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Mayrhofer K.
Über den Zusammenhang der additiven
Inhalts== und Maßtheorien
Von
K. Mayrhofer (Goisern)
Wtrkl. Mitglied der Öciterreichischen Akademie der "'7issenschaften
Aus den
Sitzungsberichten der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften
Mathem.,naturw. Klasse, Abteilung II a, !58. Bd., 1.-5. Heft, 1950
Gedruckt ans Mitteln
des Vn·eins de1• F1·eunde de,. Österreichischen AlcademiP
dm· Wisaen.ochaften in Wien
Springer-Verlag Wien GmbH 1950
ISBN 978-3-7091-3961-5 ISBN 978-3-7091-3960-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-7091-3960-8
Über den Zusammenhang der additiven
Inhalts:: und Maßtheorien
Von
Karl Mayrhofer (Goisern)
Gedruckt aus Mitteln des Vereins der Freunde der Österreichischen Akademie
de1· Wissenschaften in Wien
(Vorgelegt in der Sitzung am 28. April 1949)
Die Theorie der additiven Maße wurde von zwei ver
schiedenen Seiten entwickelt: das eine Mal bildet das ( axio·
matisch erklärte) "Maß" den Ausgangspunkt!, das andere Mal
das "äußere" oder auch das "innere Maß"2• Es ist eine nahe·
liegende Aufgabe, diese Theorien untereinander zu verbinden
und zugleich die Verallgemeinerung auf Inhalte einzubeziehen.
Zu dieser Verallgemeinerung gibt auch das Verhalten der
"inneren Inhalte" Anlaß, deren Summenungleichung stets für ab
zählbar viele Summanden gilt, so daß also hierin zwischen einem
inneren Inhalt und einem inneren Maß überhaupt nicht unter
schieden werden kann. Einige Sätze zu dieser Aufgabe habe ich be
reits an anderer Stelle angegeben 3• Die vorliegende Abhandlung
bringt weitere Ergebnisse auf Grund einer systematischen Unter
suchung .. Es entsteht so eine in sich geschlossene Theorie, die u. a.
die Rosenthaisehe Charakterisierung4 der inneren Maße, die zu
den regulären äußeren Maßen Caratheodory s gehören, neuer
dings liefert, ferner die Sätze von H. Hahn über die Erweiterung
eines total-additiven Inhalts zu einem vollständigen Maße5•
1 S. etwa 0. Haupt-G. Au man n, Differential· und Integralrechnung,
Berlin 1938, Bd. III, Abschn. I.
2 C. Caratheodory, Vorlesungen über reelle Funktionen, Leipzig und
Berlin 1918, Kap. V, VI. Ferner H. Hahn, Theorie der reellen Funktionen,
Berlin 1921, Kap. V,§ 5-8.
3 K. Mayrhofer, über vollständige Maße, Monatsh. f. Math. 52 (1948),
S. 217-29. - Diese Arbeit wird im Folgenden mit M zitiert.
• A. Rosenthal, Beiträge zu Caratheodorys: Meßbarkeitstheorie, Nachr.
Ges. Wiss. Göttingen 1916, S. 305-21.
5 H. Hahn, über die Multiplikation total-additiver Mengenfunktionen,
Ann. di Pisa (2) 2 (1933), S. 429-52.
Sitzungsberichte der mathem.·naturw. Kl. Abt. Ila. 158. Bd. J.-5, Heft.
2 K. 1\Iay r h of er.
§ 1. Additive Inhalte
=
1. Inhalte. Eine eindeutige reelle Mengenfunktion i (21:) i
(die endliche sowie unendliche Werte annehmen kann) heißt
eine (additive) Inhaltsfunktion oder ein (additiver) Inhalt, wenn
sie die folgenden Forderungen erfüllt:
I. Der Definitionsbereich x ist ein Mengenkörper.
II. Es ist i ::::=: 0, ferner i (0) = 0.
III. Für je zwei fremde Mengen 21:, )ß aus Y. gilt
+ +
=
(1) i(~ ~) i(~) i(~);
dafür sagt man auch, i sei additiv.
Die Mengen aus x heißen die i-meßbaren oder einfach die
meßbaren Mengen. Ist i(~) = O, so heißt ~ eine i-Nullmenye
oder einfach eine Nullmenge.
Während (1) sofort auf endlich viele getrennte Mengen
aus x erweitert werden kann, braucht die Erweiterung auf ab
zählbar viele nicht mehr möglich zu .sein 6• Ist sie jedoch mög
lich, so heißt i volladditiv (oder total-additiv). An Stelle von III
tritt also jetzt
ur. Für je abzählbar viele getrennte ~.€lt, deren Summe ZU "1.
gehört, ist
i (~ ~.) = ~ i (21:,).
' "
Schließlich heißt ein volladditiver Inhalt eine (additive)
Maßfunktion oder ein (additives) Maß, wenn an Stelle von I die
Forderung I' tritt:
I'. Der Definitionsbereich "l.a ist ein r;-Körper.
= =
Ein Maß m(2l) m ist also durch I', II, III' mit i m
gekennzeichnet; dabei braucht in III' nicht mehr eigens ver
langt zu werden, daß ~ 2{• zu xa gehöre 7•
).
• Siehe etwa das Beispiel bei 0. Haupt-G. Aumann 1, S. 10.
7 Bezüglich der im Folgenden benützten Eigenschaften der Inhalte und
Maßes. 0. Haupt-G. Aumann 1, I. Abschn.
über den Zusammenhang der additiven Inhalts- und Maßtheorien. 3
Zu einem Inhalt i gehören zwei weitere Mengenfunktionen
~ (WC) = ~ und ~ (Wl) = ~ welche die Außen- bzw. Innenfunktion
von t heißen sollen 8• Diese Funktionen sind für jeden Teil 9R
einer jeden Menge ~ e Y. so definiert:
(2) [(9R) = inf i (~), i (IJJl) = sup i (~);
dabei hat ~ alle i meßbaren Obermengen von IDl und ~ alle
i-meßbaren Teilmengen zu durchlaufen. Sichtlich ist stets
i(IDl) <i(9JI),
ferner
=
(3) i(Wl) = i(IDC) i(9R) für 9Rex.
i und i haben die folgenden Grundeigenschaften:
a) Der gemeinsame Definitionsbereich A ist ein Mengenkörper.
Ist x insbesondere geschlossen, so besteht A aus allen Teilen der
größten Menge lR von x. Ist i ein Maß, so wird A = Aa etn
cr-Körper.
b) Es ist i 2:'; 0, ferner i (0) = 0. Dasselbe gilt für i.
c) ~ ist eine ansteigende Mengenfunktion: aus B c IDl (52, 9R e A)
folgt ~ (.2) < i (Wl). Dasselbe gilt für i.
d) Für Je zwei Mengen .2, [Jl aus A gilt die Summen
ungleichung
(4) i(SJ+IDl):Si(SJ)+i(Wl)9•
Während (4 ) sofort auf endlich viele Mengen aus A erweitert
werden kann, braucht die Erweiterung auf abzählbar viele nicht
mehr möglich zu sein 10• Sie ist jedoch möglich, falls i ein
Maß m ist: in diesem Falle gilt also für je abzählbar viele 9Rl. e Aa
;n (L
(5) wz~.) < ~;;; (\m1.)9•
I. ).
8 Die sonst übliche Bezeicllnung "äußerer", bzw. "innerer Inhalt" wird
in anderem Sinne verwendet werden (s. 3, 9).
9 Sind nämlich W, f8 meßbare Obermengen von 5:\, bzw. ID?, so ist wegen
il+mc::~+fB + + +
I(B IDl);;; i(~ f8) ;":; i(~) i(f8).
Geht man rechts zur unteren Grenze über, so entsteht (4). - Analog beweist
man (5) und (6).
1*
4 K. Mayrhofer.
Weiters gilt für je zwei fremde Mengen .2, IDl aus A die Summen
ungleichung
+ +
(6) i(2 IDl) > i(2) i(9R)9•
Im Gegensatz zu 't kann die Summenungleichung für i stets
auf abzählbar viele Mengen erweitert werden: für je abzählbar
viele getrennte WC;., die samt ihrer Summe zu A gehören, ist
(7) i(~9R;.) > ~i(WC;.)11•
i. i.
Neben diesen Grundeigenschaften werde ich die folgenden
Regeln verwenden: cx) Zerlegt man die i-meßbare Menge 521 in
zwei fremde Teile IDl1, IDl2, so gilt
+
(8) i(~) = t(WC1) i(WC2)12•
ß) Ist ~ i-meßbar und IDl e A zu ~ fremd, so gilt
(9) r(~+IDl)= i(~r) +I(m),
+
(10) i (~+im)= i (521) i_ (IDl) 13,
Ein Inhalt i heißt vollständig, wenn jede Menge (des Grund
bereiches), die sich zwischen zwei i-meßbaren Mengen von be-
1o Um dies zu sehen, braucht man für i nur den Jordansehen Inhalt
des ffi1 zu wählen und die Mengen, die aus den einzelnen rationalen Punkten
bestehen, zu betrachten.
11 Man bestätigt nämlich durch Induktion, daß (7) zunächst für je end
lich viele Wh. gilt. Damit ergibt sich bei unendlich vielen IDh wegen c)
! (}; IDl;.) ;::;; H ~l IDl>.) ;:;:; ~l !(Wl;.).
i. i.=l >-=1
Hieraus folgt aber (7), indem man rechts den Limes für l-)o oo bildet.
12 Dies beweist man wie M 1 (5). An Stelle des Maßes m tritt jetzt
durchwegs der Inhalt i.
13 Die Gleichung (9) erhält man so: Für eine beliebige meßbare Ober·
+
menge ~ von 2l 9Jl ist +
i(~) = i[IJI + ([-I}{)]= i(2l:) i(~ -I}{);::;; i(IJI) + f(IDl).
Hieraus folgt f(2t+Wl);:;;i(IJI)+l(IDl). Da nach (4) auch die entgegengesetzte
Beziehung gilt, muß (9) gelten.
Ähnlich gewinnt man (10): Für eine beliebige meßbare Teilmenge [
+
von I}{ IDl ist
+ ([- +
i(~) = i[~l}{ ~)] = i(~2l) i([ -I}{) ~i(~) + i(IDl).
Hieraus folgt :!(2( + Wl) ~ i(~) + i(IDl). Da nach (6) auch die entgegengesetzte
Beziehung gilt, muß (10) gelten.
Ober den Zusammenhang der additiven Inhalts- und Maßtheorien. 5
liebig inhaltskleiner Differenz einschließen läßt, selber meßbar
ist. - Z. B. sind der Jordansehe Inhalt sowie das Lebes·
gu e sehe Maß des \Rn vollständig.
Falls i vollständig ist, folgt aus I (~JI) = 0 sichtlich die
l\feßbarkeit von IDL
Ist insbesondere i = m ein Maß, so kann die Vollständig
keit auch durch jede der beiden folgenden Aussagen gekenn
zeichnet werden 14:
1. Die Teile einer jeden m-Nullmenge sind meßbar.
2. Jede Menge ill1 mit m (Wl) = 0 ist meßbar.
Nun können die beiden folgenden Kriterien für die Meß
barkeit eingeführt werden :
Satz_!..;. Für die JJfeßbarkeit einer Menge IDc 6 A bezüglich
irgendeines Inhalts i ist notwendig, daß
(11)
gilt. Dies ist hinreichend, falls i vollständig und i (IDC) endlich ist.
Der erste Teil dieses Satzes gilt wegen (3), der zweite
wird ebenso wie für ein Maß bewiesen (s. M, Satz 1)15.
Satz 2. Es sei i vollständig. Ist eine ~Menge ~ endlichen In
halts ~n die fremden Teile im1, 9JC2 so zerlegt, daß
(12)
oder
(13)
gilt, so sind \m 9JI meßbar.
0 2
Aus (12) sowie aus (13) folgt nämlich wegen (8), daß
i (im = I (Wc ist, und hieraus nach Satz 1 die Meßbarkeit
1) 1)
von IDC (und damit die von iln
1 2).
Von einem Inhalte i werde gesagt, er habe die Schnitt
eigenschaft, wenn es zu jeder nicht meßbaren Menge 9]( e A eine
meßbare Menge ~ endlichen Inhalts gibt, so daß der Durch
schnitt ~l9J( nicht meßbar ist.
H Siehe M 5•
15 Man beweist leicht: Folgt bei einem endlichen Inhalt i aus (11) stets
die Meßbarkeit von j)R, so muß i vollständig sein.
6 K. Mayrhofer.
Für ein Maß ausgesprochen, stimmt dies mit M 1 V überein.
Ferner werde gesagt, i habe die Teileigenschaft, wenn es
zu jeder nicht meßbaren Menge WC e A eine meßbare Menge W
(endlichen oder unendlichen Inhalts gibt), so daß 2( W1 (und da
mit 2( - WC) nicht meßbar und zugleich i (2! 9Jl) sowie i (21:-Wl)
endlich ist.
Sichtlich zieht die Schnitteigenschaft stets die Teileigen
schaft nach sich. Daß das Umgekehrte nicht gilt, selbst bei
Beschränkung auf vollständige Maße, zeigt M 1, Beisp. 3: das
dort angegebene vollständige Maß m hat zwar die Teileigen
schaft, aber nicht die Schnitteigenschaft.
Ein vollständiges Maß mit der Schnitteigenschaft ist in
M 1, Beisp. 2, konstruiert. Weiters hat der Jordansehe Inhalt
des \Rn diese Eigenschaft. Dies folgt daraus, daß eine Punkt
menge ~m des ffin quadrierber ist, wenn ihre Teile Wl~. quadrier
bar sind, die auf den (etwa halbabgeschlossenen) Würfeln w~.
eines Gitters des lRn liegen 16• Ist also 9Jl nicht quadrierbar, so
muß dies auch von einem der Teile 9Jc~. = \111. 9R gelten. Der
entsprechende Würfel llh ist dann eine .Menge 2!, wie es die
Schnitteigenschaft verlangt.
Wegen des vorhin erwähnten Beispiels 3 in M 1 gibt es
vollständige ]}faße ohne die Schnitteigenschaft (wie bereits in M
Satz 3 vermerkt ist). Weiters belegt das unten angegebene
Beispiel 1 den
Satz~ Es gibt vollständige Inhalte ohne die Teileigenschaft.
Beispiel 1. Um zu Inhalten der in Satz 3 genannten Art
zu gelangen, konstruiere ich zunächst einen geeigneten Körper '·
aus Teilmengen von {1, 2, ... ). Dabei werde zur Abkürzung
+
=
die Folge l, l 1, ... mit a1 (l 1, 2, ...) bezeichnet und z. B.
{ 2) = 2!2, {I, 2f = 2tm {1, 3, 4, ... ) = ~{1a, gesetzt. Den Körpen.
liefert nun das folgende Verfahren.
Man geht vom Körper aus, der aus den Mengen
i'.2
(14) 0, 2!2, 2(1"'' 2(12"•
besteht. Dann wird zu Y-2 die Menge 2(3 hinzugenommen und
das entstandene System zum kleinsten Körper x erweitert.
3
16 Siehe 0. Haupt-G. Aumann 1, S. 28 c).
über den Zusammenhang der additiven Inhalts- und Maßtheorien. 7
Dieser besteht also aus den Mengen (14) und aus
(15)
Die Mengen (15) entstehen, indem man zu den einzelnen Men
gen von x2 die Menge m:3 addiert sowie subtrahiert. Nun wird
zu Xs die Menge m4 hinzugenommen und das entstandene Sy
stem zum kleinsten Körper x4 erweitert. Dieser besteht also.
aus den Mengen (14), (15) und aus
(16) m4l m24l m34! m234J ~(J3CL;! ml23CLs) mlCLs! ~12!Xs"
Die Mengen (16) entstehen analog wie eben die Mengen (15):
man hat zu den einzelnen Mengen aus Y-s die Menge m4 zu
addieren sowie zu subtrahieren. Fährt man auf diese Weise
fort, so entsteht eine ansteigende Folge von Körpern r.2, x3, ••• ,
deren Vereinigung· ein Körper x ist. Dieser enthält insbesondere
~2! ~3, •.• , ferner mCL, als größte Menge, jedoch nicht ml. Da
somit ma, = ma,- ml nicht zu '1. gehört, ist Y. kein c-Körper17•
m
Setzt man für e x.
i(~) = { 0, falls m= o,
=, " m= f o,
so ist auf ein Inhalt erklärt, der sichtlich vollständig ist.
Y.
Seine Innenfunktion ist
i- (\JR) = { o=, f~lls. 9)1 = 0 oder wl'
fur Jedes andere \me~a,·
Bildet man nun für eine gewählte nicht meßbare Menge \lR
und eine beliebige meßbare Menge md ie Teile ~ W1 und W- \JR,
so kann höchstens einer dieser Teile zugleich nicht meßbar und
m
von endlichem inneren Inhalt sein (nämlich dann, wenn als
1
Teil auftritt). Es ist also i ein vollständiger Inhalt ohne die Teil
eigenschaft 18•
17 Der kleinste cr-Körper über x besteht bereits aus allen Teilmengen von
{1, 2, ... }, da er ~"• und damit neben ~2• ~3, ••• auch ~1 = ~"''-~a, enthält.
18 Betrachtet man i nur auf dem Körper x2, so liegt auch ein voll
sUtndiger Inhalt vor (der insbesondere ein Maß ist). Dieser Inhalt hat aber
die Teileigenschaft Ist nämlich 9.)( irgendein nicht zu x2 gehöriger Teil von
~12a., so sind 211a,9.R und ~'"'•- WC nie meßbar und stets vom inneren In
halte 0. Somit ist ~l1a, für jede nicht meßbare Menge 9.)( eine Menge 21, wie
es die Teileigenschaft verlangt. Dagegen kann der jetzige Inhalt die Schnitt-