Table Of ContentForlschrilte der Urologie und Nephrologie
FORTSCHRITTE DER UROLOGIE UND NEPHROLOGIE
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. DR. W. VAHLENSIECK, BONN
BAND 15
Urethrotomia interna bei der mannlichen
Harnrohrenstriktur
DR. DIETRICH STEINKOPFF VERLAG
DARMSTADT 1979
U rethrotomia interna bei der mannlichen
Harnrohrenstriktur
Herausgegeben von
R. Chiari und K. Planz
Urologische Klinik des Akademischen Krankenhauses Fulda
Mit 50 Abbildungen und 14 Tabellen
DR. DIETRICH STEINKOPFF VERLAG
DARMSTADT 1979
AIle Rechte vorbehalten
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© 1979 by Dr. Dietrich Steinkopff Verlag, GmbH & Co. KG Darmstadt
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vonjeder1llann benutzt werde" dur/ten.
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Urethrotomia interna bei der mibmlichen HamrOhrenstriktur /
hrsg. von R. Chiari u. K. Planz. - Darmstadt: Steinkopff, 1979.
(Fortschritte der Urologie und Nephrologie; Bd. 15)
ISBN-13: 978-3-7985-0558-2 e-ISBN-13: 978-3-642-85313-5
DOl: 10.1007/978-3-642-85313-5
NE: Chiari, Reinhard [Hrsg.]
ISSN 0071-7975
v
Zweck und Ziel der Sammlung
Urologie und Nephrologie ziihlen zu jenen Bereichen der Medizin, in denen in den
Jetzten Jahrzehnten erhebliche diagnostische und therapeutische Fortschritte erzielt
werden konnten. Dank intensiver wissenschaftlicher Zusammenarbeit zwischen
Genetikem, Andrologen, Piidiatem, Gyniikologen, Rontgenologen, Pathologen,
Chirurgen, Aniisthesisten, Urologen und Nephrologen konnten manche Probleme
gelost werden, die frUher unlosbar schienen. Die bestehenden Fachzeitschriften er
lauben nur in begrenzter Weise eine fundierte Information des praktizierenden Arztes
und Facharztes, welcher sich fast tiiglich einer Vielfalt von Nieren- und Harnwegs
erkrankungen gegenfibergestellt sieht.
, Die vorliegende Sammlung will in zwangloser Weise aktuelle Themen aus dem
Bereich der Urologie und Nephrologie knapp, aber erschopfend unter BerUcksichti
gung der modernen Diagnostik und Therapie darstellen. Jeder Beitrag ist in sich ab
geschlossen.
Der in der Klinik oder Praxis tiitige Arzt kann aus den einzelnen Biinden den je
weils neuesten Stand der Urologie und Nephrologie kennenlemen, der Medizin
student Ergiinzungen fiber den knappen Rahmen vorhandener Lehrbficher hinaus
finden.
HERAUSGEBER und VERLAG
VI
Vorwort der Herausgeber
Die interne Urethrotomie ist der haufigste operative Eingriff bei der Behandlung der
Striktur der miinnlichen Urethra. Bisher existiert kein einheitliches Schema fUr die Nach
behandlung. Abth die Abgrenzung der Indikation gegen die offene Harnrohrenplastik
steht noch aus. Experimentelle Grundlagen fUr die erfolgreiche Harnrohrenchirurgie wur
den parallel zur Entwicklung der offenen Plastiken erarbeitet. Die Beachtung dieser
Prinzipien ist die Voraussetzung fUr gute Ergebnisse der offenen Korrektur wie der endo
skopischen Schlitzung der Harnrohrenstriktur, ihre Au~eracht1assung mu~ zur Ver
schlechterung der Ergebnisse fUhren. Der vorliegende Band, der auf eine Tagung in Ful
da im November 1978 zuriickgeht, soll moglichst umfassend die normale und die strik
turisierte Harnrohre aus anatomischer, experimenteller, chirurgischer und diagnosti
scher Sicht darstellen, urn damit einen Beitrag zur Standardisierung der Nachbehand
lung nach der scharfen Harnrohrenschlitzung zu leisten. Wir danken dem Steinkopff
Verlag und dem Herausgeber der Reihe, Herrn Prof. Dr. W. Vahlensieck, fUr die Uber
nahme der Veroffentlichung.
Fulda, im luli 1979 R. Chiari, K. Planz
VII
INHALTSVERZEICHNIS
Zweck und Ziel der Sammlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. VI
1. Historische Entwicklung der Urethrotomia interna beim Manne
Von F. Schultze-Seemann - Berlin .......................... .
2. Prospektive interklinische Studie zur Beurteilung des Einflusses der Nach
behandlung auf die Ergebnisse der Urethrotomie
Von R. Chiari- Fulda (mit 2 Tab.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
3. Pathologisch-anatomische Grundlagen der Harnrohrenstriktur
Von E. Alteniihr - Hamburg (mit 11 Abb. und 2 Tab.). . . . . . . . . . . . . . 8
4. Experimentelle Grundlagen zur Harnrohrenchirurgie
Von H. Marberger und G. Bartsch - Innsbruck (mit 9 Abb. und 1. Tab.) .. 23
5. Die rontgenologische Darstellung und Klassifizierung der Harnrohrenstriktur
Von M. Marberger - Mainz (mit 3 Abb.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 30
6. Uroflowmetrie
Von H. Tammen und R. Hartung - MUnchen (mit 1 Abb.) . . . . . . . . . .. 37
7. Die Uroflowmetrie in Diagnostik und Verlaufskontrollen von Harnrohren
strikturen
Von D. Hauri und A. Schoen en berger - Ziirich (mit 8 Abb.) . . . . . . . ... 40
8. Kalibrieruns. der mannlichen Harnrohre·
Von H. Frohmilller - Wiirzburg (mit 4 Tab.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 48
9. Die interne Urethrotomie mit besonderer Beriicksichtigung der Sichture
throtomie mit scharfem Schnitt, Operationstechnik - Komplikationen
Von H. Sachse - Niirnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 52
10. Bedeutung von Katheteroberflache und Katheterstarke fUr die Ergebnisse
der Urethrotomie
Von G. Dathe - Frankfurt (mit 13 Abb.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 57
II. Die Bedeutung der postoperativen Harnrohreninstillation
Von D. Bach und L. Weif3bach - Bonn (mit 1 Abb. und I. Tab.) 66
12. Antibakterielle Maanahmen bei der internen Urethrotomia
Von R. Hubmann - Hamburg (mit 4 Abb.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 72
13. Hydraulische Selbstbougierung der Harnrohre - endoskopische Therapie
der Rezidivstriktur
Von E. Matouschek - Karlsruhe (mit 4 Tab.). . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 77
Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 81
Fortschritte d. Urologie u. Nephrologie 15,1-3 (1979)
Dr. Dietrich Steinkopff Verlag, Darmstadt
F. Schultze-Seemann, Historische Entwicklung der Urethrotomia interna
1.
Deutsche Gesellschaft fiir Urologie, Berlin
Historische Entwicklu~ der Urethrotomia interna beim Manne
F. Schultze-Seemann
Seit iiltesten Zeiten waren Strikturen der Harnrohre nach Entziiodungen und
Verletzungen sowie zu ganz geringem Anteil auch als angeboren bekannt. Ebenso
alt war sicher auch der Versuch ihrer Behandlung, der von der Bougierung mit
Pflanzenstengeln oder Vogelfedern iiber die Papyrusrollen der alten Agypter, die
Kupfer-und Bronzekatheter aus den Ruinen Pompejis tiber Metalldilatatoren und
Sonden arabischer Chirurgen zu den Bleisonden, Leder-und Silberkathetern,
Wachskerzen, Guttapercha-Kautschuk-und Seidengespinst-Kathetern bis zu denen
aus Kunststoffen der heutigen Zeit gefiihrt hatte.
tiber den Harnrohr.enschnitt jedoch finden wir weder in den altesten historischen
Schriften des Hippokrates oder Celsus noch in denen der alexandrinischen Schule
diesbeztigliche Nachrichten. Da aber in Agypten Spezialisten fUr den Steinschnitt
erwahnt wurden, ware es moglich, da~ auch hier bei angeborenen oder erworbenen
Strikturen Operationen in der Harnrohre versucht worden waren.
Die erste sichere Nachricht tiber die Urethrotomia externa fand sich 80 n. Chr.
beiAretaeus, der wohl auch schon Kenntnis vom Blasenstich oberhalb des Scham
beins gehabt haben mu~, wahrend die erste unzweideutige Nachricht liber die Ure
throtomia interna 90 n. Chr. dem Werk "Opera chirurgica" des Heliodorus zu ent
nehmen ist. Er stellte darin fest, da~ sich Harnrohrenstrikturen meist nur an einer
Stelle finden und erklarte sie durch Fleischauswiichse, die sog. Carunkel bzw. Car
nositaten oder durch Narbensubstanz nach Geschwliren. Man nahm damals allgemein
an, da~ die Strikturen der Harnrohre durch sog. "wildes Fleisch" bedingt waren, das
- iihnlich wie bei offenen Wunden - eitriges Sekret absonderte. Diese falsche An
sicht der Carunkel bzw. Carnositaten der Harnrohre hielt sich bis weit ins 18. Jahr
hundert hinein; daher wurde in diesen Jahrhunderten die Bougierungs-und Deh
nungsbeh~ndlung der Striktur bevorzugt.
Die von Heliodorus ?O n. Chr. beschriebene anterograde innere Inzision und Ex
zision durch ein spitzes schneidendes Stilett mit anschlie~ender Dilatation der
Striktur durch hohle Bougies von Papyrus geriet wieder in Vergessenheit. Sie wurde
weder bei Galen (130 n. Chr.), noch bei Rhazes (850 n. Chr.) oder Avicenna (978-
1036) erwahnt. Erst bei Abulcasem (1180 n. Chr.) fand sich nach Heliodorus wie
der eine Nachricht von !liner Harnrohrenoperation im Sinne einer Urethrotomia
interna, wo er bei Atresie mit Hilfe eines schmalen Messers einen neuen Kanal in
der Harnrohre bildete. In Abulcasems Werken fand sich auch erstmalig die Abbildung
eines Katheters.
Bis etwa 1500 schien die Harnrohrenstriktur nicht sehr haufig aufgetreten zu sein.
1m Vordergrund der Therapie stand die Bougierung. So stellt die Mitteilung des
Guaynerius aus Pavia 1420 eine wertvolle Bereicherung dieser konservativen Therapie
dar: Er behandelte erstmalig mit Wachslichtern statt Metallkathetern, um einen Ab
druck der Striktur zu nehmen und eventuell im Blasenhals sitzende Steine zuriickzu
schieben. Schlagartig anderte sich die Situation mit dem starken Auftreten der vene
rischen Erkrankungen in Europa nach der Entdeckung Amerikas 1492. Besonders
in West-und Mittel-Europa traten die Lues und Gonorrhoe mit solcher Heftigkeit
auf, da~ sich nun die Arzte um genauere Kenntnis und neue Heilmethoden dieser
Krankheiten und ihrer Folgeerscheinungen bemiihen mu~ten. - Bis etwa 1550
hatte sich die Ansicht durchgesetzt, da~ sich dabei Geschwiire und Fleischauswlichse
bildeten, die sich zu Narben von bedeutender Harte und Dicke entwickelten und
2 F. Schultze-Seemann, Historische Entwicklung der Urethrotomia interna
somit die Harnrohre verengten. - Zur Behandlung der Geschwiire wurden adstrin
gierende oder atzende Mittel angewandt, wahrend fUr die narbige Striktur die Dila
tation mit Wachskerzen, Bleisonden oder Kathetern bzw. die forcierte Dilatation
(Marianus Sanctus vor 1550) ausgefiihrt wurde. Bei sehr harten Strikturen, die
jeder anderen Behandlung trotzten, nahm man die Urethrotomia interna mit schnei
denden, stechenden oder zerre~enden Instrumenten vor und in seltenen Fallen auch
die Urethrotomia externa. Alfonso Ferro aus Neapel war 1552 unzweideutig der
erste, der nachHeliodorus und Abulcasem wieder die Urethrotomia interna mittels
eines Stiletts ausfiihrte.
Der beriihmte franzosische Chirurg Ambroise Pare fUhrte diese Operation mit
Bleibougies aus, deren Spitze feilen-ahnlich armiert war. Diese wurde in der Striktur
hin-und herbewegt. Wegen der damit verbundenen vielen Verletzungen gesunder
Teile schuf Pare eine schneidende Caniile,die sog. "Sonde tranchante", ein katheter
fOrmiges Instrument, dessen Vesicalende sich mit Hilfe eines Mandrins wie ein Hiit
chen abschieben lie~ und so retrograd die Striktur einschnitt. Wurde bis Pare zu allen
Zeiten die anterograde inn ere Urethrotomie ausgefUhrt, so war er jetzt der erste, der
die retrograde Methode ausfUhrte.
Trotz dieses Fortschritts blieb die Urethrotomia interna eine offenbar au~erst
selten ausgefUhrte Operation bis hinein in die Mitte des 18. lahrhunderts. So iibte
der beriihmte deutscl).e Chirurg Lorenz Heister noch weitgehend die Atzung der
angeblichen Carunkel und Carnositaten aus, bis das Genie John Hunters in England
zwischen 1752 bis 1793 diese iiber 1500jahrige Irrlehre der Harnrohrencarunkel auf
Grund seiner Untersuchungsergebnisse endgiiltig zum Einsturz brachte. Er warnte
besonders vor forcierter Bougierung, um Zerrei~ungen der Harnrohre mit ihren
schweren Folgen zu vermeiden. Seit 1765 durchbohrte Hunter die Harnrohre von
hinten nach vorn nach Einschnitt in die gesunde Harnrohre hinter der Striktur. Eben
so fiihrte Hunter seine Idee am Lebenden erstmalig durch, von einem Blasenstich aus
einen Katheter durch die hintere Harnrohre bis zur Striktur zu bringen und diese dann
von vorn in Richtung auf den Katheter zu durchbohren. John Hunter ist somit als
Erfinder des retrograden Katheterismus anzusehen. Nach spateren Literaturangaben
soIl diese Operation bei Notfall bereits von dem Franzosen Verguin 1757 in Toulon
ausgeflihrt worden sein. - Hunter lehrte au~erdem, bei impermeabler Striktur ein
Bougie langere Zeit gegen die Vernarbung zu driicken und so doch noch die Verengung
zu iiberwinden - eine Methode, wie sie im 19. 1a hrhundert der Franzose Dupuy tren
erneut als sag. "Dilatation vitale" empfahl.
Hunters Ideen wirkten fort: sein Schiiler Physick hatte 1802 zuerst die geniale Idee,
bei schwierigem Katheterismus infolge enger Strikturen ganz diinne Bougies als Weg
weiser zu benutzen und ein an ihrem Ende befestigtes dickeres Instrument durch die
Striktur nachzuschieben und in die Blase einzufiihren.
John Bell in England schlug 1801 vor, um die anterograde innere Urethrotomie
sicherer zu machen, sollte der Patient bei der Operation zur Aufweitung der Striktur
urinieren. Au~erdem erfand er fUr die retrograde innere Urethrotomie ein Instrument
mit viereckformiger Klinge an seinem Vesikalende. Zusatzlich fOrderte Bell die patho
logisch-anatomischen Untersuchungen, indem er nachwies, da~ die Striktur meist
Folge gonorrhoischer Entziindung war. - Charles Bell hatte au~erdem zuerst die
geniale Idee, die Diagnose "Harnrohrenstriktur" durch die von ibm "Ball probes"
genannten Knopfsonden zu stellen und dabei auch ibre Lange zu messen.
Durch technische Verbesserungen am Urethrotom und Schaffung neuer Modelle
(neben Scarificateuren und Dilatatoren) durch verschiedene Autoren in Frankreich
und England gewann nun die Urethrotomia interna bis 1829 immer mehr an Boden.
In diesem 1a hr gelang es Stafford in London, mit seinem "lateral bladed Stilette" das
bis dahin beste Instrument zur retrograden inneren Urethrotomie zu schaffen. Da-
F. Schultze-Seemann, Historische Entwicklung der Urethrotomia interna 3
mit war der bedeutendste Schritt getan, sie zu einer klassischen Operationsmethode
zu erheben. Staffords Ideen wurden von anderen iibernommen und seine Instrum~nte
nachgebaut: im deutschen Sprachraum war besonders das von Ivanchich aus Wien in
Gebrauch.
Unterstiitzend zu den verbesserten Urethrotomen kamen neue pathologisch-anato
mische Untersuchungen hinzu. Wahrend der Englander Guthrie 1830 als erster auf die
im Blasenhals vorkommenden klappenartigen Gebilde hinwies, betonte der Franzose
Raybard 1847 die Notwendigkeit, bei der Urethrotomia interna tiefe lange Inzisionen
durch die ganze Dicke der Striktur durchzufiihren, urn nachhaltige Heilung zu erreichen.
Hinzu kam eine weitere wichtige Entdeckung bei der Identifizierung der venerischen
Krankheiten: 1831 konnte Ricord endgiiltig nachweisen, da~ Lues und Gonorrhoe
nicht identisch waren. Der meist postgonorrhoische Charakter der Harnrohrenstriktur
wurde geklart. Etwa ab 1840 setzte sich die Urethrotomia interna immer mehr durch:
zahlreiche Urethrotome damals bekannter urologisch tatiger Chirurgen geben ein be
redtes Zeugnis davon. Den Hohepunkt erreichte diese Methode mit der Schaffung
des besten Instrumenies zur anterograden inneren Urethrotomie 1855 durch den
Franzosen Maisonneuve, das bis heute noch in Gebrauch ist. Daneben zeichnete sich
noch eine andere Operationsmethode der Harnrohrenstriktur ab: Mit der Erfindung
des Urethroskops 1853 durch Desormeaux in Paris begann nun die Moglichkeit der
sichtbaren - im Gegensatz zur bisherigen blind en - Urethrotomie, die seit Beginn
des 20. Jahrhunderts immer tnehr ausgebaut wurde und nach Einfiihrung der Elektro
koagulation und -resektion 1937 einen technischen Hohepunkt im Fischer-Urethroskop
fand, mit dem die Striktur elektrisch zerschnitten werden konnte. Weitere Erleichte
rung hatte sich durch Einfiihrung der Chloroform-Narkose ergeben: So wurde im
letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Urethrotomia interna immer mehr durch
die gewaltsame Sprengung der Strikturen mittels Metall-Dilatatoren wie den Koll
mann-Dehnern abgelost. Eines dieser bis heute gebrauchlichsten Instrumente war
das "Dilatierende Urethrotom" von Otis aus dem Jahre 1871 (daneben 1872 brauch
bares Urethrometer).
Eine weitere starke Konkurrenz fUr die blinde Urethrotomia interna war die seit
1870 von Jardin eingefiihrte Elektrolyse der Harnrohrenstriktur, die lange Zeit be
sonders von Fort -Paris und Newman-New York ausgefUhrt wurde. Neue blinde
Urethrotome wurden nnch bis in die Zeit nach dem 1. Weltkrieg geschaffen: Dann
setzte sich die Sicht-Urethrotomie mit elektrischem Schnitt oder Koagulation immer
mehr durch.
Von den schon im Altertum erwahnten Operationen der Harnrohrenstriktur war
noch die Urethrotomia externa bzw. die "Boutonniere" und die Sectio alta geblieben,
von der aus durch retrograden Katheterismus die hintere Harnrohre bei Striktur auf
geweitet werden konnte. Diese schon von Hunter 1765 ausgefiihrte und inzwischen
vergessene Operation wurde 1929 von Kroiss in Wien neu erfunden und von der Wie
ner Schule bis zur Mitte d. Jhd. empfohlen. Zu erinnern ware ferner an die 1953 zu
erst angegebene Bengt-Johanson-Plastik fUr Strikturen der hinteren Harnrohre.
Zusammenfassend betrachtet waren bis zur Mitte dieses Jahrhunderts sehr alte
Operationsmethoden (Urethrotomia externa und Blasenstich), besonders aber die
blinde Urethrotomia inierna nach Maisonneuve oder mit dem dilatierenden Urethro
tom nach Otis gebrauchiich, au~erdem neb en modernen plastischen Operationsverfahren
(Bengt-Johanson) besonders die Sichturethrotomie mit Hilfe des Fischer-Urethroskops.
Anschrift des Verfassers:
Dr. F. Schultze-Seemann
Archivar der Deutschen Gesellschaft flir Urologie
Miinchener Str. 22
D - 1000 Berlin 28