Table Of ContentDEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN
SCHRIFTEN DER SEKTION FÜR ALTERTUMSWISSENSCHAFT
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UNTERSUCHUNGEN
ZU
PLATONS JAGDBILDERN
VON
C. JOACHIM CLASSEN
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN
1960
Gutachter dieses Bandes :
Franz Dornseiff und Werner Peek
Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher
Redaktor dieses Bandes: Dorothee Schröter
Alle Rechte vorbehalten
Erschienen im Akademie -Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Str. 3 —4
Copyright 1960 by Akademie -Verlag GmbH, Berlin
Lizenz-Nr. 202 . 100/176/60
Satz, Druck und Bindearbeit: Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg
Bestellnummer 2067/25
Printed in Germany
ES 7 M
Patri septuagenario
Vorbemerkung
Der vorliegenden Arbeit liegt meine Dissertation zugrunde,
die 1952 von der Philosophischen Fakultät der Universität Ham-
burg angenommen wurde; sie konnte damals nicht gedruckt
werden. Im Sommer 1958 bot mir dann Professor Dr. J. Irmscher
an, sie in die Reihe „Schriften der Sektion für Altertumswissen-
schaft" der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
aufzunehmen. Ich möchte nicht verfehlen, Herrn Professor
Dr. B. Snell, der Deutschen Akademie der Wissenschaften und
Herrn Professor Dr. J. Irmscher für ihr Interesse und ihre
Unterstützung zu danken.
Bei der Durchsicht der Arbeit nach sieben Jahren schien es
ratsam, sie zu straffen; ich habe daher zahlreiche Abschnitte
spürbar gekürzt, vor allem Polemik fast völlig weggelassen
und die Appendices gestrichen; dagegen habe ich versucht, in
den letzten Jahren erschienene Literatur zu berücksichtigen,
soweit sie mir erreichbar war; ich darf nicht hoffen, dabei Voll-
ständigkeit erreicht zu haben. Für Zeitschriften sind die Ab-
kürzungen der „Année Philologique" verwendet, für Autoren
und Fragmentsammlungen die des „Greek-English Lexicon",
compiled by H. G. Liddell and R. Scott, in der neuen Auflage
von H. St. Jones, Oxford 1940; Platon wird nach der Ausgabe
von J. Burnet zitiert.
August 1960 C. J. C.
Inhalt
Literatur VII
Einleitung 1
I. Jagdbilder in der griechischen Literatur bis zum vierten Jahr-
hundert unter Ausschluß Piatons 3
1. Das Epos 3
2. Die Lyrik 5
3. Die Tragödie 7
4. Die Komödie 20
5. Die Prosa des fünften und vierten Jahrhunderts 22
II. Die Jagdbilder Piatons 27
1. Übernommene Wendungen 27
2. Die Voraussetzungen des Bildes von der Jagd für die dialektische
Untersuchung 30
3. Das Bild der Jagd für die Untersuchung in den Dialogen bis zum
Staat 31
4. Das Bild der Jagd für die Untersuchung in den Spätdialogen . 39
5. Die Bedeutung des Bildes der Jagd für die Untersuchung . . 52
6. Andere Jagdbilder der Spätdialoge 55
Schluß 60
Register 63
Anhang: Diairesis von &rjgeveiv
Literatur
Nur mehrfach zitierte oder besonders wichtige Werke sind hier aufgeführt.
BECKER, 0., Das Bild des Weges und verwandte Vorstellungen im frühgriechischen
Denken, Diss. phil. Leipzig 1937.
BERG, G. 0., Metaphor and Comparison in the Dialogues of Plato, Diss. phil.
Baltimore 1904.
BLÜMNER, H., Studien zur Geschichte der Metapher im Griechischen I: Die Komödie,
Leipzig 1891.
CHANTRAINE, P., Études sur le vocabulaire Grec, Paris 1956.
CLASSEN, C. J., Sprachliche Deutung als Triebkraft platonischen und sokratischen
Philosophierens, Zetemata 22, München 1959.
CORNFORD, F. M., Plato's Theory of Knowledge, London 1935.
CORNFORD, F. M., Plato's Cosmology, London 1948.
DELULLE, H., Les répétitions d'images chez Euripide. Recueil de travaux publiés . ..
Louvain 32, Louvain 1911.
DIÈS, A., Autour de Platon, Paris 1927.
DIETEL, K., Das Gleichnis in der frühen griechischen Lyrik, Diss. phil. München 1939.
DORNSEIFF, F., Pindars Stil, Berlin 1921.
FRIEDLÄNDER, P., Platon I, 2. Aufl. Berlin 1954; II, 1. Aufl. Berlin 1930, 2. Aufl.
Berlin 1957.
v. FRITZ, K., Philosophie und sprachlicher Ausdruck bei Demokrit, Plato und
Aristoteles, New York und Leipzig 1938.
GADAMER, H. G., Piatos dialektische Ethik, Leipzig 1931.
GAUTIER, L., La langue de Xénophon, Thèse Genève 1910/11.
GOHEEN, R. F., The Imagery of Sophocles' Antigone, Princeton 1951.
GOLDSCHMIDT, V., Le paradigme dans la dialectique platonicienne, Paris 1947.
GRAPOW, H., Die bildlichen Ausdrücke des Ägyptischen, Leipzig 1924.
HACKFORTH, R., Plato's Phaedrus, Cambridge 1952.
HÖRMANN, W., Gleichnis und Metapher in der griechischen Tragödie, Diss. phil.
München 1934.
HUBER, J. P., Zu den platonischen Gleichnissen, Schulprogramm Passau 1879.
JOHANNES, R., De studio venandi apud Graecos et Romanos, Diss. phil. Göttingen
1907.
KRÜGER, G., Einsicht und Leidenschaft, 2. Aufl. Frankfurt 1948.
LEISEQANG, H., Denkformen, Berlin-Leipzig 1928.
Louis, P., Les Métaphores de Platon, Paris 1945.
MANASSE, E. M., Über Wahrheit in Piatons Sophistes, Diss. phil. Heidelberg 1936.
DE MARIGNAC, A., Imagination et dialectique, Paris 1951.
NEWIGER, H. J., Metapher und Allegorie, München 1957.
POHLENZ, M., Aus Piatos Werdezeit, Berlin 1913.
VIII Literatur
PRIESEMANN, G., Ausdruck und Gegenstand bei Pindar, Diss. phil. Göttingen 1950
(Maschinenschrift).
ROBINSON, R., Plato's Earlier Dialectic, 2. Aufl. Oxford 1953.
SCHAERER, R., La question platonicienne, Neuchätel 1938.
SCHEFTELOWITZ, I., Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben der Völker, Gießen
1912.
SIEGMANN, E., Untersuchungen zu Sophokles' Ichneutai, Diss. phil. Hamburg 1941.
SKEMP, J. B., Plato's Statesman, London 1952.
SNELL, B., Die Entdeckung des Geistes, 3. Aufl. Hamburg 1955.
STANFORD, W. B., Greek Metaphor, Oxford 1936.
STENZEL, J., Zahl und Gestalt bei Piaton und Aristoteles, 3. Aufl. Bad Homburg
1959.
STUTTERHEIM, C. F. P., Het Begrip Metaphoor, Diss. phil. Amsterdam 1941.
SZILASI, W., Macht und Ohnmacht des Geistes, Bern-Freiburg 1947.
TAYLOR, A. E., Varia Socratica I, Oxford 1911.
TAYLOR, A. E., Plato. The Man and hia Work, 4. Aufl. London 1937.
WARMTTTH, A., Das Problem des äya&6v in Piatons Philebus, Diss. phil. München
1927.
VAN DE WIJNPERSSE, W. M. A., De Terminologie van het Jachtwezen bij Sophocles,
Amsterdam 1929.
v. WILAMOWITZ, U., Aischylos Interpretationen, Berlin 1914.
v. WILAMOWITZ, U., Piaton I. II., 2. Aufl. Berlin 1920.
Einleitung
Die Sprache, derer sich ein Mensch bedient, ist Resultat seiner Aus-
einandersetzung mit der Sprache seiner Umwelt1). Prüft man die Einzel-
heiten dieses Prozesses, so darf man hoffen, der Eigenart und Denkweise
eines Menschen näher zu kommen2). Zu dem Versuch, dies für Piaton zu
leisten, soll die vorliegende Untersuchung von Bildern einer begrenzten
Sphäre beitragen. Bildliche Ausdrücke erweisen sich als vorzüglich ge-
eignet, da in der Art, wie ein Autor sie übernimmt oder umformt, vernach-
lässigt oder neu schafft, typische Züge seines Sprachverständnisses und
seiner Denk- und Vorstellungsart hervortreten3). Der Umfang des Mate-
rials zwingt mich dazu, nur einen Bereich auszuwählen4); doch darf ich
hoffen, daß diese Beschränkung meine Ergebnisse nicht wesentlich be-
einträchtigen wird. Eine sehr viel bedenklichere Fehlerquelle, teilweise
*) Vgl. z. B. W. v. HUMBOLDT, Über die Verschiedenheit des menschlichen
Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschen-
geschlechtes, in: Die sprachphilosophischen Werke W. v. HUMBOLDTS, heraus-
gegeben und erklärt von H. STEINTHAL, Berlin 1883, 145ff., §§ 1—9, 20 u. ö.; auch
N. HÄRTMANN, Das Problem des geistigen Seins, Berlin 1949, 213 ff.
2) W. STRAUB, Die Bildersprache des Apostels Paulus, Tübingen 1937, 153 ff.
3) D. TARRANT bemerkt zu Platon (CQ 42, 1948, 33): "The very frequency of his
metaphorical expressions may reasonably be connected with and used as a key
to something in his thought." Dies ist meines Wissens bisher auch in Spezialarbeiten
nicht ausreichend geschehen: W. LINQENBERG, Platonische Bilder und Sprichwörter,
Köln 1872; J. P. HUBER, Zu den platonischen Gleichnissen, Schulprogramm Passau
1879 (Metaphern für den Adyoç, der Gebrauch von Rig) ; H. BERTRAM, Die Bilder-
sprache Piatons, Schulprogramm Naumburg 1893 und 1895; G. 0. BERG, Metaphor
and Comparison in the Dialogues of Plato, Diss. phil. Baltimore 1904; G. GARDIKA,
Athena 18, 1905, 65 ff. ; M. WIEGANDT, De metaphorarum usu quodam Ciceroniano,
Diss. phil. Rostock 1910 (gute Bemerkungen über die Einführung von Bildern);
W. MOOG, AGPh 24, 1911, 167ff. (über Piatons Naturgefühl); P. Louis, Les méta-
phores de Platon, Paris 1945 (wohl vollständig, doch oft zu summarisch) ; D. TARRANT,
CQ40, 1946, 27ff.; 42, 1948, 28ff.; 45, 1951, 59ff.; HibJ 52, 1953/4, 360ff.; JHS 75,
1955, 82ff.; A. de MARIGNAC, Imagination et dialectique, Paris 1951. Das Beste
zu Piatons Sprache findet sich wohl bei K. v. FRITZ, Philosophie und sprachlicher
Ausdruck bei Demokrit, Plato und Aristoteles, New York und Leipzig 1938, 38 ff.
4) Der Jagdbereich ist wegen seiner besonderen Bedeutung für Piatons Bilder-
sprache gewählt, nicht um der Eigenart der Jägersprache willen, vgl. TROST,
W & S 16, 1934, 61 ff. Zum Wesen der Jagd finden sich interessante Beobachtungen
und Erwägungen bei J. ORTEGA Y GASSET, Über die Jagd (Prölogo a un Tratado de
Monteria), Hamburg 1957, bes. 88 f.
1 Classen, Jagdbilder
2 Einleitung
bedingt durch den fragmentarischen Erhaltungszustand unserer Über-
lieferung, ergibt sich daraus, daß wir fast nie genau festlegen können,
welche Bedeutung ein einzelnes Wort im Griechischen des fünften oder
vierten Jahrhunderts v. Chr. hat, und nicht mit Sicherheit nachempfinden
können, welche Assoziationen es beim antiken Hörer hervorzurufen pflegt,
anders gesagt, wo eine „Metapher" empfunden wird1). Diesen Schwierig-
keiten zum Trotz soll versucht werden, die Metaphern der Jagd in der
griechischen Literatur vor und zur Zeit Piatons zu sammeln und zu inter-
pretieren2), und dann gleiche und ähnliche Metaphern aus Piatons Werken
daneben oder dagegen zu setzen. Dabei geht es mir nicht um lexiko-
graphische oder kulturhistorische Probleme3), sondern darum, Piatons
Verhältnis zur Sprache seiner Zeit zu erhellen, gewisse Tendenzen seines
Metapherngebrauchs herauszuarbeiten und schließlich durch die Inter-
pretation einiger Jagdmetaphern selbst zum Verständnis der platonischen
Dialektik und damit platonischer Denkweise beizutragen.
Auf eine Darstellung von Piatons „Sprachphilosophie" oder seiner Theorie
der Sprache etwa anhand des Kratylos verzichte ich bewußt. Denn ich
meine, daß Piatons Anschauungen über die Sprache allein aus seinem
eigenen Sprachgebrauch gewonnen werden können, nicht aber aus den Dis-
kussionsbeiträgen seiner Dialogpartner. Wenn Piaton sich oft bildlicher
Wendungen bedient, so deutet sich darin seine tiefe Skepsis gegen den Wert
der einzelnen sprachlichen Formulierung an; werden doch z. B. Metaphern
oft gerade „aus letztem Mißtrauen gegen die Zuverlässigkeit sprachlich-be-
grifflicher Festlegung" heraus gebraucht 4). Das darf jedoch nicht dazu ver-
leiten, sie zu vernachlässigen oder ihnen jede Aussagekraft zu bestreiten5).
!) Vgl. unten S.25f.
2) Es geht nicht so sehr darum, den jeweils ältesten Beleg eines Ausdrucks zu er-
mitteln, als die Tendenzen der einzelnen Schriftsteller und Literaturgattungen beim
Bildgebrauch anzudeuten. Die Form der Bilder (Gleichnis, Vergleich usw.) kann oft
unberücksichtigt gelassen werden, denn entscheidend ist jeweils nur, ob ein Wort
in seiner Bildlichkeit empfunden wird und welche Assoziationen es beim Hörer
erzielen will oder erzielt.
Das Verhältnis von Metapher zu Vergleich wird durch die Wortart mitbestimmt;
Substantive sind häufiger Träger eines Vergleichs als Verben. Ob das Gleichnis oder
die Metapher älter ist, läßt sich nicht grundsätzlich klären; bedeutsam ist für beide
Formen der Unterschied zwischen Erzählung und Dialog; wichtige Beobachtungen
zu diesen Fragen bei B. Snell, Die Entdeckung des Geistes, 3. Aufl. Hamburg
1955, 258fF. u. a. Zum Begriff der Metapher vgl. C. F. P. Stutterheim, Het Begrip
Metaphoor, Diss. phil. Amsterdam 1941.
3) Wie etwa E. Nicolin, Les expressions figurées d'origine cynégétique en français,
Uppsala 1906; dafür würde sich die Literatursprache ohnehin nicht eignen, vgl.
Ch. Bally, Le langage et la vie, 3. Aufl. Genève, Lille 1952, 71.
4) W. Kayser, Das sprachliche Kunstwerk, 5. Aufl. München, Bern 1959, 125.
5) Über den Wert und die Gültigkeit bildlicher Ausdrucksweise hoffe ich bald weitere
Beobachtungen im Rahmen einer Studie über den Demiurgos vorlegen zu können.