Table Of ContentIsabel Grimm-Stadelmann
Untersuchungen zur Iatromagie in der byzantinischen Zeit
Byzantinisches Archiv –
Series Medica
Herausgegeben von
Albrecht Berger und Isabel Grimm-Stadelmann
Wissenschaftlicher Beirat:
Robert Alessi (Paris), Klaus-Dietrich Fischer (Mainz),
Anna Maria Ieraci Bio (Neapel), Frederick Lauritzen
(Venedig), Rosa Maria Piccione (Turin), Peter Schreiner
(Köln/München), Ilias Valiakos (Larissa)
Band 1
Isabel Grimm-Stadelmann
Untersuchungen zur
Iatromagie in der
byzantinischen Zeit
Zur Tradierung gräkoägyptischer
und spätantiker iatromagischer Motive
ISBN 978-3-11-061292-9
e-ISBN (PDF) 978-3-11-061904-1
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-061831-0
Library of Congress Control Number: 2019939558
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Für Alfred
Vorwort
Ich dachte über mein Amt, das mir die Gottheit gegeben hatte, nach. Es kann nicht recht sein,
daß man dasjenige, was andere getan und gefunden haben, in mehrere Bücher zusammenträgt,
dasselbe sich sehr gut in das Gedächtnis prägt und es dann in der gleichen Gestalt immer ausübt
– es kann nicht recht sein. Man muß die Gebote der Naturdinge lernen, was sie verlangen und
was sie verweigern, man muß in der steten Anschauung der kleinsten Sachen erkennen, wie sie
sind, und ihnen zu Willen sein. Dann wird man das Wachsen und Entstehen erleichtern. Es wis-
sen auch die großen Bücher, welche ich auf meinen Tisch und auf mein jetziges Schreibgerüste
lege und in denen ich lese, nicht viel. Wer erkennt es genau, ob die Arcana und die Sympathien
und die Zeitverbindungen die Hilfe bringen, die in ihnen liegt? Und ist es nicht klar abzumerken,
daß Gott in die großen Zusammensetzungen der Stoffe unser Heil gelegt hat, weil wir es nicht
finden würden, wenn wir die Zusammensetzungen noch nicht kennten? Es liegt gewiß irgendwo
sehr nahe bei uns. Womit würde sich denn der Hirsch heilen, und der Hund, und die Schlange
des Waldes, wenn die Arznei, die ihnen hilft, in meinem Schragen stünde, weil sie ja nie zu ihm
kommen? Es wird ein Ding in dem kühlenden fließenden Wasser sein, es wird eins in der wehen-
den Luft sein, und es werden Zustimmungen zu unserem Körper aus der Eintracht aller Dinge
jede Stunde, jede Minute in unser Wesen zittern und es erhalten. – Ich will sehr eifrig in den
Büchern lesen und das lernen, was sie enthalten – und ich will hinter dem Hirsche, hinter dem
Hunde hergehen und zusehen, wie sie es machen, daß sie genesen. Die Kräuter der Berge kenne
ich; jetzt will ich auch die anderen Dinge ansehen und will die Krankheiten betrachten, was sie
sprechen, was sie zu uns sagen und was sie heischen. – So dachte ich, und so hatte ich vor.1
Diese Reflexion über die Ausübung des Arztberufes, die Adalbert Stifter (1805–1868)
seinem Urgroßvater der ein »weitberühmter Doktor und Heilkünstler gewesen,
sonst auch ein gar eulenspiegeliger Herr«2 zuschreibt, wirkt durchaus ›byzanti-
nisch‹: waren es doch vornehmlich die byzantinischen Ärzte und Verfasser medizini-
scher Texte, welche stets den Brückenschlag aus überliefertem (theoretischen) Wis-
sen, praktischer Erfahrung und zuweilen auch volksmedizinischen und iatro-
magischen Traditionen nicht nur suchten, sondern in vielen Fällen die Verbindung
dieser unterschiedlichen Facetten der Heilkunst real umzusetzen und in ihren Schrif-
ten überzeugend darzulegen verstanden. Eine wichtige Rolle innerhalb des byzanti-
nischen Medizinverständnisses spielte zudem die Vorstellung von naturimmanenten
Sympathien und Antipathien, welche es zu erfassen und zu Heilzwecken zu nutzen
galt, sei es ergänzend oder aber auch alternativ zu herkömmlichen Therapieansätzen
– eine Vorstellung, die seit jeher das medizinische Denken nicht nur der Byzantiner
bewegte.
Alternativheilkunde, Esoterikmedizin und deren unterschiedliche Spielarten
sind seit längerer Zeit wieder en vogue – als eigenständiges medizinisches Konzept
||
1 Stifter 1841, 658 f.; ein Teil des Zitates (»Wer erkennt es genau […] heischen«) auch bei Rothschuh
1978, 35.
2 Stifter 1841, 464.
https://doi.org/10.1515/9783110619041-201
VIII | Vorwort
ebenso wie als Gegenentwurf zu einer zunehmend als beängstigend und unzu-
reichend empfundenen Schulmedizin.3 Die Möglichkeit, in Eigeninitiative auf Hei-
lungsprozesse einwirken zu können, eventuell Selbstheilungskräfte des Körpers zu
aktivieren oder auch nur die Hoffnung auf Heilung aufrecht zu erhalten, spornt viele
Patienten, gerade in wenig aussichtsreichen Diagnosesituationen, zur Suche nach al-
ternativen Heilkonzepten an.4 Die aktuelle Entwicklung im Bereich der Alterna-
tivheilkunde, insbesondere vor dem Hintergrund einer kontinuierlichen Evaluation
der patientenorientierten Heilkunde5, hat mein Interesse auf die Frage nach mögli-
chen historischen Parallelerscheinungen bzw. -entwicklungen oder eventuell sogar
einer entsprechenden Traditionsbildung gelenkt. Ausgangspunkt und Grundlage
meiner kulturhistorisch-motivgeschichtlichen Untersuchung ist das byzantinische
Zeitalter und das innerhalb dieses Zeitraums überlieferte Quellenmaterial. Aufgrund
der großen Menge an untersuchungsrelevanten Quellen, darunter eine Vielzahl bis-
lang noch gänzlich unedierter oder aber den Kriterien moderner Editionstechnik zu-
folge unzulänglich edierter Texte, war es erforderlich, die zugrunde gelegte Textbasis
auf eine charakteristische und, soweit möglich, repräsentativ-signifikante Auswahl
zu reduzieren. Die zitierten Textbeispiele stammen aus den jeweils gültigen Editionen
bzw. sind dem Thesaurus Linguae Graecae entnommen. Soweit Übersetzungen der
zitierten Textquellen vorliegen, wurden diese übernommen und, sofern notwendig,
präzisiert; andernfalls werden eigene Übersetzungen verwendet.
Alternativheilkunde bedeutete in Antike, Spätantike und Mittelalter nahezu stets
Iatromagie – das heißt, traditionell basierte Anwendungen (Amulette sowie verbale
und gestische Rituale), die entweder alternativ oder komplementär zu den herkömm-
lichen, humoralpathologisch-diätetischen Heilmethoden eingesetzt werden konn-
ten. Die Untersuchung konzentriert sich auf die Analyse iatromagischer Motive und
deren Rezeption im byzantinischen Zeitalter, deren Wurzeln sich zumindest teilweise
bis zur altägyptischen Heilkunde, zurückverfolgen lassen, ohne dabei jedoch eine
ägyptologische Primärquellenanalyse zu leisten. Unmittelbare Quellenbasis der by-
||
3 Vgl. R. Jütte, s.v. Alternativmedizin, EM 2005, 42–49.
4 Zu Pro und Contra des gezielten Einsatzes einer additiven Placebo-Therapie, insbesondere in der
Akutschmerztherapie, vgl. R. Haaga – A. Schnabel, Placeboeffekte in der Akutschmerztherapie,
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/s-0043-121684 (Letzter Zugriff:
24.09.2019). Die am Klinikum Hamburg-Eppendorf erarbeiteten diesbezüglichen Leitlinien wurden
im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2018 diskutiert; ich danke Frau Felek Aytan, die zeit-
weise als Mitarbeiterin an der onkologischen Station dieser Klinik in entsprechende Projekte einge-
bunden war, für ihre interessanten Erfahrungsberichte.
5 Zur aktuellen Reform des »Genfer Gelöbnisses« unter Einbezug der Patientenautonomie vgl. den
Beitrag »Weltärztebund verabschiedet neues ärztliches Gelöbnis«, in: aerzteblatt.de vom 20.10.2017:
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/83022/Weltaerztebund-verabschiedet-neues-aerztliches-
Geloebnis (Letzter Zugriff: 24.11.2017) sowie https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/arti-
kel/2017/11/03/aerzte-reformieren-ihren-eid/chapter:all (Letzter Zugriff: 24.11.2017).
Vorwort | IX
zantinischen Rezeption solcher Motive waren gräkoägyptisch-synkretistische Strö-
mungen und Traditionen, welche insbesondere im spätantiken Alexandreia in Form
von einschlägigen Wissenssammlungen niedergelegt wurden, um auf diese Weise
nachfolgenden Generationen als Materialbasis zu dienen.
Vorliegende Publikation stellt die überarbeitete und um inzwischen neu publi-
ziertes Material ergänzte Fassung meiner Habilitationsschrift dar, die im Winterse-
mester 2016/17 von der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität
München angenommen wurde; das Habilitationskolloquium fand am 11. Januar 2017
statt. Die Publikation besteht aus zwei Teilen, deren erster den kulturgeschichtlichen
Rahmen für die byzantinische Rezeption gräkoägyptischer iatromagischer Motive
thematisiert, zentriert um die grundlegenden spätantiken Quellenkompilationen, die
den byzantinischen Autoren zur Verfügung standen. Teil zwei hingegen zeigt anhand
von Textbeispielen Überlieferungswege und Rezeptionsstrukturen diverser iatroma-
gischer Motive sowie deren Kontinuität bzw. Transformation innerhalb der medizi-
nisch-therapeutischen Gebrauchsliteratur des byzantinischen Zeitalters. Eine Schlüs-
selfigur innerhalb dieser Rezeptionsgeschichte ist der byzantinische Arzt Alexandros
von Tralleis, der in Alexandreia studiert hatte und anschließend als Arzt in Rom prak-
tizierte. In seinem in vielerlei Hinsicht medizinhistorisch interessantem Alterswerk
verband er eine umfassende Quellenkenntnis mit scharfer Beobachtungsgabe, kriti-
scher Reflexion und Erfahrungswerten aus seiner eigenen Berufspraxis.
Dankesworte
An erster Stelle möchte ich Albrecht Berger (München) meinen Dank für die Möglich-
keit zur Publikation meiner Habilitationsschrift als erstem Band der neu begründeten
Series Medica in der Reihe Byzantinisches Archiv aussprechen. Den Mitarbeitern des
de Gruyter-Verlages, Katrin Hofman, Florian Ruppenstein und Mirko Vonderstein gilt
mein Dank für die hilfreiche Begleitung und Unterstützung bei der Erstellung des
Druckmanuskriptes ebenso wie meinen Münchner Kollegen Ioan G. Alexandru und
Tobias Thum für ihre fortwährende Unterstützung bei diversen Layoutfragen und der
Indexerstellung.
Für ihre stete Gesprächsbereitschaft und zahlreiche wertvolle Anregungen, Hin-
weise und Korrekturen während der Druckvorbereitung danke ich Albrecht Berger,
Friederike Berger (Leipzig), Klaus-Dietrich Fischer (Mainz), Friedhelm Hoffmann
(München), Joachim F. Quack (Heidelberg), Peter Schreiner (Köln/München), Danilo
Valentino (Hamburg/Würzburg) und Ilias Valiakos (Larissa) sowie sämtlichen Teil-
nehmerinnen und Teilnehmern des im Juli 2017 in München abgehaltenen Work-
shops »Medical Traditions in and around Byzantium«. Ihr Interesse an meiner For-
schungsarbeit sowie die zahlreichen inspirierenden Diskussionen verhalfen mir stets
zu einer kritischen Evaluation meiner Ergebnisse aus unterschiedlichen Perspekti-
ven. Weiterhin danke ich den Organisatorinnen und Organisatoren zahlreicher natio-
naler und internationaler Tagungen und Workshops in Bern, Budapest, Fulda, Ham-
burg, Kloster Banz, Köln, Mainz, München, Stuttgart, Wien und Wolfenbüttel für die
Möglichkeit, meine Forschungsergebnisse vorzustellen und im Kollegenkreis aus-
führlich diskutieren zu können.
Zu großem Dank verpflichtet bin ich außerdem dem ›Verein zur Förderung von
Wissenschaft und Forschung e.V. an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximi-
lians-Universität München‹ und seinem Vorsitzenden Udo Löhrs (München), für die
finanzielle Unterstützung meines Forschungsprojektes.
Den Mitgliedern des im Rahmen meines Habilitationsverfahrens konstituierten
Fachmentorats, Wolfgang Locher (München), Georg Marckmann (München) und An-
dreas Nerlich (München), schulde ich Dank für ihre freundliche Unterstützung mei-
nes Habilitationsprojekts sowie eine Vielzahl an wertvollen Ratschlägen, und ebenso
den beiden externen Gutachtern, Oswald Panagl (Salzburg) und Paul Unschuld (Ber-
lin), für ihr großes Engagement und Interesse an meiner Forschung sowie für zahlrei-
che weiterführende Anregungen und Hinweise.
Ferner bedanke ich mich bei den Mitarbeitern der Bayerischen Staatsbibliothek
München, der zentralen Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität
München, der Bibliothek des Historicums sowie der Fachbibliotheken der einzelnen
Universitätsinstitute für ihre Hilfsbereitschaft und die Gewährleistung bester For-
schungsmöglichkeiten.
https://doi.org/10.1515/9783110619041-202