Table Of ContentVerhärtete Fronten
Thorsten Gerald Schneiders
Verhärtete Fronten
Der schwere Weg
zu einer vernünftigen Islamkritik
Herausgeber
Th orsten Gerald Schneiders
Duisburg, Deutschland
ISBN 978-3-531-18140-0 ISBN 978-3-531-94220-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-531-94220-9
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© VS Verlag für Sozialwissenschaft en | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012
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Inhalt
Einleitung ............................................................................................................ 7
Islamfeindlichkeit
Deutschlands Muslime im Spiegel des Antisemitismus.
Anmerkungen zur Entstehung und Tradition des Feindbildes Islam ................ 15
Woifgang Benz
Historische und theologische Gründe der europäischen Angst
vor Muslimen .................................................................................................... 25
Thomas Nawnann
Zu schwach, um Fremdes zu ertragen? Streit um den Bau von Moscheen
in Deutschland .................................................................................................. 43
SalomonKom
Wie weit müssen wir Muslimen entgegenkommen? Ein Essay über
Grundgesetz, Christentum und Islam vor dem Hintergrund
der Kopftuch-Frage ........................................................................................... 53
Ernst-Woifgang Böckenjörde
Islamophobie und die deutschen Bundestagsparteien.
Eine Analyse vom 27. Oktober 2009 bis 9. Juni 2011 ...................................... 57
FaridHafez
Die dunkle Seite der Islamkritik. Darstellung und Analyse der
Argumentationsstrategien von Henryk M. Bmder, Ralph Giordano,
Necla Kelek, Alice Schwarzer und anderen ...................................................... 77
Thorsten Gerald Schneiders
Rassismus inklusive - das ökonomische Prinzip bei Thilo Sarrazin ................ 97
Hannah Schultes / Siegfried Jäger
6 Inhalt
Nach Sarrazin - Hintergründe, Ursachen und Wirkung
einer deutschen Debatte .................................................................................. 119
Klaus J. Bade
Vernünftige Islamkritik
Wie sich die islamische Welt selbst zur Opferhaltung erzieht.
Untersuchung zum Umgang rnit der eigenen Geschichte am Beispiel
eines ägyptischen Schulbuchs für die Oberstufe ............................................ 127
Hamed Abdel-Samad
Fundamentalismus - von der Theologie zur Ideologie ................................... 13 7
Nasr Hamid Abu Zayd
Muslime in Deutschland - Selbstbewusstsein und Kritikfähigkeit ................ 149
Lamya Kaddor
Imame in Deutschland. Religiöse Orientierungen und
Erziehungsvorstellungen türkisch-muslimischer Autoritäten ......................... 177
RaufCeylan
Fatale Synthese. Nationalistische Spuren im Islam am Beispiel
türkischer Organisationen in Deutschland ...................................................... 195
KemalBozay
Die DiTiB in der Zuwanderungsgesellschaft - Garant oder Hindernis
der Integration? ............................................................................................... 209
Michael Kiefer
Der Einfluss der Religiosität auf das Gewaltverhalten von Jugendlichen.
Ein Vergleich christlicher und muslimischer Religiosität ............................... 217
Dirk Baier / Christian Pfeiffer
Modemer Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland ........................... 243
Juliane Wetzel
Autoriunen und Autoren ................................................................................. 259
Einleitung
In gewissen Teilen der Bevölkerung fallen die Scheuklappen, wenn sich die öf
fentliche Debatte um Muslime und ihre Religion dreht. Eioerseits richtet sich der
Blick nur noch auf eioe Mehrheitsbevölkerung, die vermeintlich überall Musli
me benachteiligt und diskriminiert, andererseits wird eioe Ansicht fokussiert, wo
nach Muslime die größte Gefahr für Freiheit und Demokratie darstellten und die
deutsche Kultur zu zerstören drohten. Während sich die meisten Menschen von
derart eioseitig geprägten Debatten nicht angesprochen fiihlen, bilden beide Lager
zunehmend verhärtete Fronten. Sie werden ionner weniger zugänglich für diffe
renzierte Meioungen, egal woher sie kommen. Nach und nach dringt diese kon
frontative Haltung jedoch von den Rändern io die Mitte der Gesellschaft vor, ge
trieben von Massenerscheinungen wie der im Herbst 2010 gefiihrten Diskussion
um ein Buch des SPD-Politikers Thilo Sarrazio. Angesehene Politiker, Intellektu
elle und Promioente verteidigten den Autor pauschal und verschärften damit das
gegenseitige Misstrauen.
Der Leiter des Kulturressorts der Nordwest-Zeitung, Reinbard Tschapke, fand
zum Auftakt eioer Lesung mit Thilo Sarrazio folgende Begrüßungsworte: ..W ir
als ,Nordwest-Zeitung' siod sehr stolz darauf, dass dieser Bestsellerautor bei uns
spricht und mit uns diskutiert [ ... ] Wir alle hier im sofort ausverkauften Saal, die
wir das Buch gewiss von der 1. bis zu 41 O. Seite gelesen haben, anders als die Bun
deskanzlerin, wir alle wissen, dass dieses Buch ganz Deutschland bewegt. Es ist
das Buch des Jahres 2010. [ ... ] Für viele war der Autor, ungelesen und zügig, der
fremdenfeindliche Bösewicht, für viele andere der Erretter vor muselmanischer
Überfremdung. Es hagelte Vorverurteilungen. Medien droschen auf ihn eio. Eioe
perfide Methode war, der Abwertung besonders, irgendeioen Begriff aus dem Zu
sammenhang herauszuklauben und von dort aus das Ganze abzukanzeln. Dabei
behandelt das Buch Deutschland schafft sich ab sicher die wichtigsten Probleme
unserer Zeit, es geht um unsere Zukunft, es geht um demografische Verschiebun
gen, um unkontrollierte muslimische Zuwanderung, um unser Sozialsystem, auch
um unsere gefährdete Kultur."
Nicht allein die Wortwahl (,,muselmanische Überfremdung") wirft Fragen auf,
sondern auch die völlige Vereinnahrnung von Sarrazios Thesen bei gleichzeitiger
T. G. Schneiders (Hrsg.), Verhärtete Fronten, DOI 10.l007/978-3-531-94220-9_1,
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8 Einleitung
Abqualifizierung seiner Kritiker im Namen einer ganzen Tageszeitung; dazu trägt
auch der Hinweis auf die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei, die Sarra
zins Buch in einer ersten Reaktion als "überhaupt nicht hilfreich" und "diffamie
rend" bezeichnet hatte. Der Auszug aus der Ansprache Tschapkes macht deutlich,
wie sich in Teilen der Bevölkerung eine Art Fan-Kultur herausgebildet hat, eine
weitgehend unkritische Anhängerschaft.
Der Fall Sarrazin ist keine Ausna1une. In seiner WIrkungsmacht sticht er zwar
heraus, inhaltlich knüpft er jedoch an eine Stimmung an, die seit Jalrren von so ge
nannten Islamkritikem und deren Sympathisanten in Politik, Gesellschaft und Me
dien geschürt wird. Dabei geht es ilmen zuvorderst nicht um sachliche Auseinan
dersetzungen, sondern um persönliche Vorteile oder ideologische Ziele.
Bereits ein Ja1rr vor der Sarrazin-Debatte gaben in einer repräsentativen Stu
die der Meinungsforschungsinstitute INFO und Liljeberg 45 Prozent der befrag
ten türkisch-stämmigen Menschen an, sich in Deutschland unerwünscht zu füh
len. Höchstwa1rrscheinlich hat sich diese Zahl inzwischen weiter erhöht. Andere
Studien weisen auf den wachsenden Auswanderungswillen vor allem gebildete
rer Schichten hin. AIs Reaktion auf die Sarrazin-Debatte erschien mit dem Mani
fest der vielen erstmals ein Sammelband von Personen, die durchweg einen Mig
rationshintergrund haben und sich kritisch mit der neuen Situation in Deutschland
auseinandersetzen. Der aus Afghanistan stannnende Journalist, Femsehproduzent
und Verlagsmanager Walid Nakschbandi schrieb im "Spiegel" (4112010): ,,Für die
Muslime wird es in den nächsten Ja1rren ungemütlich und unangenehm werden
in unserem Land. Ich bin ein Muslim. Ich lebe seit 30 Jalrren in diesem schönen
Land, und ich möchte es hier gleich zuAnfang sagen: Nichts hat mich in den letz
ten drei Ja1rrzehnten so sehr berührt wie der aktuelle schrille Umgang mit meiner
Religion, dem Islam."
Angesichts dieser Beispiele und Studienergehnisse, die die Entwicklungen
der letzten Jalrre skizzieren, lässt sich allgemein festhalten: Die Bevölkerung wird
skeptischer, was das Zusammenleben angeht. Die Neugründungen und die Erfolge
rechtspopulistischer Parteien in Europa sind ein weiterer Ausdruck dessen. Ange
sichts dieser Tendenz ist es urnso wichtiger, in der breiten Mitte der Gesellschaft,
wo das Weltbild noch nicht geschlossen ist, frühzeitig Aufklärung zu betreiben.
Dazu sind Muslime und Nicht-Muslime aufgefordert, noch intensiver die Miss
stände in wen eigenen Reihen wa1rrzunehmen und noch aktiver dagegen anzuge
hen. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es ähnliche Phänomene und Mecha
nismen, wie man sie derzeit beobachten kann, bereits gegeben hat. Renommierte
Historiker weisen immer wieder auf Parallelen zum Antisemitismus hin, ohne die
Einleitung 9
lange leidvolle Geschichte der Juden mit der jüngeren Geschichte der Muslime iu
DeutschlandJEuropa gleichzusetzen.
Zwei wichtige Begriffe für die gegenwärtigenAuseiuandersetzungen mit dem
Islam siud ,,Islamfeiudlichkeit" und "vernünftige Islamkritik". Zur Bezeichnung
des ersten Phänomens ist auch der Begriff ,,Islamophobie" gebräuchlich. Er ist al
lerdings aus zwei Gründen unglücklich gewählt: I. Er dient vielen als Kamptbe
griff. Auf Seiten der Muslime wird er bisweilen als Totschlagargument benutzt,
um jegliche Kritik am Islam zu unterbiuden. Auf Seiten der so genannten Islam
kritiker taucht er als Instrument auf, um die eigene Meiuung gegen jegliche Wider
stände durchzusetzen. Jeder Widerstand wird dabei als eiu auf der Basis eiues kon
struierten, irrationalen Konzepts - nämlich das der ,,Islamophobie" - gegründeten
Versuchs der Diffamierung gewertet. 2. Die Bezeichnung "Islamophobie" ist irre
fiihrend, weil sie suggeriert, dass das Phänomen lediglich auf Ängste und Unwis
senheit zurückzufiihren sei. Bei einer Vielzahl von Menschen beruht die Haltung
jedoch auf atheistischen Eiustellungen, auf dem Drang nach Selbstdarstellung, auf
der Verarbeitung persönlicher Leideusgeschichten, auf (neo-)konservativen Über
zeuguogen, auf Chauvinismus oder schlicht auf Rassismus. Das Denken und Han
deln dieser Leute erfolgt bewusst und zielorientiert. Unter ilmen siud durchaus Is
lam-Kenner. Die Spanne reicht hier von iuteressierten Laien bis hin zu Personen,
die iu den entsprechenden Studienbereichen wissenschaftlich ausgewiesen siud.
Auch Bezeichnungen wie Antimuslimismus oder Muslimeufeiudschaft eignen
sich nicht. Sie greifen zu kwz. Hiuter dieser Wortwahl steht der Versuch, Musli
me und Islam aufgrund der Überleguog zu trennen, dass man den Islam rundweg
ablehnen könne, ohne gleichzeitig allen Muslimen feindlich gesiunt zu seiu. Die
se Trennung ist jedoch eiu Konstrukt. Der Hass auf "den" Islam ist zu fest mit der
Ablehnung von Muslimen als Gesamtgruppe verwoben, als dass er sich auflösen
ließe. Das zeigt etwa eiu Blick iu das populäre Weblog ,,PoliticaIly Incorrect".
Wer den Islam wie hier als barbarische Ideologie, als Krankheit oder Ähnliches
bezeichnet, wird kaum iu der Lage sein, dessen Anhänger auf Augenhöhe zu res
pektieren. Entsprechend abwertend ist dort von Muslimen iu der Regel als ,,Mu
sels", ,,Muselpack", "Schleierschlampen" und dergleichen die Rede. Pauschslkritik
an eiuer Religion befördert automatisch Vorbehalte gegen ihre Aohänger. Zudem
wird Kritik an der Religion meistens an Verhaltensweisen konkreter Eiuzelperso
nen oder kleiu= Gruppen festgemacht. Auch stellt sich die Frage, wie man ex
plizit gegenüber Muslimen feiudlich eiugestellt seiu kann, ohne dies auf eiue ab
lehnende Haltung zu ihrer Religion zu gründen?
Ungeachtet dessen kann und darf natürlich jeder den Islam als Religion für
sich ablehnen und sogar hassen. Im Eiuzelfall spielt es keiue Rolle, dass man die
10 Einleitung
Trennlinie zwischen Islam und Muslimen nicht beibehalten kann. Problematisch
wird es erst dann, wenn aus einer solchen Haltung heraus gesellschaftlich inter
agiert wird, und darum geht es bei dem hier zu betrachtenden Phänomen.
Statt mit den Begriffen ,,Islamophobie" oder ,,Antimuslimismus" sollte man
mit "Islamfeindlichkeit" operieren. Diesen Terminus möchte ich folgendermaßen
verstanden wissen: Islamfeindlichkeit ist die Instrumentalisierung von undifferen
zierter Kritik an der Religion des Islam und deren Anhängem zum Zwecke der Ver
folgung eigener, oftmals ideologischer Interessen. Der Prozess manifestiert sich
durch direkte Gewalt oder durch Agitation gegen Personen, Symbole und Heilige
Texte. Auf der argumentativen Ebene sind die Grenzen zur Sachlichkeit bisweilen
fließend, sodass man von Fall zu Fall überlegen muss, ob eine Äußerung lediglich
als kritisch oder als feindlich zu bewerten ist.
Vor diesem Hintergrund kann "vernünftige Islamkritik" nur die sachliche Aus
einandersetzung mit einzelnen Aspekten dessen sein, was zum "Islam" gezählt wird.
Die oberste Prämisse fiir Sachlichkeit ist in diesem Fall, dass die Kritik die Viel
falt der islamischen Lebensweisen, die insbesondere angesichts einer fehlenden
obersten religiösen Instanz existieren, realisiert und nicht einer Pauschalisierung
anheimfällt. Die Reichhaltigkeit an verschiedenen Auffassungen seit der Entste
hung der Religion macht es unmöglich, bezogen auf die Historie oder die heutige
Gesellschaft, von "dem" Islam und "den" Muslimen zu sprechen. Selbst der Ge
brauch des Wortes ,,Islam" birgt ein sprachliches Problem. Man müsste zunächst
eimnal definieren, was damit überhaupt gemeint ist. "Islam" ist insofern ein Aus
nalnuefall, als der Begriff sowohl eine Religion als auch einen Kultorraum benennt.
Diese definitorische Unschärfe hat bspw. auch viel zum aktoellen Streit über die
Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland/Europa beigetragen. Sowohl der ehema
lige Bundespräsident Christian Wulff, CDU, (,,Aber der Islam gehört inzwischen
auch zu Deutschland.") als auch der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich,
CSU, (,,Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus
der Historie nirgends belegen lässt. ") haben zunächst einmal nur politische State
ments abgegeben. Ihre Aussagen sind nicht wissenschaftlich. Beide nehmen keine
Erklärung des Begriffs vor. Das dadurch entstandene Vakuum wurde schließlich
mit verschiedenen Interpretationen gefiillt, die dann zur Grundlage der Debatte ge
worden sind. Kulturell haben die muslimischen Völker Europa zweifelsohne be
einflusst: ideell vor allem durch den politischen und geistigenAustausch, materiell
vor allem durch die Handelsbeziehungen und die jahrhundertelange Herrschaft is
lamisch geprägter Völker in Südeuropa. Theologisch lässt sich dagegen allenfalls
eine geringe Beeinflussung ausmachen, wenn auch nicht ganz abstreiten; erinnert
sei etwa an die christlichen Polemiken gegen den Koran und den Propheten Mu-