Table Of ContentGeorg W. Oesterdiekhoff
Unternehmerisches Handeln
und gesellschaftliche Entwicklung
Georg W. Oesterdiekhoff
Unternehmerisches Handeln
und gesellschaftliche
Entwicklung
Eine Theorie unternehmerischer Institutionen
und Handlungsstrukturen
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Oesterdiekhoff, Georg W.:
Unternehmerisches Handeln und gesellschaftliche
Entwicklung: eine Theorie unternehmerischer
Institutionen und Handlungsstrukturen /
Georg W. Oesterdiekhoff. - Opladen:
Westdt. Verl., 1993
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© 1993 Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienin bei Westdeutscher Verlag 1993
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Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt
Gedruckt auf säurefreiem Papier
ISBN 978-3-531-12386-8 ISBN 978-3-663-11702-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-11702-5
Inhaltsverzeichnis
Vo~ort 7
1 Einleitung 9
1 Methodologische Probleme der Erforschung des
unternehmerischen Handeins in sozialen Prozessen
2.1 Konkurrierende Konzeptionen der Rolle des unternehmerischen
Handeins in der sozialen Entwicklung 31
2.2 Methodologische Probleme von Theorien sozialer Entwicklung 45
3 Funktion des Unternehmers in der sozialen Entwicklung
3.1 Soziale Entwicklung, Erhöhung der Arbeitsproduktivität und
Unternehmer 57
3.2 Theorien der Funktionen des Unternehmers 66
3.2.1 Theorien der gesellschaftlichen Funktionen des Unternehmers 66
3.2.1.1 Schumpeters Theorie der Unternehmerfunktion 67
3.2.l.2 Marktprozeßtheorien und Unternehmer 72
3.2.2 Theorien der betrieblichen Funktionen des Unternehmers 73
4 Mikrosoziologische Analyse unternehmerischen Handeins. Rational
Choice und empirische Psychologie als Grundlagen unternehmerischer
Handlungstheorien 76
4.1 Mikroanalyse der objektiven Faktoren unternehmerischen
Handeins 79
4.1.1 Das Programm des Methodologischen Individualismus 79
4.l.2 Markttheorie und Unternehmer 83
4.1.3 Rationalmodell und unternehmerisches Handeln 99
4.1.3.1 Geschichte der wissenschaftlichen Diskussion um das
Rationalmodell 100
4.1.3.2 Struktur und Kohärenz des Rationalmodells 104
4.1.3.3 Kritik am Rationalmodell 116
4.2 Mikroanalyse der subjektiven Faktoren unternehmerischen
Handeins 143
4.2.1 Leistungsmotivation und Unternehmerhandeln 146
4.2.2 Rollentheorie und Unternehmerhandeln 152
4.2.3 Persönlichkeitspsychologie des Unternehmers 157
4.3 Integration subjektiver und objektiver Faktoren unternehmerischen
Handeins: Untemehmerische Entscheidung und soziale Mobilität 165
5 Makrosoziologische Analyse der objektiven Faktoren
unternehmerischen Bandelns. Neue Politische Ökonomie
als Theorie der institutionellen Voraussetzungen
unternehmerischen Bandelns und sozialer Entwicklung 173
5.1 Methodologische Grundlagen und Perspektiven der
Property-Rights-Theorie 174
5.2 Theoretische Grundlagen und Perspektiven der
Property-Rights-Theorie 176
5.3 Property-Rights-Theorie und Transaktiooskostenanalyse 180
5.4 Ökonomische oder verfiigungsrechtliche Erklärung der
sozialökonomischen Entwicklung 186
5.5 Property-Rights-Theorie und ordnungspo~itische Theorie als
Erklärungsmodelle der sozialökonomischen Entwicklung 202
5.5.1 Markt und Organisation als Erklärungsmodelle der
sozialökonomischen Entwicklung 202
5.5.2 Ordnungsstrukturen und sozialökonomische Entwicklung in
historischer Perspektive 213
5.5.3 Ordnungsstrukturen und Unternehmerinitiative in den
Entwicklungsländern 220
5.5.4 Ordnungsstrukturen, Property Rights und öffentliche Güter 230
5.5.4.1 Ordnungsstrukturen der Zentralverwaltungswirtschaften 230
5.5.4.2 Ordnungsstrukturen der sozialistischen Reformmodelle 236
5.5.4.3 Property Rights und Unternehmenstypen 239
5.5.4.4 Das Unmöglichkeitstheorem von L. v. Mises 244
5.5.4.5 Kausalanalyse des Untergangs der sozialistischen Systeme 248
5.5.4.6 Kausalaoalyse des Eosteheos der sozialistischen Systeme 255
5.5.5 Komparative Analyse der "organisierten" Gesellschaften 257
5.6 Grenzen der objektiven Analyse 261
6 Makrosoziologische Analyse der subjektiven Faktoren
unternehmerischen Bandelns und sozialer Entwicklung
6.1 Einleitung 265
6.2 Die Protestantismus-Kapitalismus-These M. Webers 267
6.2.1 Die empirische Basis der Protestantismus-Kapitalismus-These 267
6.2.2 Die Rationalisierungsthese 276
6.3 Transkulturelle Managementforschung und traditionales
Unternehmerhandeln 303
6.3.1 Sozialpsychologische Modernisierungstheorie 304
6.3.2 Psychologie des traditionalen Unternehmerhandelos 307
7 Schluß 314
8 Literaturverzeichnis 327
Vorwort
Der Niedergang der planwirtschaftlich gelenkten Systeme der Staatshandelsländer
und der marktsozialistischen Reformländer, aber auch die ordnungspolitischen
Probleme der Entwicklungsländer sowie das teilweise prekäre Verhältnis von pri
vatem zu öffentlichem Sektor in den westlichen Industrieländem zeigt verstärkt
die Bedeutung der Frage nach der Funktion unternehmerischer Lenkungssysteme
für die sozialökonomische Entwicklung. Offensichtlich lassen sich die Probleme
der sozialistischen Länder im wesentlichen aus der ineffizienten Struktur ihrer
Lenkungssysteme ableiten. Es mehren sich auch die Stimmen, die die Probleme
der Entwicklungsländer mit den ungünstigen ordnungspolitischen Rahmenbedin
gungen unternehmerischer Tätigkeit in einen Zusammenhang setzen. Dabei wer
den insbesondere eine unsichere Privatrechtsordnung und die Verfilzung privater
und staatlicher Interessen genannt. Demgegenüber verstärkt sich der Eindruck,
daß die fortschreitende Entwicklung der marktwirtschaftlichen Industrieländer im
wesentlichen ein Resultat ihrer effizienteren unternehmerischen Lenkungs- und
Anreizsysteme ist. Die jüngere weltgesellschaftliche Entwicklung zeigt somit, daß
die Anzahl effizienter Lenkungssysteme begrenzter ist, als man vor dem Hin
tergrund gesellschaftstheoretischer Betrachtungen vor Jahren noch angenommen
hatte.
So stellen sich die Fragen, welche Faktoren den Effizienzwirkungen unter
schiedlicher untemehmerischer Lenkungssysteme zugrundeliegen und welche
Faktoren für die Evolution unternehmerischer Lenkungssysteme verantwortlich
sind. Ist die Evolution der unternehmerischen Institutionen ein Produkt des histo
rischen Zufalls, der bewußten politischen Wahl oder ist sie eine gegenüber basa
leren sozialökonomischen Faktoren reagierende Entwicklung?
Auf der Basis einer mikrosoziologischen Untersuchung des Verhältnisses ob
jektiver und subjektiver Faktoren, ökonomischer Anreizbedingungen und psycho
logischer Reaktionsmodi, wird ein allgemeines Modell unternehmerischen Han
delns entwickelt. Dieses Modell wird spezifiziert, korrigiert und bestätigt durch
die makrosoziologische Anwendung. Auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene
kann man die Funktion unternehmerischen Handeins nur durch eine Kombination
objektiver und subjektiver Faktoren angemessen untersuchen. Insbesondere bedarf
es einer Integration ökonomischer, eigentumsrechtlicher und psychologischer
Faktoren, will man eine monokausale oder verzerrte Betrachtung der Wirkungs
weise unternehmerischen Handeins vermeiden.
Vor diesem Hintergrund versteht sich die Vierfeldersystematik dieser Studie.
Der erkenntnistheoretische Ausgangspunkt ist die Einsicht, daß in der menschli
chen Erfahrung subjektive und objektive Phänomene konfundiert sind. Diese Ein
sicht verlängert sich in die Grundannahmen sozialwissenschaftlicher Theoriebil-
7
dung. Sowohl in der Mikro- als auch in der Makroanalyse findet sich der Streit
um den Geltungsanspruch und die Erklärungsreichweite subjektiver und objekti
ver Faktoren. In der Mikroanalyse konkurrieren Rational-Choice-Theorien mit
fachpsychologischen Ansätzen um die Erklärung der Antriebsfaktoren unterneh
merischen HandeIns (Kap. 4). In der Makroanalyse konkurrieren entsprechend
individualistisch-institutionalistische Ansätze mit soziopsychologischen Theorien
um die Erklärung des Zusammenhangs von unternehmerischem Handeln und his
torisch-gesellschaftlicher Entwicklung (Kap. 5 und 6). Die erkenntnistheoretisch
gestützte Überprüfung dieser sozialwissenschaftlichen Theoriegruppen zeigt, daß,
wenn auch die Kausaleffekte der beiden Faktorenebenen kaum getrennt werden
können, es doch bis zu einem gewissen Grade möglich ist, sie theorietechnisch
und methodisch getrennt darzustellen. Die Kausaleffekte der beiden Faktoren
gruppen lassen sich dann durch eine mehrstufige Kausaltheorie erklären.
An dieser Stelle möchte ich mich für Anregungen und Hinweise bei Axel
Graf, Prof. Dr. Hermann Strasser, Hans-Georg Werding, Dr. Peter Oesterdiekhoff,
T. B. Oesterdiekhoff, Prof. Dr. Günter Hesse, Dr. Manfred Klaas, Prof. Dr. K.
Heinemann, Prof. Dr. W. Fischer, Prof. Dr. F. Rudolph, Susanne Fischer, VoIker
Gomoluch, Ursula Glasmeier, Frank Erlenhoff, C. A. Salamon und dem Lektor
des Westdeutschen Verlages, Manfred Müller bedanken. Für die Übernahme
organisatorischer Arbeiten bedanke ich mich bei Anita Renner und Christof
Duvenbeck.
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1 Einleitung
In dieser Arbeit werden sowohl soziale Entstehungsursachen als auch Kausalef
febe unternehmerischer Institutionen und unternehmerischen Handeins auf die
gesellschaftliche Entwicklung untersucht. Hinsichtlich der Kausaleffekte soll er
mittelt werden, bis zu welchem Ausmaß sozialökonomische Entwicklung durch
unternehmerische Institutionen bedingt ist. Es wird gezeigt werden, daß unter
schiedliche Strukturen unternehmerischer Institutionen die sozialökonomische
Entwicklung in einem unterschiedlichen Ausmaß anregen und beeinflussen. Die
unterschiedlichen Strukturen unternehmerischer Institutionen und Lenkungssys
teme weisen dementsprechend unterschiedliche Effizienzniveaus auf. Insofern
liefert die Analyse der Struktur der Unternehmerinstitutionen und ihrer Effizienz-
•
niveaus einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Kausalfaktoren der
sozialökonomischen Entwicklung.
Die Ermittlung dieser Kausalwirkung ist zunächst abhängig von der Analyse
der unterschiedlichen Strukturen der Unternehmerinstitutionen und Handlungs
strukturen. Denn die Frage nach der unterschiedlichen Wirkung unterschiedlicher
Unternehmerinstitutionen auf die sozialökonomische Entwicklung mündet in die
Frage, welche gesellschaftlichen Faktoren ihrerseits die unterschiedlichen Unter
nehmerinstitutionen determinieren. In diesem Sinne stellt sich die Frage nach den
Faktoren und Antriebskräften, die für die unterschiedliche Ausbildung und For
mung der Strukturen unternehmerischer Institutionen verantwortlich sind.
Dieses Phänomen wird vor dem Hintergrund der Analyse der relevanten so
zialwissenschaftlichen Forschungsrichtungen angegangen, die dieses Phänomen
untersucht haben. Auf der Basis der Interpretation und Kritik dieser Forschungs
traditionen wird dann ein allgemeines Modell unternehmerischen Handeins ent
wickelt (vgl. Kap. 4). Die WiSo-Disziplinen haben das Unternehmerhandeln so
wohl auf der Mikroebene als auch auf der Makroebene gesellschaftlicher Phäno
mene untersucht. Dabei liefern die Mikroanalysen oft den theoretischen Erklä
rungsrahmen für das makroanalytische Modell. Die Ansätze beruhen auf be
stimmten Annahmen und Voraussetzungen, die einer Explikation und Kritik be
dürfen, will man den Begrenzungen der Ansätze nicht anheirnfallen und auf der
Basis ihrer komparativen Analyse ein allgemeines Modell entwickeln.
Auf der Basis einer allgemeinen, erkenntnistheoretisch gestützten Theorie so
zialen Handeins wird ein mikro- und makrosoziologisches Modell zur Erklärung
unternehmerischen HandeIns erarbeitet. Der Ansatz der vorliegenden Arbeit be
ruht auf der Grundannahme der relationalen Erkenntnistheorie (z. B. Cassirer
1966), daß subjektive von objektiven Phänomenen grundsätzlich nicht - sondern
nur im Rahmen spezifischer Theorien methodisch und pragmatisch - differenziert
werden können. In diesem Sinne fußt der hier entwickelte Ansatz auf der neukan-
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tianischen Weber'schen Methode der Simultanbetrachtung subjektiver
(ideologischer, psychologischer) und objektiver Aspekte (ökonomischer, institu
tioneller) sozialer Prozesse (Weber 1981: 34 fI; Weber 1988, I: 252). Die Analyse
sozialer Phänomene (hier: das Unternehmerhandeln) bedarf daher gleichzeitig der
Analyse der objektiven Umgebungsbedingungen und der subjektiven Entschei
dungsprozesse sowie ihrer Wechselwirkungen.
Daher vermögen weder die rein psychologische Theorie, z. B. die Leistungs
motivationstheorie und die Persönlichkeitspsychologie, noch die rein ökonomi
sche Theorie, z. B. die klassische Unternehmenstheorie, infolge ihrer isolierten
und oft monokausalen Betrachtungsweise die Phänomene unternehmerischer Ent
scheidungen, unternehmerischer Mobilität und Markterfolge zu erklären. Wäh
rend die psychologische Theorie allein subjektive Faktoren unternehmerischen
Handeins und sozialer Entwicklung thematisiert, untersucht die ökonomische
Theorie allein objektive Faktoren. Die erkenntnistheoretisch gestützte Reflexion
auf die Geltungsbedingungen dieser sozialwissenschaftlichen Theorien weist auf
das Erfordernis einer voraussetzungsanalytischen Simultanbetrachtung subjektiver
und objektiver Faktoren.
Vor diesem Hintergrund wird die Konzeption dieser Arbeit verständlich. Sie
basiert auf einer Vieifeldersystematik: Sowohl die Mikro- als auch die Makroso
ziologie behandeln jeweils subjektive und objektive Faktoren. Während die klas
sische Unternehmenstheorie auf der Alleinberücksichtigung objektiver Faktoren
basiert, isolieren die psychologischen Unternehmenstheorien subjektive Faktoren
(Mikroanalyse). In den Kap. 5 und 6 wird das mikrosoziologische Analysemodell
von Kap. 4 auf der Ebene gesamtgesellschaftlicher Entwicklung im Hinblick auf
die empirische Erklärungsfähigkeit geprüft (Makroanalyse). Die ordnungspoliti
sche Theorie und die Neue Politische Ökonomie thematisieren objektive Faktoren
unternehmerischen Handeins in gesellschaftlich-historischer Perspektive (Kap. 5).
Komplementär behaupten die Protestantische Ethik (im Kontext der Rationalisie
rungsthese M. Webers), sozialpsychologische Modernisierungstheorien und die
transkulturelle Managementforschung einen Zusammenhang von subjektiv-psy
chologischen Faktoren unternehmerischen Handeins und gesellschaftlicher Ent
wicklung (Kap. 6). Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Notwendigkeit einer
Konfrontation der Ansätze, eines Theorienvergleichs zum Zwecke der kritischen
Begrenzung ihrer Annahmen.
Die erkenntnistheoretisch gestützte Überprüfung dieser sozialwissenschaftli
chen Theorien zeigt die Grenzen ihrer Erklärungsreichweite auf. Die Erkenntnis
kritik lehrt die relationale Beziehung von Subjektivem und Objektivem. Die Ver
längerung erkenntnistheoretischer Reflexion in die sozialwissenschaftliche Theo
riebildung erfordert daher, daß die problematischen Verhaltensgrundlagen objek
tivistischer Theorien (Marktmodell, NPÖ) und subjektivistischer Theorien (z. B.
McClelland 1966) erörtert werden. Erst die Analyse der Relationsstruktur von ob
jektiven Anreizssystemen und subjektiven Reaktionsmodi wird den Bedingungen
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gerecht, die man an eine erkenntnistheoretisch fundierte, wirklichkeitswissen
schaftlich orientierte (nicht modellhaft verkürzte) Theorie sozialen resp. unter
nehmerischen Handeins stellen muß.
Der erkenntnis-und wissenschaftstheoretische Ausgangspunkt der Konzeption
dieser Arbeit ist die Überwindung der Abbildtheorie der Erkenntnis, des erkennt
nistheoretischen Realismus. In Übereinstimmung mit Positionen des Neukantia
nismus (Rickert, Cassirer) und des Kritischen Rationalismus (popper, Kuhn) wird
davon ausgegangen, daß Erkenntnisse Realitäten nicht isomorph abbilden. Daher
sind in der Erkenntnis Subjektives (Theorien, Erfahrungen, Wahrnehmungen)
und Objektives (Gegenstände, Umgebungsbedingungen) nicht kongruent, sondern
konfundiert. Aus der Einsicht in die Unmöglichkeit der Abbildtheorie ergibt sich
die Einsicht in die Begrenztheit menschlicher Erkenntnis (Subjektkonstitution der
Objekterkenntnis), die von Kant bis Popper und Kuhn die Summe erkenntnistheo
retischer Reflexion darstellt. Wie immer auch die einzelnen von verschiedenen
Autoren formulierten Begriindungsformen der Erkenntniskritik bezweifelbar sind:
Nicht bezweifelbar ist ihre Erkenntnis der Unmöglichkeit vollständiger Objektivi
tät. Diese Erkenntnis mündet unbezweifelbar in die Einsicht -jene ist mit dieser
identisch -, daß jede alltagspsychologische und wissenschaftliche Erfahrung durch
eine nichtdifIundierbare Integration subjektiver und objektiver Faktoren bestimmt
ist. Die Erkenntnis der Konfusion von Subjektivem und Objektivem, die zunächst
und vor allem Grundlage jeder Erfahrung ist, resultiert aus der bloßen
Überwindung der Abbildtheorie (Cassirer 1966).1
Die Übersetzung dieser erkenntnistheoretischen Einsicht in die sozialwissen
schaftliche Theoriebildung haben insbesondere M. Weber (1973, 1981) und F. A.
v. Hayek (1959) erkannt. Der "doppelte Subjektivismus" von Hayeks bringt die
Erkenntnis zum Ausdruck, daß sowohl die Akteure ein begrenztes Wissen haben
als auch die Sozialforscher, die die Akteure untersuchen. Insofern muß jede so
zialwissenschaftliche Theorie vordringlich dem Umstand Rechnung tragen, daß
Akteure ein begrenztes und subjektiv gefärbtes Wissen von den sozialen Phäno
menen haben, in welche sie involviert sind. Demzufolge muß die Analyse sozialer
Phänomene, will sie die Phänomene wirklichkeitswissenschaftlich und nicht
modellhaft verkürzt untersuchen, sowohl die objektiven sozialen Umgebungsbe
dingungen als auch die subjektiven Interpretationen, Motivationen und Kompe
tenzen untersuchen.
1. In einem strengen Sinne ist das Verhältnis von Subjektivem und Objektivem keine gegenstandsbezogene
Relation mit eindeutigen Zuordnungen und invarianten Demarkationslinien, sondern eine Relation, die nur
Gültigkeit hat im Rahmen je spezifischer Wissenssysteme und Theorien. Denn natürlich sind subjektive
Phänomene auch objektiv gegeben, während objektive Phänomene immer nur in subjektiven Kontexten als
objektiv prädiziert werden (können). Eine Erfahrung wird als subjektiv bezeichnet vor dem Hintergrund
einer anderen, die den Anspruch auf größere Allgemeinheit und Objektivität erhebt, weil sie das gleiche
Phänomen in umfassendere Bedingungskreise und auf allgemeinere Voraussetzungen plazieren kann. Die
Elimination der Relationsbeziehung mündete in die unhaltbare Abbildtheorie der Wahrheit, daher kann die
systematische Voraussetzungsanalyse subjektiver und objektiver Strukturen nie der Relationsbeziehung
entratetl, die somit in beide Richtungen unendlich kontir.uierlich verläuft (Cassirer 1966).
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