Table Of ContentWolfgang Zierhofer . Dieter Steiner (Hrsg.)
Vernunft angesichts cler U mweltzerstorung
Wolfgang Zierhofer· Dieter Steiner (Hrsg.)
Vernunft angesichts
der Umweltzerstörung
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Vernunft angesichts der Umweltzerstorung /
Wolfgang Zierhofer; Dieter Steiner (Hrsg.). -
Opladen: Westdt. VerI., 1994
NE: Zierhofer, Wolfgang [Hrsg.]
ISBN 978-3-531-12510-7 ISBN 978-3-663-11746-9 (e8ook)
DOI 10.1007/978-3-663-11746-9
Aile Rechte vorbehalten
© 1994 Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprlinglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1994.
Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt.
Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes
ist ohne Zustimmung des Verlags unzuliissig und strafbar. Das gilt insbe
sondere fur Vervielfiiltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und
die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt
Umschlagbild: Jurg Kreienbuhl, Einmachgliiser
Gedruckt auf siiurefreiem Papier
Inhalt
Vorwort
9
I Sprache unil Erkennen
RationaUtiit: Ein dubioser Begrijf in der Umweltdebatte
Christian Thomas
17
PoUtik der Demut
Zum Verhaltnis von Sprache und Umwelt
Markus Waldvogel
33
II Wirtschajt, Politik und Moral
Schwierigkeiten bei der Umsetzung okologischer Einsichten
in okonomisches Handeln
Ein Orientierungsversuch aus wirtschaJtsethischer Sicht
Ulrich Thielemann
45
Sind Hoffnungen auf eine kommunikative RationaUtiit berechtigt?
Probleme des Widerstreits poUtischer und ethischer RationaUtiitstypen
Walter Reese-Schafer
69
ZukunJtsethik und advokatorisches Handeln
Heinz Kleger
89
III Kommunikative Ethik und Emanzipation
Lebenswelt, Metaphysik und Umweltethik bei Habermas
Peter Dews
103
Wo bleibt die Emanzipation der Natur?
Habermas' kritische Theorie aus okozentrischer Sicht
Robyn Eckersley
119
1st die kommunikative VemunJt der okologischen Krise gewachsen?
Ein Evaluationsversuch
Wolfgang ZierhoJer
161
VemunJtig werden heifit weiblich werden!
Beitrag zu einer evolutionaren BewujJtseinsokologie
Dieter Steiner
197
Die Autorlnnen
265
Amroui, der Strassenwischer. Jiirg Kreienbiihl1974
Vorwort
Hat vielleicht das Umschlagbild Ihre Neugier an unserem Buch geweckt? In der
Zeit, als dieses Buch fur den Druck vorbereitet wurde, stolperte ich (WZ) tiber
einen Artikel im Feuilleton-Teil meiner Tageszeitung. Kaum batte ich in der
Ftille der Buchrezensionen, der Theaterkritiken und Schallplattenbesprechungen
meine Aufmerksamkeit einem Bericht tiber eine Ausstellung gewidmet, waren
nicht einige von ]urg Kreienbuhls Bildem, wenn auch klein und schwarz-weiB,
abgedruckt gewesen. Zwar ist dieser Artikel mittlerweile irgendwo inmitten
meiner Papier- und Bticherberge verscholIen; doch Kreienbtihls Bilder lieBen
mich seither nicht mehr los. Ich muBte gleich mit Dieter sprechen: "Da malt doch
einer das, wovon unser Buch handelt - findest Du nicht auch?"
So lag es fur uns auf der Hand, das Buch zu illustrieren und Jtirg Kreienbtihl
fur dieses Vorhaben zu gewinnen. Ein Besuch in seinem Basler Atelier zeigte
uns, daB sich Kunst und Wissenschaft sehr wohl bertihren konnen. Jtirg Kreien
btihl sagt von sich, daB er mit seinen Bildem die Wahrheit sucht. Seine Kunst
orientiert sich am Code der Wissenschaft. Die Versuchung liegt nahe, in der
naturalistischen Abbildung das Wahre sehen zu wollen. Diese Deutung ware
allerdings alIzu einfach!
Die Wahrheit, die Kreienbtihl meint, bezieht sich auf das Wesen der Dinge,
auf das, woftir das Sichtbare steht, weil es durch dieses hervorgebracht wurde.
Naturalistisch zu malen ist ein Mittel, urn einen realistischen Standpunkt einzu
nehmen. Gerade indem sich Kreienbtihl keine arrangierenden Eingriffe gestattet,
werden seine Bilder zu Zeugnissen. Ftir uns Herausgeber sind sie in einem tiefen
Sinn politische Zeugnisse. Wir meinen nicht Politik im Sinne von Parteipolitik,
sondem Politik fur grundlegende Werte wie HumaniUit, Aufrichtigkeit, Offen
heit, Toleranz, ja auch fur eine praktische Vemunft, die sich am gesamten
Lebenszusammenhang ausrichtet, ftir eine Vemunft in deren Rahmen Wahrheit
nicht zu hintergehen ist, auch wenn sie letztlich niemand ftir sich alleine bean
spruchen kann.
Jtirg Kreienbtihl zeigt uns, was andere schon fur unwtirdig befunden und aus
ihrem Blick verbannt haben. Er ftibrt uns das Innen und das AuBen unserer Kul
tur, die gleiBenden Fassaden und die HinterhOfe vor Augen. Er widmet sich
ebenso dem Jenseits der Stadtplanung wie dem Fremden und Befremdlichen in
unserer Kultur. Obwohl Kreienbtihl auch vom Monumentalen der GroBstadt
fasziniert ist, liegt ihm letztlich die Bannmeile naher, und ihre Menschen stehen
haufig im Vordergrund seiner Bilder.
Deshalb solI auch Amroui die Ehre gebtihren, die Reihe der in diesem Band
versammelten Schriften und Bilder zu erOffnen. Er verrichtet Entsorgungsarbeit,
eine Arbeit, die es nur in Kulturen geben kann, die sich schon weitgehend ihre
eigene Umwelt und mit ihr einen Rattenschwanz von Sorgen und geschaffen
haben. Was mag es fur den Algerier Amroui in Paris bedeutet haben, sein Geld
damit zu verdienen, Tag fur Tag den "Glanz" einer Wiege von Rationalismus
10
und Modeme aufrecht zu erhalten? Ob er sieh die Frage stellte, warum gerade
Leute wie er mit solchen Arbeiten betraut werden?
Wie das Titelbild, so stammen auch einige andere der in diesem Buch repro
duzierten Gemiilde aus der zoologischen Galerie des Jardin des Plantes in Paris.
Diese Institution ist eine der Geburtsstatten der modemen Naturwissenschaften
und zugleieh der Prototyp des naturhistorischen Museums. 1st es Zufall, daB an
diesem Ort die Erfahrung der Natur im Namen der wissenschaftlichen Rationali
tat in Glas und Konservierungsmitteln erstarrt ist?
Immer wieder stellen wir uns vor Jiirg Kreienbuhls Bildem die Frage, die uns
auch angesiehts der Umweltzerstorung bedrangt: Welche planende, sezierende,
ordnende, verwaltende, strebende und konservierende "Vemunft" ging da zu
Werke? Gibt es eine Vemunft, die uns in einer unubersichtlichen und wider
sprtichlichen Welt den Weg wei sen konnte?
Bei allem Geschehen ist irgendeine Art von Rationalitat leitend: in der Farnilie
und im Bekanntenkreis, bei den BehOrden, in den Firmen, an den Hochschulen.
An eine ubergeordnete Vemunft, die die Rationalitaten verschiedenster Bereiche
unter einen Hut brachte, laBt sieh allerdings kaum glauben, solange homo sapiens
mit aller Kraft - fast mochte man sagen: zielgerichtet - damit beschiiftigt ist,
seine eigenen Lebensgrundlagen und damit letztlich sich selbst zu vemichten.
Eine Zeitlang schien es, als ob gerade die fortschreitende Gliederung der
modemen Gesellschaft in Bereiehe mit eigenen Aufgaben uns je liinger desto
besser erlaube, mit allen Problemen erfolgreich urnzugehen. Inzwischen zeigt
sich jedoch, daB die funktionale Differenzierung selbst zum Problem geworden
ist. Es besteht leider auch kaum AnlaB zur Annahme, alles konnte am Ende doch
noch einigermaBen gut gehen, indem sich die widerstreitenden Teilrationalitaten
gegenseitig die Waage halten und auf diese Weise die fehlende Ganzheit er
setzen. 1st einer Gesellschaft aber einmal die ubergeordnete Orientierung abhan
den gekommen, besteht die Gefahr, daB sich eine Teil-Sieht anmaBt, in die Lucke
zu springen und fUr das Ganze zustiindig sein zu wollen. Diese Rolle spielt heute
das okonomisch-technische System. Von der globalisierten Marktwirtschaft wird
erwartet Wunder zu wirken: Sie solI angeblich das egoistische Verhalten Einzel
ner in das Wohl der Gemeinschaft umwandeln konnen. Umweltprobleme sind
dann nur Storungen einer narurliehen Harmonie innerhalb des Systems und ihre
Uberwindung nur eine Frage der Effizienzsteigerung.
Wenn wir aber nieht daran glauben wollen, daB Moral nichts in der Wirtschaft
zu suchen habe, dann heiSt die Frage: Wie mobilisieren wir die Verantwortlich
keit und das Gewissen als Instanzen gegenuber der gesetzesartigen Eigendy
narnik des Marktes? Etwa durch einen allgemeinen BewuBtseinswandel bei den
am Wirtschaftssystem teilnehmenden Subjekten? Durch die Einsetzung von
richtungsgebenden Ethik-Kommissionen? Oder durch die Schaffung einer unab
hiingigen ordnungspolitischen Instanz, die die Reiehweiten des Marktes
beschneiden solI?
Da Okonomie, Technik und Wissenschaft in der Modeme fUr sich offensicht
lich nur je eine Teil-Vemunft in Anspruch genommen haben, mussen wir uns
auch fragen, welches denn uberhaupt unsere Moglichkeiten sind, vemunftig zu
Vorwort 11
handeln? Wie kann sich der vergesellschaftete Mensch seiner Umwelt so nahem,
daB er sie als Voraussetzung fUr das Weiterleben seiner Gattung erkennt und sie
dementsprechend schonungsvoll nutzt? Kann er sie dartiber hinaus auch als an
sich wertvoll erfahren und sich auch aus diesem Grunde urn die Erhaltung ihrer
vielfaltigen Erscheinungsformen bemtihen? Gerade die Begabung zur Vemunft
war und ist die Grundlage der Gestaltungskraft des Menschen, die es ihm ermog
licht, sich seiner Natur wie einer Modelliermasse oder einem Verbrauchsgegen
stand gegentiberzustellen. MuB diese Situation nicht als existentielle Krise
beschrieben werden, die zur Reflexion der Vemunft selbst anhalt? Was solI Ver
nunft denn noch heiBen und versprechen, wenn sie selbst als Voraussetzung der
okologischen Krise zu begreifen ist!
So paradox es erscheinen mag, uns modemen Menschen bleibt keine andere
Wahl, als uns am eigenen Schopf aus der Misere zu ziehen. Wir mtissen ver
suchen, Vemunft (und ihre Grenzen) aus sich selbst heraus zu bestimmen, urn
uns auf dieser Grundlage dem Verhaltnis von men schlicher Subjektivitat und
Natur anzunahem. Mit einer Seminarreihe zum Titel dieses Buches hat die
Gruppe fUr Humanokologie am Geographischen Institut der Eidgenossischen
Technischen Hochschule in Ztirich einen Schritt in diese Richtung untemommen.
Eine thematisch begrenzte Auswahl von Beitragen zu diesem Seminar ist nun in
diesem Band versammelt.
Die Teilhaftigkeit vorherrschender Vemunftvorstellungen in unserer Zivilisation
findet ihre Entsprechung im Sprachgebrauch. Diesem Aspekt ist der erste Teil
des Buches "Sprache und Erkennen" gewidmet. 1m ersten Beitrag wirft Christian
Thomas der klassischen Naturwissenschaft vor, sie baue auf einer verktirzten
Auffassung von Rationalitat auf, die keinen Bezug zur Gesamtheit der Lebens
umstande aufweise und asthetische, emotion ale und intuitive Erkenntnisfahig
keiten ignoriere. Zwar entstand in den 70er Jahren mit der engagierten Okologie
in der akademischen Umweltbewegung eine Gegenstromung, die auch der Liebe
zu Tieren und Pflanzen Raum gewahrte. Unterdessen aber ist die Okologie
wieder fest in den Kanon der etablierten Wissenschaften integriert, z.B. in Form
der "Umweltnaturwissenschaften". Genau dies bedeutet aber, daB von dieser
Seite allein keine tragenden Ansatze zur Losung der okologischen Krise erwartet
werden konnen. Thomas pladiert deshalb fUr eine Offnung der Wissenschaft hin
zu anderen, insbesondere ktinstlerischen Erkenntnisformen und Motivationen.
Markus Waldvogel setzt sich sodann mit der technokratisch verengten Sprache
innerhalb des okologischen Diskurses auseinander. Dieser liegt die Vorstellung
zugrunde, mittels Systematisierung und Formalisierung waren die Wissensgrund
lagen zu gewinnen, die es uns ermoglichen sollten, der Umweltproblematik Herr
zu werden. So ist beispielsweise bei Vester die Rede von GesetzmaBigkeiten ver
netzter Systeme, so spricht Amery yom Materialismus, der verandem, aber auch
erhalten kann, und so traumt Laszlo von der Moglichkeit, die Evolution selbst in
die Hand zu nehmen. Mit einer sprachkritischen und auch asthetischen Vemunft
will Waldvogel den Tendenzen, durch die Sprache ein- und auszugrenzen, entge
gentreten. Letztlich sind es namlich die poetischen Zugange zur Welt, die das