Table Of ContentHANDBUCH DER PHYSIK
UNTER REDAKTIONELLER MITWIRKUNG VON
R. GRAM MEL-STUTTGART . F. HENNING-BERLIN
H. KONEN-BONN· H. THIRRING-WIEN . F. TRENDELENBURG-BERLIN
W. WESTPHAL-BERLIN
HERAUSGEGEBEN VON
H. GEIGER KARL SCHEEL
UND
BAND XII
THEORIEN DER ELEKTRIZITAT
ELEKTROSTATIK
BERLIN
VERLAG VON JULIUS SPRINGE1\.
1927
THEORIEN DER ELEKTRIZITAT
ELEKTROSTATIK
BEARBEITET VON
A. GUNTHER SCHULZE . F. KOTTLER . H. THIRRING
F. ZERNER
REDIGIERT VON \\1. WESTPHAL
MIT 112 ABBILDUNGEN
BERLIN
VERLAG VON JULIUS SPRINGER
192 7
ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS OER OBERSETZUNG
IN FRE:lfDE SPRACHEN, VORBEH.-\LTEN.
COPYRIGHT 1927 BY JULIUS SPRINGER IN BERLIN.
Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1927
ISBN 978-3-642-98613-0 ISBN 978-3-642-99428-9 (eBook)
DOl 10.1007/ 978-3-642-99428-9
Inhaltsverzeichnis.
Kapitel 1.
Seite
DiE' MAXWELL-HERTzsche Theorie. Von Dr. FRIEDRICH ZERNER, Wien.
(Mit 2 Abbildungen) . . . . . . . . . . . . . .. . ....
I. Die drei Grunderscheinungen und ihre theoretische Erfassung auf Grund der
Konzeption der fernwirkenden Fluida 1
a) Elektrostatik . . . . . . . . . . 1
b) Magnetostatik der permanent en Magnete 6
c) Der stationare elektrische Strom. . . . 10
II. Die VVechselwirkungen zwischen elektrischen Striimen und Magneten und die
elektrische Natur der magnetischen Erscheinungen. Die Notwendigkeit der Ein-
filhrung des Feldbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
a) Die ponderomotorischen vVirkungen des elektrisehen Stromes . 1"9
b) Die Induktion elektrischer Strii1ne. . . . . . . . . . . 24
c) Die magnetisehen Eigenschaften der Materie . . . . . . . . 35
III. FARADAy-MAXWELLS Theorie des elektromagnetischen Feldes . . 41
a) Die Nahewirkungstheorie der bisher besprochenen Erscheinullgen 41
b) Der physikalische Zustand des leeren Raumes . . . . . . . . 47
c) FARADAy-MAXWELLS Theorie des elektromagnetischen Feldes in ponderablen
Medien ............ '. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 58
d) MAXWELLS allgemeine dynamische Theorie des elektromagnetischen Feldes. 69
IV. Die Fortpflanzung elektromagnetischer vYellen 83
a) Allgemeine Theoreme und Losungsmethoden . 83
b) Die Optik der elektromagnetischen vYellen . . 107
V. vYeitere Ausbildung der Theorie. Theorie von HERTZ 142
Kapitel 2.
Die Elektronentheorie. Von Dr. FRIEDRICH ZERNER, \Vien. (Mit 3 Abbildungen) 146
T. Die Grundlagen der Elektronentheorie . . . . . . 146
a) Die physikalischen Grundlagen .. . . . . 146
b) Die Feldgleichungen und die elektromagnetischen Potentia Ie 163
c) Der Ansatz fur die ponderomotorische Kraft. Zusammenhang mit den Prin-
zipien der ;Vlechanik . . . . . . . . . . . . . . . . 171
II. Die Dynamik des Elektrons . . . . . . . . . . . . . . 183
a) Die Felder in groJ3erer Entfernung von den Elektronen 183
b) Die Bewegungen der Elektronen in einem Kraftfeld 199
lIT. Die elektromagnetischen Eigenschaften der Materie 212
a) Mittelwerte der FeldgriiJ3en und ihr Zusammenhang mit den MAXWELLS chell
Feldgrof3en . . . . . . . . . . . . . . 222
b) Die clektromagnetischen Eigenschaft.en der Materie . . . . . . . . . . . 229
Kapitel 3.
Elektrodynamik bewegter Korper und spezielle Relativitatstheorie. Von Professor
Dr. HANS THlRRING,Wien. (Mit 13 /\bbildungen). . . . 245
r. Die empirischen Gnmdlagcn . . . . . . . . . . . . 245
a) Die Entwicklung der Frage nach der Jlitbewegung des Athers 245
b) Vas optische Beobachtungsmaterial . . . . . . . 24S
c) Elektrodynamische Versnche. bci dencn cine Relativbewegung gegen den Beob-
achter auftritt. . . . . . . . . . . . . . . 252
el) Die Atherdriftversuche . ........... 256
(') Die Deutungsm6glichkeit des Beobachtungsmateriab. 261
VI Inhaltsverzeichnis.
Seite
II. Die Kinematik der speziellen Relativitatstheorie. . . . . . . . . . .. 268
a) Die LORENTz-Transformation und die ans ihr gezogenen Forderungen. 268
b) Die vierdimensionale Darstcllung der Relativitatskincmatik 282
I U. Die relativistische Elektrodynamik des leeren Raumes . . . . . . 289
a) Die Tensordarstellung der Grundgleichungell. ...... 2S')
b) Diskussioll der Folgeruqgen aus der Kovarianz der FeldgraBen 296
c) Die Elemente der Relativitatsmechanik 300
d) Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . 317
IV. Die Elektrodynamik bewegter ponderabler Karper . 325
a) Die Ansatze der alteren Theorien . . . . . . . 325
b) Die phanomenologische Elektrodynamik MINKOWSKIS 329
c) Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . 337
V. Vorgange in ungleichfarmig bewegten Systemen 341
Kapitel 4.
Elektrostatik der Leiter. Von Professor Dr. FRIEDRICH KOTTLER, Wien.
(Mit 84 Abbildungen) . . . . . . . . . . . . . 349
a) Experimentelle Grundlagen . . . . . . . . . 349
b) Grundbegriffe des elektrostatischen Feldes . . 358
c) Das COULoMBsche Gesetz. . . . . . . . . . 364
d) Die aus dem COULoMBschen Gesetz folgenden Integral- und Differentialsatze 371
c) Die Kapazitat. Kondensatoren . . . . . . . . . . . . . . . 380
f) Systeme von Leitern. Verallgemeillerung des Kapazitatsbegriffs 387
g) Energie und ponderomotorische Krafte 392
h) Theorie der Elektrometer. . . . . . . . . . . 397
i) Das Feld von Punktladungen auf einer Geraden 406
j) Die elektrischen Bilder. . . . 424
k) Das Problem der zwei Kugeln 437
1) Das Ellipsoid . . . . . . . 458
m) Die Methode der Inversion . 465
n) Zweidimensionale Probleme . 466
0) Der Kreisplattenkondensator 485
Kapitel 5.
Dielektrika. Von Professor Dr. A. GUNTHERSCHULZE, Berlin. (Mit 10 Abbildungen) 493
1. Theorie der Dielektriken ..... . . . . . . . . . 493
a) Das'ladullgsfreie Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
b) Das ideale, verlustfreie, Ladungen enthaltende Feld. Die MAxwELLsche
Theorie der Dielektriken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
c) Die Theorie der Dielektriken mit quasielastisch gebundenen Elektronen und
Ionen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 496
d) Die Dipoltheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 498
e) Theorien der dielektrischen Nachwirkungen und dielektrischen Verlustc. 507
II. MeBergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 512
a) Allgemeine Bemerkungen uber die MeBmethoden 512
b) Die Dielektrizitatskonstante der Gase . . . . 513
c) Die Dielektrizitatskonstante von Flussigkcitcn 518
d) Die Dielektrizitatskonstante fester Karper 537
e) Dipolmomentc .............. 546
f) Permanente Polarisation . . . . . . . . . . 550
g) Ermittelung der Kraft der Elektronenbindung 551
h) Starungen und Anomalien in den Dielektriken 553
i) Mechanik der Dielektriken . . . . . 555
k) Die dielektrische Festigkeit der Gase, Flussigkeiten und festen Karper 559
Sachverzeichnis ........... . 561
Allgemeine physikalische Konstanten
(September 1926) 1).
a) Meehanisehe Konstanten.
Gravitationskonstante. . • . 6.6;; .1O-8dyn. em2• g-2
Normale Sehwerebesehleunigung . . . 980.665 em· see-2
Sehwerebesehleunigung bei 45° Breite 980.616 em. see-2
1 Meterkilogramm (mkg). . . . . . . 0.980665 . 108 erg
Normale Atmosph1ire (atm) . . . . . 1.013253 , 106 dyn . em -2
Teehnisehe AtmospM,re . • • . • . . 0.980665 • 106 d yn . em -2
Maximale Diehte des Wassers bei 1 atm 0.999973 g . em-3
Normales spezifisehes Gewieht des Queeksilbers 13.5955
b) Thermisehe Konstanten.
Absolute Temperatur des Eispunktes . . . 273.20°
Normales Litergewieht des Sauerstoffes . . 1,42900 g • 1-1
Normales Molvolumen idealer Gase. . . . 22.4145.103 emS
10.82045, 102 emS-atm· grad -[
Gaskonstante fiir ein Mol . . . . . . . 0.83132.106 erg· grad-1
. 0.83090' 101 int joule. grad -1
1.9858 cal. grad-1
14.1842 int joule
1.1623.10-6 int k-watt-st
Energieaquivalent der 15°-Kalorie (cal) ..... 4.1863.107 erg
4.2688 • 10 -1 mkg
c) Elektrisehe Konstanten.
1 internationales Ampere (int amp) . . . . . 1.0000 nbs amp
0
1 internationales Ohm (int ohm) . . . . . . 1.00050 abs ohm
Elektroehemisehes Aquivalent des Silbers .. 1,11800.10-8 g .jnt eoul-1
Faraday-Konstante fiir ein Mol und Valenz 1 0.96494' 105 int caul
Ionisier.-Energie/lonisier.-Spannung. • . . . 0.96494.105 int joule. int volt-1
d) Atom- und Elektronenkonstanten.
Atomgewicht des Sauerstoffs. . 16.000
Atomgewieht des Silbers. . • . . 107.88
LoscHMIDTsehe Zahl (fiir 1 Mol) . 6.061 . 1023
BOLTZMANNsehe Konstante k. . . 1.372.10-16 erg. grad-1
1/16 der Masse des Sauerstoffatoms 1.650 • 10 -24 g
1.592' 10-19 int caul
Elektrisehes Elementarquantum e • {4.774.10-10 dyn'/• . em
Spezifisehe Ladung des ruhenden EIektrons elm 1.766.108 inteoul. g-1
Masse des ruhenden EIektrons m. . . 9.02 • 10 -28 g
Gesehwindigkeit von 1-Volt-Elektronen . 5.945.107 em. see-1
Atomgewicht des Elektrons . . . . . . 5.46.10-4
e) Optisehe und Strahlungskonstanten.
Liehtgesehwindigkeit (im Vakuum) . . . 2.9985.1010 em . see-1
Wellenlange der roten Cd-Linie (1 atm. 15°C) .• 6438.4700' 10-8 em
RVDBERGsehe Konstante fiir unendI. Kernmasse. 109737.1 em-1
SOMMERFELDsehe Konstante der Feinstruktur . . 0.729.10-2
STEFAN-BoLTZMANNsehe Strahlungskonstante { 15.3757 . 1100--112 2i nt 1w att. -e2m -2.- g1 rad-4d -4
(J •• , 4' ea • em . sec . gra
Konstante des WIENsehen Versehiebungsgesetzes. 0,288 em . grad
WIEN-PLANcKsehe Strahlungskonstante C2' • • • 1.43 em· grad
f) Quantenkonstanten.
PLANcKsehes Wirkungsquantum 11 • • • • •• 6,55,10-21 erg. sec
Quantenkonstante fiir Frequenzen {J = hjk •. 4,775.10-11 sec· grad
Dureh 1-Volt-Elektronen angeregte Wellenlange 1.233.10-4 em
Radius der Normalbahn des H-Elektrons . .. 0.529.10-8 em
') Erlauterungen und Begriindungen s, Bd. II d. Handb. Kap. 10, S.487-518.
Kapitel 1.
Die MAXWELL-HERTzsche Theorie.
Von
FRIEDRICH ZERNER, Wien.
Mit 2 Abbildungen.
I. Die drei Grunderscheinungen
und ihre theoretische Erfassung auf Grund der
Konzeption der fernwirkenden Fluida.
a) Elektrostatik.
1. Die elektrische Ladung. Leiter und Isolatoren. Schon den Naturphilo
sophen des klassischen Altertums war es bekannt, daB geriebener Bernstein die
Eigenschaft besitzt, leichte K6rper anzuziehen. Aber erst in der zweiten Halfte
des 16. Jahrhunderts entdeckte GILBERTI), daB diese Eigenschaft auch noch einer
Anzahl anderer K6rper zukommt2). Er fuhrte dies auf eine Emanation der K6rper
zuruck, durch die der elektrisierte K6rper, ahnlich wie nach der damaligen An
sicht die Erde die K6rper durch die Atmosphare anzieht, Krafte auf die um
gebenden K6rper ausubt.
Diese Form der Theorie der Fluida, die eine Kombination mit der Nahe~
wirkungstheorie darstellt, konnte aber den weiteren Entdeckungen nicht stand
halten. Zunachst zeigte GRAy3) (1729), daB die Elektrisierung nur von der Ober
flache des geriebenen K6rpers abhangt, indem er einen vollen und einen aus
geh6hlten Eichenholzwurfel rieb und an beiden dieselben Erscheinungen vorfand.
Das Fluidum dringt also in das Innere des K6rpers nicht ein. Dann zeigte
FRANKLIN4) (1751), daB das Vorbeiblasen trockener Luft an einem elektrisierten
K6rper dessen Elektrisierung nicht andert.
Dieses Experiment weist bereits darauf hin, daB das Fluidum sich auch
nicht von der Oberflache des elektrisierten K6rpers nach auBen erstrecken
k6nne. Entscheidend spricht aber gegen diese Annahme eine andere Reihe von
Experimenten. 1729 entdeckte namlich GRAy5), daB ein K6rper, der durch ein
1) Gulielmi Gilberti de Magnete, ::\1agneticisque corporibus, et de magno magnete tellure.
London 1600.
2) 1m folgenden werden die geschichtlichen Zusammenhange nur insoweit erwahnt,
als sich dies mit der systematischen Darstellung vereinigen laSt. Fiir detaillierte geschicht
liche Darstellung sei z. B. auf E. T. WHITTAKER, History of the theories of Aether and
Electricity, Dublin 1910; F. DANNEMANN, Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung,
3 Bde., Leipzig 1911; F. AUERBACH, Entwicklungsgeschichte der modernen Physik, Berlin
1923, hingewiesen.
3) ST. GRAY, Phil. Trans. Bd. 37, S. 18,227,285, 397. 1731.
4) B. FRANKLIN, Xew Experiments and Observations on Electricity, Letter VII. 1751,
5) ST. GRAY, Phil. Trans. Bd. 37, S. 35. 1731.
Hanrlbnch der PhYsik. XII.
2 Kap. 1. F. ZERNER: Die MAXWELL-HERTzsche Theorie. Ziff. 2, 3.
Metall mit einem elektrisierten K6rper verbunden wird, selbst elektrisiert wird.
Das elektrische Fluidum ist also nicht untrennbar an den K6rper, an dem es
durch Reibung erzeugt wird, gebunden, sondern kann von einem K6rper zum
anderen gefiihrt werden. Allerdings kann es sich nur durch gewisse K6rper, die
Leiter, hindurchbewegen, andere, die Isolatoren, sperren ihm den Weg.
Diese Entdeckung gibt uns eine KHirung der verwickelten Krafterscheinungen.
Ein elektrisierter K6rper stOBt namlich leichte K6rper seiner Umgebung auch
manchmal abo Bringt man ein isoliertes Goldpapier in die Nahe eines elektri
sierten K6rpers, so wird es bis zur Beriihrung angezogen, nach der Beriihrung
abgestoBen. Dies erklarte DU FAyl) (1733) dadurch, daB bei der Beriihrung das
Goldblattchen elektrisiert wird und ein durch Beriihrung elektrisierter K6rper
von dem K6rper, durch den er elektrisiert worden ist, abgestoBen wird. Auch
zwei Goldblattchen, die durch Beriihrung mit demselben K6rper elektrisiert
worden sind, stoBen einander abo
2. Die zwei Arten elektrischer Ladung. Das Gesetz von der Erhaltung
der elektrischen Ladung. Die nachstliegende Erweiterung dieses Resultates war
natiirlich die, daB ein elektrisierter K6rper nichtelektrisierte anzieht, elektrisierte
abst6Bt. DU FAyl) fand aber, daB dies keineswegs der Fall ist, sondern daB es
zwei Arten von elektrisierten K6rpern gibt, derart, daB die K6rper der einen
Art sich untereinander abstoBen, elektrisierte K6rper. der zweiten Art aber an
ziehen. Di~ Art der Elektrisierung hangt dabei lediglich von der Art der Er
zeugung der Elektrisierung ab, d. h. welche K6rper gerieben wurden. Da die
eine Art beim Reiben von Glas, Kristall und anderen durchsichtigen K6rpern,
.die andere beim Reiben von Ebonit, Bernstein und anderen Harzen entstand,
nannte DU FAY die eine die Glas-, die andere die Harzelektrizitat. Wiederum
zeigt sich, daB das elektrische Fluidum nicht an den K6rper gebunden ist, da
Z. B. Glas durch Leitung Harzelektrizitat erhalten kann.
Unabhangig davon war FRANKLIN2) (1747) zu der Annahme von zwei Arten
der Elektrisierung gekommen. Er stellte einen Experimentator (a) mit dem
Reibzeug, und einen Experimentator (b) mit dem Glasstab auf je eine isolierende
Wachsplatte. Wird nun der Glasstab gerieben, so kann ein dritter Experimentator
sowo~ aus dem Reibzeug wie aus dem Glasstab Funken ziehen, beide sind also
elektrisch geladen, und zwar das Reibzeug mit Harzelektrizitat. Die beiden
Elektrisierungen miissen aber entgegengesetzter Art sein. Bilden namlich die
beiden Experimentatoren a und b wahrend oder nach dem Reiben einen Kontakt
zwischen Glasstab und Reibzeug, so kann der dritte nicht mehr aus ihnen Funken
ziehen, sie sind also nicht mehr elektrisiert.
Da die beiden Arten der Elektrisierung einander aufheben, folgt, daB sie
entgegengesetzter Natur, aber gleicher Intensitat sein miissen. Man kann sie
also durch dieselbe Zahl, das eine Mal mit positivem, das andere Mal mit negativem
Vorzeichen versehen, darstellen. Entsprechend bezeichnet sie FARADAY als posi
tive und negative Elektrisierung. Bei der Elektrisierung entstehen immer gleiche
Mengen positiver und negativer Elektrizitat. Die Gesamtmenge der Elektrizitat
bleibt also immer konstant.
3. Ein- und Zweifluidumstheorie. Dieses Prinzip der Erhaltung der
elektrischen Ladung macht die Auffassung der Elektrizitat als Fluidum nur
plausibler. Macht man diese Annahme, so ist es klar, daB Elektrizitat weder
entstehen noch verschwinden kann, daB die Elektrisierung vielmehr nur in einer
Verschiebung des elektrischen Fluidums bestehen kann.
1) CH. FR. DU FAY, Mem. de l'Acad. des Sciences S.23, 73, 233, 457. 1733; S.341,
503. 1734.
2) B. FRANKLIN, 1. c. Letter II.
Ziff.4. Das elektrostatische Kraftgesetz.
FRANKLIN stellte daher [unabhwgig von WATSON 1), der bereits 1746 denselben
SchluB aus Untersuchungen iiber die Leydener Flasche gezogen hatte] 1. c. die H ypo
these auf, daB alle Korper ein gewisses Normalquantum an elektrischem Fluidum
besitzen. Die positive Elektrisierung besteht danach darin, daB der Korper
einen "OberschuB an elektrischem Fluidum erhaIt, die negative darin, daB dem
Korper elektrisches Fluidum entzogen wird. Aus den Entladungserscheinungen
zog FRANKLIN 1. c. den SchluB, daB in einem durch Reibung elektrisierten Glas
stab das elektrische Fluidum im UberschuB vorhanden ist. (V gl. : Ein geriebener
Glasstab ist also positiv geladen, die Glaselektrizitat ist die positive.)
FRANKLIN 2) schloB aus den Erscheinungen der Leydener Flasche, daB die
elektrischen Fluida unvermittelte Fernwirkungen ausiiben. Er erklarte namlich
die Verstarkung der ihr erteilten Elektrisierung daraus, daB sich auf je einer der
durch das Glas getrennten Belegungen die eine der beiden Elektrizitaten an
sammelt. Das Glas muB also flir das elektrische Fluidum undurchlassig sein,
da die beiden Elektrizitaten sich ja sonst neutralisieren wiirden. Dennoch ent
steht die Ansammlung der Elektrizitat auf der auBeren Belegung offensichtlich
durch Einwirkung der Ladung der inneren. 1759 wies AEPINUS3) nach, daB man
das Glas in der Leydener Flasche durch Luft oder einen beliebigen Isolator ersetzen
kann und widerlegte damit endgiiltig die Nahewirkungstheorie durch Emanation
des Fluidums. Das Fluidum befindet sich daher nur auf der Oberflache der
elektrisierten Korper. Die elektrischen Krafte sind Fernkrafte.
Diese Auffassung liegt vom Standpunkt der Einfluidumshypothese urn so
naher, als sie uns dazu bringt, die Gravitation unter die elektrischen Krafte
zu subsumieren. Denn nicht nur die Teile des elektrischen Fluidums miissen
einander abstoBen, dasselbe muB fiir die Teilchen der Materie der Fall sein, da
ja zwei Korper, denen elektrisches Fluidum entzogen worden ist, einander ab
stoBen. Die Gravitation muB also darauf zuriickgehen, daB die AbstoBung
zwischen den Teilen des Fluidums und den Materieteilchen untereinander
schwacher ist als die Anziehung zwischen Fluidum und Materie.
Will man der Verkniipfung von elektrischen und Gravitationskraften ent
gehen, so gelangt man zu der 1759 von SYMMER4) aufgestellten und insbesondere
von COULOMB und den franzosischen Theoretikern vertretenen Zweifluida
theorie. In ihr entspricht sowohl der Glas-wie der Harzelektrizitat je ein Fluidum.
Die Teile jedes Fluidums stoBen sich untereinander ab und ziehen das andere
Fluidum an. Gemischt neutralisieren sie sich, wie Saure und Base gemischt ein
neutrales Salz ergeben. Jeder Korper enthaIt einen Grundstock von gleichen
Mengen der beiden Elektrizitaten; die Elektrisierung besteht entweder im Auf
fiillen mit der entsprechenden oder im Entziehen der entgegengesetzten Elektri
zitat. In dieser doppelten Deutbarkeit eines und desselben Vorganges liegt die
eine Schwache dieser Hypothese. Viel schwerer wiegt es aber, daB sie keines
wegs angeben kann, worin sich zwei Korper desselben Materiales unterscheiden,
in denen sich zwar die beiden Elektrizitaten neutralisieren, aber verschiedene
Mengen der elektrischen Fluida vorhanden sind.
4. Das elektrostatische Kraftgesetz. (Vg1. Kap. 4.) Aufgefordert durch
FRANKLIN, untersuchte PRIESTLEY 5) 1767 die Verteilung der Elektrizitat auf
der Innenwand metallener GefaBe und die Kraftwirkung im Inneren solcher
GefaBe. Er fand die Vermutung FRANKLINS bestatigt, daB in ihrem Inneren
1) W. WATSON, Phil. Trans. Ed. 44, S. 718. 1746.
2) 1. c. § 28ff.
3) F. V. T. AEPINUS, Tentamen theoriae Electricitatis et Magnetismi. Petersburg 1759.
;4) R. SYMMER, Phil. Trans. Ed. 51, S. 371. 1759.
5) J. PRIESTLEY, The History and Present state of Electricity, S. 732. London 1767.
1*
4 Kap. 1. F. ZERNER: Die MAXWELL-HERTzsche Theorie. Zifi. 5, 6.
keine Kraftwirkung vorhanden ist. Dariiber hinaus zeigt sich, daB die gesamte
elektrische Ladung auf der auBeren Oberflache des GefaBes sitzt. PRIESTLEY zog
daraus den SchluB, daB die elektrische Anziehung denselben Gesetzen gehorcht
wie die Gravitation, und daher umgekehrt proportional dem Quadrat der Ent-
fernung ist. .
Ebenso wie die erst 1879 auf Betreiben von W. THOMSON publizierten exakten
Experimente und Uberlegungen von CAVENDISH!) gerieten seine Untersuchungen
in Vergessenheit, so daB COULOMB 2) 1785 das Kraftgesetz, ohne die vorher
gehenden Untersuchungen zu kennen, wiederfand. Er bewies das Gesetz durch
Messung der Kraft zwischen zwei gleich geladenen K6rpern mittels der von ihm
konstruierten Drehwage. 1m nachsten Jahre bestimmte er die zwischen zwei
entgegengesetzt geladenen kleinen Kugeln wirkende Kraft und fand auch fiir diese
dasselbe Gesetz. Diese Methode kann aber nicht auf denselben Grad der Ge
nauigkeit gebracht werden wie die von PRIESTLEY und CAVENDISH verwendete,
da die Ladung der einen Kugel die Verteilung der Ladung auf der anderen be
einfluBt, also nicht zwei gleichmaBig geladene Kugeln einander gegeniiberstehen.
Dadurch werden die Verhaltnisse natiirlich bedeutend kompliziert (vgl. Kap. 4).
Die zwischen zwei elektrisierten K6rpern wirkende Kraft hat also dieselbe
Wirkungsweise wie die Gravitation. Yom Standpunkt der Fernwirkungstheorie
aus gesehen ware daher die von der Einfluidumstheorie vorgenommene Sub
sumierung der Gravitation unter die elektrischen Krafte m6glich.
5. Die Definition der elektrischen Ladung. Lassen sich die Gleichheits
und Ungleichheitsbeziehungen in leicht ersichtlicher Weise bereits aus den in
Ziffer 2 angegebenen Erscheinungen definieren, so ergibt das COULoMBsche Kraft
gesetz eine Grundlage fUr die vollstandige Arithmetisierung. Denn die zwischen
zwei elektrisiert<in K6rpern wirkende Kraft ist nicht nur von ihrer gegenseitigen
Entfernung, sondern auch von dem Grade der Elektrisierung der beiden ~6rper
abhangig. Wir k6nnen sie dem Produkt der beiden Ladungen proportional
setzen:
(1 )
Urn den Begriff der Ladung einfach in das GAusssche MaBsystem, da~
CGS-System, einfiihren zu k6nnen, setzen wir die Proportionalitatskonstante E
gleich 1. Die Einheit der Ladung ist dann diejenige Ladung, die auf die gleiche
Ladung in der Einheit der Entfernung (1 cm) mit der Krafteinheit (1 Dyn)
wirkt. Die Dimension einer elektrischen Ladung ergibt sich so zu
(2)
Das auf diese Ladungseinheit (also E gleich 1) aufgebaute MaBsystem heiBt
das elektrostatische MaBsystem.
Durch die Dbereinstimmung der auf dem COULoMBschen Gesetz beruhenden
Gleichheits- und Ungleichheitsdefinitionen mit den mit Hilfe der in Ziffer 2 be
sprochenen Erscheinungen aufgestellten erhalt das Prinzip der Erhaltung der
elektrischen Ladung erst seine volle physikalische Bedeutung.
6. Das Potential. Mit der Entdeckung des COULOMBschen Gesetzes ist die
Elektrostatik in die NEWToNsche Mechanik eingegliedert. Die mathematische
Formulierung unterscheidet sich von del' der Gravitation lediglich durch das
Auftreten von Anziehungs- und AbstoBungskraften bzw. von positiven und
negativen Massen. Dies ist bei del' Formulierung des Kraftgesetzes bereits dadurch
1) The electrical researches of the Han. Henry Cavendish ed. by J. Cl. Maxwell 1879.
2) C. A. COULOMB, Ann. de chim. Ed. 1, S. 1. 1789; Ed. 7, S. 97,112.1790.