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OSTWALD'S KLASSIKER
DER EXAKTEN WISSENSCHAFTEN.
Nr. 174.
ÜBER DIE
BESTIMMUNG DES CHEMISCHEN ORTES
BEI DEN AROMATISCHEN SUBSTANZEN
VIER ABHANDLUNGEN
VON
WILHELM KOERNER
AP
TSS
WILHELM ENGELMANN IN LEIPZIG
8370
533
Über die
Bestimmung des chemischen Ortes
bei den aromatischenSubstanzen.
Vier Abhandlungen
von
Wilhelm Koerner.
Aus demFranzösischen undItalienischen übersetzt und herausgegeben
von
G. Bruni in Padua
und
B. L. Vanzetti in Mailand.
UR
2
Leipzig
Verlag von Wilhelm Engelmann
1910
Y W 3
I.
Über die Synthese des Resorcins.
(Sur la Synthèse de la Résorcine.)
Von
W. Koerner,
(Comptes Rendus, tome 63, p.561-556, 1866.)
(564) Hr. Kekulé hat vor fast zwei Jahren, indem er sich
auf seine Theorie der Wertigkeit der Elemente und nament
lich auf den Begriff der Vierwertigkeit des Kohlenstoffs stützte,
einige Ideen über die Konstitution der aromatischen Stoffe ent
wickelt, die auf den Fortschritt und die Entwicklung der or
ganischen Chemie einen bedeutenden Einfluß ausüben.
Ein wichtiger Vorzug dieser Theorie liegt nach meiner
Meinung in der Erklärung, die sie von den Isomerieerschei
>
nungen gibt; sie gibt uns nicht nur genaue Rechenschaft über
die zahlreichen bis jetzt beobachteten Isomeriefälle, sondern
>
sie läßt uns eine fast unberechenbare Anzahl neuer Isomeren
voraussehen und weist von vornherein auf den geeigneten
Weg zu ihrer Gewinnung hin.
Außerdem werden Stoffe, die bisher als vereinzelte Glieder,
ohne einen Platz in irgendwelchem System einzunehmen, da
standen, nicht nur untereinander, sondern auch mit den best
bekannten Stoffen in natürlicher Weise verknüpft. Ihre künst
liche Bildung wird hiermit nahegelegt, und man darf hoffen,
daß in einer nicht entfernten Zukunft das Benzin als Aus
gangspunkt für die Darstellung sämtlicher Verbindungen der
aromatischen Reihe dienen wird.
Bei den obenerwähnten Anschauungen wird die Isomerie
bekanntlich durch die relative Stellung der Elemente oder der
i
x 1*
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S
IAN 16191 270312.cop. 2
4 W. Koerner.
Seitenketten, die den Wasserstoff des Benzins ersetzen, erklärt
unter der Annahme, daß die sechs Atome des letzteren Ele
mentes gleichwertig sind. Keine der bisher bekannten Tat
sachen steht mit dieser Anschauung in Widerspruch. Es ist
somit für die Benzinabkömmlinge, wo ein einziges Wasser
stoffatom ersetzt wird, eine einzige Modifikation möglich. Sind
zweiWasserstoffatome ersetzt, so werden drei Isomere existenz
fähig, und dasselbe findet für die trisubstituierten Verbindungen
statt, falls die ersetzenden Atome oder Radikale untereinander
identisch sind. Sind sie dagegen verschieden, so nimmt die
Anzahl der Isomeren beträchtlich zu, wie sichleicht berechnen
läßt.
Bei Erforschung der Isomeriefälle kann man sich infolge
dessen zwei Hauptaufgaben stellen:
(565) Man kann zunächst versuchen, auf experimentellem
Wege festzustellen, welche Stoffe dieselbe Konstitution besitzen,
d. h. bei welchen die Substitution an entsprechenden Stellen
geschieht; dann kann man diese Plätze noch genauer bestim
men, indem man erforscht, durch wieviele Atome H sie ge
trennt sind. Letztere Aufgabe dürfte in seiner weitesten Auf
fassung die Bestimmung des chemischen Ortes heißen.
Nimmt man an, daß bei den einfachen Umwandlungen der
neueintretende Stoff die Lage des ausgeschiedenen Elementes
einnimmt, so ist es selbstverständlich, daß die Lösung des
ersten Problems auf experimentellem Wege erreicht werden
kann, denn wenn man in einem Substitutionsprodukt eines der
A tome, oder Radikale durch ein anderes ersetzt, so ge
hören die beiden betrachteten Substitutionsderivate derselben
Reihe an, oder, besser gesagt, es nehmen die Substituenten
gleiche Lage ein.
Die Lösung der zweiten Aufgabe würde auf den ersten
Blick als der experimentellen Forschung unzugänglich erschei
Ich bin demnach der Meinung, daß es vielleicht mög
nen.
hauptsächlich aufDisubstitutionsderivate desBenzins, die,
lich ist(wenn auch weitschwieriger), das Ziel durcheine passende
Auswahl genügend zahlreicher Versuche zu erreichen. Ich
bin schon lange mit Untersuchungen in dieser Richtung be
schäftigt, und zwar nach einemPlan, der eine möglichst große
Mannigfaltigkeit der Methoden umfaßt. Bei diesen Unter
suchungen habe ich mehrere Tatsachen entdeckt, die wenn
auch vereinzelt, doch interessant genug sind, um der Öffent
lichkeit übergeben zu werden. Meine Versuche bezogen sich
Über die Synthese des Resorcins. 5
wie oben gesagt, in drei Modifikationen vorkommen und dem
nach auf drei Klassen zurückgeführt werden können.
Bisher sind meist nur zwei dieser Modifikationen bekannt,
wie folgende Beispiele zeigen*):
(Ortho-) (Para-) (Meta-)
E6H4(NO2).(NO2) > Binitrobenzin
EH4NO2).(NH2) Nitroanilin Paranitroanilin
(NO2).J NitrojodobenzinParanitrojodobenzin
(NH2).J Jodanilin Parajodanilin
>> (NH2).(NH2)Phenylendiamin Paraphenylendiamin
J.(OH) Orthojodphenol Parajodphenol Metajodphenol
J.J. Orthobijodbenzin Parabiiodbenzin Metabijodbenzin
> » (OH).(OH) Hydrochinon Resorcin Brenzcatechin
.
(566) Ich habe früher gezeigt, daß bei direkterDarstellung
des einfachjodierten Phenols, aus dem Phenol selbst das ge
wonnene Produkt, unter Einwirkung von schmelzendem Kali,
ein Gemisch von Hydrochinon und Brenzcatechin liefert.
Bei
Fortsetzung dieser Untersuchungen fand ich, daß dem Nitro
anilin, das man von nitrierten Aniliden erhält, ein Jodphenol
entspricht, das nur Hydrochinon gibt. Dasselbe Jodphenol
entspricht gleichfalls dem nitrierten Produkte des Jodbenzins
und dem aus dem Benzin selbst durch Substitution erhaltenen
Bijodbenzin. Daraus darf man folgern, daß bei direkter Dar
stellung des jodierten Phenols sich zwei Isomere gleichzeitig
bilden, genau wie durch Einwirkung von Salpetersäure zwei
verschiedene Nitrophenole gebildet werden. Das jodierte, dem
Hydrochinon entsprechendePhenol ist dasselbe, das Hr. Griess
aus dem monojodierten Anilin erhalten hat.
Es ist mir nun gelungen, ein drittes Monojodphenol nach
folgendem Verfahren darzustellen: Ich setzte das Binitrobenzin
in Paranitroanilin (a -Nitroanilin von Herrn A. W. Hofmann)
um; das Nitrat dieser Base wurde in das Nitrat und dann
in das Sulfat des Paradiazonitrobenzins umgewandelt. Das
letztere Salz gibt, wieaus den Untersuchungen von Hr. Griess
bekannt geworden ist, unter Einwirkung von Jodwasserstoff
säure das Parajodnitrobenzin, das durch Zinn und Salzsäure
zum Parajodanilin reduziert wurde. Das Parajodanilinnitrat
wurde dann in das Nitrat und endlich in das Sulfat des
*) Ich beabsichtige, kurz einige Methoden anzugeben, die ge
wisse Glieder der dritten, bis jetzt weniger vollständigen Reihe
gewinnen lassen.
6 W. Koerner. Über die Synthese des Resorcing.
Paradiazojodbenzins übergeführt. Dieses Salz gibt, durch
kochendes Wasser zersetzt, das neue Monojodphenol für das
ich den Namen Parajodphenol vorschlagen möchte.
Das
somit dargestellte Parajodphenol ist ein fester, gut kristalli
sierter Stoff. Seine bemerkenswerteste Eigenschaft ist die,
durch Schmelzen mit Kali eine kristallisierte Verbindung zu
liefern, die nichts anderes als das niedrigere Homologe des
Orcins ist, das die Herren Hlasiwetz und Barth unter dem
Namen Resorcin beschrieben haben.
Das diesem Stoff entsprechende Jodid, d. h. das Parabijod
benzin ist gleichfalls fest und kristallisiert.
Ich hoffe, in kurzem nachweisen zu können, daß das
Phloroglucin und die Pyrogallussäuretrihydroxylierte Abkömm
linge des Benzins sind; ferner daß die Anwendung derselben
Methode auf Toluol zur Synthese des Orcins führen kann, da
der letztere Stoff ein trihydroxyliertes Derivat des Toluols
ist, genau wie Brenzcatechin, Hydrochinon und Resorcin die
1
Bihydroxylderivate desBenzins darstellen, wie es sich aus den
eben erörterten Tatsachen ergibt.
W 36 38 38 38
II.
Tatsachenmaterial zurBestimmungdeschemischen
Ortes bei der aromatischen Reihe.
(Faits pour servir à la détermination du lieu chimique
dans la série aromatique.)
Vorläufige Mitteilung
von
W. Koerner.
(Bulletin de l'Académie Royal de Belgique, 2me série, tome XXIV
n. 8, 1867.)
(166) In einer früheren Abhandlung hatte ich die Ehre,
derAkademie die Ergebnisse einiger Untersuchungen zur
Kenntnis zu bringen, die ich unternommen hatte, um einige
Benzinabkömmlinge vom Gesichtspunkte der Isomerie zu er
forschen. Bei dieser Gelegenheit hatte ich die durch direkte
Einwirkung von Brom auf Phenol entstehenden Substitutions
produkte beschrieben, sowie die mittels Jod und Jodsäure er
haltenen Jodderivate; endlich habe ich gezeigt, wie man die
Hydroxylderivate gewinnt, wenn man auf jodierte Phenole
schmelzendes Ätzkali einwirken läßt. Seitdem habe ich den
Kreis meiner Untersuchungen erweitert. Ich untersuchte eine
größereAnzahlPhenolderivate,hauptsächlichsolche, dieaußerder
Nitroxylgruppe noch ein oder mehrereHalogenatome enthalten.
DieErforschung einer so ausgedehnten Reihe von Substitutions
produkten könnte wohl als eine zwecklose oder mindestens
unnütze Arbeit betrachtet werden, wenn sie bloß eine Dar
stellung von neuen Stoffen ohne jeglichen theoretischen Grund
bezweckte. [167] Tatsächlich hätte ich sie nicht unternommen,
wenn ich nicht geglaubt hätte, eine wichtige Grundlage zur
>
8 W.Koerner. Tatsachenmaterial z.Bestim. d.chem.Ortesusw.
Lösung des Isomerieproblems bei der aromatischen Reihe hierin
zu erblicken.
Schon beim Beginn meiner vorhergehenden Untersuchungen
wollte ich die Ursache der zahlreichen Isomeriefälle, die diese
Stoffe darbieten, ermitteln; ich beabsichtigte, die Grundidee des
Herrn Kekulé bei Aufstellung seiner Theorie über die Kon
stitution der aromatischen Stoffe durch Tatsachen zu kon
trollieren. Meine Untersuchungen sind über ihren ursprüng
lichen Umfang hinausgewachsen ; die Aufgabe hat dabei an
Genauigkeit gewonnen.
(168) Nun halte ich es für nützlich, schon jetzt durch ein
Beispiel zu erläutern, wie es möglich wäre, die Bestimmung
des chemischen Ortes durchzuführen.
Nehmen wir, bis zum gegenteiligen Beweis, an, daß die
sechs Atome H des Benzins gleichwertig sind. Diese An
nahme ist zwar, wenn sie auch keiner bekannten Tatsache
widerstreitet, noch nicht endgültig festgestellt; es soll abervor
weggenommen werden, daß sie geprüft werden kann.
Nehmen wir an, es werde bewiesen, daß die drei Di
hydroxylierten Benzinderivate durch Einführung einer dritten
OH-Gruppe dasselbe Trihydroxylierte Benzin, z.B. das Phloro
glucin ),liefern können: es wirdalsdann einleuchtend sein, daß
bei diesem trihydroxyliertenProdukt die drei OH-Gruppen die
Plätze ein, zwei und vier einnehmen müssen2).
Es gibt tatsächlich nur diese Anordnung der drei Hydroxyle
die alledrei Fälle der gegenseitigen Stellung zweierHydroxyle
bei den drei Dibydroxylderivaten des Benzins vereinigen kann.
Für sämtliche übrigen Fälle ist die Beweisführung analog,
manchmal ist sie schwieriger durchzuführen, und dann er
fordert sie die Darstellung einer größeren Anzahl neuer Ver
bindungen3).
2
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III.
TatsachenmaterialzurBestimmungdeschemischen
Ortes in den aromatischen Substanzen.
(Fatti per servire alla determinazione del luogo chimico
nelle sostanze aromatiche.)
Von
W. Koerner.
(Giornale diScienze Naturali ed Economiche di Palermo, V, 1869.)
[212] DieraschenFortschritteunsererexperimentellenKennt
nisse der aromatischen Körper,hauptsächlichinfolgederVorliebe
unserer Chemiker für diese Untersuchungen, gestatten uns, eine
allgemeine Hypothese über ihre innere Beschaffenheit aufzu
stellen, die nicht nur in zufriedenstellender, einfacher und ele
ganterWeise ihr besonderes Verhalten erklärt, sondern auch
einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der ganzen
organischen Chemie austibt.
Das Dogma, für das auch vor kurzem ausgezeichnete Che
miker eifrig eintraten, es seiunmöglich, die gegenseitige Stellung
der Atome in den Körpern klarzulegen, wird verlassen und
vergessen; man kann voraussagen, daß der Tag, an dem ein
genügendes Tatsachenmaterial uns gestatten wird, den inneren
Bau der Molekeln zu bestimmen, nicht mehr weit ist. Zweck
dieser Mitteilung ist die Darlegung einer Reihe von Versuchen,
die gerade in dieser Richtung unternommen wurden. Ich werde
vorallem die KekuléscheHypothese in ihrenwichtigsten Zügen
schildern, mit den Abänderungen, dieexperimentelle Fortschritte
der letzten Jahre bedingen; ich werde dann zeigen, wie die
schon festgestellten Tatsachen uns gestatten, über die Konsti
tution der Substanz, die alle aromatischen Körper erzeugt,
10 W. Koerner.
nämlich das Benzol, ein Bild zu gestalten, das gewiß von der
Wahrheit nicht sehr entfernt sein wird. Schließlich werde ich
eine neue Reihe von Versuchen beschreiben, die ich im Labo
ratorium der Universität zu Palermo ausführte, um Tatsachen
material zur Lösung desselben Problems bezüglich der Benzol
derivate zu sammeln.
KekulésTheorie überdieKonstitution deraromatischen
Substanzen.
Die Bezeichnung »aromatische Verbindungen hat
man seit lange auf eine weite Gruppe aromatischer Substanzen
erstreckt, die untereinander durch verwandte Eigenschaften ver
bunden sind, die sich hauptsächlich durch verhältnismäßigen
Reichtum an Kohlenstoff und gewisse andere Eigenschaften von
den sogenannten Fettkörpern unterscheiden, da sie ihnen
gewissermaßen entgegengesetzt sind. [213] Diese Bezeichnung
drückt, wie man sieht, keinen chemischen Begriff aus, sondern
bezieht sich auf den Geruch, den einige Glieder der Familie
oder die zu ihrer Darstellung dienenden Rohstoffe haben.
Dem hohen Geiste A. Kekulés war es vorbehalten, die
Konstitution dieser Verbindungen klarzulegen, ihre äußerst zahl
reichen bekannten Isomeriefälle zu erklären, unzählige andere
vorauszusehen und die verschiedenartigsten Körper, die außer
halb eines jeden Systems standen, nicht nur untereinander in
natürlichster Weise zu verknüpfen, sondern auch innige Be
ziehungen zwischen ihnen und den am bestenbekanntenKörpern
festzustellen. Dieser bedeutende Chemiker zog seine Schlüsse
auf Grund folgender Tatsachen:
1
I. Alle, auch die einfachsten aromatischen Substanzen sind
immer verhältnismäßig reicher an Kohlenstoff als die ent
sprechenden Körper der Fettreihe.
II. In der aromatischen Gruppe kommen homologe Substanzen
vor.
III. Die einfachsten Körper, die zur aromatischen Gruppe ge
hören, enthalten wenigstens sechs Kohlenstoffatome; und
unter dem Einfluß von energischen Reagenzien entstehen
immer, auch aus verhältnismäßig komplizierten Substanzen
Produkte, die nur sechs Kohlenstoffatome enthalten.
IV. In allen aromatischen Substanzen besteht ein gemein
samer Kern, der von sechs untereinander inniger als bei
1