Table Of ContentUni TaschenbUcher 759
UTB
Eine Arbeitsgemeinschafi der Verlage
Birkhliuser Verlag Basel und Stuttgart
Wilhelm Fink Verlag Miinchen
Gustav Fischer Verlag Stuttgart
Francke Verlag Miinchen
Paul Haupt Verlag Bern und Stuttgart
Dr. Alfred HUthig Verlag Heidelberg
Leske Verlag + Budrich GmbH Opladen
J. C. B. Mohr (paul Siebeck) TUbingen
C. F. Milller Juristischer Verlag - R. v. Decker's Verlag Heidelberg
QueUe & Meyer Heidelberg
Ernst Reinhardt Verlag Miinchen und Basel
F. K. Schattauer Verlag Stuttgart-New York
Ferdinand SchOningh Verlag Paderborn
Dr. Dietrich SteinkopfTVerlag Darmstadt
Eugen Ulmer Verlag Stuttgart
Vandenhoeck & Ruprecht in Gottingen und ZUrich
Verlag Dokumentation MUnchen
Umweltpolitik
Umweltpolitik
Beitrage zur Politologie des Umweltschutzes
Herausgegeben von
Martin Janicke
Leske Verlag + Budrich GmbH Opladen
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Umweltpolitik: Beitr. zur Politologie d. Umweltschutzes / hrsg. von
Martin Janicke. - 1. Aufl. - Opladen: Leske und Budrich, 1978.
(UNI-Taschenbucher; 759)
ISBN 978-3-8100-0234-1 ISBN 978-3-322-86356-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-86356-0
NE: Janicke, Martin [Hrsg.]
® 1978 by Leske Verlag + Budrich GmbH, Opladen
Satz: Gisela Beermann, Leverkusen
Einbandgestaltung: Alfred Krugmann, Stuttgart
Vorwort
Der vorliegende Band ist hervorgegangen aus - im Ansatz unterschied
lichen - Referaten, die auf dem KongreB der Deutschen Vereinigung
fiir politische Wissenschaft im Oktober 1977 in Bonn gehalten wur
den. Hinzugekommen sind die Einleitung sowie die Beitrage von
Erich Hodl und Jiirgen Gerau. Organisiert wurde die "Umwelt-Sek
tion" des Kongresses von den Mitarbeitern des Projekts "Politik und
Okologie der entwickelten Industriegesellschaften" an der Freien
Universitat Berlin. Einige Materialien des - aus Mitteln der VW
Stiftung geforderten - Projekts sind diesem Band als Anhang bei
gefiigt. In diesem Zusammenhang habe ich insbesondere Herrn Dipl.
Pol. Helmut Weidner fiir seine Hilfe als maBgeblicher Mitarbeiter des
Projekts zu danken. Bei der Bearbeitung und Durchsicht des Manus
kripts wirkte Frau Dipl. Pol. Harriet Hauptmann mit.
Die Auswahl der Beitrage versucht vorrangig dem Umstand Rechnung
zu tragen, daB das Verhaltnis von Politik und Okonomie als Problem
aspekt von Umweltpolitik noch langst nicht hinreichend erforscht
ist, nicht jedenfalls, wenn man es als interessenbedingt-konflikthaf
tes begreift und in diesem Sinne nicht bloB modelltheoretisch konzi
piert (das eigentliche Politikum sind ja meist die ausgeklammerten
"ceteri"). In zweiter Hinsicht ist die Evaluation von Strategien und
Instrumenten der Umweltpolitik - auch unter international verglei
chenden Aspekten - von Belang. Dies zum einen, weil die unmittel
baren Durchsetzungschancen und Effektivitaten umweltpolitischer
Vorgehensweisen von hohem praktisch-politischem Interesse sind;
zum anderen aber, wei! die unmittelbaren "Erfolge" einer Strategie
- etwa die optischen Effekte der Entsorgungsstrategie - kein ausrei
chen des Effizienzkriterium sind und weitergehender kritischer Ana
lyse bediirfen, wenn Umweltpolitik mehr sein solI als Problemver
schiebung oder technologische Symptombekampfung mit der Folge
von Kostenexplosionen (oder neuen Umweltkrisen), die die Finanz
probleme des Staates verscharfen helfen.
Der SchluBbeitrag von Ronge versucht schlieBlich - ebenso wie die
Einleitung - deutlich zu machen, was es bedeutet, wenn die Diskus
sion iiber Wachstumskrise und Umweltbelastung - unpolitologisch -
mit der ebenso verbreiteten wie verheerend naiven Pramisse gefiihrt
wird, daB "wir alle" oder auch "der Staat" letztlich nur "umzuden
ken" brauchten, urn die absehbaren Entwicklungskrisen der spatin
dustriellen Gesellschaft in den nachsten zwanzig J ahren zu vermeiden.
Es hat strukturelle Griinde, warum die Fetischisierung des Industrie
wachstums he ute wie vor den Meadows und der (Jlkrise anhalt. Um
weltpolitik ist eine Summe von Kraftakten ohne gesicherte Organi
sations- oder gar Machtbasis, die gegen die iibermachtige Koalition von
unternehmerischen, gewerkschaftlichen und staatlichen Wachstums
interessen durchgesetzt werden miissen. Sie kann nur im MaBe ihrer
Illusionslosigkeit Erfolge erzielen.
M. Janicke
Inhaltsverzeichnis
Martin Jaonicke
Umweltpolitik im kapitalistischen Industriesystem
Eine einfiihrende Problemskizze 9
° 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 °
Arparslan Yenal
Wirtschaftswachstum und umweltpolitische
Problemlosungskapazitat 36
° 0 0 0 0 0 0 •••••• 0 • 0 0 •••• 0 •• 0 "
Dieter Ewringmann/ Klaus Zimmermann
Umweltpolitische Interessenanalyse der Unternehmen,
Gewerkschaften und Gemeinden .. 66
0 0 • • • • • • • • • • • • • • • • ••
Erich Hodl
Konjunktur und Umweltpolitik ....................... 101
Jurgen Gerau
Zur politischen Okologie der Industrialisierung
des Umweltschutzes ... 114
0 •••••••••••••••••••• 0 •••••
Martin Janicke
Blauer Himmel iiber den Industriestadten - eine
optische Tauschung ............................... 150
Lennart J. Lundquist
Biirgerbeteiligung und Luftreinhaltung .................. 166
Ulrich Albrecht
Umweltschutz und Riistung ......................... 200
Volker Range
Staats-und Politikkonzepte in der sozio-okologischen
Diskussion . 214
0 • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Anhang
Schaubilder und Tabellen ......................... 252
Literaturverzeichnis ..... 263
0 0 • 0 •••••••••••••••••••
Die Autoren ................ 268
0 ••• 0 ••••••••••••
Umweltpolitik im kapitalistischen Industriesystem
Eine einfiihrende Problemskizze
Martin]i inicke
Vorbemerkungen und Begriffsbestimmungen
Die allgemeinen Termini der politis chen Sprache taugen politikwis
senschaftlich meist nur soviel, wie die in ihnen enthaltene Negation
mitgedacht und -analysiert wird. Erst dann erhalten sie Konkretheit,
reduziert sich die Beliebigkeit moglicher Definitionen, verweisen sie
auf das in ihnen enthaltene Politikum.
"Umweltpolitik" ist in diesem Verstandnis nur aus der Zuspitzung
einer bestimmten Negativitat industriegesellschaftlicher Entwicklung
mit der Folge immer weiterer Beeintrachtigungen von Mensch und
Natur zu begreifen. Sie ist konflikthafte Reaktion auf diese Ent
wicklung. Und ihre Durchsetzung trifft wiederum auf Konfliktreak
tionen des Industriesystems.
Wer von Umweltpolitik spricht, muB folglich yom Industriesystem -
und dem verhaltnis von Politik und Okonomie in ihm - reden.
Der folgende Beitrag nirnmt sich dies vor. Ais "einfiihrende Problem
skizze" will er weder Forschungsergebnisse ausbreiten noch Literatur
diskutieren. noch gar Theorie entwickeln. Es geht urn die deskriptive
Charakterisierung des komplexen Geflechts von Macht, EinfluB und
- vor allem - zwanghaften Interessenlagen, in dem das parlamenta
risch-biirokratisch regulierte kapitalistische Industriesystem Umwelt
probleme generiert und Umweltpolitik restringiert. Unsere Darlegung
ist aus Griinden objektiver und subjektiver Betroffenheit nicht wert
frei. Sie bemiiht sich - selbstverstandlich - urn Objektivitat. Sie ist
da, wo sie iiber bekannte Forschungsstande hinausgeht, hypothetisch.
An solchen Punkten muB der Leser - aufgrund seiner Informationen
und politis chen Erfahrungen - iiber Richtigkeit oder Plausibilitat der
Aussage entscheiden.
Umweltpolitik ist ein neuer Typus - genauer: Aspekt - von Politik.
Ais "Umweltschutz" ist sie in der biirokratisch-arbeitsteiligen Defmi
tion die Summe der Ressorttatigkeiten "Luft- und Wasserreinhal-
10 Martin Janicke
tung", "Larmschutz" und "Abfallbeseitigung"; Umweltpolitik (im
weiteren Sinne) umfaBt dann auch Bereiche wie Technologie-Politik,
Raumordnung, Stadtentwicklungsplanung oder Naturschutz. Daneben
ist auch von Umweltpolitik als Querschnittsaufgabe die Rede. Diese
Handhabung des Begriffs verweist auf die Universalitat des Problems,
wenn auch nicht auf seinen negativen Kern: Umweltpolitik ist zu
allererst Problemabwehr im Hinblick auf Beeintrachtigungen durch
industrielle Produktionen und Produkte. Diese Problemabwehr be
ginnt beim Umweltschutz im engeren Sinne, sie erweist sich aber als
ebenso notwendig im Arbeitsschutz, im Lebensmittel-oder Arzneimit
telrecht, in den Sicherheitsbestimmungen fUr Kernkraftwerke oder in
Regelungen fUr den Luftverkehr. Umweltpolitik ergibt sich notwenig
angesichts der erreichten Quantitat und grol3technologischen Qualitat
industrieller Produktion. Die Quantitat der industriellen Emissionen,
der durch Industrieansiedlungen, StraBenbau oder Tagebaugewinnung
von Rohstoffen vernichteten Lebensraume und die Qualitat der
produzierten Gefahrdungen des Menschen erzwingen diese neue Ebene
politischer Prob lemlosung.
Aber was ist dies fUr eine Struktur, in der die Probleme industriell
produziert, die Problemlosungen hingegen dem politischen System
zugeschoben werden?
Wir werden weiter unten zeigen, daB die Grlinde fur die reaktive
Rolle des Staates gegenUber dem Industriesystem die gleichen sind
wie die Grlinde seiner unzureichenden Problemlosungskapazitat.
Hier ist zunachst einmal festzuhalten, was wir unter "Industriesy
stem" verstanden wissen wollen.
Das Industriesystem ist eine Erfindung des Kapitalismus, und seine
- produktive wie destruktive - Dynamik ist noch immer da am groB
ten, wo der Profit das beherrschende Investitionsmotiv ist. Profit
bedeutet Wachstum. Und Wachstum ist das bestimmende Kennzei
chen des Industriesystems. Dennoch ist dieses nicht auf den Kapi
talismus beschrankt und sein Wachstum nicht ausschliel3lich profit
wirtschaftlich verursacht. Die sozialistischen Lander sowjetischen
Typs haben zwar die Machtverhaltnisse und Eigentumsstrukturen
des Kapitalismus revolutioniert. Aber das Postulat, den kapitalisti
schen Prototyp des Industriesystems einzuholen und zu Uberholen,
hat zu einer immer starkeren Orientierung an der westlichen 6ko
nomie und Technologie, vor allem aber zu einer immer weiteren Inte
gration in den kapitalistischen Weltmarkt gefUhrt. Spatestens am Welt
markt verhalten sich diese Lander wie kapitalistische Grol3betriebe
Umweltpolitik im kapitalistischen Industriesystem 11
unter Konkurrenzbedingungen. und diese Struktur wirkt nach innen.
Die COMECON-Lander haben von ihrer Planungsstruktur her zwar die
Moglichkeit vorausschauender Strukturpolitik und Technologiekon
trolle. Aber sie haben diese Moglichkeiten bisher nicht genutzt. Weder
haben sie alternative - problemlose - Technologien (low impact
technologies) entwickelt, noch Alternativen zur zentralistisch ver
machteten, hochspezialisierten GroBindustrie geschaffen. Die groB
industrielle Gigantomanie ist bisher unangefochten, weniger als im
Kapitalismus - trotz analoger Problemeffekte und analoger reaktiver
Problemlosungen des Staates und einem standigen Anstieg der soziaIen
Kosten.
Deshalb ist das Industriesystem eine Erfindung des Kapitalismus
und dennoch weltweit. Wir vertreten gleichwohl nicht die Theorie
einer einheitlichen Industriegesellschaft. Es ist ein gewaltiger Unter
schied, ob ein Systemtypus an chronischem KapitaliiberschuB oder
aber an standigem Kapitalmangelleidet. Es ist gleichermaBen nicht be
langlos, welche gesellschaftlichen Widerspruchsmoglichkeiten das
politische System bereitgestellt (+ weil sie das Innovationspotential
der Gesellschaft erhohen). Es ist unter umweltpolitischen Aspekten
ferner nicht unerheblich, welche Rolle der private Konsum in einem
System spielt und ob die private Vergeudung eine Wachstumsbedin
gung ist oder nicht. Das Verhaltnis von Konvergenz oder Divergenz der
westlichen und der ostlichen Industriegesellschaften kann jedoch un
moglich auch nur ein Nebenthema dieses kurzen Beitrags sein. Deshalb
beschranken wir uns hier auf den parlamentarisch-biirokratisch regu
lierten Prototyp des kapitalistischen Industriesystems.
Industrie 1st gleichermaBen eine Struktur wie ein dynamisches Prin
zip. Ihre Strukturmerkmale sind die Spezialisierung, die Zentralisie
rung und die Rationalisierung. Diese Struktur - Massenproduktion
von Spezialgiitern durch industrielle GroBaggregate auf der Basis des
jeweils giinstigsten verhaltnisses von Aufwand und Ertrag - ist auf
vielfache Weise dynamisch:
Massenproduktion tendiert zur standigen Erweiterung der Miirkte.
Das verhaltnis von Aufwand und Ertrag laBt sich technologisch
standig verbessern.
Der hierdurch in Gang gehaltene "technische Fortschritt" schafft
sich neue Nachfrage.
Der hierbei steigende KapitaIbedarf fordert die Zentralisierung etc.
Ein weiterer dynamischer Aspekt von Industrie ist ihre Tendenz zur
Totalisierung nach auj3en und innen: