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DK 658.3
FORSCHUNGSBERICHTE
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
Herausgegeben durch das Kultusministerium
Nr.758
Forschungsinstitut für Internationale Technische Zusammenarbeit an der
Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen
(F. I. Z.)
Prof. Dr. Antonio Pinilla Sanchez-Concha
Ober den Begriff der industriellen Arbeit
(Labour Relations and Human Relations)
Als Manuskript gedruckt
WESTDEUTSCHER VERLAG / KOLN UND OPLADEN
1959
ISBN 978-3-663-03765-1 ISBN 978-3-663-04954-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-04954-8
Vor w 0 r t
Am 26. Juni 1958 sprach Professor Dr. Antonio Pinllla Sanchez-Concha an
der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen als Gast des
Forschungsinstitutes für Internationale Technische Zusammenarbeit über
das Thema
"Labour Relations and Human Relations"
Er kam nach Aachen, um engere Verbindungen zwischen dem Forschungsin
stitut für Internationale Technische Zusammenarbeit an der Rheinisch
Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und dem von ihm 1958 gegrün
deten und geleiteten Instituto de Productividad an der Universität von
San Marcos in Lima, Peru, zu knüpfen. Das Instituto de Productividad
soll der Sammel- und Ausgangspunkt aller peruanisehen Bemühungen zur
Produktivitätssteigerung sein und alle auf nationaler bzw. internatio
naler Basis m5g1ichen technischen Hilfeleistungen koordinieren.
Für die Durchführung von einigen ersten Projekten des neugegründeten
Institutes erbat Professor Dr. Pinilla Anregungen und Mithilfe insbeson
dere bei der Einrichtung von Ausbildungslehrgängen in peruanisehen Fa
briken nach dem Vorbild deutscher Gewerbeschulen und Entsendung von Ex
perten aus der Bundesrepublik zur Beratung im Rahmen der peruanisehen
Wirtschaftsplanung.
Professor Pinilla erläuterte am Beispiel des Begriffes Arbeit die Schwie
rigkeiten, die sich aus verschiedenen, vom Standpunkt des jeweiligen Be
trachters abhängigen Begriffsinhalten ergeben. So sei es auch als Grund
lage für eine gemeinsame Arbeit der beiden Institute notwendig, sich zu
vergewissern, daß alle Begriffe genau definiert und von den Gesprächs
partnern in Übereinstimmung verwendet werden. Bestimmend für die Wahl
seines Themas war für Professor Dr. Pinilla der Gedanke, daß bei den Be
mühungen um die Steigerung der Arbeitsproduktivität in den Entwicklungs
ländern die Arbeit ein zentrales und immer wiederkehrendes Problem dar
stellt.
D.H. Schwencke
Ins'titutsleiter
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Antonio PINILLA SANCHEZ-CONCHA
tlber den Begriff der industrißllen Arbeit (Labour Relations
und Human Relations)
Vorgetragen am 26. Juni 1958 an der Technischen Hochschule in Aachen.
Mitglieder der Fakultät, meine Damen und Herren. Ich freue mich über
die Gelegenheit einer Begegnung mit den Professoren und Studenten die
ser Universität, und ich sehe sie als eine Ehre an, die nicht mir per
sönlich erwiesen wird, sondern meiner Universität San Marcos. Ich will
versuchen, bestimmte Gedanken zu entwickeln, die sich auf die Zusammen
hänge zwischen Arbeitnehmer und Betriebsführung beziehen, im allgemei
nen als labour relations oder human relations bezeichnet.
Die Untersuchung der Beziehung zwischen labour relations und human re
lations führt uns zu der grundsätzlicheren Frage: Was ist Arbeit?
Obwohl verschiedene Gruppen und Individuen dauernd diesen Ausdruck be
nutzen, hat er doch nur für wenige die gleiche Bedeutung. ·So stellt uns
die Frage: Was ist Arbeit? vor zwei Probleme: erstens vor das Problem
der "Bedeutung" des Begriffes Arbeit und zweitens vor das Problem der
"Abstimmung" derjenigen Gruppen untereinander, die sich mit dem Begriff
Arbeit auseinandersetzen. Ich möchte das Problem der Bedeutung auf eine
vom Üblichen abweichende Art behandeln: Ich werde versuchen, die psycho
logische Erfahrung der verschiedenen Gruppen, die sich mit Arbeit be
fassen und vollkommen verschiedene Dinge unter ihr verstehen, sich aber
selten der Unterschiede bewußt sind, zu analysieren. Ich glaube, daß wir
auf Grund der Analyse der subjektiven Erfahrung jeder Gruppe, die sich
mit Arbeit befaßt, in der Lage sein werden, eine mehr objektive Bedeutung
zu finden. Dies ist keine rein theoretische Angelegenheit; denn viel
hängt von einer Übereinkunft zwischen den einzelnen Gruppen ab, die den
umfassenden Fragenkomplex der Arbeitsprobleme innerhalb eines jeden Lan
des untersuchen und lösen.
Beginnen wir mit der Analyse dessen, was die erste und recht berüchtigte
Gruppe, die sich mit Arbeitsproblemen befaßt, unter Arbeit versteht.
Dies ist eine Gruppe, die mir nahe steht, denn ich gehöre selbst zu ihr:
die Juristen. Was ist Arbeit für einen Juristen? Welche Erfahrung macht
ein Jurist, wenn er Arbeitsprobleme behandelt?
Es scheint mir, daß Juristen eine sehr genau umgrenzte Auffassung von
Arbeit haben. Sie sehen Arbeit als ein rechtliches Problem an, als ein
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Problem, bei dem es sich um Verträge handelt, um Einzel- und Kollektiv
verträge; als ein Problem der Auslegung dieser Verträge; und endlich
als ein Problem, bei dem es um die gesetzliche Regelung der Beziehungen
zwischen den einzelnen Gruppen geht und um die Auslegung dieser Gesetze.
Aber vergessen wir nicht, was für jeden Juristen selbstverständlich ist:
daß nämlich menschliche Beziehungen von gegebenen, starren Formeln be
herrscht werden müssen. Der Begriff des Rechtes als solcher, von den
Griechen geprägt, aber von den Römern bis zur anwendbaren Handhabung
entwickelt, umfaßt den Begriff der Abgrenzung des Zuständigkeitsberei
ches einer Partei im Hinblick auf den Zuständigkeitsbereich der anderen.
Wie es im Codex des Justinian heißt: "Obligatio est iuris vinculum quo
necessitate ostringimur alicuis reisolvendi secundo nostro civitatis
iure." In dieser Definition der "obligatio" von Justinian wird die
Grundidee, die hinter jedem juristischen Begriff steht, widergespiegelt:
Obligatio ist ein Kompromiß, bei dem eine Partei in bestimmten Be
eine~
an die andere gebunden wird. Sie ist eine auferlegte Beziehung,
zie~ung
und über dieses zweiseitige Abkommen hinaus stellt der Staat eine uner
läßliche Ergänzung zum juristischen Mechanismus dar, der eine Lösung
erzwingt. Ein hervorragender deutscher Professor für Rechtsphilosophie,
Professor Radbruch, sagte einmal, daß Gesetze zwar die Rechte und Pflich
ten zweier Parteien eindeutig bestimmen können, aber niemals warme Be
ziehungen schaffen. Dies stimmt; denn der Kompromiß als solcher beruht
auf einem grundlegenden Mangel an Vertrauen zwischen den Parteien. Er
umfaßt ein apriori vorhandenes und gegenseitiges Mißtrauen. Dieses Miß
trauen bestimmt den Bereich des Juristen.
Was tun Juristen? Sie befassen sich mit Prozessen, und Prozesse sind
legale Kämpfe. Der litis contestatio ist ein Krieg, in dem jede Partei
versucht, die andere zu vernichten. Viele ernste Folgen ergeben sich
aus dieser juristischen Auslegung der Arbeit. Als ich Arbeitsminister
meines Landes wurde, fand ich eine feststehende gerichtliche Arbeits
weise vor, mit der Forderungen und Streiks behandelt wurden. Aus expe
rimentellen Gründen verglich ich die Anzahl der Forderungen und Streiks
pro Jahr mit der Anzahl der Arbeitsplätze, an denen Streiks vorkommen,
um so herauszufinden, ob die Zunahme der Arbeitsplätze mit der Zahl der
Forderungen und Streiks in Zusammenhang stand. Ich fand keinen Zusammen
hang. Mit anderen Worten: innerhalb dieser juristischen Maschinerie wird
die Zunahme der Prozesse über Forderungen und Streiks aller Wahrschein
lichkeit nach in keinem Verhältnis zu der Anzahl der Situationen stehen,
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die die Forderungen und Streiks hervorrufen. Natürlich ist es ein Gemein
platz, wenn man sagt, daß die Juristen Prozesse brauchen, um leben zu
können, und wenn sie keine haben, so rufen sie welche hervor. Ich weiß
nicht, bis zu welchem Grade dies zutrifft. Aber die Deutung der Arbeit
als ein juristisches Problem, das nämlich Verträge und gerichtliche Pro
zesse voraussetzt oder zumindest möglich werden läßt, erklärt diese Hal
tung gegenüber dem juristischen Stand. Der Aufbau des Arbeitsministeri
ums in Peru gleicht dem Aufbau der Arbeitsministerien in Deutschland und
in den meisten anderen Ländern. Er hat zu der Annahme beigetragen, daß
die einzig mögliche Beziehung zwischen Betriebsführung und Arbeitnehmer
der Konflikt ist. Diese Voraussetzung ist in der Presse so verbreitet,
daß Betriebsführung und Arbeitnehmer oft "die Parteien" genannt werden,
wobei unterstellt wird, daß die einzig mögliche Beziehung zwischen Be
triebsführung und Arbeitnehmer feindlicher Art ist.
Eine andere Gruppe, die sich mit Arbeit befaßt, betrachtet den Begriff
aus ihrer Perspektive: es sind die Wirtschaftler, für die Arbeit aus
schließlich ein Kostenproblern ist. Eine menschliche Dienstleistung von
wirtschaftlichem Wert muß bezahlt werden, und der gezahlte Betrag muß
in einem bestimmten Verhältnis zu dem für Rohstoffe, Ausrüstung, laufen
de Unkosten und andere Ausgaben gezahlten Betrag stehen; aus dieser Sicht
ist sie eine Ware wie andere Güter. Nebenbei möchte ich die marxistischen
Wirtschaftler erwähnen, die von der Überzeugung ausgehen, daß die Inter
essen der Arbeit und die der Kapitalisten von Natur aus entgegengesetzt
sind; daß sie niemals zusammentreffen können; daß die einzig mögliche
Beziehung zwischen ihnen sozialer Krieg ist, der bis zur Vernichtung
aller anderen sozialen Klassen geführt werden muß und aus dem die "Ar
beit" siegreich hervorgeht.
Eine dritte Berufsgruppe mit wieder einer anderen Auffassung von Arbeit
sind die Ingenieure, insbesondere die Betriebsingenieure. Für den Be
triebsingenieur bedeutet Arbeit eine bestimmte Anzahl Bewegungen, in
einer bestimmten Zeitspanne ausgeführt. Sie deuten die Zeit-Beziehung
auf verschiedene Weise, aber das allgemeine Kriterium ist ein Leistungs
fähigkeitsindex, der steigt, wenn eine größere Anzahl Arbeiten oder die
gleiche Anzahl schwierigerer Arbeiten in der gleichen oder kürzeren Zeit
ausgeführt werden.
Diese Idee, die zuerst in den Vereinigten Staaten von Taylor vorgebracht
wurde, ist seitdem revidiert worden; denn Taylors Auffassung war unzu
länglich. Als Ingenieur sah er Menschen und Gegenstände in der Bewegung,
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aber er sah nicht die Motive hinter den Bewegungen. Deshalb unterschätz
te er den Ermüdungsfaktor. Die Überarbeitung der Taylorschen Theorien
haben dem Betriebsingenieurswesen eine festere wissenschaftliche Grund
lage gegeben, indem die psychologischen und physiologischen Arbeitsfak
toren und die Leistungsfaktoren mit einbezogen wurden. Aber für die Be
triebsingenieure als Gruppe bedeutet Arbeit eine Methode, ein Vorgang,
der sich aus der Summe von Bewegungen, von einer bestimmten Gruppe mit
größtmöglicher Geschwindigkeit ausgeführt, ergibt.
Eine vierte Gruppe von "Arbeitsspezialisten" stellen die Politiker dar.
Ich bin zufällig einer von ihnen. Für den Politiker ist Arbeit entweder
etwas, das man a) vergessen kann oder über das man b) sich beunruhigen
muß. a) ist ein kleiner Streik, eine Aufregung in der Presse oder ein
eigensinniger Arbeiterführer. b) ist ein großer Streik, ein General
streik oder eine allgemeine Aussperrung. Der Politiker klassifiziert
Arbeitsprobleme entweder unter a) oder b) je nach den wahrscheinlichen
Auswirkungen der Situation auf die Stabilität der sozialen und wirt
schaftlichen Ordnung, für die er verantwortlich ist. Auch die öffentli
che Meinung spielt eine Rolle. Bei der Klassifizierung der Situation
unter a) oder b) ist der Politiker gezwungen, die Beurteilung der Si
tuation durch die öffentliche Meinung zu erraten. Deshalb konzentrieren
Politiker ihre Aufmerksamkeit auf den Publizitätsgrad und die sich da
raus ergebende Intensität der öffentlichen Meinung, die bestimmte Ar
beitsprobleme hervorrufen.
Eine fünfte Gruppe bilden die Sozial wissenschaftler, die vielleicht bis
heute bei den Entscheidungen, welche die Arbeitsorganisationen &er Welt
beeinflußten, zu wenig zu sagen hatten. Diese Gruppe umfaßt Psychologen,
die auf dem Gebiet der Arbeitspsychologie spezialisiert sind, auch So
ziologen und Anthropologen, die Arbeit als das Verhalten eines Einzel
nen und mehrerer deuten. Man möchte bedauern, daß diese Gruppe keine
bedeutendere Rolle bei der Lösung von Arbeitsproblemen spielte, die im
Grunde doch menschliche Probleme sind. Es ist schade, daß wir Platos
Worte in seiner Schrift "Die Republik" und in einem Dialog seiner Früh
zeit "Carmides" außer ließen, in denen er sagt, daß in einem gut
a~ht
organisierten Staat die Schiffe in den Händen der Seeleute sein sollten,
die Armee von militärischen Experten geführt werden müßte und die Phi
losophen und Psychologen - die Spezialisten auf dem Gebiet der Wissen
schaften über den Menschen - sich mit allen sozialen und politischen
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Angelegenheiten zu befassen hätten. Die Vernachlässigung dieses Rates
erklärt vielleicht viele unserer gegenwärtigen Schwierigkeiten.
Ich glaube, daß die Juristen, die Wirtschaftler, die Politiker und Tech
niker,die sich mit den Arbeitsproblemen befaßt haben, hauptsächlich
deshalb scheiterten, weil sie den wichtigsten Faktor übersahen, weil
nämlich jeder darauf bestand, daß seine Auffassung die einzig richtige
wäre,und die Gruppen deshalb nicht wirksam zusammenarbeiten konnten.
Noch weniger konnten die Juristen, Wirtschaftler, Politiker und Techni
ker mit den Sozialpsychologen zusammenarbeiten, denen sie vorwarfen,
dauernd in den Wolken zu schweben, wie Aristophanes es ausdrückte.
Wahrscheinlich kann jede der fünf Gruppen etwas beisteuern,und ohne
die wirksame Zusammenarbeit aller müssen die grundlegenden Arbeitspro
bleme ungelöst bleiben.
Unsere Schlußfolgerung ist deshalb: Arbeit ist keine einfache, sondern
vielschichtige Realität, und die verschiedenen Aspekte der Arbeit sind
untereinander verknüpft, voneinander abhängig und funktionell aufein
ander bezogen. Wenn wir Arbeit unter dem juristischen Aspekt behandeln,
beeinflussen wir alle anderen Aspekte. Wenn ich einen Arbeitsvertrag
ändere, ohne die Parteien davon rechtzeitig in Kenntnis zu setzen,
schaffe ich sofort ein Problem auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen
Arbeitskraft und Betriebsführung; vielleicht verursache ich einen Streik;
der Streik erhöht die Arbeitskosten und kann die Einführung neuer Ar
beitsmethoden verhindern.
Stellen Sie sich ein anderes Beispiel vor: ein Betriebsingenieur ist
davon überzeugt, eine bessere Arbeitsmethode entdeckt zu haben, denn
sie befähigt die Arbeiter, in kürzerer Zeit, bei geringerer Ermüdung
und größerem Verdienst mehr zu produzieren. Aber die Entdeckung, daß
die Arbeiter die neue Methode nicht annehmen wollen, bestürzt ihn. Der
Ingenieur hätte diesen Trauma-Zustand vermeiden können, hätte er ver
standen, daß die Annahme der neuen Methode einen Wandel in den Arbeits
gewohnheiten einschließt und daß so ein Wandel meist einen Einschnitt
bedeutet. Vertraute Methoden sind leichter anzuwenden als fremde. Ein
Bruch in der gewohnten Routine ruft ein Gefühl der Unsicherheit hervor
und wird gern vermieden. Deshalb ist die Reaktion auf jede Art von Wan
del normalerweise negativer Art.
Man könnte noch viele andere Fälle anführen, um die gegenseitige Abhän
gigkeit der einzelnen Gebiete zu illustrieren: die Einführung eines
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neuen Preissystems z.B. erfordert die Normierung von Arbeitsmethoden
und umgekehrt; nähert man sich den Arbeitsproblemen unter einem rein
juristischen Aspekt, so wird Mißtrauen, wenn nicht gar dauernder Kon
flikt, zwischen Arbeitskraft und Betriebsführung hervorgerufen. Auf
Grund der Tatsache, daß die Realität der Arbeit komplex ist und alle
Aspekte aufeinander bezogen sind, muß den Problemen der Verständigung
die größte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das Problem der Verständi
gung leitet sich aus der Tatsache her, daß jede Gruppe ein team bilden
muß, um zusammenzuarbeiten; aber bevor die Gruppen zusammenarbeiten,
müssen sie sich verständigen. Sie werden nicht in der Lage sein, sich
zu verständigen, solange jede Gruppe auf einer anderen Deutung des
gleichen Ausdruckes beharrt und absichtlich die Deutung der anderen
übersieht.
Diese Feststellung ist von Bedeutung für die Berufsausbildung von Ar
beitsspezialisten, indern sie die Notwendigkeit eines integralen Lehr
planes unterstreicht. Um die Produktion lenken zu können, brauchen wir
Juristen, die in labour relations spezialisiert sind, und Betriebsinge
nieure und Psychologen ebenso wie Soziologen und andere Sozialwissen
schaftler. Aber wir möchten, daß alle diese Fachleute die Aspekte, die
die anderen Disziplinen vertreten, mit in Erwägung ziehen. Deshalb
brauchen sie einen Lehrplan, der eine integrale Idee der Realität Ar
beit vermittelt, damit sie sich untereinander verständigen und als ein
team gut zusammenarbeiten können.
Der letzte Teil meines Vortrages soll die Wichtigkeit des Begriffes Ar
beit für die Psychologen, Soziologen und Anthropologen behandeln. Wie
ich schon sagte, ist die sozialwissenschaftliche Art der Betrachtung
viel zu lange vernachlässigt worden. Wenn jemand behauptet, er sei ein
Experte auf dem Gebiet der human relations, so muß er sogar heute noch
damit rechnen, daß diese Behauptung von vielen wirklichen Ingenieuren
und Betriebsführern als Witz angesehen Man nimmt einfach an, daß
~ird.
human relations von jedem verstanden werden könnten, der überhaupt ir
gendetwas weiß.
Jedoch haben all das Geld, das verschwendet wurde, sowie viele verhäng
nisvolle Mißerfolge der westlichen Kultur auf diesem Gebiet die meisten
von uns davon überzeugt, daß wir über human relations sehr wenig wissen.
Die westliche Zivilisation hat die Struktur des Atoms entdeckt, aber
noch nicht herausgefunden, was einen Menschen in einern bestimmten Augen
blick die Sinne verlieren und einen Streik verusachen läßt oder wie
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andere bekannte menschliche Verhaltensweisen gelenkt werden können. Die
meisten wissenschaftlichen Organisationen der Welt, die sich für Arbeits
probleme interessieren, sind jetzt zu der Überzeugung gelangt, daß je
dem Aspekt, unter dem das Problem behandelt wird - dem juristischen,
wirtschaftlichen und allen anderen - ein Verständnis für Arbeitsprobleme
im Sinne von Problemen menschlichen Verhaltens zugrunde liegen muß. Der
bestimmende Faktor von größter Bedeutung ist der Mensch.
Als Psychologe habe ich das Problem der Haltung oder Einstellung als
einen der bestimmenden Faktoren menschlichen Verhaltens bearbeitet. Ich
habe versucht, Haltung - individuelle und kollektive Haltung - zu defi
nieren, indem ich von mir entwickelte, in einer bestimmten Industrie
anwendbare Tests durchführte. Diese Tests können die vorherrschende Ein
stellung der Betriebsführung gegenüber der Arbeitskraft und der Arbeits
kraft gegenüber der Betriebsführung aufzeigen. Die zum Ausdruck gebrach
te Einstellung bezieht sich auf bestimmte grundlegende Faktoren wie Bil
dung, Autorität, Selbstachtung, Produktivität und andere soziale Werte.
Solche Angaben haben viele interessante Anwendungsweisen. Sie stellen
z.B. eine Basis für die Vorhersage von Unruhen auf dem Gebiet der Arbeit
dar. Auf Grund der steigenden Spannung können sie, lange bevor sie statt
finden, vorausgesagt werden. Die Tests vermitteln ein genaues Bild der
Einstellung der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern und der Betriebs
leitung gegenüber ihren Arbeitern. Die Wechselbeziehung zeigt, daß der
bestimmende Faktor in den meisten Arbeits- und Betriebsbeziehungen die
Einstellung der Betriebsleitung ist.
Die Experten auf dem Gebiet der human relations glaubten immer, daß Ar
beitsprobleme gelöst werden müßten, indem man mit den Arbeitern sprach
oder sie bildete. Auf empirischem Wege habe ich aber herausgefunden,
daß die Haltung der Arbeiter gegenüber der Betriebsführung normaler
weise reaktionär ist. Sie ist meistens eine Antwort auf die Haltung,
die die Betriebsführung gegenüber der Arbeitskraft einnimmt. Wenn wir
die Einstellung der Arbeiterschaft ändern wollen, müssen wir die Ein
stellung der Betriebsführung ändern. Nur insoweit wir die Einstellung
der Betriebsleitung ändern, können wir die Einstellung der Arbeiter
schaft wandeln. Diese Wechselbeziehung entdeckte man immer wieder ohne
besondere Abweichungen. Die Tests wurden an rund zweitausend Menschen
in rund vierzig verschiedenen Textilfabriken, Zuckerpflanzungen, im
Eisenbahndienst, in öffentlichen Diensten und anderen Unternehmen durch
geführt. Die Ergebnisse glichen einander. Es ist wahrscheinlich, daß
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