Table Of ContentDBER  FORTSCHRITTE 
DER  MODERN EN  CHIRURGIE 
UND ANDERE AKADEMISCHE REDEN 
VON 
K. H. BAUER 
O. b. PROFESSOR FOR CHIRURGIE AN DER UNIVERSITAT HEIDELBERG 
DIREKTOR DER CHIRURGISCHEN UNIVERSITATSKLINIK 
SPRINGER -VERLAG 
BERLIN· GOTTINGEN • HEIDELBERG 
1954
ISBN-13: 978-3-540-01776-9  e-ISBN-13: 978-3-642-92617-4 
DOl: 10.1007/978-3-642-92617-4 
Alle Rechte vorbehaiten I 
Ohne ausdriickliche Genehmigung des Ver1ages ist es auch nicht gestattet, 
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Mikrokopie) zu vervie1fa1tigen.
MEINEM LEHRER 
RUDOLF STICH
Vorwort. 
Das vorliegende Biichlein hat eine kurze Vorgeschichte. Nach 
einer Festrede vor der Universitatsgesellschaft Heidelberg "iiber 
Fortschritte der modernen Chirurgie" (21. Nov. 1953) trat Herr 
Dr. Ferdinand Springer mit dem Wunsch, den Vortrag zu ver 
offentlichen, an mich heran. Dadurch ergab sich die Moglichkeit, 
drei weitere noch nicht publizierte Vortrage, darunter die Fest 
rede auf Schmieden zu dessen 70. Geburtstag mit zum Abdruck 
zu bringen. 
Nun hatten aber diese beiden Vortrage zusammen mit denen 
"vom Krebsproblem" und iiber "Atom und Medizin" kaum ein 
Bild dariiber vermittelt, inwieweit sich die Umbruchzeiten von 
1933 und 1945 in den akademischenReden einesChirurgen wider 
spiegeln. Vielleicht W~t die Breslauer Antrittsvorlesung (1933) 
etwas davon durchklingen, wie sich der Verfasser in einer fiir 
ihn schweren Zeit vor einer vermeintlich neuen Idealen huldigen 
den  akademischen Jugend zu den ewig gleichen  Idealen einer 
Chirurgia semperviva zu bekennen versuchte. Und wie so ganz 
anders waren die Aufgaben, die dem ersten Rektor der Universi 
tat 1945/46 gestellt waren! Ich hoffe, der Nachdruck rechtfertigt 
sich aus dem Umstand, daB das Heftchen mit den Rektorreden 
schon  vor der Wahrungsreform  yom  Biichermarkt  verschwun 
den war. 
In Einem Freilich muB der Leser giitige Nachsicht iiben: wenn 
er auf Wiederholungen stoBt. Aber welcher Autor hatte nicht
einige Lieblingsgedanken, die er nicht gerne mehrfach verwen 
dete? Und - AnkHinge und GleichkHinge gibt es nicht nur bei 
Aeschylus! 
Natiirlich sind die Vortrage nach Gegenstand, Zeit und An 
lassen sehr verschieden. Vielleicht aber zeugen sie von der Tur 
bulenz unserer Zeit und ihrer Problematik - wenigstens aus der 
Sicht eines Chirurgen. 
Heidelberg, den 11. Marz 1954. 
K. H. Bauer.
Inhaltsverzeichnis. 
Erster Teil 
Dber Fortschritte der modernen Chirurgie  1 
Die Bedeutung der Chirurgie fUr die Schulung des Arztes .  30 
Gedachtnisrede auf Martin Kirschner.  54 
Festrede auf V. Schmieden zum 70. Geburtstag.  65 
Gedachtnisrede auf Friedrich Bernhard  75 
Zur geistigen Situation unseres Faches .  84 
Zweiter Teil 
Was bedeutet uns die Universitat? .  94 
Wissenschaft und Humanitat  99 
Philosophie des tatigen Lebens .  107 
Grundvoraussetzungen deutscher Wiedergeburt .  123 
Rechenschaftsbericht als Prorektor tiber das 
Rektorjahr 1945/46 .  .  131 
Dritter Teil 
Yom Krebsproblem  141 
Atom und Medizin .  176 
L iter a turve rzeichnis  . 191
Erster Teil. 
1. 
Festvortrag (21. Nov. 1953) vor der "Universiditsgesellschafl: Heidelberg" 
aus Anlag des 567. Griindungstages der Universidit: 
tJber Fortschritte der modemen Chirurgie. 
Wie konnte es anders sein? Chirurgen sind Pragmatiker, 1ndi 
vidualisten, Therapeuten urn jeden Preis - selbst urn den einer 
gefahrlichen Operation und - oft genug noch konstitutionelle 
Optimisten. 
1st es nun etwa ein falscher Optimismus, wenn die Chirurgen 
heute von sprunghaften Fortschritten sprechen? Von Fortschritten 
so jungen Datums, daE die Jiingsten des F achs tuscheln, die Chirur 
gie habe iiberhaupt erst mit ihrer Promotion richtig begonnen! 
Und die Klteren? Nun, aile Klteren blicken gerne zuriick und 
dann gleich his auf die Uranfange. Man tadelt an den Chirurgen 
gerne ihr betontes StandesbewuEtsein. Man sollte nachsichtig sein: 
die Chirurgie hat eine uralte Tradition, bis in die graue, ja, bis in 
die schwarze Vorzeit zuriickreichend. 
Wcihrend kein anderes Lebewesen seinesgleichen anHillt, iiber 
Hillt der homo sapiens seinesgleichen mit besonderer Lust und 
dies seit Urbeginn. Verwundungen zeitigen natiirlich Wundver 
sorger. Schon die Cro-Magnon-Rasse - 30000 v. Chr.!! - ver 
wendete skalpellartige Mikrolithen und Knochennadeln mit tshr. 
Aber gleichviel,  ob diese  1nstrumente schon eine  Wundnaht 
beweisen oder nicht, handgreiflich sind die Beweise fUr richtige 
Operationen bereits in der Steinzeit. Wir kennen die 1nstrumente, 
wir kennen - prahistorisch verbiirgt - an iiber 200 Skeletten 
eines  einzigen  Fundorts  - ja von  Fundorten  durch  Ozeane 
1 
1  Bauer, Reden
getrennt, - als friihesten Eingriff - die kunstgerechte Eroffnung 
des Hirnschadels, die Trepanation. 
In der Steinzeit war der Stein das GeschoB, und die  Stein 
schleuder die erste Fernkampfwaffe. Denken Sie an David und 
Goliath! Der gefahrlichste Treffer war der Splitterbruch des Hirn 
schadels.  Kaum  ein  Zweifel,  unsere  Steinzeitkollegen  haben 
Schadelwunden kreisformig erweitert, ins Gehirn eingedrungene 
Knochensplitter entfernt und die Knochenrander feinsauberlich 
geglattet. 
Es gibt noch eine andere Deutung, wenn ich so sagen darf, eine 
theologische: man hatte mit der Trepanation Damonen und Teufel 
aus dem Schadelinneren entweichen lassen wollen. Trafe dies zu, 
so waren die Urpriester zugleich auch gute Operateure gewesen. 
Sie werden fragen: haben das denn die Menschen iiberstanden? 
GewiB nicht aIle, bestimmt aber viele, denn wir besitzen zahl 
reiche Schadel mit sicher jahrelang abgeschlossener Heilung der 
Trepanationsrander. 
Und daB  die  Instrumente  ausreichten,  zeigten erst kiirzlich 
peruanische Chirurgen, die mit 5000 Jahre alten Instrumenten 
aus der Inkazeit eine Trepanation ausfiihrten. 
Und nun nach  der Steinzeit noch  einen  Riickblick  auf die 
Bronze- und Eiszeit, zugleich auf die alteste »Kriegschirurgie" 
vor 3000 Jahren - bei Homer in der !lias! 
Von diesem mannermordenden Krieg kennen wir aIle VCaffen: 
Schleuder und SteingeschoB, Pfeil und Bogen, Dolch und Streit 
axt, Lanze und Schwert, und von allen Waffen ihren Anteil an 
den Verwundungen. Mehr als zwei Drittel gehen auf Konto der 
Lanze, in weitem Abstand folgen Schwert, Pfeil und Stein. Wir 
kennen auch den ganzen Katalog der damaligen Kriegsverletzun 
gen.  147 Verwundungen werden beschrieben,  angefangen von 
der RiBwunde bis  zur schwersten  Zweihohlenverletzung, vom 
HerzsteckschuB bis zum HirndurchschuB. 
Auch gibt es keinen Helden, gleichviel ob Achill oder H ektor, 
Menelaos oder Patroklos, Ajas oder Diomedes, von dem wir nicht 
2
die Liste der von ihnen getoteten Fe inde und deren Todesursachen 
wiHhen. 
Oberraschend  groB  sind  Homer's  anatomischen  Kenntnisse. 
Seine Nomenklatur umfaBt 150 anatomische Bezeichnungen. Das 
sind mehr, als man heute beim gebildetenLaien voraussetzen darf. 
Selbstverstandlich hat der Oberbefehlshaber Agamemnon auch 
seine  "Beratenden Chirurgen"; Podaleirios  (Ilias II, 732) und 
und Machaon (Ilias II, 732) heiBen sie, Sohne des Asklepios selbst, 
groBe Herren auf Trikka in Thessalien (lias II, 733): 
"Ihnen folgt ein Geschwader von dreiBig gebuchteten Schiff en. "1 
Aber lassen wir Homer, dies en groBten Erzahler, selber erzah 
len, z. B. von der Verwundung des Menelaos durch die Hand des 
Pandoros (Ilias IV, 134 ff.): es 
" ... traf der spitzige Pfeil den geschlossenen Giirtel, 
Hatte sich eingebohrt in den Gurt von zierlicher Arbeit, 
Und war selbst in den kunstvoll gefertigten Panzer gedrungen, 
Auch in den Schurz, den er trug, den Leib vor Geschossen zu sichern, 
Welcher am meisten ihn schirmte. Allein er durchdrang auch diesen, 
Dann aber ritzte der Pfeil dem Heiden die Haut an der Flache; 
Dunkelfarben stromte das Blut sogleich aus der Wunde ... 
Also farbten sich Dir, Menelaos, die stattlichen Schenkel 
Rot von Blut und die Beine und die zierlichen Knochel darunter." 
Menelaos selbst ist sich der todlichen Gefahr des Bauchschusses 
sofort bewuBt (Ilias IV, 148ff.): 
"Schauder ergriff Menelaos selbst, den streitbaren Heiden. 
Aber sobald er die Schnur und den Haken noch auBen erblidue, 
Stromte der Mut in die Brust ihm zuriick, und er kam zur Besinnung." 
So fort wird Machaon gerufen2 (!lias IV, 21 3 ff.): 
1 Zitiert aus der zweisprachigen (griechisch-deutschen) Ausgabe der Tuscu 
lum-Biicherei "Homer !lias", iibertragen von Hans Rupe. 
2  Die Versorgung des Menelaos durch Machaon findet ihren kiinstlerischen 
Niederschlag in der altesten "illustrierten" Ausgabe der !lias auf Tafel XV 
der ,,!lias Ambrosiana" (Cod. F. 205. P. Inf. Bibliothecae Ambrosianae Medio 
lanensis). Sie wird von Sachverstandigen dem 1.  Jahrhundert n.  Chr. zu 
geschrieben (Farbreproduktion und Neuausgabe Bern und Ziirich 1953). Tafel 
XV zeigt links von der Mitte des Bildes Menelaos, wie er eben durch den 
Pfeil am Unterleib getroffen wurde und rechts in der Ecke, wie Machaon ihn 
arztlich versorgt. 
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1*
"Zog er sofort den Pfeil aus dem festgeschlossenen Gurte; 
Aber beim Ausziehn bogen die spitzigen Haken sich riickwarts. 
Hierauf lost' er den schillernden Gurt und die Schiirze darunter, 
Auch die eherne Binde, von Schmiedemeistern gefertigt. 
Ais er die Stelle besehn, wo der spitzige Pfeil ihn verwundet, 
Sog er das Blut und legte mit kundiger Hand ihm die milden 
Krauter darauf, die Cheiron als Freund seinem Vater gegeben." 
Aber nicht nur Wundbehandlung, auch eine Operation wird 
beschrieben. So heiBt es von Alexandros, als er Eurypylos ver 
wundet (Ilias XI, 583): 
" ... er schnellte den Pfeil in den rechten Schenkel hinein; das Rohr brach ab 
und lahmte den Smenkel." 
Patroklos versorgt ihn. Er bringt den Verwundeten (Ilias XI, 
843 ff.) 
"Sorglim ins Zelt; ein Diener gewahrt es und breitete Felle. 
Hierauf bettet er ihn und smnitt mit dem Messer den smarfen 
Stemenden Pfeil aus dem Schenkel und spiilte davon mit gewarmtem 
Wasser das smwarzliche Blut, zerrieb die bittere Wurzel, 
Legte sie auf ... da versiegte das Blut und vernarbte die Wunde.« 
Aber nicht nur Helden, von der Hand Sterblicher wurden auch 
Gotter verwundet, so Aphroditel an der Hand (Ilias V, 335-352), 
Hades (Ilias V, 396) und Ares. Paieon hieB der olympische Chir 
urg, der die  beiden letzteren  versorgte.  An Ares erleben wir: 
0, wie menschlich sind doch diese Griechengotter! Sie brauchen den 
Schmerz nicht zu verbergen. 
Diomedes, von Athene unterstiitzt (Ilias V, 856 ff.), wagt den 
Speerwurf2 : 
"Gegen die Weime des Baums, wo die eherne Binde sim ansmloB: 
Dorthin traf er den Gott und zerfleismte die bliihende Haut ihm, 
1 Entziickend die Darstellung in der oben zit. I lias Ambrosiana, Tafel XIV: 
Aphrodite, von links kommend, zeigt dem thronenden Zeus anklagend die 
verwundete Linke, wahrend remts auf dem Bilde Hera und Athene "mit 
stimelnden Worten" (!lias V, 418/ff.) auf Zeus, den Kronion, einreden, der 
dann auch "lamelnd" der goldenen Aphrodite einen zarten Verweis erteilt 
(Ilias  V,  428 ff.):  "Tomterchen,  dein  Gesm:ift  sind  nicht  die  Werke  des 
Krieges. Ordne du lieber hinfort die lieblimen Werke der Homzeit. Jene 
besorgt Athene und der riistige Ares.« 
2  In der !lias Picta Ambrosiana dargestellt auf Tafel XVII. 
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