Table Of ContentISBN 978-3-662-28094-2 ISBN 978-3-662-29602-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-29602-8
Sonderdruck aus "Der Chirurg". 12. Jahrgang, 1940, Heft 21
(Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH )
Über die Ergebnisse der Schenkelbruchoperation.
Von Assistenzarzt Dr. H. Winkler, Heidelberg.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik zu Heidelberg. - (Direktor: Prof. M. Kirschner.)
Bei der operativen Behandlung der Schenkel- Wir versandten zunächst Fragebogen. Die
hernie kommen zwei grundsätzlich verschiedene Operierten, die bei der Antwort über kein Rezi
Operationsverfahren zur Anwendung. Das sog. div klagten und mit dem Erfolg der Operation
femorale Verfahren1 legt die Bruchpforte distal zufrieden waren, wurden als rezidivfrei an
vom Leistenbande frei und erstrebt den Ver- gesehen. Alle anderen wurden persönlich auf
schluß des Schenkelkanals auf diesem distalen gesucht und nachuntersucht. Die kürzeste Zeit
Wege durch Annähen des Leistenbandes an das spanne zwischen Operation und Nachunter
Periost des horizontalen Schambeinastes (Lig. suchung betrug 1 Jahr, ein Zeitraum, der nach
Cooperi) oder den M. pectineus und die Pec- den Untersuchungen von Taylor zur Beurteilung
tineusfascie. Das inguinale Verfahren, im all- des Dauerwertes der Operation als ausreichend
gemeinen nach Lotheißen-Reich benannt, legt zu betrachten ist, da 90% aller Rezidive inner
die Bruchpforte proxirrw,l vom Leistenbande frei halb des ersten Jahres und 98% spätestens nach
und erstrebt den Verschluß der Bruchpforte in Ablauf des zweiten Jahres auftreten.
der obigen Weise auf proximalem Weg. In der Berichtszeit wurden bei 341 Kranken
Lotheißen (1898) eröffnet, um sich zu dem proximal 348 Schenkelhernien operiert. Bei einer Gesamt
vom Leistenband gelegenen Operationsgebiet Zugang zahl von 48280 in diesem Zeitraum stationär
zu verschaffen, den Leistenkanal wie bei der Operation
behandelten Kranken nehmen die Kranken mit
nach Bassini, trägt aber den Bruchsack unterhalb
des Leistenbandes ab und schiebt den Stumpf unter Schenkelbrüchen einen Hundertsatz von 0,8%
dem Ligament hoch. Der Pfortenverschluß erfolgt von ein. 27% der Hernien waren linksseitig, 73%
oberhalb des Leistenbandes durch Naht der aus rechtsseitig; in 7 .Fällen bestand ein doppelsei
M. obliquus abdom. internus und M. abdominis transv. tiger Bruch. 67,1% unserer Kranken waren
gebildeten Bauchmuskelplatte an das Schambein
periost.-Reich (1912) geht wie Lotheißen vor, luxiert Frauen und 32,9% Männer. 125 Hernien kamen
jedoch den Bruchsack von proximal in die inguinale in eingeklemmtem Zustand zur Operation, das
Wunde, um ihn möglichst hoch abzutragen. Er er sind 36,9%. 8% waren bei der Aufnahme in die
reicht hierdurch einen hohen Abschluß des Peritoneums Klinik irreponibel. Da die Incarceration lebens
ohne Trichterbildung. Bei der Naht der Bauchmuskel
gefährlich ist und zudem eine erhebliche Ver
kulisse an das Schambein bezieht Reich das Leisten
band in die Naht ein. Gleichzeitig verschließt er den schlechterung der Operationsprognose bedeutet,
Leistenkanal durch einige Bassini-Nähte. muß gefordert werden, daß jede Hernie im freien
An der Heidelberger Klinik wurde, soweit und Anfangszustand beseitigt wird (Abb. 1-3).
inguinal vorgegangen wurde, das Verfahren von Anschließend an die Operation starben 23 Pa
Reich gebraucht. In der Berichtszeit, den J ah tienten, das sind 6,7% der Gesamtzahl der Ope
ren 1927 bis 1936 wurden 82% aller Schenkel rierten. Von den nichtincarcerierten Hernien
hernien auf femoralem und 16% auf inguinalem kranken starben 2 = 0,9%, von den incarcerier
Weg operiert. ten 21 = 16,8%. Diese hohe Sterblichkeit ist
Die bisher im Schrifttum veröffentlichten also die Folge der Incarceration, die in 21 von
Spätergebnisse beider Operationsverfahren geben den 23 .Fällen vorlag. Zudem standen diese
kein klares Bild. Es werden bei beiden Verfahren Kranken alle im höheren Lebensalter; 11 hatten
Rezidivzahlen von 0 bis 63% mitgeteilt2. Wir ein Vitium cordis. Von den 348 Operationen er
haben daher die nach beiden Verfahren Operier folgten 285 auf femoralem, 55 auf inguinalem
ten nachuntersucht. Hierbei wurden alle Fälle, Weg (Reich), 1 inguinofemoral, 7mal durch
auch die mit Einklemmung und mit Hernien Laparotomie. Eine Plastik wurde niemals vor
rezidiven, verwertet. genommen.
1 Aus terminologischen Gründen soll hier nur die Der Grund für die Bevorzugung des femoralen
Bezeichnung Hernia femoralis gegenüber der sonst Vorgehens liegt offenbar in der größeren Ein
häufigen Bezeichnung Hemia cruralis gebraucht
fachheit des Verfahrens. Um die Schwierig
werden, da crus vorzugsweise den Vnterschenkel
bezeichnet. keiten des Luxierens des Bruchsackes bei be
2 Vgl. Statistik von .Meycr 1916 in Erg. Chir. 9. stehender Incarceration zu umgehen, empfiehlt
12. Jabrg. 21. Heft Schenkelbruchoperation. 637
Leb den Bruchsack lediglich zu entleeren, den Material das Reichsehe Verfahren. Das ist auch
Hals zu durchtrennen und den peripheren Teil theoretisch verständlich. Der Unterschied ist
zu belassen. Bei uns wurden alle längere Zeit jedoch nicht groß, so daß auch weiterhin der
incarceriert gewesenen Hernien auf femoralem femorale Weg seine Berechtigung hat, nament
Weg operiert. Hierdurch erklärt sich die bei lich bei vorhandener Einklemmung.
der femoralen Methode errechnete er
höhte Sterblichkeit der eingeklemmten
Bruchoperationen, wie sie aus der
Tabelle zu ersehen ist. Aus der Tabelle
geht auch hervor, daß die Radikal
operation der freien und der ein
geklemmten Hernie hinsichtlich der
Sterblichkeit und hinsichtlich der Pro
gnose grundsätzlich verschieden zu be
urteilen ist.
Unsere Umfrage und die Nachunter- Abb. 1. Übersiebt über die Dauer des Brstehcns der Hernien vor drr Operation.
suchungen erbrachten 275 verwert
bare Fälle, der Rest konnte nicht
mehr erreicht werden, weil diese Kran
ken verzogen oder gestorben waren.
243 sind rezidivfrei und mit dem Er
folg der Operation zufrieden, das sind
88,3%. 22 = 8% klagen über gewisse
Narbenbeschwerden. Von den 32 bei
der Nachuntersuchung festgestellten
Hernien waren 26 Schenkelhernien
Abb. 2. Verteilnng der Hernien auf .\bb. 3. Verteilung der Hernien auf
rezidive, während die restlichen 6 Lei die Altcrsklassen am Operations· die Altersklassen am Operationstage,
stenhernien waren. In diesen 6 Fällen tage. be.ogen auf die Zahl der Lebenden.
war femoral operiert worden. Die von
Reschke gemachte Beobachtung, daß beim femo Literatur: Abrazanov, Z.org. Chir. 39, 738. -
ralen Verschluß durch straffes Anspannen des Bassini, zit. nach Meyer.-Bayley, Z.org. Chir. 45, 213.
- Belchor, Z.org. Chir. 69, 711. - Bessin, Arch.
Leistenbandes der Leistenkanal eröffnet werden
klin. Chir. l'2'5. - Brandao, Z.org. Chir. 12, 397. -
kann, scheint durch unsere Untersuchungen eine Bresset, zit. nach Meyer. - Buckley, Z.org. Chir.
Bestätigung zu finden. 29, 127. - Burgdörfer, Volk ohne Jugend, Tabelle
Die Gesamtrezidivbreite unter Einschluß S. 116 - Aufbau und Bewegung der Bevölkerung. -
Coley, zit. nach Meyer. - Ooopernail, Z.org. Chir.
aller Verfahren, des femoralen, inguinalen
66, 107. - Divavin, Z.org. Chir. 47', 36. - Easton,
und der atypischen, beträgt 9,5%. Die Mor Z.org. Chir. 59, 204. - Fabrizius, Zbl. Chir. 1894, 121.
talität bei der Operation nicht eingeklemm. - Foss, Z.org. Ch~. 60, 729. - v. Frey, zit. nach
ter Schenkelbrüche ist etwa 0,9%, bei den Meyer.- Garre, Küttner, Lexer, Handbuch der Prak
tischen Chirurgie 3: Hernien. - Gelpke, zit. nach
incarcerierten dagegen 16,8%.
Meyer. - Heriberg, Z.org. Chir. 66, 107; '2'2, 211. -
Die besseren Ergebnisse hatte bei unserem Husted, Z.org. Chir. 56, 236. - IvankO'IJ, Z.org.
Tabelle.
I
Art der Operation Zahl I cInerciaerr-t1 Mortalität I wVeerrt-- Rezidive SchLenekisetlehnebrnruiecnho pnearcaht ion
in Proz. bare
linProz. Fälle Anzahl! Proz. Anzahl! Proz.
I
FFrreeiiee HHeerrnniiee aauuff pdrisotxailmemal eWm I! 1JW I!•1J •• 147411 -- I 1,10 (,0± 0)!I 14400 91 I 62,,55((±± 22),4 ) 04 2,8 (±0 1,4)
Eingeklemmte Hernie proximaler Weg lll 20 I * 7 - * 0 0
Eingeklemmte Hernie distaler Weg. . II41 40 17,5(±4)I1 88 11 I 12,5(± 3,4) 2 2,2 (± 1,4)
* Infolge der geringen Zahlen lassen sich für Rezidive hier die Prozente nicht angeben.
638 Der Chirurg
Chir. 39,737.-Kirschner, Operationslehre 5/2: Bauch. Z.org. Chir. 22,312. - Petrasevskaja, Z.org. Chir. 42,
brüche. - Arch. klirr·. Chir. 11'5. - Kummer, zit. 268. - Rauch, Z.org. Chir. 5~, 400. - Reich,
nach Meyer. - Küster, zit. nach Meyer. - Leb, Bruns' Beitr. 13, 104. - Reschke, Z.org. Chir. 17,
Bruns' Beitr. 124. - Lotheißen, Zbl. Chir. 1898, 301. - Romsauer, Z.org. 17, 279. - Socin, Arch.
548. - Marchetti, Z.org. Chir. 11', 222. - Meyer, klin. Chir. 24. - Soijazeninova, Z.org. Chir. 41', 43.
Erg. Chir. 9 (1916). - Mikuli, Z.org. Chir. 39, - Vakulenko, Z.org. Chir. 43, 647. - Vvedensky,
737. - Nortrop, Z.org. Chir. 19, 211. - Panton, Z.org. Chir. 39, 738.