Table Of ContentARTICULATA 2017 32: 107–124 FAUNISTIK
Veränderung der Heuschreckenzönose einer naturnahen Kulturlandschaft
bei Göttingen (Südniedersachsen) über 23 Jahre
Thomas Becker & Matthias Waltert
Abstract
Changes in an Orthopteran community in a semi natural cultivated landscape in
Göttingen across 23 years.
In August 2016 the Orthopteran community of the former military base Kerst-
lingeröder Feld located in the forest near the city of Göttingen was investigated
and characterized. It is preserved by conservation area management, thus kept
open by grassland management without the use of fertilizers or pesticides. We
compared findings to own data from the years 2001-2004 and to a list of species
from 1993. Within the 200 ha study area, 17 sites consisting of different vegeta-
tion types were investigated. Samples were taken with an isolation cube
(5*30=150) and with a dip net and records of 600 identified individuals were ob-
tained. Results show that species composition between 1993-2016 largely re-
mained unchanged: except from Myrmeleotettix maculatus, which highly de-
pends on dry areas in Lower Saxony, all graminicolous species discovered dur-
ing earlier surveys were still present in 2016. A small population of Stenobothrus
lineatus, unrecorded between 2001-2004 and depending on short and open veg-
etation, was discovered again in 2016. In comparison to the period 2001-2004,
population densities of Metrioptera roeselii and Phaneroptera falcata increased.
Furthermore, positive population trends of other thermophilous Orthopteran spe-
cies such as Chorthippus biguttulus and Chorthippus brunneus were observed,
whereas the population of Omocestus viridulus, a rather mesophilous species,
declined compared to the former study periods, although it is still relatively abun-
dant. The increase in abundance of thermophilous species reflects the change in
the vegetation to oligotrophic grasslands. The study shows how efforts to pre-
serve semi-natural grasslands can have positive effects on the conservation sta-
tus of an Orthopteran community.
Zusammenfassung
Im August 2016 wurde die Heuschreckenzönose des ehemaligen Truppen-
übungsplatzes Kerstlingeröder Feldes bei Göttingen, welcher unter Schutzge-
bietsmanagement (Verzicht auf Düngung und Pestizideinsatz) offengehalten
wird, charakterisiert und anschließend mit eigenen Daten des Zeitraums 2001-
2004 sowie Artenlisten aus 1993 verglichen. Hierfür wurden 17 verschiedene
Flächen unterschiedlichen Typs mittels Isolationswürfel auf fünf Flächen (5x30
=150) und Kescherfängen auf zwölf Flächen (insgesamt 600 bestimmte Individu-
en) untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Artenzusammensetzung der
Heuschreckenzönose im betrachteten Zeitraum 1993-2016 weitgehend unverän-
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dert blieb: Bis auf die Gefleckte Keulenschrecke Myrmeleotettix maculatus, die in
Niedersachsen auf besonders trockene Standorte angewiesen ist, wurden alle
wiesenbewohnenden Arten aus den vergangenen Untersuchungen wieder nach-
gewiesen. Der Heidegrashüpfer Stenobothrus lineatus, angewiesen auf kurzrasi-
ge, lichte Vegetation, und im Zeitraum 2002-2004 nicht nachweisbar, konnte in
einer kleinen Population ebenfalls wieder bestätigt werden. Im Vergleich zu den
Jahren 2001-2004 konnte ein deutlicher Anstieg der Populationsdichte der
Rösel's Beißschrecke Metrioptera roeselii und der Gemeinen Sichelschrecke
Phaneroptera falcata nachgewiesen werden. Außerdem zeigt sich eine positive
Entwicklung der Populationen weiterer wärmeliebender Arten wie dem Nachti-
gall-Grashüpfer Chorthippus biguttulus und dem Braunen Grashüpfer Chorthip-
pus brunneus. Dagegen scheint der Bunte Grashüpfer Omocestus viridulus, eine
eher mesophile Art, gegenüber den vergangenen Untersuchungszeiträumen
zurückgegangen zu sein, er blieb jedoch immer noch häufig. Zunahmen wärme-
liebender Arten auf manchen Untersuchungsflächen spiegeln die Veränderungen
der Vegetation hin zu mageren Ausprägungen wider. Die Studie zeigt, wie sich
Anstrengungen zum Erhalt einer naturnahen Kulturlandschaft positiv auf den
Schutzstatus der Heuschreckenzönose auswirken können.
Einleitung
Die zunehmende Nutzungsintensivierung und Düngung sowie der immer fort-
schreitende Umbruch der Landschaft dezimiert die Biodiversität weltweit
(SCHEER & MCNEELY 2008, NIU et al. 2014). Unterschiedlichste Lebensgemein-
schaften verarmen im Zuge der Modernisierung und Intensivierung der
Landwirtschaft (GEMMILL & VARELA 2004), so auch Heuschrecken (BfN 2011).
Aus diesem Grund ist die traditionelle extensive Bewirtschaftung von immenser
Bedeutung für den Artenschutz weltweit (GREIN 2010).
Zweiundachtzig Prozent aller Heuschreckenarten Zentraleuropas sind an Grün-
land geknüpft, 60% sind vollständig daran gebunden (INGRISCH & KÖHLER 1998).
Als Hauptkonsumenten der Pflanzenbiomasse, kommt ihnen eine
Schlüsselposition in Ökosystemen zu (INGRISCH & KÖHLER 1998). Da die meisten
Arten ganz spezielle Ansprüche an Umweltfaktoren wie Temperatur, Feuchtigkeit
und Habitatstruktur stellen, haben bereits kleine Veränderungen ihres Lebens-
raumes oft drastische Folgen für die Heuschreckenfauna (GREIN 2010). Somit
besitzen Heuschrecken einen guten Indikatorwert für die Beurteilungen von
Landschaften (SCHAUB 2003). Für die letzten beiden Jahrzehnte wird als
Hauptgefährdungsursache die Aufgabe zuvor extensiv genutzter Grünlandflä-
chen angegeben (BfN 2011).
Vor allem die Existenz vieler xero- und thermophiler Heuschreckenarten ist an
offene Trockenstandorte gebunden (GREIN 2010). Bei Aufgabe der Beweidung
oder Mahd verbuschen diese rasch (ELLENBERG 1963). Der Erhalt dieser und
anderer für den Naturschutz wertvoller Biotope wird maßgeblich über Schutzge-
bietsmanagement geregelt, welches eine angepasste Bewirtschaftung des Ge-
biets sicherstellt.
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Der ehemalige Truppenübungsplatz Kerstlingeröder Feld bei Göttingen besitzt
eine circa 600-jährige Siedlungs- und Nutzungsgeschichte, in deren Verlauf bis
heute auf den Einsatz von Dünger sowie intensives Wiesenmanagement verzich-
tet wurde. Dadurch konnte sich eine vielseitige Vegetationsstruktur, mit den für
viele gefährdete Heuschreckenarten wichtigen trockenen Offenlandstandorten
entwickeln, deren natürliche Verbuschung mit Pflegemaßnahmen wie Beweidung
und Mahd entgegengewirkt wird. Das Untersuchungsgebiet besitzt eine isolierte
Lage inmitten des Göttinger Stadtwaldes nahe der Stadt Göttingen und weist ei-
ne kleinräumige Habitatdiversität auf, welche elementar für Heuschreckenvielfalt
ist (ESSL & DIRNBÖCK 2012). Bereits 1993 wurde der hohe Naturschutzwert des
Kerstlingeröder Feldes erkannt (MEINEKE 1993).
In unserer Studie wurden zur quali- sowie quantitativen Untersuchung der
Zönose auf 17 Teilflächen unterschiedlichsten Typs Probenahmen mittels Isolati-
onswürfel und Kescherfang durchgeführt. In dieser Arbeit soll die Heuschrecken-
zönose des Gebietes im Jahre 2016 charakterisiert und mit Daten aus vorherigen
Studien von 1993 und 2001-2004 verglichen werden. Es sollen Veränderungen
des Bestandes aufgezeigt und diese in Bezug zu den durch die Stadt Göttingen
umgesetzten Pflegemaßnahmen gesetzt werden.
Das Untersuchungsgebiet
Das Kerstlingeröder Feld liegt 1,5 km östlich des Göttinger Stadtteils Geismar
(SCHULDT 2005) inmitten des Göttinger Stadtwaldes. Die Gesamtfläche des
Kerstlingeröder Feldes beträgt circa 200 ha und ist Bestandteil des 2007 ausge-
wiesenen 1193 ha großen Naturschutzgebietes "Stadtwald Göttingen und Kerst-
lingeröder Feld" (NLWKN 2016). Außerdem gehört es zu dem Landschaft-
sschutzgebiet "Leinetal" und ist als FFH-Gebiet des EU-Schutzgebietes Nr. 138
"Göttinger Wald" ausgewiesen (Stadt Göttingen). Die Freiflächen des Kerstlinge-
röder Feldes entstanden im Mittelalter durch Rodung des Waldes. 1993 erfolgt
nach zeitweisem intensivem Übungsbetrieb und somit fast vollkommener Einstel-
lung der landwirtschaftlichen Nutzung die Aufgabe als Bundeswehrstandort,
womit die natürliche Sukzession auf den Flächen eintrat. 2001 kaufte die Stadt
Göttingen die Flächen und ist seither für die Bewirtschaftung zuständig. Die Flä-
chen im östlichen Teil des Kerstlingeröder Feldes, die heutzutage einer zwei-
schürigen Mahd unterliegen, standen unmittelbar nach Aufgabe des Betriebes
unter Schafbeweidung (MEINEKE 1993). Auf vielen Flächen fand aber erstmals
2003 die Beweidung mit Charolais Rindern (MEINEKE 2006) und erst ab 2008 ei-
ne flächendeckende Beweidung durch eine des Landschaftspflegeverbandes
Landkreis Göttingen e.V. vermittelten Schafherde statt (MEINEKE 2009). Heutzu-
tage sind viele der Flächen optisch sehr heterogen strukturiert und oftmals mit
vielen vereinzelten Gebüschen als vertikale Komponente durchzogen. Zudem
sind teilweise größere Abschnitte mancher Flächen stark verbuscht. Besonders
heterogene Strukturen weist dabei die feuchte Glatthaferwiese auf (Abb. 1). Sie
unterliegt im südlichen Teil einer starken Verbuschung wohingegen der nordöst-
liche Teil offene Bodenstellen mit einer Vielzahl vereinzelter Gebüsche aufweist.
Den höchsten Punkt des Untersuchungsgebietes bildet der im nördlichen Teil
des Gebietes gelegene Sauberg mit circa 391 m üNN. Somit kann das Feld
größtenteils als submontanes Plateau angesehen werden (SCHULDT 2005).
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Durch die langzeitige extensive Nutzungsgeschichte und die heutige unter-
schiedlichen Nutzungsintensitäten der Flächen (Stadt Göttingen 2016) ist das
Kerstlingeröder Feld für den Naturschutz von großer Bedeutung.
Abb. 1: Lageplan der beprobten Flächen 1-17. Fläche 1-5 mit einem Quadrat umran-
det sind die Probeflächen der Isolationswürfel. Die Flächen 6-17 auf denen
Kescherfänge durchgeführt wurden, sind mit einem Kreis umrandet. Fläche 1
= trockene Glatthaferwiese, Fläche 2 und 13 = feuchte Glatthaferwiese, Flä-
che 3 = Wegrandvegetation, Fläche 4 = mittelfeuchte Wiese, Fläche 5 und 8 =
verbuschte Fläche, Fläche 6 = Magerrasen, Fläche 7 = trockene Fettwiese
(Sukzessionsfläche), Fläche 9 = Waldsaum, Fläche 10 = ruderaler Standort/
Gebüsch, Fläche 11 und 12 = Fettwiese, Fläche 14 = ruderaler Standort
(Wegrand, Wiese), Fläche 15 = trockenen Fettwiese, Fläche 16 = Waldrand,
Fläche 17 = ruderaler Standort. Daten nach SCHULDT et al. 2015 (Bildquelle:
Google Maps).
Vegetation
Im Naturschutzgebiet 'Göttinger Wald', in den das Kerstlingeröder Feld eingebet-
tet ist, herrscht vorrangig Waldmeister-Buchenwald (Galio oderati-Fagetum) vor.
Das Kerstlingeröder Feld besitzt einen hohen Strukturreichtum mit Flachland-
mähwiesen sowie Magerweiden kalkreicher Standorte und deren submontane
Ausprägung mit Goldhafer (NLWKN 2016). Außerdem sind Magerrasen, arten-
reiche Saumgesellschaften sowie Totholz und Feldgehölze prägend für das Ge-
biet (MEINEKE 1993). Die floristische Einteilung der beprobten Flächen ist
SCHULDT et al. 2005 zu entnehmen.
110 [30.10.2017] ARTICULATA 32
Klima (Quelle: Wetterstation Göttingen 2016)
Die durchschnittliche Jahresmitteltemperatur des Jahres 2016 lag bei 9,9 °C und
somit höher als der langjährige Mittelwert von 8,7 °C. Dabei waren die Monate
Februar, Mai, Juni, Juli, August, September und Oktober deutlich wärmer als der
langjährige Durchschnitt ( > 1,2 °C des Mittelwerts). An dieser Stelle ist auch der
überdurchschnittlich warme Dezember des Vorjahres (2015) zu erwähnen, der
eine Monatsdurchschnittstemperatur von 7 °C aufwies und somit um +5,4 °C
vom langjährigen Mittel abwich. Die Niederschlagswerte des Jahres 2016 lagen
bei 510,4 mm und sind deutlich niedriger als der langjährige Mittelwert von
644,9 mm. Lediglich die Monate Januar, Februar, Juni und Oktober überschritten
die durchschnittliche Niederschlagsmenge. Die verbleibenden Monate insbeson-
dere Mai und Juli waren trockene Monate. Der Witterungsverlauf der Jahre 2001-
2004 kann SCHULDT et al. 2005 entnommen werden.
Material und Methoden
Insgesamt wurden 17 verschiedene Flächentypen an 13 Tagen innerhalb eines
Zeitraums von drei Wochen beprobt (01.08.16-23.08.16). Dabei wurde, wie auch
im Studienzeitraum von 2001-2004, auf sonniges, trockenes Wetter geachtet, um
eine größtmögliche Vergleichbarkeit mit früheren Erhebungen zu erzielen. Die
Aufnahmen begannen hauptsächlich vormittags (circa 10 Uhr) und endeten
nachmittags (circa 16 Uhr). Die Temperaturen schwankten zwischen 19 °C und
28 °C. Die gefangenen Heuschrecken wurden mit Hilfe von BELLMANN (1993),
HARZ (1954) sowie der Datenbank von Orthoptera.ch bestimmt. Bei Unsicherhei-
ten wurden einzelne Individuen zusätzlich unter dem Binokular betrachtet, um
eine korrekte Bestimmung sicherzustellen.
Die Datenverarbeitung zur Erstellung der Artenakkumulationskurven erfolgte mit
EstimateS 9.1.0 (COLWELL 2016). Dabei wurden neben der tatsächlich erfassten
Artenzahl S(est) folgende Schätzer aufgetragen: Abundance-based Coverage
Estimator (ACE Mean) (CHAO & LEE 1992), Chao 1 Mean (CHAO 1984), Jack 1
Mean (BURNHAM & OVERTON 1978, 1979) und Jack 2 Mean (BURNHAM & OVER-
TON 1978, 1979; SMITH & VAN BELLE 1984).
Kescherfang
Systematische Kescherfänge wurden auf zwölf verschiedenen Flächentypen je-
weils innerhalb eines Bereiches von 100x50 m durchgeführt (Abb. 1). Zur quali-
sowie quantitativen Untersuchung der Zönose wurden auf jeder Fläche 50 Indivi-
duen gefangen und bestimmt. Die gefangenen Individuen wurden nach der Be-
stimmung entgegen der Laufrichtung freigelassen, um die Anzahl an Wiederfän-
gen zu minimieren. Es wurde darauf geachtet, alle Strata und Vegetationsstruk-
turen der Flächen gleichgewichtet zu beproben. Zu Beginn ist anzumerken, dass
die Fettwiesen (Fläche 11, 12 und 15) und die Fläche neben dem ruderalen
Standort (Fläche 14) schon gemäht waren, als die Kescherfänge durchgeführt
wurden (Abb. 1). Die Mahd erfolgte circa zwei Wochen vor Begehung dieser Flä-
chen. Die Dauer der Begehung der Flächen schwankte mit dem Zeitaufwand der
Bestimmungen sowie der Dichte an Individuen.
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Isolationswürfel
Bei dem Isolationswürfel handelt es sich um einen Holzwürfel mit 1 m2 (1x1 m)
Grundfläche und einer Höhe von 0,8 m. Der Holzrahmen ist mit einem feinma-
schigen Netz bespannt, sodass die gefangenen Tiere nicht entfliehen können.
Auf der Oberseite wurde eine Öffnung zur Entnahme der Heuschrecken und zum
Einstieg in den Würfel gelassen. Insgesamt wurden auf fünf unterschiedlichen
Flächentypen jeweils 30 Isolationswürfel in einem Bereich von 100x50 m gewor-
fen (Abb. 1). Innerhalb dieses Bereiches wurden die Isolationswürfel in einem
genormten Abstand über die Vegetation gestülpt. Der untere Rahmen wurde di-
rekt nach dem Wurf fest an den Boden gedrückt, um ein Entweichen der Heu-
schrecken zu vermeiden. Die gefangenen Heuschrecken wurden entnommen,
gezählt und mittels Literatur auf Artniveau bestimmt. Anhand der gefangenen
Individuen wurde die Individuendichte der Arten (Ind./10 m2), sowie die Gesamt-
individuendichte der Flächen bestimmt.
Abgesehen von der verbuschten Fläche (Fläche 5) handelt es sich um dieselben
Untersuchungsflächen wie in den Jahren 2001-2004 (vgl. SCHULDT et. al. 2005).
Als Ersatz für die verbuschte Fläche wurde der verbuschte Bereich im nördlichen
Teil des Waldrandes (Fläche 16) beprobt (Abb. 1), da eine Probenahme auf der
ursprünglichen Fläche aufgrund vorheriger Schafbeweidung die Ergebnisse be-
einflusst und Vergleichbarkeit untergraben hätte.
Ergebnisse
In den Studienjahren 1993, 2001-2004 und 2016 wurden insgesamt 14 Heu-
schreckenarten nachgewiesen, davon fünf Laubheuschrecken (Tettigoniidae),
sieben Feldheuschrecken (Acrididae) und zwei Dornschrecken (Tetrigidae). Die
Arten bevorzugen überwiegend mesophile Standorte und sind Bewohner der
Krautschicht (Tab. 1).
1993 wurden insgesamt acht Arten erfasst, wobei der geringe Erfassungsgrad
dieses Jahres zu berücksichtigen ist. Heuschrecken waren in dem Studienjahr
1993 weder das zentrale Thema von Bestandsaufnahmen, noch wurden sie sys-
tematisch gefangen (MEINEKE et al. 1993). Die erfasste Artenzahl stieg 2001 auf
zehn Arten und sank 2002 auf neun Arten. In den Jahren 2003, 2004 und 2016
wurden jeweils zwölf Arten erfasst. Myrmeleotettix maculatus wurde ausschließ-
lich 1993 gefunden. M. roeselii und Chorthippus albomarginatus traten erstmals
2001 auf und wurden in allen folgenden Studienjahren erfasst. Dagegen wurde
S. lineatus ausschließlich 2001 und 2016 gesichtet. Ph. falcata trat erst ab 2002
auf. Tetrix tenuicornis war ein Einzelfund in den Jahren 2003, 2004 und 2016.
Tetrix bipunctata Individuen traten 2003 und 2004 nur als Einzelfunde auf, wur-
den 2016 hingegen häufiger erfasst. Meconema thalassinum wurde weder 2002
noch 2016 erfasst. Die verbleibenden sechs Arten, auf die nicht näher eingegan-
gen wurde, wurden im jedem der Untersuchungsjahre festgestellt (Tab. 1).
Unter Berücksichtigung beider Methoden dominiert Ch. parallelus das Kerstlinge-
röder Feld, wohingegen M. roeselii die Isolationswürfel (Tab. 3) und Ch. paralle-
lus die Kescherfänge (Tab. 2) dominiert. Die zweithäufigste Art des gesamten
Feldes ist M. roeselii gefolgt von Ch. biguttulus (Abb. 2).
112 [30.10.2017] ARTICULATA 32
Tab. 1: Artenliste der in den Jahren 1993, 2001-2004 und 2016 erfassten Arten.
Daten aus 1993 nach MEINEKE et al. (1993), Daten aus 2001-2004 nach
SCHULDT et al. (2005), Feuchte und Substrat nach KLATT (2003). Feuchte: x =
xerophil; m = mesophil; h = hygrophil. Substrat: arbo = arboricol (baumbewoh-
nend); arbu = arbusticol (strauchbewohnend); gram = graminicol (grasbewoh-
nend); terr = terricol (bodenbewohnend). Rote Liste Deutschland (BfN 2011),
Rote Liste Niedersachsen (GREIN 2004): RL (D/NS): * = nicht gefährdet.
RL
Feuchte Substrat (D/NS) 1993 2001 2002 2003 2004 2016
Tettigoniidae
Phaneroptera falcata m(x) arbo/arbu */* x x x x
Meconema
m arbo */* x x x x
thalassinum
Tettigonia
viridissima m arbo/arbu/gram */* x x x x x x
Metrioptera roeselii m-h gram */* x x x x x
Pholidoptera
m gram/arbu
griseoaptera */* x x x x x x
Acrididae
Stenobothrus
lineatus x gram */3 x x
Omocestus viridulus m-h gram */* x x x x x x
Myrmeleotettix
x terr */* x
maculatus
Chorthippus
x-m gram */* x x x x x x
biguttulus
Chorthippus
x terr/gram */* x x x x x x
brunneus
Chorthippus
m-h gram */* x x x x x
albomarginatus
Chorthippus
m gram */* x x x x x x
parallelus
Tetrigidae
Tetrix tenuicornis m-x terr */3 x x x
Tetrix bipunctata x terr 2/2 x x x
Abb. 2:
Abundanz Diagramm
aller erfassten Arten des
gesamten Kerstlingeröder
Feldes, basierend auf
Daten der Kescher- und
Isolationswürfelfänge.
ARTICULATA 32 [30.10.2017] 113
Kescherfang
Die häufigste Art der zwölf Kescherfänge war Ch. parallelus gefolgt von M. roe-
selii (p-value = 0,006, t- test). Die geringste Individuenanzahl wies Tetrix tenui-
cornis auf, bei der es sich um einen Einzelfund auf der verbuschten Fläche (8)
handelt. Auch S. lineatus war mit sechs Individuen ausschließlich am Waldrand
repräsentiert. Ähnlich geringe Individuenzahlen wies Ch. brunneus auf (8 Ind.),
wobei Individuen auf sechs verschiedenen Flächen zu finden waren. Insgesamt
wurden durch Kescherfänge elf Arten erfasst (Tab. 2), wobei der Waldrand mit
zehn nachgewiesenen Arten am artenreichsten und die trockene Fettwiese mit
vier nachgewiesenen Arten am artenärmsten ist (Tab. 2).
Tab. 2: Gesamtergebnis der Kescherfänge. Es wurden jeweils 50 Individuen pro Flä-
che gefangen. Fläche 6 = Magerrasen, Fläche 7 = trockene Fettwiese (Suk-
zessionsfläche), Fläche 8 = verbuschte Fläche, Fläche 9 = Waldsaum, Fläche
10 = ruderaler Standort/Gebüsch, Fläche 11 und 12 = Fettwiese, Fläche 13 =
feuchte Glatthaferwiese, Fläche 14 = ruderaler Standort (Wegrand, Wiese),
Fläche 15 = trockenen Fettwiese, Fläche 16 = Waldrand, Fläche 17 = rudera-
ler Standort.
Fläche
Art 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 Total
Tettigoniidae
Phaneroptera falcata 0 0 7 1 5 0 0 0 1 0 5 0 19
Tettigonia viridissima 1 1 3 5 2 1 0 0 1 0 3 2 19
Metrioptera roeselii 18 10 10 6 12 8 11 16 9 4 13 20 137
Pholidoptera griseoapt. 0 16 6 7 1 2 0 0 1 0 2 10 45
Acrididae
Stenobothrus lineatus 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 6 0 6
Omocestus viridulus 2 1 4 6 1 4 3 8 3 11 10 4 57
Chorthippus biguttulus 6 2 5 13 6 5 8 5 14 5 2 1 72
Chorthippus brunneus 1 0 1 2 0 0 1 0 1 0 1 0 7
Chorthippus albomarg. 2 0 0 0 0 11 6 0 5 13 1 2 40
Chorthippus parallelus 20 20 13 10 23 19 21 21 15 17 7 11 197
Tetrigidae
Tetrix tenuicornis 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1
Summe 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 600
Kumulative Artenzahl 7 7 9 8 7 7 6 4 9 5 10 7 11
Die modellgestützte Artenakkumulation ergab eine geschätzte Gesamtartenzahl
von 15 (14,5 Jack 2 Mean). Dieser Wert scheint im Vergleich zu den anderen
Schätzern (ACE Mean = 11,53 und Chao 1 Mean = 11) und der tatsächlich beo-
bachteten Artenzahl von 11 aber eher unwahrscheinlich. Da der Jack 2 Mean
auch im weiteren Verlauf die geschätzte Artenzahl stets hoch ansetzt, wurde er
für die Artenakkumulationskurve der Isolationsquadratdaten gegen den Jack 1
114 [30.10.2017] ARTICULATA 32
Mean ersetzt; dieser Schätzer scheint der präziseste und robusteste, nichtpara-
metrische Schätzer zu sein (PALMER 1990). Die Werte des ACE Mean und des
Chao 1 Mean legen nahe, dass fast die gesamte Heuschreckenzönose der
Krautschicht erfasst wurde (Abb. 3).
Abb. 3:
Artenakkumulations-
kurve aller Kescher
fänge. Beobachtete
Artenzahl S(est) und
geschätzte Artenzahl
(ACE Mean, Chao 1
Mean und Jack 2
Mean) der Heu-
schreckenarten des
Kerstlingeröder Fel-
des. Basierend auf
600 Individuen den
Kescherfängen auf
zwölf Flächen á 50
Individuen.
Isolationswürfel
Insgesamt wurden in 150 (5 Flächen á 30 Würfel) Isolationswürfeln 240 Individu-
en gefangen (Tab. 3). Dabei unterschied sich die Gesamtindividuendichte der
Flächen signifikant von der Zufallsverteilung (X2 = 21.542, df = 4, p-value =
2.472e-4; Chi-squared Test). Die statistische Signifikanz der Unterschiede in den
Gesamtindividuenzahlen beruhen größtenteils auf den Unterschieden der domi-
nanten Arten Ch. parallelus (X2 = 9.455, df = 4, p-value = 0.051) und Ch. biguttu-
lus (X2 = 54.974, df = 4, p- value = 3.289e-11). Die Individuenverteilung von M.
roeselii unterscheidet sich von der Zufallsverteilung nicht signifikant (X2 = 5.565,
df = 4, p-value = 0.234).
Wie bei den Kescherfängen waren die drei häufigsten Arten M. roeselii,
Ch. parallelus und Ch. biguttulus. Dabei war M. roeselii auf dem Wegrand, der
mittelfeuchten Wiese sowie der verbuschten Fläche und Ch. parallelus auf der
trockenen Glatthaferwiese am häufigsten. Auf der feuchten Glatthaferwiese war
Ch. biguttulus am häufigsten. Dagegen erreichte Ch. parallelus auf den fünf Iso-
lationswürfelflächen eine durchschnittlich deutlich höhere Dichte (4,38 Ind./
10 m2, vgl. Ch. biguttulus 2,6 Ind./10 m2; Tab. 4).
Die höchste Gesamtindividuendichte sowie Artenzahl der Isolationswürfelflächen
wurde auf der feuchten Glatthaferwiese festgestellt. Dagegen wies die verbusch-
te Fläche die geringste Dichte sowie die geringste Artenzahl auf. Die Gesamtar-
tenzahl schwankte je nach Flächentyp zwischen sechs und neun Arten (Abb. 4).
ARTICULATA 32 [30.10.2017] 115
Die Schätzwerte der Artenzahl für alle Probenahmen der Isolationswürfel erga-
ben maximale Werte von elf Arten (Jack 1 Mean) und minimale Werte von zehn
Arten (Chao 1 Mean). Der ACE Mean lieferte hier einen Wert, der zwischen den
Schätzwerten Chao 1 Mean und Jack 1 Mean lag. Die kartierte Artenzahl S(est)
betrug zehn Arten, sodass davon ausgegangen werden kann, dass fast die ge-
samte Heuschreckenfauna der Flächen erfasst wurde.
Auch lässt sich eine grundlegende Änderung in der Dominanzstruktur im Ver-
gleich zu den Studienjahren 2001-2004 erkennen: 2001-2004 waren Ch. paralle-
lus, O. viridulus und Ch. albomarginatus die drei häufigsten Arten (SCHULDT et al.
2005). Dabei war Ch. parallelus in allen vier Studienjahren die häufigste Art. Die
Daten aus 2016 zeigen einen Rückgang der Häufigkeit dieser drei Arten im Ver-
gleich zu dem vorherigen Studienjahr 2004 (Tab. 5). 2016 waren M. roeselii, Ch.
parallelus und Ch. biguttulus am häufigsten. Dabei erreichten in 2016 die Indivi-
duendichten von M. roeselii und von Ch. biguttulus die höchsten Werte im Ver-
gleich zu allen Studienjahren und verzeichnen einen deutlichen Anstieg (R2 =
0,77 und R2 = 0,9) über die Jahre (Tab. 5).
Tab. 3: Gesamtergebnis der Isolationswürfel. Es wurden jeweils 30 Isolationswürfel á
0-7 Individuen auf fünf verschiedenen Flächentypen genommen: Fläche 1 =
trockene Glatthaferwiese, Fläche 2 = feuchte Glatthaferwiese, Fläche 3 =
Wegrandvegetation, Fläche 4 = mittelfeuchte Wiese, Fläche 5 = verbuschte
Fläche.
Fläche
Art 1 2 3 4 5
Phaneroptera falcata 0 7 0 0 9
Tettigonia viridissima 1 4 1 1 0
Metrioptera roeselii 18 7 16 16 12
Pholidoptera griseoaptera 0 0 0 2 1
Omocestus viridulus 2 4 5 0 2
Chorthippus biguttulus 6 26 2 4 1
Chorthippus brunneus 1 3 0 0 0
Chorthippus albomarginatus 2 1 14 2 0
Chorthippus parallelus 19 19 9 12 7
Tetrix bipunctata 0 3 0 1 0
Summe 49 74 47 38 32
Kumulative Artenzahl 7 9 6 7 6
116 [30.10.2017] ARTICULATA 32