Table Of ContentISBN 978-3-662-22911-8 ISBN 978-3-662-24853-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-24853-9
Sonderdruck aus
"Nukleonik", 7. Band, 3. Heft, 1965, S. 113-117
Sprin.ger-FerluQ', ßerlin· Heirlelberg· NeU' York
Über die Sintergeschwindigkeit von Urandioxidpulver
unter oxidierenden und reduzierenden Bedingungen und Folgerungen
über die Spaltedelgasabgabe
(Edelgasdiffusion in Festkörpern 16) *
Von P. lUöLLER und K. WAGENER
(Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung Berlin, Sektor Kernchemie)
Mit 5 Textabbildungen
(Eingegangen am 14. September 1964)
Summary. \Vhen testing nuclear fuel conta.ining uranium by Post-Activation-Diffusion-(PAD)-measurements, the neutron
irradiated sampies are usually annealed either in a vacuum or an inert gas atmosphere. Ey this treatment measurable quantities
of fission rare gases can be obtained. During this procedure, the uranium dioxide sampies usually are not in equilibrium with
the oxygen partial pressure. Therefore they are oxidized or reduced, respectively, depending on the test conditions. Thermo
gravimetrie tests and specific surface measurements on uranium dioxide powder indicate that during a change of the oxygenJura
nium ratio, the sintering is markedly aeeeierated. This fact leads to the hypothesis that inereased mobility of the lattiee ions
accelerates the rele~se of the rare gas. In this way the bursts in the rare gas release-oftenobserved in PAD-measurements
can be interpreted.
1. Einleitung sobald es (bei hinreichend hoher Temperatur) über
haupt beweglich geworden ist. Das oben beschriebene
Beim Erhitzen neutronenbestrahlter Proben aus
Verhalten weicht aber so auffällig von dieser theoreti
Urandioxid im Vakuum oder einer inerten Atmosphäre
schen Kinetik ab, daß man nach weiteren Mechanis
(Post-Aktivierungs-Diffusion) wird folgende Kinetik
men zu suchen hat, durch die ebenfalls Spaltedelgas
der Spaltedelgasabgabe beobachtet [1), [2), (3)
aus dem Wirtskristall freigesetzt werden kann_ In
(Abb.l):
diesem Zusammenhang wurde bereits eine Reihe von
Als Folge jeder Temperaturerhöhung tritt im Ver
Deutungsmöglichkeiten diskutiert (vgl. z.B. [8)).
laufe einer gewissen Zeit Edelgas aus der Probe aus,
während anschließend praktisch kein Edelgas das
UÜ. mehr verläßt, obwohl im allgemeinen erst ein sehr lt&13J o 0
kleiner Bruchteil der Gesamtedelgasmenge den Kristall 1 ~o
/
verlassen hat. Diese stoßweise Gasabgabe (" burst"
,
genannt) ist nur qualitativ reproduzierbar. Die Er
o.
scheinung wird im Vakuum nur beim erstmaligen Auf 1/
heizen beobachtet, nicht jedoch beim Abkühlen und
auch nicht beim anschließenden Neuerwärmen auf die
Ir
zuvor erreichte Temperatur. 1. .....! !CO·0
Es ist weiterhin bekannt, daß ein solcher burst o. 1
auch bei konstant gehaltener Temperatur durch r. ....., oo"o
Sauerstoffzutritt an die Probe ausgelöst werden kann ~:30~C
und in seiner Größe von der dabei aufgenommenen
Sauerstoffmenge abhängt. Beim Abkühlen sind von /lCO-C
10
ROTHwELL [4) bursts beobachtet worden, jedoch nur Z.lt 1" l-tg.iII'n
in einer Helium-\Yasserstoff-Atmosphäre, und dies Abb.1. Ein Beispiel stoß\vciscr und dann versiegender Spaltcdelgasabgabe
nur in Fällen, wenn die Proben zuvor in dieser redu aus Urandioxid als ]j'olge von 'femperaturerhöhungeu. Ordinate: Bruchteil
des aus der Probe entwichenen Edelgases (gemessen wurde Xe-133), bezogen
zierenden Atmosphäre auf etwa 2000° C erhitzt worden auf die bei 10000 einsgesamt a.bgegebene Menge, die schätzungsweise 10-'
waren; wurden die Proben nur auf 1500° C erhitzt, so dbial'!ß lOau-ic hd ensa gcehs admert evni eXrtee-n1 3T3e-mGpehearaltteusr edrehrö hPuronbge d aiue sAmbagcahbt,e. rMataen w eirekdeenmnmt.
unterblieben sie. CARROL [5), [6), [7) hat bei Diffu auf nnmeßbrtr kleine Werte a.bsinkt. Entnommen aus [1]
sionsversuchen während der Neutronenbestrahlung
ebenfalls bursts beim Erhitzen sowie beim Abkühlen In der vorliegenden Arbeit soll in einer zunächst
bco bachtet. nur orientierenden \Yeisc die Frage untersucht werden,
Beim Vorliegen einer echten Diffusion des Edel ob die oben erwähnten Bedingungen, unter denen eine
gases im Kristallgitter sollte man erwarten, daß es den stoßweise Spaltgasabgabe aus uranhaitigen Proben
Kristall vollständig verläßt (da praktisch unlöslich), beobachtet wird (Änderung der Temperatur bzw. des
Sauerstoffpartialdruckes), die fraglichen Probekörper
• Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen der Unter in solcher \Yeise verändern, daß eine begleitende Gas
suchungen von K. E. ZIl\lEK über die Diffusion von Edelgasen freisetzung verständlich ist. So könnte etwa ein durch
in l.f'estkörpern. Wir danken Herrn Professor ZIME~ für zahl eine Temperaturerhöhung angeregter Sinterprozeß
reiche Diskussionen und sein förderndes Interesse an dieser
Arbeit. oberflächennahes Edelgas freisetzen. Ferner könnte
114 P. MÖLLER und K. WAOENER: Über die Sintergeschwindigkeit von Urandioxidpulver Nukleonik
ein vorübergehend erhöhter Sauerstoffzutritt an die P (Torr) = Dampfdruck des Adsorbates
Probe zur Ausbildung einer schwammähnlichen Ober Ps (Torr) = Sättigungsdruck
flächenstruktur führen, indem eine kur7.zeitige Oxi ma (g) = Adsorbatmasse
dation zu einem höheren, voluminöseren Oxid statt m", (g) = Monoschichtmasse
findet und diese (nach anschließendem Entzug des G (1) = Konstante
überschüssigen Sauerstoffs) einen aufgelockerten Git 8 (cm 2fg) = spezifische Oberfläche des Probekörpers
terverband im Bereich der Pro benoberfläche zurück a (cm2) = l'läehenbeanspruehung eines adsorbier-
läßt, aus dem das enthaltene Edelgas entweichen ten Atoms bzw. Moleküls
kann. NL (Mol-I) = Loschmidtsche Zahl
Beide genannten Wirkungen würden sich in einer M (gfMol) = Molmasse des Adsorbats
Veränderung der ursprünglichen Oberflächengröße J1IPr (g) = Probenmasse.
des Probekörpers zeigen. Im ersten Falle führt der
Zur Ermittlung von Ps wurde der zeitliche Mittel
Prozeß zu einer Verkleinerung, im letzteren würde er
wert des Argondampfdruckes bei der (langsam stei
zu einer Vergrößerung der Oberfläche führen. Mit
genden) Temperatur der Kältebäder verwendet (be
Hilfe von Oberflächenbestimmungen an porösen
obachtet an einem Argon-Dampfdruekmanometer).
Urandioxidpro bekörpern sollte demnach die ·Wirkung Der Fehler dieses Mittelwertes betrug ± 3 Torr. Da
von Temperatur- und Sauerstoffpartialdruckände
die Adsorptionstemperatur unterhalb des Gefrier
rungen erkennbar werden. Da sich mit diesen Para
punktes für Argon liegt, wurde als Ps derjenige Dampf
metern aber zugleich auch die Zusammensetzung des
druck gewählt, den die in den instabilen Bereich hin
Oxids ändert, sollten derartige Messungen ergänzt
ein extrapolierte Dampfdruckkurve der flüssigen
werden durch solche, die die Veränderungen des Sauer
Phase an der fraglichen Stelle liefert.
stoffgehaltes anzeigen.
Die Temperaturen der Kältebäder mit flüssiger
über deratige Messungen wird im folgenden be
Luft lagen zwischen 79,6 und 79,90 K und änderten
richtet.
sich während einer Messung um maximal 0,20 K.
Die dem zeitlichen Mittelw81,t der Temperatur der
2. Experimentelles Kältebäder entsprechende (temperaturabhängige) Flä.
chenbeanspruchung eines adsorbierten Argonatoms
2.1. Die Untersuchungen wurden mit einer Thermo
wurde durch lineare Interpolation der Werte von
Mikrowaage ("Elektrono" der Fa. Sartorius, Göt
PICKERING und ECKSTROM [10] ermittelt. Nach [10]
tingen) durchgeführt. Die Proben konnten bei einem
beträgt a(Argon) bei -195,7° C 16,88 A2 und wächst
erreichbaren Vakuum von 10-6 Torr bis 13000 C in
Pt-Rh-Tiegeln erhitzt werden. Die Waage kann mit pro 10 C um 0,1 A2.
1 g ~Wägegut belastet werden und registriert Gewichts Um bei den Adsorptionsmessungen eine Auf triebs
änderungen im Bereich von (1-1100). 10-6 g. Die korrektur vermeiden zu können, wurde als Gegen
Genauigkeit der Anzeige liegt bei ± 1 . 10-6 g. gewicht ein Stück Silberdraht verwendet, da Silber
etwa die gleiche Dichte wie Urandioxid besitzt. Die
Der ebenfalls aus einer Pt-Rh-Legierung beste
Einwaage des Urandioxidpulvers (ca. 200 mg) erfolgte
hende Heiztiegel für die thermogravimetri8chen
auf einer Analysenwaage (in den Wägetiegel der
Untersuchungen ist auf einen wassergekühlten Metall
Elektronowaage) mit einer Genauigkeit von ±0,2 mg.
sockel montiert. Diese Anordnung befindet sich in
Nach dem Einhängen des Tiegels in die Elektrono
einem weiträumigen Quarzkühler, der unmittelbar an
waage wurden die Proben über Nacht bei einem
die Waage angeschlossen wird. Der Probentiegel be
findet sich freihängend in dem Heiztiegel, der nach Druck von 10-5 Torr entgast und anschließend bei
oben hin durch einen geschlitzten Deckel abgeschlosscn 3000 C ausgeheizt. Danach wurde die Waage bis zu
einem Druck von 150 Torr mit Argon gefüllt, welches
werden kann (magnetisch von außen bedienbar). Die
Temperatur des Heizraumcs wurde mit einem Pt-Ptf zuvor (zwecks Entzuges des Sauerstoffs) bei 100° C
über BTS-Katalysator (der Firma BASF, Ludwigs
Rh-Thermoelement gemessen.
hafen) geleitet wurde, und die Adsorptionsstutzen mit
2.2. Die spezifischen Oberflächen der Urandioxid flüssiger Luft. gekühlt. Sobald die Waage etwa 1 Std
pulver wurden durch Aufnahme von Argon-Adsorp lang einen konstanten Wert registriert hatte, wurde der
tionsisothermen und deren Auswertung nach der Druck nacheinander auf etwa 90, 70, 50, 35, 20 Torr
Methode von BRUNAu}JR, EMMETT und T~}:LLER [9] gesenkt und jeweils das Adsorptionsgleichgewicht für
ermittelt. Es wurde bei Temperaturen der flüssigen jeden der genannten Drucke abgewartet. Gleich
Luft gearbeitet, wobei die Adsorbatmengen gravime gewicht wurde angenommen, nachdem jeweils 15 bis
trisch, und zwar ebenfalls mit der unter 2.1 erwähnten 20 min lang Gewichtskonstanz beobachtet worden war.
Mikrowaage, bestimmt wurden. Durch graphische Nach der letzten Messung wurde das Probengewieht
Auswertung dieser Messungen an Hand von GI. (1) im Vakuum (bei 10-5 Torr) bestimmt und dieser Netto
wurde zunächst die Monosehichtmassc mm erhalten, wert zur Ermittlung der Adsorbatmassen benutzt.
aus der sich (bei bekannter Flächenbeanspruchung Auf diese Weise ließen sich sehr gut reproduzierbare
eines adsorbierten Argonatoms) die spezifische (freie) Meßwerte für die Obcrfläehenbestimmung erhalten.
Oberfläche der Probekörper nach G1. (2) ergibt: Insgesamt ergab sich die Genauigkeit der Obcr
flächenbestimmungen zu ± 300 cm2fg U02•
(I) 2.3. Das untersuchte Urandioxidpulver wurde aus
Uranylnitrat durch Fällen als Ammoniumcarbonato
uranat bei einem pH-Wert von 5,5, Verglühen bei
(2) 6000 C zu U30. und anschließende Reduktion bei
Band 7, Heft 3 P. MÖLLER und K. WAGENER: Über die Sinrergeschwindigkeit von Urandioxidpulver 115
10000 0 im Wasserstoffstrom hergestellt. Dieses Dar nicht immer erreicht. Die der Kurve I angefügten
stellungsverfahren soll ein Produkt mit einer besonders Zahlen geben das Gleichgewichtsverhältnis Sauerstoff/
engen Korngrößenverteilung liefern [11]. Die spezi Uran an; eingeklammerte Zahlen bedeuten, daß ein
fische Oberfläche des erhaltenen Pulvers ergab sich Gleichgewicht nicht erreicht wurde. Der schwache,
(mit Argon bestimmt) zu anhaltende Abfall der Kurve I bei 1210° 0 wird der
Probenverdampfung zugeschrieben.
1,29 ±0,03 m2/g U02,
Abb. 3 zeigt den Einfluß einer Änderung des
bzw. (mit Stickstoff bestimmt) zu Gesamtdruckes in der Vakuumapparatur auf das
1,31 ±0,03 m2/g U02. lGicehweinc hPt r(oubres pruünntgelri chv o2rg0e8g,6e bmegn)e re iTneerm pdearraintu rb.e fiBnde i
Daraus läßt sich (unter der Annahme, daß das Pulver diesem Versuch konnte der Sauerstoffpartialdruck
aus Kugeln einheitlicher Größe besteht) ein mittlerer noch nicht unmittelbar vorgegeben werden (wie bei
Teilehenradius von 0,2 fL berechnen. Durch Oxidation den späteren Messungen mit Hilfe von Mn02; vgl.
bei 6000 0 in Luft zu U30S (auf
der Thermowaage) wurde das Sauer
stoff/Uran-Verhältnis zu 2,05 be
11
stimmt.
2.4. Das Sintern der Proben er
folgte ebenfalls auf der Thermo
waage, um alle Gewichtsänderungen
während dieses Prozesses registrieren
zu können. 'm
2.5. Um bei den thermogravi
metrischen Untersuchungen in der
Anlage einen definierten Sauerstoff
partialdruck zu erzeugen, wurden 13 I~ 20 25 30 35
in der Nähe der Proben 300 g Z.1t in Stund~
Mangandioxid auf geeigneter, kon
Abb. 2. Gewichtsänderungen (Kurve I) einer Urandioxidprobe als Folge der stufenweisen (Kurve 11)
trollierter Temperatur gehalten. Die erhöhten Temperatur bei vorgegebenem Sauerstoffpartialdruek. Einzelheiten im Text
Temperatur wurde jeweils so weit
angehoben, daß der durch thermische Zersetzung
entwickelte Sauerstoff das zuvor herrschende, sta
TOUldrufk ~------------~~mmH,----------~
tionäre Vakuum merklich verschlechterte. Auf diese
Weise konnte erreicht werden, daß bei laufenden S.'IHllotaHpartll!dl'\lf.k 10·'
(g!'!oCMltl)
Pumpen und trotz eines stationären, unkontrollier k '000
baren Fremdgaseinbruchs ein definierter Sauerstoff T;llWC
partialdruck aufrechterhalten werden konnte. i~ 800
600
3. Meßergebnisse 3
Es wurden die Veränderungen in der Beschaffen ~! '00
heit von pulverförmigem Urandioxid verfolgt, die sich r
als Folge einer Variation von Temperatur und Sauer e '00
,';
stoffpartialdruck zeigen. Als charakterisierende Grö .~ '.
ßen zur Beschreibung des Zustandes des Urandioxid 10 12 "
pulvers diente die Abnahme der spezifischen Ober 00,. 0.0 " Zell j,n 5tundtn
fläche (infolge fortschreitender Sinterung) und die
Abb. 3. Oxidation und Reduktion einer Urandioxidprobe (gravimetrisch
Änderung in der chemischen Zusammensetzung (in beobachtet) a.ls Folge einer Anderung des Sauerstoffpartialdrucks bei
vorgegebener Tempera.tur
folge Oxidation oder Reduktion des Urandioxids). Wie
die folgenden Ergebnisse zeigen, bestehen zwischen
Abschnitt 2.5), sondern mußte aus dem Gesamtdruck
beiden Prozessen auffällige Zusammenhänge.
geschätzt werden. Man erkennt aber die starke Ab
Abb. 2 zeigt zunächst die Gewichtsändcrungen
hängigkeit des Oxidationsgrades vom Sauerstoff
einer 25,5 mg schweren Probe als Folge von Tempe
partialdrnck. Bei einem Totaldruck von 10-' Torr
raturänderungen bei einem konstanten, vorgegebenen
oxidierte die Probe (von der ursprünglichen Zusam
Sauerstoffpartialdrnck von 2· 10-4 Torr. Das Oxid mensetzung UO.,05) bei einer Temperatur von 1190°0
(mit der ursprünglichen Zusammensetzung U02,05) innerhalb einer Stunde zu einer (mittleren) Zusam
oOxxiiddi emrtei t bdeei m3 50S0a 0u erisntnoefrffhUalrba nv-Voner h4ä lStntdis zvuo ne in2e,m4, mensetzung von U02,2' (Das Gleichgewicht war noch
nicht erreicht.) Danach wurde der Gesamtdruck auf
das sich unterhalb von 8000 0 innerhalb der Versuchs 10-5 Torr erniedrigt, was eine über lange Zeiten an
zeiten nicht änderte [12]. Wie die Kurve 11 angibt,
haltende Reduktion der Probe hervorrief (Gewichts
wurde die Temperatur stufenweise erhöht, als Folge
verlust), bei der ebenfalls kein Gleichgewicht erreicht
dessen das Probengewicht (Kurve I) oberhalb von wurde.
8000 0 stufenweise abnahm (Reduktion). Diese Beobachtungen bestätigen zunächst die be
Infolge zögernder Gleichgewichtseinstellung wurde kannte Tatsache, daß der Sauerstoffgehalt der Uran
das Endgewicht (die Gleichgewichtszusammensetzung) oxide in sehr empfindlicher 'Veise von der Temperatur
9*
116 P. MÖLLElt und K. \VAUBNJ~R: Über die Sintcrgcsclnvindigkeit von Urandioxidpulver Nnkleonik
und dem Sauerstoffpartialdruck abhängt. Das weitere c) Die Probe (209 mg) zeigte während der gesamten
Interesse richtete sich nun speziell auf die Frage, zweistündigen Sinterzeit annähernd Gewichtskonstanz
welchen Einfluß solche Änderungen in der Oxidzu (-- 0,5 (J.g/Std).
sammensetzung auf das Sintern poröser Proben (und d) Die Probe (208 mg) wurde in einer Wasserstoff
implicit auf die dabei ermöglichte Freisetzung von atmosphäre gesintert, wobei sie einen starken Ge
Spaltedelgas) haben. Dazu wurde die Geschwindigkeit wichtsverlust von anfänglich (etwa) 50 (J.g/Std erlitt.
der Oberflächenabnahme von Urandioxidpulver unter Abb.5 schließlich zeigt die Oberflächenabnahme
sucht unter derart variierten Sinterbedingungen, daß
an einer einzigen Probe, die mit Unterbrechungen ge
die Proben während der fraglichen Temperaturbehand
sintert wurde. Nach etwa lOstündiger (summarischer)
lung teils oxidiert, teils reduziert wurden.
Sinterzeit wurde eine praktisch konstante Oberflächen
größe erreicht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die
Probe eine Gewichtsabnahme beim Sintern gezeigt
(von anfänglich etwa 10 (J.g/Std), die danach in eine
Gewichtskonstanz einmündete. Bezüglich des asym
ptotischen Charakters der Oberfläehenänderung ent
spricht sie der Kurve b in Abb. 4.
Zusammenfassend erkennt man aus diesen Ergeb
nissen, daß der Sinterprozeß (die Oberflächenabnahme)
am schnellsten abläuft, wenn gleichzeitig eine ther
mische Zersetzung höherer Oxide stattfindet (Kurve a
in Abb. 4). vVesentlieh langsamer erfolgt dieser Pro
10 zeß, wenn die Probe während dieser Zeit oxidiert
Sinterzeit in Stunden wird (b) oder ihren Sauerstoffgehalt gar nicht ändert
Abb.4. Unterschiedliche Sintergeschwindigkeit (Abnahme der spezifischen (c). Die Einwirkung einer reduzierenden Atmosphäre
Oberfläche) von Urandioxidplllver als .Folge variierter Sinterbedingungen
(Abweichungen von O!-Gleiehgewichtsdruck), Einzelheiten im Text (d) hat zur Folge, daß der Sinterprozeß offenbar stark
gehemmt wird. Da bei einer Temperatur von 1200°C
und unter einem Sauerstoffpartialdruck < 10-8 atm
die stabile Oxidzusammensetzung etwa UO, 00 ist, hat
man anzunehmen, daß im Falle der Kurve d (Abb. 4)
das Oxid oberflächlich diese stöchiometrische Zu
sammensetzung aufweist und diese Tatsache für das
',00 Sinterverhalten des Pulvers verantwortlich ist.
o
~ 0,90 , ...v ...... ------..... -- 4. Zur Deutung der stoßartigen Spaltgasabrwbe
l
bei P AD-Versuchen
'" o,ao /
~ /' Bei der verbreitet angewandten Methode der Post
i! 0''0 /~' Aktivicrungs-Diffusion (PAD) zum Stndium der
o , /' Spaltedelgasabgabe von Kernbrennelementen werden
; ~60 die fraglichen Proben im allgemeinen bei Zimmer
~
temperatnr im Reaktor bestrahlt. Nach dem Abklin
o~o /' 0
/' 0 gen der energiereichen Spaltprozesse innerhalb der
/ Probe hat man einen Festkörper vor sich, der sich in
10 "
einem mehr oder weniger stark metastabilen Zustand
SIn1KUltin Stl.lndl .. ,.
befindet: Einmal haben (lie Kernbruchstücke längs
AUrbabn.d5i.o xiAduIJsugle·.. z. eorg eanles FKuunrkvtei:o nÄ nudeefr uRnign t.derezre ist.p ezGifeisstcrhieehne lOteh eKrfulärcvhee: YGOeI l ihres Weges durch den Kristall erhebliche Gitter
wSiiec hwtusvrdeer lgueswt doenrn egnle aiclsh eInnt Pegrorablek uinrfvoel gHeU AS dlledre rwuällhgr einhdr.e sd eSra euienrzsetlonfefng eShianltkers-. st.örungen hinterlassen, und zum anderen liegt die
periuden beobachteten (stationären) Anderungsgesch"dndigkeit des erzeugte Spaltedelgaskonzentration im allgemeinen
Probengewichts. ::\fun erkennt die ParallcliWt beider Prozesse
um viele Größenordnungen über der Löslichkeits
grenze, die experimentell bisher zwar nicht bestimmt
A bb. 4 zeigt die zeitliche Änderung der spezifischen
worden ist, aber größenordnnngsmäßig abgeschätzt
Oberfläche von Proben, die bei 1200° C vier verschie
werden kann aus thermodynamischen Daten der
denen Sinterbedingungen unterworfen wurden:
reinen Komponenten (Edelgas und Festkörper). Man
a) Die Probe (208 mg) zeigte während der ersten findet auf diesem 'Wege Löslichkeitswerte von etwa
Stunde des Sinterns einen Gewichtsverlust (Reduk 103 bis 106 Edelgasatome pro cm 3 Festkörper, d. h.
tion) von 17 (J.g. unmeßbar kleine Mengen.
b) Die Probe (125 mg) zeigte zu Beginn des Sin Eine derart vorbehandelte Urandioxidprobe wird
terns eine Gewichtszunahme (Oxidation) von 15 (J.g/Std. nunmehr im Vakuum oder einer Inertgasatmosphäre
Die beiden weiteren Punkte der Kurve wurden auf einer thermischen Behandlung nnterworfen, um eine
unabhängigem Wege mit jeweils einer neuen Probe meßbare Ausscheidungsrate an Edelgas zu erhalten.
gewonnen. Die anfängliehe Gewichtszunahme war bei Bei der meist üblichen PAD-Technik wird hierbei der
allen drei Proben (des gleichen Materials) etwa gleich Sauerstoffpartialdruck festgehalten (in einer allerdings
groß. Es zeigte sich, daß (lie Gewichtszunahme asym undefjnierten, durch die Vakuumanlage und Pump
ptotisch abklingt, wobei jedoch selbst nach 10 Std leistung fest.gelegten vVcise), so daß die vorgenom
noch kein Gleichgewicht erreicht war (Gewichtszu mene Temperaturänderung zwangsläufig eine Oxida
nahme nach 10 Std etwa 5 (J.g/Std). tion bzw. Reduktion der Probe auslöst (je nach den
Band 7, Heft 3 P. MÖLLER und K. ,"VAGENER: Über die Sintergesch\vindigkeit von Urandioxidpulver 117
vorliegenden Verhältnissen). ·Wie sich aus den vor theorie verstanden werden kann, muß an einer späteren
liegenden Messungen (Abschnitt 3) ergibt, begünstigen Stelle untersucht werden. Offenbar wird die Beweg
diese stöchiometrischen Veränderungen (insbesondere lichkeit minimal in Urandioxid, welches keinen stö
Reduktionen) das Fortschreiten des Sinterprozesses, chiometrisch überschüsgigen Sauerstoff mehr ent
mit dem man stets zu rechnen hat, sofern kein Ein hält (vgl. hierzu Kurve d mit den Kurven a, bund c
kristall vorliegt. Im gleichen Sinne wirkt auch ein in Abb. 4). Auf Grund dieser Erkenntnisse sind nun
varüerender Sauerstoffpartialdruck bei vorgegebener mehr Versuche geplant, die neben der Registrierung
Probentemperatur . von Gewichtsänderungen der Proben (infolge Oxida
Inwieweit man die Entstehung von "bursts" un tion oder Reduktion) gleichzeit.ig die Spaltgasabgabe
mittelbar auf ein derartiges, vorübergehend begün rate zu beobachten gestatten.
stigtes Sintern der Proben zurückzuführen hat, kann
zur Zeit noch nicht entschieden werden. Denkbar ist Literatur: [1] F"LIX, F.: Nukleonik 1,66-67 (1958). -
auch ein anderer ::\Iechanismus. Schnelles Sintern [2] BAR,ms, R.H., M. KANGILASKI, J_B. MELEHAN, and F_A.
bedeutet: hohe Beweglichkeit der gittereigenen Bau ROUGH: B1IU-1533, 1961. - [3] S'·"VE>fS, W.H., J. R. MAC
EWAN, A.M. Ross: TID-7610, 7·-22, 1960. - [4] ROTHWELL,
steine. Also muß diese erhöhte Beweglichkeit eine E.: J. Nuc!. "'Iater. 5, 241-249 (1962). - [5] CARROLL, R.lVL:
(mittelbare oder unmittelbare) Folge des Ablaufs von Am. Soc. Testing Mater. 1961, p_ 110-120_ - [6] CARROLL,
Oxidations- bzw. Reduktionsprozessen am Uran R.M.: Nuc!. Safety 4, No. 1,35----42 (1962). - [7] CARROLL,
dioxid sein. Eine erhöhte Beweglichkeit der Gitter R.1I.: ORNL-3166, 1961. - [8]LAGERWALL, T., audP_ ScmlE
LING: HMI-B 27,1963. - [9] BRUNAUER, S., P_H. EMMETT,
ionen würde aber zwangsläufig auch eine erhöhte and E. T>JLLER: J. Am_ Chern. Soc. 60, 309-319 (1938)_
Beweglichkeit (und damit Ausscheidungsrate) des - [10] PIOKERING, H.L., and H.C. ECKsTRml: J. Am. Chern_
enthaltenen Edelgases bedeuten. Das an der Sinter Soc. 14,4775-7 (1952). - [U] CLAYTON, J.C., and S. ARON
kinetik beobachtete Verhalten würde demnach gleich sax: WAPD-178, Dec. 1958. - [12] St'EES, So: Reaktorwerk
stoffe. Diskussionstagg. 9. u. 10. Dez. 1963, Stuttgart_ Köln:
wohl auch Bedeutung haben für die Spaltgasabgabe Deut. Ges_ Metallk. 1963.
aus Einkristallen, an denen gar kein Sinterprozeß ab
läuft. Anschrift: P_ MÖLLER und K. W AGENER
Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung
Wie eine derartige, vorübergehend erhöhte Be Sektor Kernchemie
weglichkeit im Urandioxid im Sinne der Fehlordnungs- 1 Berlin 39, Glienicker Straße