Table Of ContentBERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG
Philologisch-historische Klasse
Band, 97 • Heft 6
FRANZ DORNSEIFF
VERSCHMÄHTES ZU VERGIL
HORAZ UND PROPERZ
1951
A K A D E M I E . V E R L A G • B E R L IN
Vorgelegt in der Sitzung vom 12. XII. 1949, S. 25—34 vorgetragen
in der Sitzung vom 17. VII. 1950
Manuskript eingeliefert am 14. Januar 1950
Druckfertig erklärt am 24. Februar 1951
Erschienen Im Akademie-Verlag GmbH., Berlin NW 7, Sobttfbauerdamm 19
Lizenz-Nr. 156 • 100/14/60
Tribüne Verlag und Druckereien des FDOB GmbH, Berlin VOB (Z) Zentrag
Tribüne Druckerei III Leipzig 111718/36 600
Bestell- und Verlagsnummer: 2026/97/6
Preis: 11,50 Dil
Inhalt
Seite
Vergils Gedichtbuch Kataleptra als ein überlegtes Ganzes 7
Aetna 26
Culex 35
Vergils ekloge 4 und Horazens epodos 16 44
Jüdische Motive in Horazens sermones 64
Beziehungen zu Vergil und den LXX in Carmina I—III 72
Properz und Vergil 86
Properz und Horaz 91
Zu Horatius carmina IV 97
Zeittafel
Um 55 Catullus f.
Vor 44 Aetna.
44 Julius Caesar ermordet.
42 Hoj-az, 23jähriger Student in Athen. Wird tribunus militum
im Heer der optimatischen Caesarmörder Brutus und Cassius.
Deren Niederlage und Tod bei Phjlippoi. Horaz flieht, kommt
in Rom unter.
Um 40 Dirae-Lydia.
40 Vergilius, ekloge 4.
39 Vergil (31 jährig), Eklogai oder Bukolika.
38 Horaz von Yergil dem Maecenas vorgestellt.
37 Iter Brundisinum.
35 Horatius, Saturae oder Sermones I.
31 Seesieg Agrippas bei Aktion (Prevesa) über M. Antonius.
Octavianus Alleinbeherrscher des Römischen Reiches.
Maecenas schenkt dem Horaz das Landgut Sabinum.
30 Horaz, Saturne II. Epödoi oder Jamboi.
29 Vergil, Geörgika.
28 Edikt über die Tempelwiederherstellung. Errichtung des
Mausoleum Augusti. Culex. Propertius I (oder 32 v.Chr.).
27 Der Senat verleiht Octavianus den Beinamen Augustus.
27—25 Augustus in Gallien und Spanien. Plan eines Eng-
landfeldzuges.
26 Horaz, Römeroden. Propertius II. Livius, Historiae 27—9
v. Chr. Tibullus I.
6 Zeittafel
23 Horaz, Carmina I—III.
22—19 Augustus in Asien. Der Partherkönig Phraates schickt
die beim Sieg über Crassus erbeuteten römischen Feldzeichen
zurück. Um 22 Propertius (I-)III.
20 Horaz, Epistulae I.
19 Tibull f. Vergil f : Aenejs.
18 Horaz, Epist. II 2 an Florus.
17 Horaz, Carmen saeculare.
16/15 Propertius IV. Dann wohl bald f.
14 Horaz, Epistula II 1 über Literatur an Augustus.
13 Horaz, Carmina IV. Darnach Ars poetica ad Pisones.
8 Maecenas f. Nach 8 Tagen Horaz f-
Vergils Gedichtbuch Katalepton als überlegtes
Ganzes
Das Gedichtbuch mit einem der griechischen Titel, die Yergil
stets hat1, ist in den letzten Zeiten von mannigfacher Seite als von
Vergil herrührend verteidigt worden. VOLLMER, BIET, DE WITT,
ROSTAGNI, E. K. RAND, TENNEY FBANK, R. B. STEELE haben ent-
weder alle oder die Mehrzahl der Stücke für echt erklärt. Aber die
Meinung ist es im allgemeinen nicht, es fehlt auch nicht an Wider-
spruch, ich nenne nur KLOTZ und BICKEL. Ich möchte im folgen-
den einige der ins Feld geführten Argumente anders fassen und
das Buch in seinem Buchzusammenhang zeigen.
És ist amSchluß geschützt durch denKolophonvonvierVersen:
Illius haec quoque sunt divini elementa poetae
sagt diese Stimme und stellt Vergil mit Theokrit (für die Buko-
lika), mit Hesiod (für die Geörgika) und Homer (für die Aeneis)
auf eine Stufe. Mag der Verfasser der zwei Schlußdistichen nun
der Freund Varius oder Tucca oder ein späterer Grammatiker
sein: ihrer Abfassung lag ein Buch mit befremdlichen darin zu
lesenden Stücken zugrunde, also bis auf weiteres doch wohl das,
an dessen Schluß dieses Gedicht steht, unser Katalepton. DasBuch
ist ja noch heute eine Überraschung für die Leser, die sich ihr
festes Vergilbild nach den drei Hauptwerken gebildet haben.
1 Hrsg. von VOLLMER-MOREL. Appendix Vergiliana, Leipzig 1935. Gesamte
erklärung von TH. BIRT, Jugendverse und Heimatpoesie Vergils, Leipzig 1910.
Die Literatur ist verzeichnet bei R. E. H. WESTENDORP BOERMA, P. Vergili
Maronis Catalepton, Diss. Groningen 1949. Pars prior. Der Titel xaxi XSÄTO'V
bedeutet ,en détail, pfennigweise'.
8 FBANZ DORNSEIFF
Es ist angelegt wie andere römische Gedichtbücher jener Zeit,
wie die von Catull, Horaz, Tibull1, Properz, Ovid. Diese Buch-
technik geht mindestens bis auf Theognis zurück2. Gern beziehen
sich darin mehrere Gedichte auf die gleiche Angelegenheit, den
gleichen Menschen. Diese stehen aber nicht beieinander, sondern
sind durch andere getrennt. Es können natürlich auch etliche
zusammenstehen, wie bei Catullus. Es entsteht so der Eindruck
beim Leser, daß durch das Buch Handlungsfäden laufen, man
merkt beim Fortsetzungsstück: jene Sache war noch nicht erle-
digt, sie geht weiter. Ich erinnere im Catull an die Lesbiareihe,
die Basiareihe, die Juventiusreihe (s. unten S. 19), im Horaz
an die Canidiareihe. Genau so steht es im Katalepton: 6 und 12
brandmarken den Noctuinus in catullischer Invektive unter Zi-
tierung des Catull, es folgt das tollste Stück 13. 4 und 11 gelten
dem Freunde Musa, Huldigung und anzapfender Nachruf. Eng
gehören ferner zusammen die philosophischen Stücke 5, 7, 8.
Sind die drei Priäpeia echt (s. unten), so bilden sie ein itoocroutov
rn^auvss des Frohsinns. Mehrere Stücke sind absichtliche Rätsel:
1, 3, vielleicht auch 11.
1. De qua saepe tibi. Ein schwermütiger Liebesseufzer anTucca,
ein feines, zartes Epigramm, das Aenigmatische darin ist ver-
schwiegene Liebe; die sich nur dem nahen Freunde Tucca mit-
teilt. Dazu hat E. REITZENSTEIN3 die ähnlichen Stücke Anthol.
Pal. XII 24—27 herangezogen. Bei Yergil heißt es: sie, von der
ich dir sprach, ist gekommen, aber leider nicht für mich. Die
griechischen Gedichte der zwei Römer Laurea und Statilius sagen:
der schöne Knabe Polemön ist zurückgekommen, wie wir es oft
erfleht hatten, aber leider bärtig geworden. REITZENSTEIN glaubt,
aus einigen sprachlichen Einzelheiten, die ihm auffallen, gehe
1 Über den Buchzusammenhang und Handlungsfaden von Tibull I verstän-
dig R.HELM, Philol. Wochenschr. 1939, 133ff.; natürlich, ohne einen realen
biographischen Roman hineinzulegen.
2 Vf., Echtheitsfragen antik-griechischer Literatur, Berlin 1939, 22'ff.
3 E. REITZENSTEIN, Rhein. Mus. 79 1930, 65 ff.
Verschmähtes zu Veigil, Horaz und Proporz 9
zwingend hervor, daß Katal. 1 eine ungeschickte Nachahmung
jener vier griechischen Variationen über die Bartkatastrophe ist.
Innerlich viel wahrscheinlicher ist, daß die griechischen Witz-
gedichte der beiden Römer Parodien des sehr gefühlvollen Ka-
taleptonstückes sind. Vergil ist von seinen Zeitgenossen par-
odiert worden, im kleinen, wie in der Neuzeit von Folengo, Lalli,
Scarron bis Blumauer im großen,
2. Corinthiorum amator iste verborum. Invektive in Hinkjam-
ben ä la Catull gegen einen Giftmischer und Attikisten. Zur Er-
klärung REITZENSTEIN 70 ff. Hosius wendet ein: „auf griechi-
schen Reminiszenzen beruhend". Dann ist die ganze Aeneis un-
echt mitsamt einem Großteil der römischen Literatur. Mit Catull
verbinden das Katalepton eine Menge Linien, die das Buch als
ein typisch neöterisches, auf jeden Fall voraugustisches Doku-
ment erscheinen lassen.
3. Bei dem großen Toten Aspice quem valido riet man auf ver-
schiedene: Alexandros den Großen, Ant'ochos, Mithridates, Phra-
ates, Pompeius, M. Antonius. Die richtige Deutung muß zu fol-
gendem Mann passen: ein regnum, das Rom mit Knechtschaft
bedrohte, hatte ihn bis zum Himmel gehoben. Er hatte in welt-
umfassendem Krieg Könige von Asien gestürzt, war schließlich
im Exil gestorben. Das alles stimmt nur zu Pompeius. Zu dem
Ausdruck regnum, der auf den ersten Blick einen Römer auszu-
schließen scheint, hat ENK1 Cicero ad Attic. VIII11,1 zitiert:
Dominatio quaesita ab utroque (Caesar und Pompeius) est: non
id actum, beata et honesta civitas ut esset. Hoc a primo cogitavit,
omnes terras, omnia maria movere; reges barbaros incitare, gen-
tes feras armatas in Italiam adducere, exercitus conficere maxi-
mos. Genus illudSullani regni iam pridem appetitur, multis,
qui una sunt, cupientibus. An censes, nihil inter eos convenire,
nullam pactionem fieri potuisse? Hodie potest. Sed neutri axojtö?
est ille, ut nos beati simus; uterque regnare vult. Cicero be-
1 E NK. Natalicium Schrijnen, Utrecht 1929, 755 ff. (mit B URMANN. T. FRANK,
ROSTAGNI).
10 FaANZ DOKNSEIFF
fürchtet den Verlust der Freiheit von Pompeius so gut wie von
Caesar. Genau so hat auch Vergil ihn gesehen, gesteht ihm frei-
lich auch Größe zu. Das Gedicht ist also ein hochaktueller Nach-
ruf nach 48 und tritt als Beleg für die Tyche-Auffassung (V. 9
deae numen) politisch-historischer Geschehnisse an die Seite von
Horaz c. 134 f. Innerhalb des Kataleptpn steht das Stück gegen
Anfang des Buches wie ekl. 4 in den Bukolika: paulo maiora
canamus. Das bessere Bürgertum wie Cicero, Catull, Livius war
auf Pompeius' Seite, wie nach 44 auf der Seite der Caesarmörder
(s. Propertius, Horatius). Es ist keine Überraschung, dieselbe
gefühlsmäßige Einstellung auch bei dem jungen Yergil zu finden,
der ohne die zufällige hohe Protektion aus dem höchsten totali-
tären Stockwerk unter den Enteigneten gewesen wäre.
4. Quocumque ire fer.unt. Freundschaftserklärung an Octavius
Musa1, kleine Elegie.
5. Ite hinc inanes, ite rhetorum ampullae sagt dem vergnügten
Rhetorikbetrieb, den Freunden, den Liebesknaben (formosi), der
Poesie Yalet: jetzt will ich solide werden, ein richtiger Philosoph
wie Seirön, ein jtQOxojttcov zx ¿gerf). Der als Freund angeredete
Sabinus ist natürlich identisch mit dem mulio von 10, sichtlich
ein finanziell erfreuliches Mitglied des Kreises, ein maßgebender
Älterer, bei dem Yergil sich abmeldet2.
6. Invektive k la Catull gegen eine feine Familie. Weder für
dich noch für den andern, Socer beate, nec tibi nec alteri, geht
ein so schönes Mädchen aufs Land. Vater Atilius und der aus-
ersehene Schwiegersohn Noctuinus — doch wohl Spitzname —
haben sie beide beschlafen. Und mir habt ihr ebenfalls alles ver-
dorben, wie bei Catull 29,24 socer generque Pompeius und Caesar
alles in der Politik verdorben haben. In dem gener socerque per-
didistis omnia liegt eine eindeutige politische Zitatfrechheit.
1 W. KROLL. Octavius Musa, RE 17 1936,1851 f.
* Dazu SCHADEWALDT in: Aus Roms Zeitwende, Erbe der Alten II 20,
Leipzig 1931, 74. L.ALFONSI, Riv. filol. 19 1942, 260 ff. setzt das Gedicht als
einen 7tpoxp£jttixo; mit Ciceros Hortensius in Verbindung.