Table Of ContentTHORN
STADTFÜHRER
Gestaltung und Reproduktion: Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG
Druck: Hakus, Olsztyn
Text: Christofer Herrmann
Bildnachweis:
Regionalmuseum Thorn: S. 4, 5, 12
Alexander Konieczny: S. 2/3, 13, 20, 22, 23, 30, 31, 32
Pko: 19, 30
Andrzej Skowroński: Titelbild, S. 7, 8, 14, 20
Alle anderen Abbildungen: Archiv Christofer Herrmann
© 2009
ARTES
Prof. Dr. Christofer Herrmann
Bartąg 82d, PL-10687 Olsztyn
Tel.: 0048 606 287598, e-mail: [email protected]
Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG
Stettiner Str. 25, D-36100 Petersberg
www.imhof-verlag.de
Printed in EU
ISBN (PL): 978-83-61049-36-4
ISBN (D): 978-3-86568-504-9
Thorn zählt zu den schönsten Städten und Gassen ein reges Treiben, das der
in Polen. Herrliche Denkmäler der Stadt im Sommer fast ein südliches Flair
Backsteingotik verbinden sich hier zu verleiht. Dieser kleine Führer will den
einem einzigartigen Stadtpanorama, das Besucher dazu einladen, die Thorner
jeden Besucher fasziniert, der von Sü- Geschichte und die wichtigsten Denk-
Ansicht der Neustadt
den her kommend eine der beiden mäler der Stadt kennenzulernen. im 18. Jh.
Weichselbrücken überquert. Die alte
Handelsmetropole an der Weichsel ver-
bindet durch ihre Geschichte Deutsche
und Polen, die auch gemeinsam stolz
sind auf den berühmtesten Sohn der
Stadt, Nikolaus Kopernikus. Wie zu
Zeiten des großen Astronomen kündet
noch heute das prächtige Rathaus in der
Mitte des altstädtischen Marktes von
der goldenen Epoche der Hansezeit, in
der die Thorner Kaufleute in ganz
Europa Handel trieben. Thorn ist je-
doch keine altmodische Stadt, vielmehr
herrscht auf den historischen Plätzen
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Die Burg Toron im GESCHICHTEDERSTADT
heiligen Land,
Namenspatron der
Seit dem 9. oder 10. Jahrhundert exis -
Stadt Thorn
tierte auf dem Gebiet von Thorn ein
slawischer Ort, bestehend aus einer
Burg, Vorburg (suburbium) und einer
offenen Siedlung. Diese erste Stadt
und Burg, deren damaligen Namen
wir nicht kennen, gelangte unter die
Herrschaft des Herzogs von Maso- östlich der Weichsel aus den Händen
wien. Am Beginn des 13. Jahrhunderts der Prußen, sondern legte sofort neue
wurde Thorn von den heidnischen Städte an, die mit Kolonisten aus
Prußen angegriffen und zerstört. Ein Deutschland besiedelt wurden.
Teil der Bewohner errichtete sich da- Gleichzeitig kehrten auch polnische
nach wieder neue Häuser im Gebiet Bauern und Ritter, die von den Pru-
um den heutigen Standort der Kirche ßen vertrieben worden waren, in ihre
St. Johann. Dörfer und Güter im Kulmer Land
Herzog Konrad von Masowien gelang zurück. Die beiden ersten vom Orden
es jedoch nicht, aus eigener Kraft angelegten Städte waren Thorn und
Thorn und das Kulmer Land aus den Kulm. Für die neuen Städte entwik-
Händen der Prußen zurückzugewin- kelte der Deutsche Orden, auf der
nen. Er bat deshalb 1225 den Deut- Grundlage des Magdeburger Rechts,
schen Orden, der bis dahin im Heili- ein eigenes Stadtrecht, das erstmals an
gen Land, Spanien und Ungarn tätig die Stadt Kulm verliehen wurde und
war, um militärische Hilfe im Kampf daher als Kulmer Recht bekannt wur-
gegen die Heiden. Nach Jahren der de. Thorn erhielt dieses Stadtrecht in
Verhandlungen setzte das Kreuzzugs- einer Urkunde am 28. Dezember
heer unter Führung der Deutschor- 1233 verliehen.
densritter schließlich 1230 bei Thorn Der Name der alten slawischen Sied-
über die Weichsel und begann mit lung ist nicht überliefert. Die Bezeich-
dem Heidenkrieg. nung Thorn war wahrscheinlich eine
Der Deutsche Orden begnügte sich durch den Deutschen Orden vorge-
Thorn, von Norden
gesehen (18. Jh.) nicht mit der Eroberung der Gebiete nommene Namensübertragung aus
dem Heiligen Land. Dort besaß der
Orden zwischen 1220 und 1239 die
Herrschaft um die Burg Toron (heute
im Südlibanon).
Der erste Siedlungsplatz der neuge-
gründeten Stadt Thorn befand sich ur-
sprünglich etwa 7 km westlich vom
heutigen Zentrum beim Dorf Alt-
Thorn. 1236 verlegte man die Stadt an
die Stelle der alten slawischen Ort-
schaft im Gebiet der heutigen Kirche
St. Johann. Der Deutsche Orden nutz-
te die Fundamente der slawischen Be-
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Stadtgrundriss im
Mittelalter
festigung zur Anlage einer neuen Thorn gehörte der Hanse an, ein
Burg. Östlich der Altstadt wurde 1264 Zusammenschluss von Handelsstäd-
die etwa gleich große Neustadt ge- ten, der den gesamten Ostseeraum,
gründet. das Niederrheingebiet bis Flandern,
Die Lage der Stadt eignete sich vorzüg- aber auch Städte wie Breslau und
lich als Handelsort. Hier kreuzten sich Krakau umfasste. Die Hanse ermög-
wichtige Straßenverbindungen (u. a. lichte es den Thorner Kaufleuten, ih-
die Bernsteinstraße) und die Weichsel re Waren in weite Teile Europas zu
bildete die bedeutendste Verkehrsader privilegierten Konditionen zu ver-
für Waren aus Polen und Preußen, die kaufen. Au ßerdem war der Handels-
über die Ostsee nach Westeuropa ver- bund während seiner Blütezeit auch
schifft wurden. Thorn, an der Grenze ein mächtiger politischer Faktor im
zwischen Polen und dem Ordensland Ostseeraum, der seinen Mitgliedern
gelegen, kam hier eine strategische Po- Schutz bieten und Vorteile erstreiten
Die Burgruine
sition zu. Zu den wichtigsten Export- konnte. (1842)
gütern, die über Thorn gehandelt wur-
den, gehörten Getreide, Holz und Pel-
ze. Als Einfuhrwaren sind insbesonde-
re Stoffe aus Flandern und England zu
nennen, die in Thorn weiterverarbei-
tet und dann verkauft wurden. Symbol
für diesen Handelsstandort Thorn ist
bis heute das imposante Rathaus auf
dem Markt der Altstadt, dessen Erdge-
schoss als Kaufhaus für die vielen
Thorner Handwerker diente. Auch die
zahlreichen noch erhaltenen Speicher-
häuser in der Stadt zeugen von der ehe-
mals großen Bedeutung des Thorner
Handels.
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Stadtansicht aus dem
17. Jh. von Hart-
knoch
Die autoritär geführte Landesherrschaft ne Spaltung in Thorn. Nach der Ein-
des Deutschen Ordens wurde im 15. führung der Reformation 1557 wurden
Jahrhundert von den Thorner Bürgern alle führenden Positionen der Stadt von
als belastend empfunden. Gemeinsam Protestanten besetzt, doch hielt weiter-
mit anderen preußischen Städten grün- hin ein bedeutender Teil der Bevölke-
dete Thorn 1440 den preußischen rung, unterstützt durch den polnischen
Bund, der 1454 dem Orden den Krieg König, am alten Glauben fest. Der
erklärte und den polnischen König als Konflikt entlud sich 1724 beim sog.
neuen Landesherrn anerkannte. Nach „Thorner Blutgericht“. Nach hand-
13 Jahren Krieg wurde dies 1466 im 2. greiflichen Auseinandersetzungen zwi-
Das ehemalige Rat-
Thorner Frieden festgeschrieben. Für schen Katholiken und Protestanten, bei
haus der Neustadt
mehr als 300 Jahre sollte Thorn nun im denen das Jesuitenkloster geplündert
diente seit 1668 als
evangelische Kirche Verband der polnischen Krone verblei- wurde, machte der polnischen König
(Ansicht von 1740) ben. In dieser Zeit wuchs der polnische den Protestanten den Prozess. Bürger-
Bevölkerungsanteil, unter den Bür- meister Johann Gottfried Rösner und
Hinrichtung von
gern und Kaufleuten blieben die Deut- andere Bürger evangelischen Glaubens
Protestanten auf dem
schen aber nach wie vor dominant. wurden zum Tod verurteil und auf dem
Thorner Marktplatz
(1724) Auch in der Konfessionsfrage gab es ei- Thorner Marktplatz hingerichtet.
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Im 18. Jahrhundert erfolgte der Nie- emigrierte. Nach dem Überfall auf
dergang des polnischen Königreiches Polen besetzte die Wehrmacht 1939
und auch Thorn verlor wirtschaftlich die Stadt, die nun wiederum in das
stark an Bedeutung. Hinzu kam die Deutsche Reich eingegliedert wurde.
militärische Schwäche, die besonders Im Februar 1945 wurde Thorn durch
durch die schwedischen Besetzungen die Rote Armee von der deutschen
der Stadt augenfällig wurden. Schwe- Herrschaft befreit, glücklicherweise
ren Schaden richtete die Belagerung ohne dass es zu großen Zerstörungen
1703 an, bei der es zu einem massi- kam. Nach dem Krieg nahm die Stadt
ven Bombardement der Stadt kam. einen raschen Aufschwung, wozu ins-
Infolge der zweiten polnischen Tei- besondere die 1945 erfolgte Grün-
lung fiel Thorn 1793 schließlich an dung der Nikolaus-Kopernikus-Uni-
das Königreich Preußen. Von 1807 versität beitrug. 1997 wurde die
Thorn und die
bis 1815 gehörte Thorn dem von Na- Thorner Altstadt zum Unesco-Welt- Weichsel im 19. Jh.
poleon geschaffenen Herzogtum kulturerbe erklärt. (Gemälde E. Gärtner)
Warschau an. Im 19. Jahrhundert
wurde die Stadt zu einer starken
preußischen Militärgarnison und
Fes tung ausgebaut. Mit dem Bau der
Eisenbahn und der Industrialisierung
setzte dann ein wirtschaftlicher Auf-
schwung ein und Thorn wuchs über
die alten Grenzen der mittelalterli-
chen Stadt hinaus.
Nach dem ersten Weltkrieg wurde
Thorn infolge des Versailler Vertrags
wieder Polen angegliedert. Die Bevöl-
kerungsverhältnisse kehrten sich um,
viele Polen wanderten in die Stadt ein,
während ein Großteil der Deutschen
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Das Rathaus be- ALTSTADT rasterartiges Straßennetz mit einer
herrscht den Markt dichten Blockbebauung in den insel-
der Altstadt Altstädter Markt und artigen Häuservierteln. Das Stadtzen-
Rathaus trum bildet der große Markt, in dessen
Mitte das imposante Rat- und Kauf-
Das Rathaus im
Wie alle Kolonisationsstädte im Ost- haus steht. Die einzelnen Berufsgrup-
19. Jh. (Gemälde von
E. Gärtner, 1845) seeraum verfügt auch Thorn über ein pen wurden oft gemeinsam in einer
Straße angesiedelt (etwa Schuster, Bä -
cker, Metzger), während die Häuser
um den Markt meist den vornehmsten
Fernhändlern und Patriziern vorbehal-
ten waren.
Das berühmteste Wahrzeichen Thorns
ist das altstädtische Rathaus. Es be-
herrscht wie eine starke Burg das Zen-
trum der Stadt. Ein Rathaus war im
Mittelalter mehr als nur ein Verwal-
tungsgebäude für Bürgermeister und
Rat. Es handelte sich vielmehr um ei-
nen multifunktionalen Bau, in dem
Handwerker und Kaufleute ihre Wa-
ren feilboten, Gericht gehalten, vor-
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nehme Gäste empfangen und Feste ge- de nach und nach durch Buden, Kel- Rathauskeller
feiert wurden. Das Thorner Rathaus ler und eine Waage ergänzt. Es kamen
ist ein Paradebeispiel für diese Vielfalt schließlich ein Turm (Belfried) nach
an Nutzungsmöglichkeiten: Im Erd- flandrischer Art und ein hoher Schau-
geschoss befanden sich die Verkaufs- giebel nach dem Vorbild von Lübeck
stände der Handwerker und Krämer, hinzu. Das alte Rat- und Kaufhaus
die Stadtwaage und das Gericht. In setzte sich im 14. Jahrhundert aus zwei
den Kellern darunter konnten die Ge- Flügeln im Osten und Westen zusam-
Blendfenster und
schäftsleute ihre Waren lagern. Die men, zwischen denen ein Innenhof
Maßwerkmalereien
Räume des Stadtrats und des Bürger- lag, der durch Mauern im Süden und vom unteren Teil
meisters sowie die Empfangssäle be- Norden vom Markt getrennt war. In des Belfrieds aus dem
fanden sich im Obergeschoss. der Südostecke erhob sich der stolze späten 13. Jh.
Nach den urkundlichen Nachrichten Belfried, dessen Unterbau aus dem
Rekonstruktion des
errichtete die Stadt erstmals 1259 ein späten 13. Jahrhundert noch im heuti-
ersten Rathauses
Kaufhaus in der Altstadt. Dieses wur- gen Bau steckt. nach Gąsiorowski
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kein burgähnliches Bauwerk entstand,
das eine Konkurrenz zur Ordensburg
hätte darstellen können. Daher trafen
sich 1393 Stadtrat und Hochmeister,
um die neuen Pläne zu diskutieren. An-
schließend einigte man sich in einem
Vertrag detailliert auf die Art und Wei-
se des Neubaus. Höhe, Breite und
Mauerstärke des Rathauses wurden ex-
akt festgelegt und – wie man bei den
Maßen des heutigen Baus erkennen
kann – auch peinlich genau eingehalten.
Das ab 1393 errichtete Rathaus ist ein
Charakteristische
vierflügeliger, ursprünglich zweige-
Maßwerkmalereien
am Obergeschoss des schossiger Bau mit jeweils einem
Belfrieds Durchgangstor in der Mitte jeder der
Am Ende des 14. Jahrhunderts platzte vier Seiten. Die Außen- und Hofwän-
Erdgeschoss-Grund-
das alte Rathaus aus allen Nähten und de zeigen eine durchgehende Gliede-
riss des Rathauses
es stellten sich auch schwere Baumängel rung aus schlanken Spitzbogenblen-
ein. Daher wollte der Stadtrat ein neu- den. Auch der hohe Belfried wird
es und größeres Rathaus errichten. Ein durch Blenden gegliedert, die mit rei-
Bau von solcher Dimension bedurfte al- chen Maßwerkmalereien gefüllt sind.
lerdings einer Genehmigung durch den An den Ecken des Belfrieds springen
Landesherrn. Der Deutsche Orden ach- achteckige Türmchen vor, die dem
Der Innenhof des
Rathauses tete streng darauf, dass in seiner Stadt Bau eine elegante Note verleihen.