Table Of ContentTransformation gesellschaftlicher Erfahrungsmuster
in den Texten der europäischen Avantgarde
am Beispiel des italienischen Futurismus
Beitrag zu einer Semiotik der poetischen Interessebildung
INAUGURALDISSERTATION
zur Erlangung des akademischen Grades
eines Doktors der Philosophie
an der
Universität Konstanz
vorgelegt von
Helga Finter
aus Pforzheim
1976
ISBN 978-3-476-99628-2 ISBN 978-3-476-99627-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-99627-5
1. Referent: Prof. Dr. Jurij Striedter
2. Referent: Prof. Dr. Wolf-Dieter Stempel
3. Referent: Dr. Charles Grivel
Tag der Promotion: 4. November 1976
Erschienen als Band 18 der Reihe >Studien zur Allgemeinen und Vergleichenden
Literaturwissenschaft< im Verlag J. B. Metzler Stuttgart, 1980.
Inhalt
Vorbemerkung ................................................. IX
Kapitel I: Die semiotische Analyse von Texten der Avantgarde .......... 1
1. Das semiotische Konzept des Textes ............................ 1
11. Der primäre gesellschaftliche Erfahrungsdiskurs .................. 5
III. Das Konzept derIntertextualität ............................... 5
IV. Die Rezeption des italienischen Futurismus ...................... 6
V. Die Analyse der Wirkung des futuristischen Textes ................ 8
1. Die explizite Formulierung des Interesses am Text-2. Die Produktion des In
teresses am Text/des Textes - 2.1. Die materielle Ebene des Textes - 2.2. Die
semantische Ebene des Textes - 2.3. Die rhetorische und syntaktische Ebene
des Textes: Die Struktur des Aussagens - 2.3 .1. Die Untersuchung der semanti-
schen Artikulation des futuristischen Mikrouniversums - 2.3.2. Die Untersu-
chung des Prozesses der Verwahrscheinlichung des Sinns
Kapitel II: Die Kontextanalyse des expliziten futuristischen Diskurses 17
I. Expliziter Diskurs und Avantgardeprojekt ....................... 17
11. Theoretische Bemerkungen zur Analyse des expliziten Poesie-
modells des Kontexts ........................................ 21
1. Expliziter Diskurs und Textpraktik - 2. Untersuchungsweisen des expliziten
Diskurses - 2.1. Das Frageraster der semantischen Analyse - 2.2. Konstitution
des Korpus
Kapitel III: Die expliziten Poesiemodelle des Kontexts 26
I. Die Diskurse der Bildungs- und Literaturinstitution über
Poesie im Italien des Jahres 1908 ............................... 26
1. Explizite Angriffspunkte der Futuristen - 2. Die Kontextsituation des expli-
ziten futuristischen Poesiemusters
11. Das dominierende Poesiemodell ............................... 28
1. Der primäre poetische Prozeß - 1.1. Die Grundmaterie - 1.2. Die Bearbei-
tung der Grundmaterie - 1.3. Das Produkt und seine Funktion - 2. Der poeti-
VI Inahlt
sche Text-2.1. Die Produktion des poetischen Textes-2.2 Die Form des poe
tischen Textes - 3. Die Formulierung des Interesses an Poesie
III. Die kontextuelle Antwort auf das dominierende Poesiemodell 39
Kapitel IV: Das explizite futuristische Erfahrungsmuster der Poesie 47
I. Die futuristische Analyse der Krise des institutionellen
Diskurses .................................................. 47
11. Das System des futuristischen Diskurses über die parole in liberta .... 50
1. Die Poesiekonzeption des ersten Manifests 1909 - 2. Das Objekt des poeti-
schen Prozesses - 3. Die Funktion der formalen Bestimmung des Textes - 4. Die
Produktion des Textes - 5. Die futuristische Konzeption der Pragmatik - 5.1.
Rezeption als Kommunion - 5.2. Der poetische Prozeß als Erkenntnisprozeß
III. Die Spezifik der Erneuerung des kontextuellen Poesiemusters ....... 65
1. Die Erfahrungsbasis des futuristischen Diskurses - 2. Die Verstärkung der
Erfahrung der Notwendigkeit des Sublimen - 2.1. Die Erfahrung der expliziten
Ebene von Uccidiamo il chiaro di luna - 2.2 Die Erfahrung der impliziten Ebene
- 2.3. Die Erfahrung der Tiefenebene
IV. Die politische Funktion der Verstärkung des gesellschaftlichen Erfah
rungsmusters: Bemerkungen zum Verhältnis zu nationalistischem und
faschistischem Diskurs ....................................... 79
V. Ästhetisierung der Politik und Politisierung der Ästhetik ........... 81
VI. Provokation und Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Kapitel V: Die Fixierung des Interesses an den »parole in liberta«: Das
futuristische Mikrouniversum ..................................... 89
I. Bemerkungen zur Textlektüre ................................. 89
11. Verfahren der Weckungdes Interesses an denparolein liberta ....... 91
1. Die materielle Ebene des Textes: Augenfallen/Markenzeichen - 1.1 Der vi-
suelle Aspekt - 1.2. Die Marke Futurismus - 1.3. Der Buchkörper - 2. Der
Kommentar als Prolog - 3. Die Ebene der expliziten Textintention - 3.1. Se-
miotik des Titels - 3.1.1. Der poetische Titel-3.1.2 Der fragmentarische Titel
- 3.1.3 Der Titel mit Reklamecharakter-3.2. Der Kommentar im Text-3.2.1.
Die Garantie der ästhetischen Funktion der Sprache - 3.2.2. Versicherung der
Authentizität
III. Die Fixierung des Interesses am differentiellen Sinn 100
1. Die semantischen Verfahren - 1.1. Die komplexe Isotopie - 1.2. Komplexe
Isotopie und Metapher - 2. Die literarische Negativrnatrize - 2.1. Die kontex
tuelle Isotopie >unbelebte Natur, - 2.2 Die Funktion der kontextuellen komple
xen Isotopie - 2.3. Die futuristische Transformation des pascolianischen Su
blimen - 2.4. Die Sinnproduktion der Negativmatrize: Erotisierung der Spra
che - 2.5. Die Transformation des dannunzianischen Sublimen - 3. Die Pro
duktion positiven Sinns: Die komplexe Isotopie >Technik, - 3.1. Spiritualisie-
Inhalt VII
rung und Naturalisierung der Isotopie ,Technik< - 3.2. Die integrierenden Ka
tegorien der aufwertenden Isotopien - 4. Die Struktur des futuristischen Au
thentischen
IV. Die Tiefenstruktur des futuristischen Mikrouniversums: Das Erfah-
rungsmuster einer Verbindung von Schönheit-Erotik - Macht. . . . . . 12 7
Kapitel VI: Die Produktion des poetischen Interesses 134
I. Die Setzung des Ursprungs des poetischen Worts 134
1. Das Interesse am Text als Interesse an einem subjektiven Signifikanten - 2.
Identitätswunsch des Einzelnen und seine Realisierungsmäglichkeit in gesell
schaftlicher Sprache - 3. Die Rhetorik des aussagenden Subjekts im Text - 4.
Die Analyse des Subjekts der parole in liberta - 4.1. Die Präsenz eines aussa
genden Subjekts zu seinem Aussageakt und zu seinem Aussageobjekt - 4.1.1.
Die Setzung eines Subjekts zu seinem Aussageakt - 4.1.2. Die Setzung des Sub
jekts zu seinem Aussageakt und zum Objekt der Aussage - 4.2. Die Konstitu
tion des Anderen als Spiegel-5. Die Spezifik der futuristischen Manifestation
der Formen des aussagenden Subjekts
1I.Die Syntax der semantischen Artikulation des futuristischen
Mikrouniversums ........................................... 144
1. Spuren einer Recitstruktur - 2. Die Dramatisierung der Eigentlichkeit - 2.1.
Das Beispiel Si si cosi ... - 2.2. Die Etappen der Dramatisierung des Wertsy
stems - 2.2.1. Die Basissituation der Konkurrenz zweier Programme - 2.2.2.
Die Ausschaltung des ,Gegners< durch die Manifestation einer eigenen Legalität
- 2.2.3. Der Triumph der neuen Legalität - 3. Die Spezifik der semantischen
Logik des futuristischen Textes - 3.1. Text und Recit-3.2. Das gesellschaftli
che Interesse des futuristischen Textes - 3.3. Die Spezifik der futuristischen Lo
gik
III. Die Rhetorik der Präsenz 159
1. Zur Theorie des rhetorischen Modells des poetischen Textes - 1.1. Poesie
modell und Logozentrismus - 1.2. Die Funktion der doppelten Kodierung in
lebendiger Rede-1.3. Die Formen der doppelten Kodierung im Text-l.4. Die
Funktion der Ausdruckskodierung im Text - 2. Das rhetorische Modell des fu
turistischen Textes: Partitur oder Schrift? - 2.1. Das Dilemma der Kritik - 2.2.
Der explizite futuristische Diskurs über die Typographie - 2.2.1. Die Schrift als
Ausdrucksgarantie - 2.2.2. Die Schrift als garantierte Stimme - 3. Die Verbes
serung der Rhetorik der Stimme in der Schrift-3.1. Die Textmelodie-3.2. Die
Intonation - 3.3. Der Rh ythmus - 4. Die Rhetorik des Blicks - 4.1. Die Visuali
sierung des Signifikats - 4.1.1. Das Realitätssignal-4.1.2. Die figurative Vi
sualisierung des Signifikats - 4.1.2.1. Die Deformation des Schriftbilds -
4.1.2.2. Spatialisierung der Schrift - 4.1.2.3. Die Vergegenwärtigung der Posi
tion - 4.2. Die visuelle Naturalisierung der Struktur der Sinnkonstitution -
4.2.1. Die Naturalisierung des Äquivalenzprinzips-4.2.2. Die visuelle Natura
lisierung der Dramatisierung - 4.2.3. Das Subjekt in den Lettern - 5. Die Rhe
torik des Blicks als Verdoppelung der Rhetorik der Stimme: Die Rhetorik der
Präsenz - 5.1. Die Doppelgarantie der Kommunikation - 5.2. Die Spezifik der
Leserlenkung - 5.2.1. Der Einschnitt - 5.2.2. Futuristischer Text und Werbung
- 5.3. Der futuristische Text und das lineare Modell
VIII Inhalt
IV. Die Syntax der Assertion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
1. Antigrammatismus und Agrammatismus - 2. Die Syntax der Assertion: Die
Angelwörter und der Nominalsatz - 3. Morphosyntaktische Mikrostrukturen
und Werbesprache
Schlußbemerkung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
I. Die futuristische Avantgarde .................................. 203
11. Avantgarden ...........•................................... 205
1. Avantgarden und Krise - 2. Suchen oder Schreiben einer verlorenen Einheit:
Antworten auf die Krise des Subjekts - 2.1. Die Suche nach ,Himmel, oder
,Hölle,: Fetischisierungen -2.2. Jenseits der Suche nach ,Himmel, oder ,Hölle,:
Identität als Prozeß - 3. Die Gruppe in der Revolte: unmögliche Revolution und
Provokation - 3.1. Historischer Kontext und Zielrichtung des Avantgardepro
jekts - 3.1.1. Kampf um die Hegemonie - 3.1.2. Auf dem Wege zur Hegemonie
im Kampf um die Transformation - 3.2. Die Gruppe und ihr Diskurs - 3.2.1.
Für/gegen eine neue Kirche - 3.2.2. Für/gegen einen neuen Glauben - 4. Die
mögliche Revolte
Anmerkungen .................................................. 217
Korpus der parole in libertii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Register ....................................................... 256
Vorbemerkung
Auf den italienischen Futurismus stieß ich zum ersten Mal während meines Stu
diums an der Universität Konstanz im Zusammenhang mit einem Seminar über
Faschismus, das Martin Broszat leitete. Der erste Kontakt mit dieser ersten Avant
gardebewegung des 20. Jahrhunderts ergab sich also über die Geschichte, die Poli
tik. Die Futuristen hatten maßgeblich bei der Entstehung der faschistischen Bewe
gung mitgewirkt, sie hatten Mussolini die ersten fasci di combattimento gestellt.
Wie war dies möglich?
Futuristische Malerei und Plastik, futuristische Musik, futuristisches Theater
und futuristischer Film sind anerkannter Teil unserer Moderne, ihr Einfluß ist in
den Produktionen zeitgenössischer Kunst lebendig, was nicht nur durch die gro
ßen Retrospektiven, wie in Paris 1973, sondern auch im amerikanischen Theater,
im Undergroundfilm oder in der Photographie sinnlich erfahrbar ist. Sind also au
ditive und visuelle künstlerische Mittel weniger politisch anfällig als das Wort?
Und doch gibt es Autoren - wie z.B. Alfred Döblin, der sicher kein Faschist ist
deren Romane von manchen Handbüchern mit dem Etikett "futuristisch« belegt
werden; ebenso ist bekannt, daß Herwarth Waldens Der Sturm schon sehr früh
futuristische Texte veröffentlichte. Schließlich gibt es eine umfangreiche Literatur
über die Einflüsse des italienischen Futurismus auf andere Avantgarden der gan
zen Welt. Wie steht es also mit den Texten der Bewegung? Die Frage dieser Arbeit
nach dem Verhältnis von Avantgardetext und Gesellschaft hatte hier ihren Aus
gangspunkt.
Die Manifeste waren zum Teil übersetzt, - eine provokative Mischung aus revo
lutionärer und reaktionärer Attitude. Manches glaubte ich in modernen Äuße
rungen über Avantgarde wiederzuerkennen, manches schien hoffnungslos zeitge
bunden. Schließlich sah ich die ersten parole in liberta von F. T. Marinetti und an
deren Futuristen: vom visuellen Aspekt her ein Eindruck von Modernität und der
ästhetische Reiz konkreter Poesie. Als ich dann genügend italienisch konnte, um
die Texte auch zu lesen, stellte sich wieder dieses Befremden ein über eine seltsame
Mischung aus modernen Verfahren und rückschrittlichen Gedanken. Sind also die
Verfahren doch nicht so neu oder geben die neuen Verfahren alten Gedanken ei
nen neuen Glanz? Ist das, was wir Avantgarde nennen, doch kein Bruch mit dem
Alten? Ist Moderne immer nur durch das Verhältnis zu dem, was sie selbst ver-
x Vorbemerkung
wirft? Ist der Fortschritt, der seine Wurzeln leugnet, vielleicht ein Rückschritt,
weil er der Rückkehr des Verdrängten ohnmächtig ausgeliefert ist?
Gleichzeitig angezogen und abgestoßen, wollte ich nun wissen, was es bei diesen
Texten mit der Beziehung zum Faschismus auf sich hat. War sie wirklich eine reine
Äußerlichkeit, wie so viele Kritiker versichern? Gab es doch auch andere angese
hene Vertreter der Moderne, die nicht gerade glücklich in ihren politischen Optio
nen gewesen waren und deren Werke dennoch nicht insgesamt mit dem Etikett ih
rer politischen Gesinnung gebannt wurden: Ezra Pound und ecline z.B. und der
Faschismus, Paul Eluard und Louis Aragon und der Stalinismus. Unter den futuri
stischen Texten gibt es wohl diese Manifeste, die die Gewalt besingen, den »Krieg
als einzige Hygiene« und das »Blut, das aus den Adern spritzt«, aber sie sprechen
auch von »permanenter Revolte«, von der »Zerstörung der Syntax«, von der
»Dynamik des Rhythmus« und der »Auflösung des Ichs«.
Wie kann die politische Funktion des Avantgardetextes festgestellt werden, wie
ist er gesellschaftlich gebunden? Machen die Futuristen in ihren Texten wirklich
das, was nach ihren Manifesten Futuristen machen? Welchen gesellschaftlichen
Stellenwert hat dieses Machen? Lassen sich aus den Antworten auf diese Fragen
Schlüsse auf andere Avantgarden ziehen?
Ein Dissertationsstipendium der Universität Konstanz gab mir die Möglichkeit,
ohne materielle Schwierigkeiten dieser Frage nach der gesellschaftlichen Funktion
des Avantgardetextes am Beispiel des italienischen Futurismus nachzugehen*. Sie
kann, so hoffe ich, einige der obigen Fragen beantworten. Ich verstehe sie als Vor
arbeit zu einer Theorie der Avantgarde, indem sie ein Analyseinstrumentarium be
reitzustellen sucht, das ermöglichen soll, Gemeinsamkeiten und Unterschiede von
Avantgardetext und gesellschaftlichen (literarischen) Texten herauszuarbeiten.
* Die vorliegende Arbeit wurde 1976 als Dissertation an der Universität Konstanz ange
nommen. Meinem Lehrer Charles Grivel, der mich in die französische Semiotik einge
führt und diese Arbeit betreut hatte, möchte ich hier für seinen Rat und seine Kritik dan
ken. Ebenso gilt mein Dank Wolf Dieter Stempel und Jurij Striedter.
Kapitel I
Die semiotische Analyse von Texten der
Avantgarde
I. Das semiotische Konzept des Textes
Die vorliegende Arbeit stellt die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion von
Literatur an Texte der europäischen Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Damit soll das für konforme, triviale Literatur längst gültige Konzept des Textes
als eine historische Äußerung an einem Korpus von Texten überprüft werden, für
die die Literaturwissenschaft und die Diskurse der gesellschaftlichen Institutionen
einen Sonderstatus behaupten. Indem sie solche Texte »poetisch«, »offen«, »un
bestimmt«, »differentiell«, »negativ« oder »revolutionär« nennen, implizieren sie
ein Konzept des Textes, nach dem dieser den Kontext der gesellschaftlichen Pro
duktionsweise und der gesellschaftlichen Sprache überschreite:
Die Produktion eines solchen (avantgardistischen) Textes wird von gesell
schaftlicher Arbeit unterschieden. Er sei Signum des »Schaffens«, der »Kreativi
tät« in einer Gesellschaft, in der genau dieses durch die Trennung von Produzent
und Produkt allgemein verhindert wird. [1] Seine Sprache habe nicht mehr die ge
sellschaftliche Funktion der Kommunikation, sie sei »Schaffen reiner Bedeutun
gen«. [2] Sein Interesse sei die Emanzipation von gesellschaftlicher Wahrneh
mung. Indem er ein »Mittel zur Erkenntnis der Wirklichkeit« [3] sei und diese neu
bilde, erlaube er es, die gesellschaftlich determinierte Wahrnehmung zu verän
dern. [4] Er stelle das Problem der Lektüre neu, indem er auf neue Weise die Sinn
bildung durch das Vorherrschen der »poetischen Funktion« [5], durch die »Unbe
stimmtheits-« bzw. »Leerstellen« des Textes [6] oder durch die »Offenheit« des
Werks aktiviere. [7] Nach der formalistischen Theorie erfolgt so die Sinnbildung
durch die poetische Funktion als »Entautomatisierung« sprachlichen Verhaltens:
Die Form sei der Sinn des Textes, die poetische Struktur sei daher seine Wir
kung.[8] Im Gegensatz zu einer »praktischen« Sprache, die auf den Gegenstand
der Aussage ausgerichtet sei, teile der »negative« Text primär die Form mit.
Die Theorien der »Offenheit« und »Unbestimmtheit« hingegen sprechen von
einerneuen Erfahrung, die der Text vermittle. [9] Sie verlegen die Realität des Tex
tes in den Leser: Er antwortet auf den Appell des Textes mit seiner» Einbildungs
kraft« und »Freiheit« [10], die »neue Erfahrung« entspringt einem »kongenialen
Akt mit dem Autor« [11].
Beide Theorietypen bestimmen folglich »negative«, »differentielle«, »poeti-