Table Of ContentErich R. Wölfel
Theorie und Praxis
der Röntgenstrukturanalyse
Eine Einführung für Naturwissenschaftler
Mit 178 Bildern
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Dr. Erich Wolfel ist Professor ftir Physikalische Chemie (Strukturforschung)
an der Technischen Hochschule Darmstadt
Verlagsredaktion: A lfred Schubert
1975
Alle Rechte vorbehalten
© by Springer Fachmedien Wiesbaden 1975
Ursprünglich erschienen bei Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig 1975
Softcover reprint of the hardcover 1st edition 197 5
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Umschlaggestaltung: Peter Morys, Wolfenbiittel
ISBN 978-3-528-08349-6 ISBN 978-3-663-06828-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-06828-0
VORWORT
Dieses Buch verfolgt das Ziel, Naturwissenschaftler mit mög
lichst geringem Zeitaufwand in die röntgenographische Kri
stallstrukturanalyse einzufUhren. Ein gro~er Teil des hier
behandelten Stoffes ist seit einigen Jahren Gegenstand einer
zweistUndigen Vorlesung, die an der Technischen Hochschule
Darmstadt fUr Chemie- und Physikstudenten höherer Semester
regelmä~ig angeboten wird. In den hiermit verbundenen zwei
stUndigen Ubungen werden die Kursteilnehmer mit der Präparie
rung und der Vermessung von Kristallen, den wichtigsten Auf
nahmeverfahren sowie mit der Bedienung automatischer Diffrak
tometer vertraut gemacht. Im Rahmen der Vorlesung werden
au~erdem drei vollständige Kristallstrukturanalysen ausführ
lich besprochen, urn die behandelten theoretischen Grundlagen
an praktischen Beispielen zu erläutern.
Entsprechend diesem Plan ist der Stoff des Buches angeordnet.
Die theoretischen Grundlagen umfassen die Gebiete Kristallo
graphie und Röntgenphysik sowie die wellenkinematische St reu
theorie mit einer gründlichen Einführung in das Konzept des
reziproken Gitters. Die Abschnitte 111 f) und 111 i) bringen
die Ableitungen der Interferenzfunktion, der Lorentz-Faktoren
sowie des Debye-Waller'schen Temperaturfaktors und können bei
der ersten Lektüre des Buches zunächst Ubergangen werden.
Der absichtlich sehr ausfUhrlich gehaltene apparative Teil
(Kapitel IV) umfa~t die heute in der Praxis wichtigen Film
aufnahmeverfahren, die mit Hilfe der Ewald'schen KonsVruktion
ausführlich erläutert werden, und die Beschreibung der derzeit
benutzten automatischen Diffraktometer anhand von Beispielen,
so sich auch der Anfänger mit diesen Methoden vertraut
da~
machen kann.
Sodann werden die Problematik der Raumgruppenbestimmung und
die verschiedenen Methoden der Lösung des Phasenproblems aus
führlich behandelt, wobei auch hier versucht wird, die einzel
nen Methoden anhand von Beispielen zu erklären. Die theoreti
schen Grundlagen der direkt en Methoden im Abschnitt VI e)
dürften für den Anfänger Schwierigkeiten bereiten und könnten
in diesem Fall bei der ersten Lektüre ebenfalls zunächst über
gangen werden.
Am Schlue des Buches werden zwei vollständige Kristallstruk
turanalysen systematisch behandelt, um die Problematik der
trial-and-error Methode und der Pattersonmethode aufzuzeigen.
Entsprechend dem Charakter des Buches als einführender Text
ist auf ausführliche Literaturzitate verzichtet worden.
Einige Bücher werden in der Literaturübersicht am SchluS des
Buches als ergänzende Lektüre empfohlen.
Dieses Buch soll eine Einführung in die automatische röntge
nographische Kristallstrukturanalyse sein, die in Bezug auf
ihre Aussagekraft allen spektroskopischen Methoden schon aus
dem Grunde überlegen ist, weil sie die räumliche Anordnung
komplizierter Moleküle mit groSer Genauigkeit anschaulich als
Zeichnung liefert. Aber auch im Hinblick auf den erforderli
chen Arbeitsaufwand kann sie mit spektroskopischen Methoden
konkurrieren. Wenn man bedenkt, daS sich heutzutage eine etwa
50-atomige Molekülstruktur in ca. 14 Tagen lösen läet, so
ist vorauszusehen, dae sich die Röntgenstrukturanalyse als
analytisches Hilfsmittel in Zukunft im Forschungslaboratorium
mehr und mehr durchsetzen wird, um damit zeitraubende präpa
rative Arbeiten zur Konstitutionsaufklärung komplizierter
Moleküle zu sparen. Wenn dieses Buch hierzu einen Beitrag
leistet, so hat es seinen Zweck erfüllt.
lch habe zahlreichen Fachkollegen, Mitarbeitern und Hörern
meiner Vorlesung für wertvolle Anregungen zu danken. Die
Herren Dr. E. Oeser und Dr. H. Paulus haben in den letzten
Jahren bei der Betreuung der Studierenden in den praktischen
Ubungen mitgewirkt und auch bei der Abfassung einzelner Ab
schnitte des Buches wertvolle Hilfe geleistet. Frau J. Gross
hat das Manuskript mit groSer Sorgfalt zum Druck vorbereitet.
lhnen gilt mein besonderer Dank.
Darmstadt, am 3.3.1975
Erich R. Wölfel
INHALT
Vorwort
I. Kristallographische Grundlagen 1
a) Symmetrieelemente und stereographische
Projektion 2
b) Kristallklassen und Kristallsysteme 6
c) Kristallform. Kristallgestalt. Elementarzelle
und Kristallgitter 11
d) Die Wechselwirkung zwischen Translations-
vektoren und Symmetrieelementen 17
e) Die Bravais-Gitter 25
f) Die Raumgruppen des monoklinen Systems. 29
11. Emission und Absorption von Röntgenstrahlen 38
a) Emission von Röntgenstrahlen 38
b) Absorption von Röntgenstrahlen. 45
111. Die Beugung von Röntgenstrahlen an Kristall-
gittern (wellenkinematische Theorie) 50
a) Das reziproke Gitter 51
b) Die Vektorform der Bragg'schen Gleichung
und die Ewald'sche Lagekugel 56
c) Elastische Streuung von Röntgenstrahlen
am Elektron 60
d) Die Atomformamplitude f 63
e) Die Strukturamplitude Fhkl 68
f) Die Beugung von Röntgenstrahlen am Kristall-
gitter 69
g) Das integrale Reflexionsvermögen von
Einkristallen 82
h) Quantitative Intensitätsmessungen an
Pulverpräparaten 87
i) Der Debye-Waller'sche Temperaturfaktor. 90
IV. Röntgenographische Aufnahme- und Meeverfahren 98
a) Osz111atlonsaufnahmen von Elnkrlstallen 98
b) Justlerung elnes Krlstalles auf 11chtoptl
schem Wege und mlttels Osz11lationsauf-
nahmen 102
c) Das Welssenberg-Aufnahmeverfahren 105
d) Das de Jong-Bouman-Aufnahmeverfahren 114
e) Das Buerger-Präzesslonsverfahren 121
f) Dle Komblnatlon von de Jong-Bouman - und
Buerger-Präzessionsaufnahmen am Explorer
für die verschiedenen Krlstallsysteme 128
g) Die Justlerung einer Kristallachse ln die
Rlchtung des einfallenden Röntgenstrahles
mittels Buerger-Präzesslonsaufnahmen 131
h) Die Bestlmmung der Gltterkonstanten eines
trlklinen Krlstalles am Explorer 134
1) Automatlsche Messungen mlt dem Weissen-
berg-2-Kreis-Dlffraktometer 141
k) Automatlsche Vlerkreis-Dlffraktometer 150
1) Korrekturen der mlt automatlschen
Diffraktometern gemessenen Rohdaten
(Datenreduktlon). 158
V. Dle röntgenographlsche Bestimmung der
Raumgruppe
a) Symmetrlebezlehungen zwischen Kristall-
raum und rezlprokem Raum 168
b) Der Einflue der Translatlonsvektoren im
Krlstallraum auf den rezlproken Raum.
Integrale. zonale und serlale Auslöschungen 172
c) Inwiewelt ist dle röntgenographlsche Raum-
gruppenbestlmmung elndeutig? 178
d) Physikallsche Methoden zur Ermittlung des
Inverslonszentrums einer Kristallstruktur. 179
VI. Uber die Bestimmung der Atomlagen in der
Elementarzelle. Einführung in die Methoden
zur Lösung des PhasenEroblems 181
a) Einleitung 181
b) Theorie der Fourierreihen 184
c) Theorie der Pattersonreihen 192
d) Schwer-Atom-Methode zur Lösung des
Phasenproblems 202
e) Theorie der direkt en Methoden 216
f) Praktische Anwendung der direkt en
Phasenbestimmung 234
g) Die Bedeutung der anormalen Dispersion für
die röntgenographische Strukturbestimmung. 246
VII. Die Verfeinerung der Atomlagen 251
a) Die Methode der kleinsten Fehlerquadrate 252
b) Differenz-Fouriersynthesen. 258
VIII. Hilfsmittel für die röntgenograEhische
Strukturbestimmung: International Tables
und Programmsysteme 260
a) Die "International Tables for X-Ray
Crystallography" 260
b) Programmsysteme für die automatische
Kristallstrukturanalyse. 262
IX. BeisEiele für Kristallstrukturbestimmungen 264
a) Die Kristallstruktur des Magnesium-
fluorids (MgF2) 264
b) Die Kristallstruktur des Kalium-(Rubidium)-
Hydrogen-Phenyl-acetats. 292
Literaturübersicht. 335
- 1 -
I. Kristallographische Grundlagen
Für die röntgenographische Strukturanalyse werden kleine Kri
stalle benötigt. die entweder aus Lösungen auskristallisieren
oder aus Schmelzen gezüchtet werden. In vielen Fällen erhält man
nadelförmige KristalIe.
Urn die Absorptionseffekte der Röntgenstrahlen gering zu halten.
bevorzugt man dabei Kristallquerschnitte von etwa 0.1 mm . Die
Kristalle werden unter einer Binokularlupe ausgesucht und an
einem Glasfaden mit einem Klebstoff (Uhu. Schellack) befestigt.
Der Glasfaden wird seinerseits auf einem Kristallträger mit Kleb
wachs. Siegellack. Picein o.ä. befestigt. Der Kristallträger wird
dann in einen Goniometerkopf eingesetzt, mit dem man Längs- und
Drehbewegungen in zwei zueinander senkrechten Richtungen ausfüh
ren kann. Auf die se Weise ist es möglich. den Kristall lichtop
tisch oder röntgenographisch zu justieren. Falls am Kristall gut
reflektierende Flächen ausgebildet sind. kann man aufgrund der
lichtoptischen Vermessung dieser Flächen bereits Aussagen be
züglich der Symmetrie des Kristalles machen.
Dieser Abschnitt befaBt sich mit den kristallographischen Grund
lagen. Dabei handelt es sich zunächst urn die Symmetrieelemente.
die an Kristallen beobachtet werden können. urn deren 32 Kombina
tionen. die KristalIklassen. sowie urn die 6 Kristallsysteme
(Achsensysteme) in denen sich die KristalIklassen beschreiben
lassen.
Durch das Kristallsystem. die Kristallklasseund die einzelnen
Kristallflächen. die an einem Kristall auftreten. ist dieser
zwar hinreichend genau beschrieben; wenn wir jedoch an seiner
atomaren Struktur interessiert sind. kommt das wichtige Konzept
des Kristallgitters und seiner kleinsten Einheit. der Elementar
zeIIe. hinzu. Wir müssen uns daher mit den verschiedenartigen
Elementarzellen beschäftigen. wobei wir die für den Kristall
entwickelten Begriffe des Kristallsystems. der Symmetrieelemente
und der Kristallklasse ohne weiteres auch auf die Elementarzel
len übertragen können. Das Kristallgitter entsteht aus einer
Elementarzelle dadurch. daB wir diese in den drei Richtungen
des Raumes aneinanderreihen. Daher spielen für Kristallgitter
die Translationsvektoren eine Rolle. Die Wechselwirkungen zwi-
- 2 -
sehen den Translationsvektoren und den Symmetrieelementen wer
den ausfUhrlieh behandelt.
Die verschiedenen Elementarzellen sowie die Kombinationen von
Translationsvektoren mit Symmetrieelementen bringen es mit sieh,
da~ wir fUr Kristallgitter eine grö~ere Mannigfaltigkeit an mög
liehen Symmetriekombinationen zur VerfUgung haben als dies für
Kristalle der Fall ist. Insgesamt gibt es fUr Kristallgitter
230 soleher Kombinationen. die man Raumgruppen nennt. Wir werden
sehen. da~ die Bestimmung der Elementarzelle und der Raumgruppe
einen ersten wiehtigen Sehritt bei der Kristallstrukturanalyse
darstellt. Die Raumgruppenbestimmung erfolgt aufgrund von Film
aufnahmen, die man mit einem Röntgengoniometer herstellt. Die
verschiedenen röntgenographisehen Aufnahme- und Me~verfahren
werden im Kapitel IV ausfUhrlieh besehrieben.
a) Symmetrieelemente und stereographisehe Projektion
An Kristallen beobaehten wir versehiedene Symmetrieelemente,
die wir in zwei Gruppen einteilen können:
1. Drehaehsen: Hierbei unterseheiden wir 1, 2. 3. 4 und 6-
zählige Drehaehsen. n-zählige Drehaehsen bringen den Kristall
naeh Drehung um 3~0 Grad mit sieh selbst zur Deekung.
5- und 7-zählige Drehaehsen können an Kristallen nicht beob
aehtet werden. weil sie zu der Forderung des periodischen
Kristallgitters in Widersprueh stehen.
2. Drehinversionsaehsen sind zusammengesetzte Symmetrieelemente
und bewirken eine Drehung mit unmittelbar naehfolgender In
version. Eine Inversion erzeugt aus einer Fläehe die entspre
ehende Gegenfläehe und ist gleiehbedeutend mit einem Symme
triezentrum.
Wir eharakterisieren die Drehinversionsaehsen dureh einen
Querstrieh und unterseheiden 1. 2. 3. 4 und 6.
1 bedeutet laut Abbildung 1 eine Drehung der zur Papierebene
senkreehten Kristallfläehe um 3600 (wodureh sie in sieh
selbst Ubergeführt wird). gefolgt von einer Inverslon. wo-
-
dureh die parallel liegende Gegenfläehe entsteht. 1 ist hier-
naeh gleiehbedeutend mit einem Symmetriezentrum i : 1 : i.
2 bedeutet laut Abbildung 2 eine Drehung der gezeiehneten
Kristallfläehe um 1800• gefolgt von einer Inversion. Es ent-