neue und aufschlussreiche Einblicke in die Verfassungsentwick
lung nach der Julikrise 1917. Udo Bermbach hat in seiner eindringlichen Analyse dieser
Quellen 8 den Prozess der Parlamentarisierung 1917/18 und die Übergangsform des
'deutschen Parlamentarismus' dargestellt. Alle diese Untersuchungen und Editionen
lassen aber die Frage nach den Ursachen der zaghaften und unsicheren Verfassungs
politik der Parteien offen. Lediglich Theodor Eschenburg hat in seinem Aufsatz 'Die
improvisierte Demokratie' eine Antwort versucht 7, sich dabei aber auf die ideen
geschichtlichen Einwirkungen konzentriert. Das jetzt vorliegende Quellenmaterial er
laubt eine Untersuchung, die ideengeschichtliche, verfassungssystematische und partei
taktische Analysen verbindet und die Wurzeln der Verfassungsideologieindem Streben
der Parteien nach Selbstbehauptung, nicht nur in historisch geprägten Denkstere0-
typen, herausstellt.
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