Table Of ContentTmsKo-Land
der
arischen Stamme und Götter Urheimat.
Erläuterungen
zum Sagenschatze der Veden, Edda, Ilms und Odyssee.
Von
Dr. Krnst Krause
(lüarus Sterne).
Mit 76 Abbildungen im Text und einer Karte.
Glogau 1891.
Verlag von Carl Flemming.
Vas Übersetzungsrecht b,aben sich Verfasser und Verleger vorbehalten.
Vorwort.
I^?eil ich lernte, daß feine Sprache, sein Recht und fein Altertum
„VsW? viel zu niedrig gestellt waren, wollte ich das Vaterland erheben."
Diese Worte, mit denen Jakob Grimm vor bald fünfzig Jahren die
Angriffe derer zurückwies, die zu meinen schienen, unser Volk hätte sein
ganzes Empfinden, Wissen und Denken, seinen Glauben an höhere Wesen,
ja seine Heldensage — warum nicht auch seine Sprache? — von den
Römern empfangen, haben mir bei der Niederschrift dieses Buches beständig
in den Ohren geklungen. Es ist die höchste Zeit, sie den Nachfolgern
Grimms ins Gedächtnis zurückzurufen, da selbst der Neu-Herausgeber
seiner Mythologie in die Wege der Herren Bang und Bugge ein
lenkt, die am liebsten die gesamte nordische Götter- und Heldendichtung
für einen Ausfluß des uns, wie es scheint, unentbehrlichen Griechen- und
Römertums erklären möchten, etwa wie Herodot und andere alte Alter
tumsforscher ehemals alle griechischen Überlieferungen, mochte ihnen der
nichtsemitische Charakter noch so deutlich auf die Stirn geschrieben sein,
aus Ägypten und Phönikien herhaben wollten.
Langjährige eigene Forschungen auf diesem Gebiete, die, abweichend von
der gewöhnlichen Bücherforschung, im besondern von der naturgeschicht
lichen Grundlage der Mythen, von Gestirnfagen, ethnologischen und prä
historischen Gesichtspunkten, den Steindenkmalen und Gräberfunden, von
den klimatischen Grundbedingungen der Lebens- und Ernährungsweise
unserer Vorfahren in der Urzeit ausgingen und auf Versuche, die
Heimatszugehörigkeit der Mythen zu bestimmen, hinausliefen, haben mich
zu der Überzeugung geführt, daß die wirkliche Sachlage ungefähr dem
Gegenteil dessen entspricht, was die gelehrte Altertumsforschung als fest
stehende Thatsache angenommen hat. Es ergab sich mir mit sortschreiten
VI Vorwort.
der Sicherheit, daß die nordischen Sagen und Sagformen viel ursprüng
licher und älter sind als die griechischen und römischen, ja schließlich selbst
als die indischen, und daß dies nicht etwa aus bloßer Urverwandtschaft
oder durch eine Ausstrahlung der noch unausgewachsenen füdlichen Phan
tasie-Gebilde nach Norden zu erklären ist, sondern daß umgekehrt die
nordischen Sagen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle den Keimzu
stand darstellen, aus dem sich die füdlichen Formen erst entwickelt haben,
daß sich, grob ausgedrückt, Jlms und Odyssee aus der Edda, nicht aber
umgekehrt die letztere aus jenen herleiten, und erläutern lassen.
So ungünstig die germanische Gruppe der Arier gestellt ist, wenn es
darauf ankommt, ihre Anwartschaft auf höheres Alter durch schriftliche
Dokumente beweisen zu sollen, so hat doch ihre längere Unbekanntschaft
mit der Schriftgelehrsamkeit, die sich bei Kelten und Germanen zu einer
förmlichen Scheu vor der Schrift steigerte, wie Cäsar und Tacitus er
zählen, wenigstens für uns den einen Vorteil gehabt, daß sie ihre Götter-
und Heldenlieder viele Jahrhunderte lang, ebenso wie die indischen Arier,
im Gedächtnisse ihrer Priester und Sänger jedenfalls treuer bewahrt haben,
als wenn sie dieselben in Schriften niedergelegt und dadurch zwar der
Kenntnis, aber auch der Entstellung und Fälschung von feiten der ge
samten nichtpriesterlichen Gemeinschaft überantwortet hätten. Daher kommt
es, daß Edda und Veden durch oft völlige Übereinstimmung der Grund-
sagen den Schriften der Griechen gegenüber sich ihr viel höheres Alter
gegenseitig bezeugen können.
Schon seit einer Reihe von Jahren habe ich auf diese nachdenklichen
Thatsachen in allerlei Zeitschriften hingewiesen, und eine Anzahl der in
diesem Buche vereinigten Untersuchungen sind in annähernder Gestalt schon
vor Jahren veröffentlicht worden. Ob ich in meiner besonderen Art, die
Dinge anzufehen, bereits — abgesehen von dem alten Rudbeck, dessen
Schriften ich nicht gelesen habe — einen Vorgänger gehabt, ist mir unbe
kannt; denn von dem Standpunkte, welchen G. von Hahn in seinen
„Sagwissenschaftlichen Studien" einnahm, ist der meinige wesentlich ver
schieden, sofern jener nur die ja bereits durch die Sprachwissenschaft be
wiesene Urverwandtschaft aller arischen Völker und ihrer Sagen nachzu
weisen bemüht war, während mein Bestreben dahin geht, den Namen der
Edda als einer Urgroßmutter der arischen Überlieferung zu rechtfertigen und
damit im Einklange die Urheimat der Arier in Nord-Europa zu erkennen.
Vorwort. VII
Sofern nun Sprachforschung und prähistorische Studien immer be
stimmter zu einem ähnlichen Schlusse hingedrängt haben, wie der ist, zu
dem ich ganz unabhängig von denselben durch Sagenvergleichung und
Denkmälerprüfung gelangt bin, so habe ich, nachdem die übrigen Kapitel
bereits niedergeschrieben waren, für nützlich gehalten, gleichsam als Ein
leitung eine Übersicht dieser nach derselben Richtung deutenden Ergebnisse
voranzustellen und mich dabei vielfach an Penkas verdienstvolle Arbeiten
geschlossen, obwohl ich seinem Ergebnis, daß die Arier aus Skandinavien
stammen sollen, nicht völlig beistimmen kann. Jch halte eine so enge Be
grenzung des mutmaßlichen Heimatsgebietes, wie sie auch in anderen der
artigen Werken zu Tage tritt, nicht für angezeigt, da das gesamte mittlere
und nördliche Europa feit Urzeiten von der arischen Rasse bewohnt ge
wesen ist, und wenn ich meinem Buche den Titel „Tuisko-Land" vorge
setzt habe, so geschah dies nur in dem Sinne, daß der uralte, in alle indo
germanischen Sprachen übergegangeneNamedesarischenAdam, Mam(Manu)
dem Mannus entspricht, den Taeitus einen Sohn des Tuisko nennt, welcher
sich uns als.der richtige Eschenvater des germanischen Jsko, Ask oderAschanes
(Askanius), des persischen Mashya (Meschia) und des griechischen Eschen
geschlechts (den Jseaevonen des Taeitus vergleichbar) entschleiert hat.
Sind schon die Göttersagen der durch ein weites Meer getrennten
Griechen und Römer so eng verschwistert, daß wir sie als einem reli
giösen System angehörig betrachten, so erscheint es mir noch unzuträg
licher, die Göttervorstellungen der Kelten, Germanen und Slaven streng
auseinander zu halten; denn diese Stämme haben schon vor aller Geschichte
viele Jahrhunderte lang als Nachbarn verkehrt und ihre Vorstellungen und
Sagen miteinander ausgetaufcht und abgeglichen. Es scheint mir aussichts
los, feststellen"zu wollen, ob Taranis der Kelten, Donar der Deutschen,
Thor der Skandinavier oder Perkunas der Slaven das Urbild des nordi
schen Gewittergottes hergegeben, die Namen sind verschieden, das Wesen
dasselbe. Und wenn auch in den meisten Fällen die germanische Fassung
das Urbild der jüngeren südlichen Gestaltungen desselben Jdeals am ge
treusten wiederspiegelt, so läßt sich durchaus nicht verkennen, daß nicht
wenige in einer entschieden keltischen oder slavischen Umformung nach
Süden und Osten gewandert sind, und indem ich diese Einflüsse berück
sichtigte und verfolgte, glaubte ich die Umrisse einer Entwickelungs-
gefchichte der arischen Götterfamilie auftauchen zu sehen.
VIII Vorwort.
Obwohl dieses Buch in seiner Form und Darstellungsweise für un
gelehrte Leser, nämlich für jedermann, der an solchen Studien Gefallen
findet, geschrieben ist, so glaube ich doch, daß auch die Fachleute es mit
Nutzen in die Hand nehmen könnten, und ihnen gegenüber muß ich mich
wegen mehrerer Dinge, namentlich wegen der Schreibweise der Eigennamen,
rechtfertigen. Der ganzen Richtung des Buches entsprechend, schien es mir
richtig, meist die eingebürgerte Schreibart der fachgelehrten vorzuziehen, z. B.
Odin statt Odhin oder gar Othinn, Odur statt Odhur zu schreiben; aber leider
habe ich diesenGrundsatznichtstrengdurchgeführt, undnamentlichimGebrauch
von v und w sind Schwankungen geblieben, die glücklicherweise mit der Sache
an sich nichts zu thun haben. Von dem Gebrauch besonderer Schrift
zeichen wurde absichtlich abgesehen. Bei den Übersetzungen in gebundener
Rede bin ich den bewährtesten Aneignungen treu geblieben, so bei Homer
derjenigen von J. H. Voß, bei der Edda und den deutschen Heldensagen
Simrock; aus besondern Gründen bin ich bei einigen Eddastellen Berg
mann gefolgt.
Um den Text nicht mit Büchertiteln zu beschweren, habe, ich daselbst
nur die selten oder einmal angeführten Werke mit vollem Titel erwähnt,
die häufiger angeführten Quellen- und Nachschlagewerke dagegen nur kurz
mit dem Verfassernamen, weshalb ich auf einer der folgenden Seiten die Titel
und benutzten Ausgaben genauer wiedergebe. Jch möchte zum Schlusse
noch bemerken, daß die Vergleiche und Schlüsse, die ich ohne Gewährs
mann gebe, in der Regel meine eigenen sind; manches, was ich unabhängig
gefunden, wird auch bei anderen stehen, ohne daß es mir, da ich über eine
genauere philologische Litteratur- und Zeitschriftenkenntnis nicht verfüge,
bekannt geworden ist. Obwohl bei Forschungen auf so schwankendem
Grunde nicht zu erwarten steht, daß sich alle neuen Ausstellungen und
Verknüpfungen bewähren werden, so hoffe ich doch, daß mein Buch einen
bedeutsamen Fortschritt der Erkenntnis auf diesem Gebiete ergeben und
die vergleichende Mythologie von dem Fluche der Verachtung, dem sie
nicht ohne eigene Verschuldung verfallen war, erlösen wird.
Berlin, im Oktober 1890.
Ernst Krause.
Inhalt.
Erstes Luch. Ein Blick auf die Urgeschichte der Arier.
1. Die indogermanische Rasse ein Trugbild 1
2. Wo lag die Heimat der Arier? 7
3. Verhalten der blonden Rasse im geschichtlichen Europa 17
4. Die Zurückbesinnung der Sprache 27
5. Vorgeschichtliche Völkerverschiebungen im Norden . 36
6. Zeugnisse der Prähistorie für die nordische Herkunft der Arier .... 52
7. Die megalithischen Denkmale 6V
g. Kultur der alten Arier 79
9. Thraker und Trojaner 91
Zweites Luch. Giganten»Herrschaft und Iahreszeitengötter.
10. Die Arier als Sendboten eines neuen Glaubens 100
11. Zalmoris, Odin, Kronos, Krodo, Saturn 108
12. Ogir, Aukßtis, Okeanos, Ogyges, Uranos, Varuna 126
13. Entthronte Götter 134
14. Wanderungen und Wandlungen der Göttergestalten 140
15. Die Heimatsbestimmungen von Sagen im allgemeinen und der Riesensagen
im besondern 145
16. Thor und .Herakles 1b«
17. Orion 158
IS. St. Christophorus 170
Drittes Luch. Licht» und Sonnengötter.
19. Griechische Sagen über die Herkunft ihrer Lichtreligion 175
20. Die blonden Arimaspen 191
21. Die nordischen Tiere des Apoll 195
22. Boreas und Chione 201
23. Rotkäppchen 204
24. Auschlavis-Asklepios 207
25. Apoll und Herakles 212
X Jnhalt.
Teile
26. Dienstbarkeit und Gefangenschast des Sonnengottes 217
27. Odins Bergfahrt 223
28. Der Sagenkreis vom verwundeten, ermordeten und wiedererstandenen
Sonnengotte 226
29. Eberopfer und Ebergelübde am nordischen Julfeste 232
viertes Luch. Rampf» und Gewittergötter.
30. Zw, Zeus, T»r, Dyans, Jupiter 238
31. Er, Aor, Heru, Ares, Jring 24«
32. Cernunnus, Taranis, Thor, Perkunas 251
33. Hermes, Jrmin, Ahriman, Ormuzd 259
34. Helios, Helias, Eliaö 271
35. Der Himmelswagen und das Märchen vom Däumling 275
36. Das Sternbild des Fuhrmann (Erichthonios, Phaöthon, Jkaros) ... 286
37. Das Sternbild des Eridanos und der alte Bernsteinhandel 290
Liinftes Luch. Der Leuerkultus der alten Arier.
38. Agni und Pales 303
39. Prometheus der Feuerbringer 312
40. Die göttlichen Schmiede (Welt- und Menschenschöpfung) 324
41. Die Verbindung des Jener- und Sonnenkultus 329
42. Svastika — Sweistix 343
43. Der Sturz der Feuergötter (Titanenkampf) 357
44. Pan, Faunus, Marsyas, Midas . . > 365
45. Frepr, Liber, Hermes, Priap, Dionysos 368
46. Die Erwerbung des Göttertranks . . . . ^ 373
47. Kwasir, Zagreus, Dionusos, Bacchus 388
sechstes Buch. Göttinnen und Göttersöhne.
48. Erdgöttinnen 392
49. Frepja, Vanadis, Bendis, Artemis 396
50. Sulis Minerva 405
51. Pallas Athene 414
52. Aurora und die Dioskuren 418
53. Baldur und Hödur 427
54. Der Sagenkreis von den drei Götterbildern 441
Siebentes Luch. Die «Quellen der Ilias.
55. Trojas erste Eroberung 449
56. Helena und ihre nordischen Gegenbilder 459
57. Der Götterkampf um Troja 469
58. Ögishelm und Ägis, Tarn- und Hadeskappe 476
Jnhalt. XI
59. Walküren und Keren 487
«0. Achill 491
«1. Meleager 508
62. Baldur und Patroklos 515
Achtes Buch. Die Grundlagen der Gd?ffee.
«3. Zur Geschichte der Odyssee 522
«4. Der Naturkern der Odyssee 53«
65. Die Orendelsage 535
66. Fischer Eise, Satyawrata, Kronos 545
67. Die Polyphemsage 549
68. Äolos, König der Winde 561
69. Kalypso und Kirke 564
70. Die Totenbeschwörung 570
71. Die See-Abenteuer (Lnstrygonen und Sirenen, Tkylla und Charybdis,
Plansten und Sonnenrinder) 577
72. Die Haddingsage 588
73. Naufikaa und die Phäaken 602
74. Heimkehrsagen 617
Alphabetisches Verzeichnis
der ohne genauere Titel-Angabe citierten Bücher.
(Caspari) Otto, Urgeschichte des Menschen. 2. Aufl. Leipzig 1877.
(Creuzer) Friedr., Symbolik und Mythologie. 2. Aufl. 4 Bände. Leipzig und
Darmstndt 1819—1822.
(Ettmüller) Ludw., Altnordischer Sagenschatz. Leipzig 187«.
(Gerland) Georg, Altgriechische Märchen in der Odyssee. Magdeburg 1869.
(Grimm) Jakob, Deutsche Mythologie. 2. Ausg. Göttingen 1844.
(Gebr. Grimm) Kinder-undHausmärchen. GroßeAusgabe. 13.Aufl. Berlin 1875.
Der nicht allen Ausgaben beigefügte dritte Band wurde nach derzweiten Aus
gabe (Berlin 1822) angeführt.
(Gubernatis) Ant. de, Die Tiere in der indischen Mythologie, deutsch von
M. Hartmann, Leipzig 1874.
(Hahn) J. G. von, Sagwissenschastliche Studien. Jena 187«.
(Hanusch) G. J.. Die Wissenschast des slawischen Mythus. Lemberg .1842.
(Hehn) Viktor, Kulturpflanzen und Haustiere u. s. w. 2. Aufl. Berlin 1874.
(Kuhn) Adalb., Mythologische Studien. Band 1. Gütersloh 1886.
(Mannhardt) Wilh., Wald- und Feldkulte. 2 Bände. Berlin 1875—1877.
(Menzel) Wolfg., Odin. Stuttgart 1855.
(Müllenhofs) Karl, Deutsche Altertumskunde. BandIundV. Berlin 1870—1883.
(Müller) Ludw., vet snnksläte UngeKors's ^nvenäelse og Lvtvärling i Ol6ti6ev,
Kopenhagen 1877.
iMüller) Max, Vorlesungen über die Wissenschast der Sprache, deutsch von Carl
Böttger. I. und II. Leipzig 1866.
(Osterwald) Hermes-Odyseus, Halle 1853,
(Penka I) Origines ariäen«. Wien und Tescheil 1883.
(Penka II) Die Herkunft der Arier. Wien und Tesche,l 1886.
(Preller G. M.) Griechische Mythologie. 2. Aufl. 2 Bände. Berlin 1860-1861.
(Preller R. M.) Römische Mythologie. 2. Aufl. Berlin 1865.
iSchwenck) Konr., Die Mythologie der Slaven. Frankfurt a. M. 1853.
(Simrock) Karl, Handbuch der deutschen Mythologie. 5. Aufl. Bonn 1878.
(Veckenstedt) Edm., Die Mythen, Sagen und Legenden der Zamalten (Litauer,.
2 Bände. Heidelberg 1883.