Table Of ContentTUBERKULOSE
1M KINDESALTER
VON
PROF. DR. O. GORGENYI=GOTTCHE
PRIMARIUS DES STAATLlCHEN KINDERSANATORIUMS
IN BUDAPEST
MIT 274 EINZELBILDERN IN 146 TEXTABBILDUNGEN
WIE N
SPRINGER= VERLAG
1951
ISBN-13:978-3-7091-7788-4 e-ISBN-13:978-3-7091-7787-7
DOl: 10.1007/978-3-7091-7787-7
ALLB RBCHTB, INSBESONDBRB DAS DBR OBERSETZUNG
IN FREMDE SPRACHBN, VORBBHALTEN.
COPYRIGHT 1951 BY SPRINGER6VERLAG IN VIENNA.
SOFTCOVER REPRINT OF THE HARDCOVER 1ST EDmON 1951
Vorwort.
Es ist eine unleugbare Tatsache, daB die medizinische Wissenschaft sich
immer mehr spezialisiert. Ob dies richtig ist oder nicht, solI dahingestellt bleiben,
die Tatsache bleibt aber bestehen. Die Padiatrie hat vielleicht noch am hart
nackigsten ihre Einheit zu bewahren versucht und wollte immer das Kind als
eine pathologische Einheit betrachten. Wie lange dieses Bestreben der Padiatrie
erhalten bleiben wird, wissen wir nicht; die Umrisse der Spezialisierung auch
innerhalb der Kinderheilkunde sind aber schon da, so auch auf dem Gebiete der
Tuberkulose des Kindesalters. Wer sich ala Kinderarzt mit der Tuberkulose
der Kinder eingehender beschaftigen will, der muB bald anerkennen, daB er
.ohne ausgiebige rontgenologische und phthisiologische Ausbildung sehr schwer
weiterkommen wird. Eben diese Grenzgebiete verlangen eine gewisse Spezialisie
rung auch innerhalb der Kinderheilkunde. Jene Rontgenologen und Lungen
facharzte hingegen, die sich mit der Tuberkulose der Kinder beschaftigen wollen,
miissen sich in die verschiedenen Eigenschaften des Kindesalters so vertiefen,
daB sie dadurch die Tuberkulose des Kindesalters besser verstehen sollen.
Das Ziel dieses Buches ist, die verschiedenen Anspriiche so auszugleichen,
.daB innerhalb der Kinderheilkunde auch die Fortschritte der Grenzgebiete bei
der ·Tuberkulose des Kindesalters beriicksichtigt werden sollen.
Budapest, am 25. November 1950.
O. GORGENYI-GOTTOHE
Inhaltsverzeichnis.
Seite
I. Historischer tlberblick . . . . . . . . . . . 1
II. Wie werden die Kinder mit Tuberkulose infiziert1 6
Die Eintrittspforten. Die Tropfcheninfektion. Der hustende Phthisiker
als Hauptinfektionsquelle. Die Rolle der Zahl der eindringenden Tuberkel
bacillen. Die offentuberkulosen und die bacillenausscheidenden Kinder.
Die bovine Infektion. Die Kontaktinfektion. Die intrauterine Tuber
kulose.
III. Tuberkulindiagnostik . .................... 17
Das Alttuberkulin von R. KOCH. Das standardisierte Tuberkulin. Der
P. P. D. von SEIBERT. Die Uberempfindlichkeit. Die verschiedenen
Tuberkulinproben. We1che Tuberkulinproben sollen verwendet werden?
Wann sind die Tuberkulinproben bei den mit Tuberkulose infizierten
Kindern negativ ~
IV. Die Verbreitung der tuberkulOsen Infektion im KindesaIter ..... 33
Die Ergebnisse der pathologisch-anatomischen Untersuchungen. Die
Ergebnisse der Tuberkulinproben. Regeln zur Bestimmung der tuber
kulosen Durchseuchung der Kinder. Riickgang der tuberkulosen Durch
seuchung im Kindesalter.
V. Aktivitatsproben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Die Komplementproben und Agglutinationsproben. Das Blutbild. Die
Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkorperchen. Die Bewertung der
S. R. bei tuberkulosen Prozessen.
VI. Die Rontgendiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Allgemeine Bemerkungen. Die Rontgendurchleuchtung im Kindesalter.
Die Ausfiihrung der Rontgenaufnahmen im Kindesalter. Die Frontal
aufnahmen. Das "Kippaufnahmeverfahren" von SWATSCHEK. Das
Schichtbildverfahren. Der "Gottche-Sattel" zur Rontgenuntersuchung der
Sauglinge und Kleinkinder. Technische Einzelheiten.
VII. Die Bronchoskopie. . . . . . . . . . . '. . . . . . . . . . . . . 50
Die diagnostische und therapeutische Bedeutung der Bronchoskopie bei
den Lungenerkrankungen des Kindesalters. Technische Einzelheiten.
VIIJ. Die Einteilung der Tuberkulose . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Die Einteilung von TURBAN und GERHARD. Die Stadieneinteilung
RANKES. Die Periode des Erstinfektes und die Periode des Reinfektes
nach ASCHOFF. Die Tuberkulose vom kindlichen Typus und die Tuber
kulose vom Erwachsenentypus nach RICH.
IX. Die Tuberkulose des kindlichen Typus . . . . . . . . . . . . . . . 57
Pathologische Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Allgemeine Bemerkungen. Faktol'en, welche die tuberkulose Infek-
tion der Kinder beeinflussen. Die ersten tuberkulosen Veranderungen.
Die pathologische Anatomie des Primal'komplexes. Die Lokalisation
der Primal'herde in den Lungen. Die pathologische Anatomie des
heilenden Primarkomplexes. Die pathologische Anatomie des zer
fallenen Primarkomplexes. Die Primarkaverne. Die Primarphthise.
Pathologische Anatomie' del' Tuberkulose der endothorakalen
Lymphknoten. Der Bronchialeinbruch als pathophysiologischel'
Pl'ozeB. Die pathologische Anatomie der "Epituberkulose".
VI Inhaltsverzeichnis
Seite
X. Die Manifestation der ersten tuberku16sen Ansteckung. . . . . .. 76
Die "praallergische Periode". Die Klinik der ersten Ansteckung. Das
Initialfieber. Die allgemeinen Symptome. Die Hauterscheinungen. Das
Erythema nodosum.
XI. Das normale Rontgenblld der Lunge bei Kindern . . . . . . . . . . 90
Anatomische Vorbemerkungen. Die Lungensegmente. Die normale Ana
tomie der endothorakalen Lymphknoten. Die Rontgendarstellbarkeit der
einzelnen Lymphknotengruppen. Die Bedeutung der Frontalbilder. Die
Bedeutung der Tomographie. Einige Besonderheiten des kindlichen Thorax.
XU. Klinik mit Rontgendiagnostik der Lungenverii.nderungen bei der kindlichen
Lungentuberkulose. .. ............. .... 104
Der Primarherd . . . . . . . . . . . . . . . . ....... 104
Das Rontgenerscheinen des Primarherdes. Differentialdiagnose
zwischen Primarherd und Reinfektionsherd. Das Stadium der
Bipolaritat nach REDEKER. Rontgendiagnostik des he~enden
Primarkomplexes. Der verkalkte Primarkomplex. Die Frage der Auf
flackerungen. Klinik und Rontgendiagnostik des zerfallenden Primar
herdes, der Primarkaverne und der Primarphthise.
XIII. Die Tuberkulose der endothorakalen Lymphknoten . . . . . . .. 124
A. Die direkten Veranderungen der endothorakalen Lymphknoten. 127
1. Die tumorose Form. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127
2. Die vermehrte Hiluszeichnung . . . . . . . . . . . . .. 136
3. Okkulte Tuberkulose . . . . . . . . . . . . . . . . .. 138
B. Die indirekten Veranderungen bei der Tuberkulose der endothora-
kalen Lymphknoten ..................... 141
1. Die zirkumskripten pleuralen Veriinderungen. . . . . . . . . 141
2. Der Bronchialeinbruch. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 149
3. Die Form und Lageveranderungen der Trachea und der Broncbien
sowie ihre Stenosen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
4. Epituberkulose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
5. Die Zwerchfellahmung. . . . . . . . . . . . . . . . 199
XIV. Die Pleuritis tuberculosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Allgemeine Bemerkungen. Der "Fahrplan" der tuberkulosen Erst
ansteckung. Wie entsteht eine Pleuritis exsudativa tuberkulosa' Klinik
und Rontgendiagnostik. Therapie. Die Pericarditis tuberkulosa. Klinik,
Rontgendiagnostik und Therapie.
XV. Bii.matogen entstandene tuberkulose Verii.nderungen . . . . . . . . . 208
Wie gelangen die Tuberkelbacillen in den Blutkreislauf YW ann entstehen
die hamatogenen Streuungen? Die SIMONS chen Spitzenherde.
XVI. Die Millartuberkulose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
Die Ursache der Miliartuberkulose. Die akute, subakute und chronische
Miliartuberkulose. Klinik und Rontgendiagnostik. Die Streptomycin
behandlung der Miliartuberkulose.
XVII. Die tuberku16se Gehirnhautentziindung. . . . . . . . . . . . . . . 217
Pathologische Anatomie. 1st die Meningitis tuberkulosa nur eine Teil
erscheinung der Miliartuberkulose Y Wie entsteht die Meningitis tuber
kulosa Y Die klinischen Symptome. Die kardinalen Faktoren, welche die
klinischen Symptome verursachen. Die Liquoruntersuchung bei der
Meningitis tuberkulosa. Die Streptomycinbehandlung. Die Meningitis
tuberkulosa chronica, ein neues Krankheitsbild.
XVIII. Die Tuberkulose der Knochen und Gelenke . . . . . . . . . . . . 226
Allgemeine Bemerkungen. Klinik und Rontgendiagnostik. Die ver
schiedenen Lokalisationen der Knochen- und Gelenktuberkulose.
XIX. Die Tuberkulose der Baut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
Die primaren Hauterscheinungen. Die hamatogenen Streuungen in der
Haut. Die Miliartuberkulose der Haut. Tuberculosis papulonecrotica.
Tuberculosis follicularis. Tuberculosis colliquativa cutis. Tuberculosis
luposa. Die Haufigkeit der tuberkulosen Hautveranderungen im Kindes
alter.
Inhaltsverzeiohnis VII
XX. Tuberkulose der Lymphknoten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
Die Normalanatomie der Halslymphknoten. Die Tuberkulose der Hals
lymphknoten im Liohte der Liibeoker Erfahrungen. Die Tuberkulose des
Mittelohres. Die Tuberkulose der axillaren, oubitalen und inguinalen
Lymphknoten. Das "MARFANsohe Gesetz". Therapie. Die Wichtig-
keit der gleiohzeitigen Primarinfektionen mehrerer Organe im Liohte der
Liibecker Erfahrungen.
LTI. Die Tuberkulose der Abdominalorgane . . . . . . . . . . . . . . . 242
Das Liibeoker Ungliiok. Primare tuberkulose Infektion der Speiserohre,
des Magens und des Diinndarmes. Die Tuberkulose der abdominalen
Lymphknoten. Die Tuberkulose des Bauchfells: die Peritonitis exsudativa,
adhasiva und ulcerosa. Die Tuberkulose der Milz, Leber und Nieren.
Die Tuberkulose der Genitalorgane.
XXII. Die Kerato-Conjunctivitis phlyctaenulosa und die "Skrophulose" . . . 251
Pathologische Anatomie der Phlyktanen. In weloher Phase der Tuber
kulose entstehen die Phlyktanen ~ Die Frage der Recidiven. Therapie.
Der Begriff der "Skrophulose". Istdie Skrophulose ein selbstandiges
Krankheitsbild ~
XXIII. Die Lungentuberkulose yom Erwachsenentypus im Kindesalter . . . . 257
Die endogene und exogene Reinfektion. Die Lokalisation der Reinfek
tionsherde. Die Initialherde von MALMROS und HEDWALL. Die infra
klavikularen Herde von ASSMANN und REDEKER. Die Friihkaverne. Die
apikokaudale Lungenphthise. Therapie: die Kollapstherapie, die endo
thorakale Kaustik, andere ohirurgische Eingriffe, die Streptomycin
behandlung.
XXIV. Nicht tuberkulose Lungenkrankheiten im Kindesalter . . . . . . . . 266
Die mehrherdigen und einherdigen Pneumonien. Der Keuchhusten. Die
fliichtigen eosinophylen Lungeninfiltrate. Das Asthma bronohlale. Die
Lungenveranderungen bei Lues congenita. Der Spontanpneumothorax.
Der LungenabszeLl. Das Lungengangran. Zystische Hohlraume. Die
Pseudokavernen. Die Bronchiektasien. Die intrathorakalen Geschwiilste:
der vergroLlerte Thymus. Gutartige Gesohwiilste. Die Lymphogranulo
matose. Die Sarkoidose. Das Lymphosarkom. Tumormetastasen in den
Lungen der Kinder. Lungenveranderungen bei Retikulo-Endotheliosen.
Die Mykosen: Aktinomykose, Blastomykose, Streptotrichose, Torulose,
Aspergillose, Sporotrichose, Coccidioidomykose und Histoplasmose.
Toxomykosen in Ungarn.
XXV. Die Prophylaxe der Tuberkulose im Kindesalter. . . . . . . . . . . 295
Die Expositionsprophylaxe. Die intradomizilare Infektion. Die tuber
kulOse Prophylaxe der Schulkinder. Die Rolle der individuellen Prophy-
laxe in der Sohule. Die Dispositionsprophylaxe. Die spezifisohe Pro
phylaxe der Tuberkulose. Die B.-C.-G.-Frage.
XXVI. Die Behandlung der Tuberkulose im Kindesalter . . . . . . . . . . 306
Die nicht spezifische Aligemeinbehandiung der Lungentuberkulose yom
kindlichen Typus. Die Bettruhe. Die Liegekuren. Die Rolle der klima
tisohen Faktoren. Die charakteristischen Eigenschaften des Hohen
klimas. Die Indikationen und Kontraindikationen des Hohenklimas.
Die klimatischen Verhaltnisse in Ungarn. Die Sonnenbehandlung. Die
Quarzlampenbestrahlung. Die Ernahrung. Die nioht spezifischen Medika
mente. Die spezifische Behandlung der Tuberkulose. Die Diamino
diphenylsulfone (Promin, Diazon, Promizol). Die Streptomycin
behandlung der einzelnen Formen der Tuberkulose im Kindesalter.
Die Applikationsformen des Streptomycins. Die toxischen Ersoheinun-
gen. Die Streptomycingewohnung und Resistenz der Tuberkelbacillen.
Die Pas-Therapie. Die Tb. I-Therapie. Die Kollapstherapie bei der
primaren Lungentuberkulose. Die Anstaltsbehandlung. Die Indikationen
der Anstaltsbehandlung.
Literaturverzeiohnis. . . . . 330
Namen- und Saohverzeiohnis 333
Berichtigungen.
S. 97, Zeile 25 von oben lies: die Lgl. statt die 3. Lgl.
S. 119, in der Abbildungsunterschrift Fall Nr. 13 lies: basalen Segmente statt
axillaren-basalen Segmente.
S. 121, Zeile 6 von oben, S. 163, Zeile 17 von unten, S. IS5, Zeile 11 yon
oben und Zeile 20 von oben lies: Subsegment statt Segment.
S. 179, Zeile 4 von oben lies: selbstandig statt selbstverstandlich.
S. ISO, Zeile 12 von unten lies: linken pectoralen Segmentes statt linkpn
axillaren Subsegmentes.
S. lSI, in der Abbildungsunterschrift Fall Nr. 57 lies: pectoral en Segmentps
statt axillaren Subsegmentes.
S. 194, in der Abbildungsunterschrift Fall Nr. 6Slies: hintere apicale Segment
statt axillare Subsegment.
S. 195, Zeile 15 von oben lies: hintere apicale Segment statt axillare Segment.
S. 195, Zeil.e IS von oben lies: apical-pectorale Ast statt apikal-axillare A8t.
Oiirg{myi-f1iOttehe, Tllherknlose im KindeAnlter.
I. Historischer Uberblick.
Die Kindertuberkulose als spezielle Wissenschaft gehort zu den neuesten
Errungenschaften der Medizin. Erst wenn wir iiber die Entwicklung der Kinder
tuberkulose als Wissenschaft einen historischen 'Oberblick geben wollen, sehen
wir, wie kurz die ganze Vergangenheit dieses jungen medizinischen Wissen
schaftszweiges ist. Jene Arztegeneration, welche ihre Studien zur Zeit der Jahr
hundertwende begann, hatte von den spater zu besprechenden Errungenschaften
noch gar nichts gehort, tells weil die damaligen Entdeckungen meist~ns noch
nicht in entsprechender Weise gewiirdigt wurden, teils weil dieselben iiberhaupt
erst spateren Datums waren. Die jiingere Generation hatte zwar von diesen
Errungenschaften schon viel mehr gehOrt, sie muBte aber noch immer vieles
nachholen und wird dies auch noch weiterhin tun miissen, da die Dinge in vielen
Fragen noch immer im Gange sind. Aber dank der Pioniere der Tuberkulose
forschung des Kindesalters, ist schon ein Gebaude entstanden, welches
zwar noch nicht ganz fertiggestellt ist, aber schon feste Mauern zu haben
scheint.
. Wenn wir iiber die Entwicklung der Tuberkulose im Kindesalter einen kurzen
historischen 'Oberblick geben wollen, konnen wir uns nicht auf die historische
Entwicklung des ganzen Tuberkuloseproblems einlassen. Wir miissen uns auf
die Kindertuberkulose beschranken und konnen Entdeckungen allgemeiner
Bedeutung nur insofern erwahnen, als dieselben auf die :Frage der Kindertuber
kulose von Bedeutung waren.
Der erste bedeutende Schritt in der Entwicklung der Kindertuberkulose
ist mit dem Namen des beriihmten franzosischen Kinderarztes P ABROT verkniipft.
Nach PARROT entsteht an der Stelle des Korpers, wo die Tuberkelbacillen ein
gedrungen sind, ein Herd, an welchem sich Veranderungen der benachbarten
Lymphknoten anschlieBen. Die Untersuchungen PARROTS waren im Jahre 1876
veroffentlicht worden, also zu einer Zeit, wo die Tuberkelbacillen noch nicht
entdeckt waren. Die Untersuchungen von PARROT griindeten sich aber auf
sorgfaltige pathologisch-anatomische Untersuchungen und sind auch heute
unangetastet. Die Feststellungen von P ABROT werden seit dieser Zeit als "Parrot-
8ches Gesetz" erwahnt.
Die Tuberkuloseforschung erhielt natiirlich durch die Entdeckung des Krank
heitserregers eine entscheidende Wendung. Diese verdanken wir ROBERT KOOH,
der am 24. Marz 1882 im Bibliothekszimmer des Berliner Hygienischen Univer
sitats-Institutes seinen weltberiihmten Vortrag ,,'Ober die Tuberkulose" hielt,
in welchem er iiber seine epochalen Entdeckungen berichtete.
Ebenfalls ROBERT KOCH verdanken wir die Entdeckung, des in der Diagnostik
tier Kindertuberkulose so unentbehrlichen Tuberkulins im Jahre 1891. Es ist
bekannt, daB ROBERT KOOH mit dem Tuberkulin eigentlich ein Hellmittel gegen
die Tuberkulose in die Hande der Arzte geben wollte. Anfangs wurde das Tuber
kulin tatsachlich nur therapeutisch verwendet, erst spater wurde seine dia
gnostische Bedeutung, zuerst noch von ROBERT KOCH selbst, spater von anderen
Gorgenyi-Gottche, Tuberkulose im Kindesalter. 1
2 HistorisQher Uberblick.
Forschern entdeckt. Reute gehort der GIauben an die therapeutische Wirkung
des Tuberkulins der Vergangenheit an, sein diagnostischer Wert aber ist auf der
ganzen Welt hochgeschatzt.
Am 23. Januar 1896 berichtete WILHELM KONRAD RONTGEN iiber seine
Untersuchungen mit "X-Strahlen" in Wiirzburg. Es ist bekannt, wie die Zuhorer
schaft durch diesen Bericht begeistert wurde und als RONTGEN die Rand des
78 Jahre alten Vorsitzenden KOLLIKER mit den "X-Strahlen" photographierte,
verstand der alte KOLLIKER sofort die groBe Bedeutung dieser Entdeckung und
die von RONTGEN so benannten "X-Strahlen" wurden auf KOLLIKERS Antrag
sofort "Rontgenstrahlen" benannt. AuBer diesen grundlegenden Entdeckungen
allgemeiner Natur gibt es noch viele kleinere Fortschritte, welche ebenfalls
erwahnenswert erscheinen.
Das erste Rontgenlaboratorium fur Kinder wurde im Jahre 1897 in Graz von
ESCHERICH eingerichtet. ESCHERICH berichtete iiber seine Erfahrungen mit
Rontgenstrahlen in der Diagnostik der verschiedenen Kinderkrankheiten schon
im Jahre 1898.
In d.emselben Jahre sonderte der groBe Bakteriologe der USA THEOBALD
SMITII den bovinen Typ der Tuberkelbacillen, von den anderen Typen abo
Die anatomische Lage der endothorakalen Lymphknoten wurde zuerst von
SUKIENNIKOW, einem Schiiler von VIRCHOW, im Jahre 1903 beschrieben. Die
spateren Untersuchungen haben zwar an den Angaben von SUKIENNIKOW hie
und da etwas verbessert, das Wesen blieb aber dasselbe, wie es SUKIENNIKOW
damals beschrieb.
Das Jabr 1903 war auch aus anderen Griinden wichtig: in diesem Jahre
hielt BEHRING in Kassel seinen beriihmten Vortrag, welcher spater als "Kasseler
These" bekannt wurde. In diesem Vortrage behauptete BEHRING, daB die Tuber
kulose der Erwachsenen lediglich das Endstadium der schon in der Kindheit
erworbenen Tuberkulose sei. BEHRING, ein Schiiler von ROBERT KOCH, auBerte
in seinem Vortrage eine ganz andere Auffassung, als sein Meister. ROBERT KOCH
war namlich iiberzeugt, daB die Tuberkuloseinfektion durch Einatmung von
infiziertem Staub erfolge, er wollte den bovinen Typ der Tuberkelbacillen iiber
haupt nicht anerkennen. BEHRING behauptete dagegen in seiner "Kasseler
These", daB die Tuberkulose eigentlich im Kindesalter beginnt und die Kinder
auf intestinalem Wege durch die Milch tuberkulOser Kiihe infiziert werden.
Diese Behauptung erwies sich spater wohl als irrig, die "Kasseler These" war
aber fiir uns Kinderiirzte deshalb sehr wichtig, weil BEHRING dadurch die Auf
merksamkeit auf die Kindertuberkulose lenkte und den Zusammenhang der
Kindertuberkulose mit der Tuberkulose der Erwachsenen betonte.
Mit der Rontgendiagnost·ik der endothorakalen Lymphknoten beschiiftigte sich
zuerst ALBAN KOHLER, der bekannte Rontgenologe, der in seiner Arbeit aus dem
Jahre 1906 den Weg fiir jene Arbeiten freilegte, welche sich mit dieser schweren
Frage befassen.
Auf die Entwicklung der Diagnostik der Tuberkulose des Kindesalters war
die Entdeckung der Tuberkulinprobe von CLEMENS VON PIRQUET im Jahre 1907
von ausschlaggebender Bedeutung. Das 16 Jahre vorher von ROBERT KOCH
entdeckte Tuberkulin erhielt durch die Entdeckung des jungen Assistenten del'
Wiener Kinderklinik seinen groBen diagnostischen Wert. Was die Entdeckung
von PIRQUET fiir uns Kinderarzte bedeutet. das verstehen wir vielleicht heute
noch besser als die damaligen Arzte, obwohl die Entdeckung PIRQUETS sich blitz
schnell iiber die ganze Welt verbreitete. Die Tuberkulinprobe ist heute in del'
Diagnostik der Tuberkulose unser groBtes diagnostisches Hillsmittel, dessen
Bedeutung mit der Verminderung der Zahl tuberkulinpositiver Kinder noch
Historischer Uberblick. 3
immer zunimmt, sie wird bald auch ftir die Diagnostik der Tuberkulose Erwach
sener unentbehrlich sein.
Zu dieser groBen Leistung PmQUETS war damals in Wien die beste Umgebung
gegeben. PIRQUET selbst war ein SchUler des damals hochgeschiitzten Leiters
der Wiener Kinderklinik, ESCHERICH, der einer der besten Kinderarzte der
damaligen Zeiten war. Zu den ESOHERICH-Schillern gehorten unter anderen
M. VON PFAUNDLER, E. MORO, C. VON PIRQUET, FR. HAMBURGER, B. SOHIOK.
welche damals aIle an der Erforschung der Fragen der Kindertuberkulose regen
Anteil nahmen. Damals sezierten in Wien ALBRECHT und GHON, wiihrend
HOLZKNECHT die Rontgenabteilung leitete.
1m Jahre 1908 erschien die Arbeit von FLUGGE tiber "Tropfcheninfektion".
Die Lehre von der Tropfcheninfektion wurde von FLUGGE und seiner Schule
durch sorgfaltige Experimente ausgearbeitet. Dieselbe war deshalb von grund
legender Bedeutung, da dadurch erwiesen wurde, daB die gefahrlichste Infektions
quelle der hustende Phthisiker ist, der mit seinem Husten die Tuberkelbacillen
um sich herum verstreut, welche dann in die Lungen der Umgebung des Phthisikers
gelangen. Die Lehre von der Tropfcheninfektion steht auch heute noch voll
kommen fest, da ihre Richtigkeit durch praktische Erfahrungen immer wieder
bestatigt wird.
Tm Jahre 1912 erschien die Arbeit von A. GHON tiber "den primiiren Lungenherd
bei der Tuberkulose der Kinder". GHON, der zuerst in Wien, spiiter in Prag
sezierte, widmete fast sein ganzes Leben diesem Thema. Seine Feststellungen
gelten auch heute noch als die verlaBlichsten und seine Angaben werden in allen
Btichern der Welt auch heute noch als Quellen benutzt.
Wiihrend des ersten Weltkrieges erschienen die Arbeiten von KARL ERNST
RANKE tiber die Stadieneinteilung der Tuberkulose. Diese Arbeiten wurden im
Jahre 1917 unter dem foigenden Titel zusammengefaBt: "Primiire, sekundiire
und tert'fare Lungentuberkulose des Menschen". Die Arbeiten von RANKE waren
damals fur die Entwicklung des Tuberkuloseproblems tatsachlich bahnbrechend.
da RANKE in den Wirrwarr, welcher auf dies em Gebieteherrschte, eine gewisse
Ordnung brachte und es versuchte, deren Grundlinien niederzulegen. Wenn
auch seine damaligen Feststellungen heute in einigen Punkten als tiberholt
erscheinen, ist es unzweifelhaft, daB die Stadieneinteilung RANKES auf die
Tuberkuloseforschung der ganzen Welt fruchtbringend wirkte. RANKE hat
auBerdem den BegI'iff des "Primarkomplexes" geschaffen, er hat die Bedeutung
des "Hiluskatarrhes" betont, er hat die "Perifokalen Entztindungen" beschrieben,
welche um die tuberkulosen Herde entstehen.
1m Jahre 1918 berichtete FAHRAEUS tiber seine Untersuchungen ilber die
Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkorperchen. Heute ist es allgemein bekannt.
welche diagnostische Hilfe diese Methode uns bei den verschiedensten Krank
heiten, so auch bei der Beurteilung der Aktivitat der tuberku15sen Prozesse
bedeutet, so daB die Bestimmung der Senkungsgeschwindigkeit der roten Blut
korperchen auch ftir uns Kinderarzte bei vielen Krankheitsformen, so auch bei
den verschiedenen Krankheitsformen der kindlichen Tuberkulose unerlaBlich ist.
1m Jahre 1919 erwiihnte KLEINSOHl\ITDT, daB er ofters ausgedehnte Lungen
schatten in den Lungen der Kinder beobachten konnte, welche spater spurios
verschwanden. 1m Jahre 1920 erschien aus derselben Klinik, wo KLEINSOHMIDT
arbeitete, aus der beriihmten Kinderklinik CZERNYS in Berlin, eine Arbeit von
ELIASBERG und NEULAND tiber "Epituberkulotische lnfiltrationen", worunter
die oben erwiihnten, ausgedehnten, aber regressionsfiihigen Rontgenschatten
zu verstehen sind.
Die Beobachtungen hatten tiberall groBen Widerhall gefunden, was sehr ver-
1·