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Verbreitung, Formenvielfalt und Schutz der
Europäischen Sumpfschildkröte Emys orbicularis (L)
U.  FRITZ
Abstract
Emys orbicularis is a highly polytypic distribution  (as summarised  in table  1).
Palaearctic species and the sole represen- Second priority is given to marginal popu-
tative of the otherwise  exclusively New lations to maintain  the genetic diversity
World  family  Emydidae.  Currentry  13 supposedly occuring within these popula-
distinct subspecies are recognised and pro- tions. The third category should include
bably  several  additional  ones  await all other natural populations belonging to
description.  Recent  molecular  biological a  certain  "pure"  subspecies  as  well  as
research has refined and reinforced earlier populations from intergradation zones. Of
morphological results. The highest diver- lower interest for nature conservation are
sity is found in the southern parts of the long-established  introduced  populations
distribution area, i. e. around the Mediter- like the ones occurring on the Balearic
ranean and south of the Caspian Sea. Islands. However, their protection is desi-
red as being a part of the ancient human
As a rule of thumb, specimens in the
cultural  heritage.  In  contrast,  recently
north  of  the  range  are  large  and  dark
introduced populations (i. e. in the 19tl) or
coloured, whereas in the more southern
20l" century) are without any interest for
areas the turtles are smaller and distinctly
conservation.
lighter coloured.
In central Europe, human activity has
affectedd the distribution of Emys orbicu-
laris for centuries
Keywords:
Suggestions for a conservation strategy
are  put  forward.  The  highest  priority Testudines: Emydidae: Emys orbicula-
should be given to taxa with small range of ris; zoogeography, conservation.
Stapfia 69,
zugleich Kataloge des OÖ. Landesmuseums,
Neue Folge Nr. 149 (2000), 13-20
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Verbreitung lich der Sahara (Marokko, Algerien, Tunesien)
über den größten Teil der Iberischen Halbinsel
Emys orbicularis ist der einzige paläarkti- und von dort aus über Frankreich, Deutsch-
sche Vertreter einer ansonst  rein neuweltli- land und Polen weit nach Osten (FRITZ 1998
chen  Sumpfschildkrötenfamilie,  der Emydi- und  im Druck), wo die nördliche  Verbrei-
dae. Mit Ausnahme weniger Formen aus der tungsgrenze in Russland etwa auf Höhe von
Schmuckschildkrötengattung  Trachemys sind Moskau liegt (BOZHANSKY & ORLOVA 1998).
alle  Emydiden  auf Nordamerika  beschränkt Die östliche Arealgrenze verläuft am Aralsee
(ERNST & BARBOUR 1989). in  Kasachstan  (NlKOLSKlj  1915,  PARASKIV
1956). Durch die anthropogene  Verlandung
und zunehmende Salinität dieses einst viert-
Abb. 1: größten Sees der Erde muss allerdings damit
Verbreitungsgebiet
gerechnet  werden,  dass  diese  Vorkommen
von Emys orbicula-
heute  bereits  ausgestorben  sind.  Im Mittel-
ris. Insbesondere in
Mitteleuropa ist meerraum setzt sich das Areal von E. orbicula-
unklar, wo die ris von der Iberischen Halbinsel aus über Kor-
natürliche Areal- sika, Sardinien, die Apenninen-Halbinsel mit
grenze verläuft.
Sizilien auf den Balkan und Kleinasien  fort.
Von dort aus erstreckt es sich über den Kauka-
sus bis nach  Nordpersien  und Turkmenien
hinein,  wo die südöstlichsten  Populationen
aus dem iranisch-turkmenischen  Grenzgebiet
bzw. dem Kopet-Dag bekannt sind (SHAMMA-
KOV 1981, ATAEV 1985). Im Iran stellt das
Eibursgebirge  die südliche  Begrenzung des
Areals dar (Abb. 1).
Neben diesem natürlichen  Verbreitungs-
gebiet  sind  von den Balearen  allochthone
Zweifellos  wanderten  die Vorfahren der Vorkommen  der Sumpfschildkröte  bekannt
heutigen Europäischen Sumpfschildkröte von (MAYOL 1985, BRAITMAYER et al. 1998, FRITZ
Nordamerika nach Eurasien ein. Nach allem, etal. 1998a).
was wir wissen, geschah dies im Miozän oder
Insbesondere in Mitteleuropa ist aufgrund
Oberoligozän,  vor 15-29 Millionen  Jahren,
des  jahrhundertealten  Einflusses  des  Men-
über  die Beringbrücke  (HlTCHlSON  1981).
schen  kaum  mehr  rekonstruierbar,  wo die
Von Ostasien aus drangen diese Vorläufer von
E. orbicularis immer weiter nach Westen vor. nördliche  Arealgrerce  verlief  (FRITZ 1996,
Die ältesten bislang bekannten Fossilien stam- SCHNEEWEISS  &  FRITZ  2000).  Autochthone
men aus dem mittleren Miozän im zentralen Vorkommen  in Mitteleuropa,  die bis heute
Kasachstan  (CHKHIKYADZE  1989); die Funde erhalten geblieben sind, bedürfen dringender
aus weiter westlich gelegenen Regionen sind Schutzmaßnahmen,  da  ihnen  vielfältige
durchweg  jüngeren  Datums  (FRITZ  1995a). Gefahren drohen: Hier ist die Vernichtung der
Heute  besiedelt  E.  orbicularis unter den Lebensräume und Eiablagestätten genauso zu
Schildkrötenarten der Welt eines der größten nennen, wie die Vermischung mit allochtho-
Areale. Es erstreckt sich von Nordafrika nörd- nen Exemplaren (vergl. Tabelle 1).
Tabelle 1: Unterart Verbreitungsgebiet
Unterarten bzw. wahr-
scheinliche Unterarten Emys orbicularis occidentalis Nordafrika
der Europäischen
Emys orbicularis hispanica Donana-Nationalpark, Spanien
Sumpfschildkröte, die
Emys orbicularis  fritzjuergenobsti spanische Mittelmeerküste
aufgrund ihres kleinen
Verbreitungsgebietes Emys orbicularis subspec. ? Galizien, Nordwestspanien
besonders bedroht sind. andere iberische Lokalendemiten ? Iberische Halbinsel
Emys orbicularis cf. hellenica Süditalien, Sizilien
Emys orbicularis subspec. ? Krimhalbinsel,  Ukraine
Emys orbicularis  eiselti Gebiet um Gaziantep, Südosttürkei
Emys orbicularis  luteofusca südliche zentralanatolische Hochebene
Emys orbicularis subspec. ? nördlichere Gebiete der zentralanatolischen Hochebene
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Formenvielfalt 1998). Die größte Diversität findet sich in den
südlichen Arealteilen, die weitgehend mit den
Früher  hielt  man £.  orbicularis  für ein hypothetischen Glazialrefugien gleichzusetzen
Paradeheispiel für eine monotypische Art mit sind  (FRITZ  1992,  1996,  1998,  LENK et  al.
großem Verbreitungsgebiet.  Inzwischen zeig- 1999),  während  die nördlicheren  Teile des
ten jedoch mehrere Untersuchungen mit mor- Areals von morphologisch relativ gleichförmi-
phologischen  und  molekularbiologischen gen Sumpfschildkröten  besiedelt werden, die
Methoden, dass es sich statt  dessen um ein nur einer Unterart (E. orbicularis orbicularis)
Taxon handelt, das hinsichtlich seiner Frag- zugeordnet werden (FRITZ 1998).
_J
mentierung  in verschiedene  Evolutionsein- Als Faustregel kann gelten, dass Sumpf- Abb. 2 a, b:
Emys orbicularis (Weibchen aus Bran-
heiten  einen  Spitzenplatz  in der Paläarktis schildkröten im Norden des Verbreitungsge-
denburg, Deutschland).
einnimmt (u. a. FRITZ 1989, 1992, 1993, 1994, biets immer großwüchsig und dunkel gefärbt Dorsalansicht (a), Ventralansicht (b).
1995b, 1996, FRITZ & OBST 1995, LENK et al. sind  (vgl. E. o. orbicularis, Abb. 2 a, b), Diese nördliche Unterart von
1999). während in den südlichen Arealteilen kleine- E. orbicularis ist besonders groß-
re und oft auch hell gefärbte Unterarten, wie wüchsig und dunkel gefärbt.
Obwohl wir inzwischen viel über die mor- z. B. Emys o. fritzjuergenobsti  (Abb. 3 a, b) vor-
phologische  und taxonomische  Variabilität kommen.  Es gibt  allerdings  Ausnahmen.
gelernt haben, sind wir noch weit davon ent- Genannt  seien  hier die großwüchsigen, oft
fernt,  die komplizierte  Differenzierung  im sehr licht gefärbten Sumpfschildkröten aus der
Detail zu verstehen. Anhand morphologischer zentralanatolischen  Hochebene  (dort kom-
Merkmale werden derzeit nicht weniger als 13 men um Kayseri allerdings auch sehr dunkle,
verschiedene Subspezies unterschieden (FRITZ große  Exemplare  vor). Auch  E. o. eiselti
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(Abb. 4 a, b), ein Lokalendemit vom Südo-
strand des Areals an der türkisch-syrischen
Grenze, ist fast ganz schwarz gefärbt, allerdings
kleinwüchsig (FRITZ et al. 1998b).
Am südwestlichen Arealrand, nämlich in
Nordafrika, entsprechen die Sumpfschildkrö-
ten dieser Regel genauso wenig: Die dortige
mittelgroße Unterart E. o. occidentalis (Abb. 5
a, b), gehört  zu den dunkelsten  überhaupt
(FRITZ 1993,  1996).
Sicherlich lassen sich die genannten Über-
einstimmungen,  trotz  der Ausnahmen, auf
einige gemeinsame zugrunde liegende Fakto-
ren zurückführen. Gerade bei der Körpergröße
ist auch bei anderen Schildkrötenarten ähnli-
ches bekannt: So werden etwa auch bei der
nordamerikanischen  Zierschildkröte  (Chrys-
emys picta) die nördlichen  Unterarten  deut-
Abb. 3 a, b: lich größer als die südliche Subspezies C. picta
Emys o. fritzjuergenobsti dorsalis (ERNST et al. 1994). Hier wie dort liegt
(Männchen aus Valencia, es nahe, einen Zusammenhang mit der Fort-
Spanien)
pflanzung zu sehen, da die Weibchen in den
Dorso-Iateral-Ansicht (a),
Ventralansicht (b). südlichen  Vorkommen  mit ihrer  geringeren
Südliche Unterarten wie Körpergröße nur kleinere Eizahlen pro Gelege
z. B. E. o. fritzjuergenobsti
absetzen können, dafür aber mehrmals im Jahr
sind in der Regel heller
:ur  Eiablage  schreiten.  Bei den nördlichen
gefärbt und kleiner als
Vertreter nördlicher Sub- Vorkommen produzieren die Weibchen dage-
spezies gen nur ein Gelege pro Jahr, das dann aller-
dings mehr Eier enthält (vgl. für C. picta z. B.
ERNST et al. 1994, für E. orbKuiaris z. B. BAN-
NIKOV 1951, LUKINA  1966, KOTENKO 2000).
Auch  liegt es nahe, im Norden des Areals
einen  Selektionsvorteil  durch  eine  dunklere
Färbung zu unterstellen.
Soweit es bisher untersucht wurde, decken
sich die Verbreitungsgebiete  der Subspezies
weitgehend  mit der geographischen  Vertei-
lung verschiedener mitochondrialer Haploty-
pen (vgl. LENK et al. 1998, LENK et al. 1999).
Eine bedeutende Differenz zwischen den mor-
phologischen  und  molekularbiologischen
Daten besteht allerdings darin, dass auf dem
Balkan in einer großen Zone mit morpholo-
gisch zwischen E. o. orbicularis und E. o. helk-
nica ( vgl. Abh. 6)  intermediären  Tieren
(FRITZ  1992,  FRITZ &  OBST  1995)  mehrere
distinkte Haplotypen vorkommen (LENK et al.
1998,  1999).  Offenbar  verbergen  sich  dort
mehrere  eigenständige  Evolutionseinheiten,
die als distinkte Unterarten aufgetasst werden
können. Interessanterweise reicht der Einfluss
eines dieser Taxa, nämlich der im Donaube-
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reich  verbreiteten  Form,  bis  nach  Nord- nach  Mitteleuropa  aus  (FRIT7  1992,  1996).
deutschland. Morphologisch stimmen die dor- Der Einfluss der südlichen  Donaupopulation
tigen Vorkommen völlig mit polnischen (FAR- auf  die  nördlichen  Vorkommen  kam  wohl
KAS et al. 1998) oder auch z. B. ukrainischen über  die  Mährische  Pforte  zustande  (vgl.
Sumpfschildkröten  überein.  Alle  bislang bereits FR1T7 1996).
untersuchten, eindeutig autochthonen Exem- Wie bereits angedeutet unterscheiden sich
plare  aus  Brandenburg  und  Sachsen  tragen die  verschiedenen  Unterarten  der  Sumpf-
jedoch einen mitochondrialen Haplotyp, der schildkröte  hinsichtlich  der  Größe,  in  Fär-
sich kaum von demjenigen der morphologisch bungs-  und  Zeichnungsmerkmalen  sowie  in
klar  abgesetzten  „Donaupopulation"  aus Proportionsverhältnissen.  Manche  südlichen Abb. 4 a, b:
Ungarn  unterscheidet,  während  die  polni- Unterarten sind schwer auseinander zuhalten, Vier Individuen von Emys o. eiselti.
Dorsalansicht (a), Ventralansicht (b)
schen  und  ukrainischen  Sumpfschildkröten da kleinwüchsige, hell gefärbte Taxa an ganz
Die Unterart E. o. eiselti stellt ebenso
einen abweichenden Haplotyp aufweisen, der verschiedenen  Stellen  des Areals  auftreten. wie f. o. occidentalis eine Ausnahme
auch in anderen Gebieten Osteuropas nachge- So  ähneln  beispielsweise  die  transkauka- von der „Färbungsregel" dar, wonach
wiesen wurde (LENK et al. 1998, 1999). Noch sischen Unterarten (E. o. iberica, E. o. persica) die nördlichen Unterarten dunkler
gefärbt sind als die im Süden vor-
müssen  weiterführende  Untersuchungen  mit morphologisch  so sehr  der  ostmediterranen
kommenden.
anderen Methoden abgewartet werden, doch Subspezies E. o. hellenica, dass einzelne weibli-
lässt sich schon jetzt mutmaßen, dass im Post- che Exemplare nicht mit Sicherheit bestimmt
glazial zwei verschiedene Einwanderungsströ- werden können. Die vermeintlich nahe Ver-
me  im Norddeutschen  Tiefland  aufeinander wandtschaft  dieser  Taxa  (siehe  noch FRITZ
prallten, die sich dort vermischten. Der eine 1998) wurde  inzwischen  als falsch  entlarvt.
Kolonisationsschub  folgte  dem  Lauf  der Wie sich anhand der modernen molekularbio-
Donau westwärts, der andere breitete sich von logischen Methoden zeigte, gehören die trans-
Osten her nördlich der Karpaten und Sudeten kaukasischen Formen einer völlig distinkten,
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eigenen Entwicklungslinie an, während eini-
ges für eine nähere Verwandtschaft  von £. o.
heüenica mit der E. gailoitaiica-Gruppe spricht,
die in Südfrankreich,  Teilen  Italiens und  in
der  Tyrrhenis  verbreitetet  ist  (LENK  et  al.
1999).
Schutzstrategien
Die hochgradige Zersplitterung der Art in
manchmal  kleinräumig  verbreitete  Unterar-
ten erfordert ein Umdenken bei den Schutz-
strategien.  Während  früher  noch  generell
angenommen  wurde, dass  „Sumpfschildkröte
gleich Sumpfschildkröte  ist", kann dies nun-
mehr  nicht  länger  gelten.  Dies hat  Konse-
quenzen,  sowohl  was  die  Ausweisung  von
Schutzgebieten als auch was andere Maßnah-
men angeht.
Abb. 5 a, b:
Emys o. occiden-
talis (Weibchen Allerhöchste Priorität beim Habitatschutz
aus der Umge- müssen auf europäischer bzw. internationaler
bung von Ifrane, Ebene zweifellos kleinräumig verbreitete Taxa
Marokko)
genießen, deren Fortbestand allein durch die
Dorsalansicht (a),
Ventralansicht (b) Vernichtung weniger Biotope gefährdet wird.
Hier wäre etwa die bereits erwähnte  Lokal-
form E. orbicularis eisehi aus der Südosttürkei
:u nennen, die nach dem derzeitigen  Kennt-
nisstand nur in einem kleinen Gebiet in der
Nähe der Stadt Gaziantep vorkommt (FRITZ et
al.  1998b).  Großflächige  Drainagemaßnah-
men  b:w. Bodenmeliorationen  für  landwirt-
schaftliche Zwecke, wie sie derzeit in der Tür-
kei  üblich  sind,  können  innerhalb  weniger
Jahre diese Unterart auslöschen. Ahnlich ver-
hält es sich auch mit den verschiedenen Step-
penformen der zenrralanatolischen Hochebe-
ne. Die Zukunft wenigstens eines Taxons mit
nur einem  kleinen  Verbreitungsgebiet  kann
glücklicherweise  als relativ  gesichert  gelten.
Es ist  die  Unterart  E.  o.  hisparrica,  die  im
Donana-Nationalpark  in  Südwestspanien
beheimatet ist. Die Chemiekatastrophe in der
unmittelbaren Nachbarschaft des Naturparks,
die sich  1999 ereignet  hatte, zeigt dennoch
drastisch die Verletzlichkeit solcher Taxa mit
nur kleinem Vorkommensgebiet!
Gerade  auf  der  Iberischen  Halbinsel
scheint bei der Sumpfschildkröte eine kompli-
zierte, bemerkenswert kleinräumige  Differen-
zierung vorzuliegen. Hier muß dringend weiter
geforscht  werden,  um  abzuklären  wieviele
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distinkte Taxa dort vorkommen. Erst wenn das ständnis  versuchten  Naturliebhaber,  Privat-
klar ist, können effektive  Schutzmaßnahmen leute bis hin zu Regierungsvertretern, „ihre"
entwickelt  werden.  So wurde kürzlich  eine einheimische Tierwelt durch das Wiederansie-
durch Lehensraumvernichtung  akut  von der deln  längst  ausgestorbener  Vertreter  „aufzu-
Ausrottung bedrohte Population aus Galizien werten". Diese falsch verstandene „Naturkos-
bekannt, bei der es sich um ein eigenes Taxon metik" wurde i. d. R. stets mit  Sumpfschild-
handeln  könnte  (A. CORDERO pers. Mitt.). kröten  durchgeführt,  die  an  den  neuen
Weitere Taxa, auf die diese höchste Schutzka- Lebensraum nicht richtig angepasst waren, da
tegorie  angewendet  werden  sollte,  sind  in sie aus südländischen Populationen  entnom-
Tabelle 1 aufgelistet. Es handelt sich bei allen
um  Formen  mit  kleinem  Areal  bzw. Taxa,
deren  natürliches  Verbreitungsgebiet  durch
den Eingriff des Menschen bereits bedrohlich
zusammengeschrumpft ist.
Die  zweithöchste  Schutzpriorität  sollte
Populationen am Arealrand zugewiesen wer-
den. Wir  wissen  von  der nahe  verwandten
nordamerikanischen  Schildkrötenart  Emy-
doidea blandingii, dass gerade solche Populatio-
nen, die unter extremen  Lebensbedingungen
am Rand der Verbreitungsgebiets vorkommen,
wichtig zum Erhalt der genetischen  Vielfalt
sind (MOCKFORD et al. 1999).
In die dritte Prioritätskategorie sollten alle
anderen natürlichen Vorkommen gestellt wer-
den, also auch Populationen aus Intergrada-
tionszonen verschiedener Unterarten. Es geht
nicht an, dass im Sinne eines falsch verstan-
denen Schubladendenkens etwa nur "reinras-
sige" Subspezies geschützt  werden! Mischzo-
nen zwischen verschiedenen Unterarten sind
ein wichtiger Bestandteil der Art. Gerade dort
ist  durch  die  Rekombination  verschiedener
Gene eine besondere Vielfalt zu erwarten, die
ähnlich wie bei Randpopulationen wichtig für
den gesamten Genpool der Art ist.
Eine  deutlich  niedrigere  Priorität  sollte
dagegen lange etablierten, aber allochthonen
Vorkommen zugewiesen werden. Hier wären z.
B. die Vorkommen von E. orbiculam auf den
Balearen zu nennen. Sie wurden zweifellos vor men wurden. In Nordostdeutschland  wie in  Abb. 6:
langer Zeit eingeschleppt  und sind Teil der Österreich  stellen  solche  Tiere  sogar  eine Schlüpflinge verschiedener Unterarten
menschlichen  Kultur-  und  Besiedlungsge- Gefahr für den Fortbestand der autochthonen unterscheiden sich in Färbung und
Zeichnung. Emys o. orbiculahs (rechts)
schichte dieser Inselgruppe. Restvorkommen  dar  (vgl.  ScHNEEWEISS  &
und die hellere gefärbte
FRITZ 2000). F. o. hellenica (links).
Von  Schutzmaßnahmen  ausgeschlossen
werden sollten schließlich in jüngster Zeit aus- Mit dem heutigen Wissen um die Vielfalt
gewilderte  Vorkommen,  derer  es gerade  in der Sumpfschildkröte muss an Wiederansied-
Mitteleuropa zahlreiche gibt. Zumeist in Zei- lungsprojekte ein wesentlich höherer Maßstab
ten  mit  einem  romantisierenden  Naturver- angelegt werden.
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