Table Of ContentU ni -Taschenbucher 187
UTB
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Probleme der Politik
fIerausgegeben von
Klaus von Beyme
Adrian Braunbehrens
Arnd Morkel
Theorie und Praxis
der direkten Demokratie
Texte und Materialien zur Rate-Diskussion
Herausgegeben und eingeleitet
von U do Bermbach
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Fo1gende Beitrage wurden mit freundlicher Genehrnigung des
Verlages bzw. des Autors nachgedruckt:
Peter von Oertzen,' »Freiheitliche demokratische Grundordnung
und Riitesystem«.
jiirg Huffschmid/Margaret Wirth,' »Sozia1demokratische Wirtschafts
politik und demokratischer Sozialismus« in »Sozia1demokratie und
Sozialismus heute«. Verlag Pah1-Rugenstein Ka1n 1968,
Seite 132-143.
Paul Kevenhiirster,' »Zwischen Etatismus und Selbstverwaltung.
Management und Arbeiterschaft in jugos1awischen Unternehmen«
in »Aus Politik und Zeitgeschichte«, Beilage zur Wochenzeitung
»Das Parlament«, B 45/71.
ISBN 978-3-531-11145-2 ISBN 978-3-322-86336-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-86336-2
© 1973 by Springer Fachmedien Wiesbaden
Urspriinglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH Opladen 1973.
Satz und Druck von Druckerei Dr. Friedrich Middelhauve GmbH Opladen
Inhalt
Vorwort ................................................. 7
Udo Bermbach
Einleitung ............................................... 13
1. Organisationsmodelle
Otto Ruhle
Betriebsorganisation und Arbeiterunion 34
Heinrich Laufenberg
Die Rateidee in der. Praxis des Hamburger Arbeiterrats 51
Ernst Diiumig
Der Rategedanke und seine Verwirklichung 79
Richard Muller
Das Ratesystem im kunftigen Wirtschaftsleben 88
Artur Kreft
Andeutungen fur eine Grundlage des Ratesystems 91
Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Techniker
Die Betriebsrate zur Zeit der Diktatur des Proletariats 96
Otto Neurath
Betriebsrate, Fachrate, Kontrollrat und die Vorbereitung der
V ollsozialisierung ......................................... 103
Max Cohen
Deutscher Aufbau und die Kammer der Arbeit 124
5
Franz Buche!
Ein Vorschlag zur Einftihrung der Arbeiterrate in die Staats-
verfassung ............................................... 134
Rudolf Wissel
Die Rate-Idee ............................................ 139
II. Aktuelle Bedeutung
Udo Bermbach
Rategedanken versus Parlamentarismus? Vberlegungen zur ak-
tuellen Diskussion der Neuen Linken ........................ 154
Peter von Oertzen
Freiheitliche demokratische Grundordnung und Ratesystem .... 173
JOrg Huffschmid / Margaret Wirth
Das Ratesystem in der Wirtschaft ........................... 186
III. Praktische Erfahrungen
Paul Kevenhb"rster
Zwischen Etatismus und Selbstverwaltung, Management und
Arbeiterschaft im jugoslawischen Unternehmen ............... 195
Robert K. Furtak
Probleme direkter Demokratie in Kuba ...................... 221
Oskar Wegge!
Rate in der Volksrepublik China ............................ 256
Hellmut Wollmann
Tendenzen der Sowjet-Demokratie .......................... 277
Hellmut Wollmann
»Citizen Partizipation« in USA 321
Bibliographie ............................................. 371
Vber die Autoren ......................................... 380
Graphische Darstellung einer Rateorganisation 381
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Vorwort
Der hier vorgelegte Band verfolgt eine spezielle Absicht. Angesichts der
seit Jahren gefiihrten Diskussion iiber die Reformnotwendigkeit des parla
mentarischen Regierungssystems und dariiber hinaus iiber eine erfolgver
sprechende Strategie antikapitalistischer Strukturreformen in westlichen
Lindern ist die Frage nach alternativen Organisationsmodellen gerade
auch in der Diskussion der Linken stark in den Vordergrund getreten.
Favorisiert durch die studentische Bewegung der ausgehenden sechziger
Jahre hat der Rategedanke eine iiberraschende, vielfach unerwartete Re
naissance erlebt, ist freilich in zwischen - und dies sicherlich zu Unrecht -
eben so schnell wieder aus der aktuellen Diskussion verschwunden, wie er
sie zuvor beherrschte. Der voriibergehende Rekurs der Neuen Linken auf
rate-demokratische Theorien, haufig in einer allzu oberflachlichen und
vordergriindigen Rezeption steckengeblieben, hat eine Fiille von Publika
tionen produziert, die es zumeist unternommen haben, Ratetheorien in
ihrer ganzen Breite zu dokumentieren - durchaus verstandlich insoweit,
als damit die Voraussetzungen zur Neubeschaftigung iiberhaupt erst ge
schaffen worden sind. Doch sind iiber solcher Intention, Ratebewegungen
in ihren vielfaltigen theoretischen wie sozialhistorischen Aspekten gerecht
zu werden, in aller Regel die organisatorischen Probleme, die sich aus
denkbarer Adaption von Ratemodellen in hochkomplexen Industriegesell
schaften ergeben konnen, zu kurz gekommen. Sozialwissenschaftliche Dis
kussionsbeitrage zum Thema, die den gegenwartigen Stand der Organisa
tionssoziologie und -theorie miteinzubeziehen such ten, diirften - soweit
es solche Versuche iiberhaupt gegeben hat - kaum iiber einen Kreis von
Fachinteressierten hinaus bekannt geworden sein.
Auch wenn man prinzipiell davon ausgehen muB, daB Organisationsfra
gen nicht ohne Bezug auf gesamtgesellschaftliche Bedingungen diskutiert
werden konnen, unter denen sie sich stellen, erscheint es andererseits doch
sinnvoll, ja geradezu notwendig, unterschiedliche Organisationsentwiirfe
von Ratetheoretikern zu dokumentieren, urn solche Losungsversuche dar
aufhin zu befragen, inwieweit in ihnen rate-demokratische Absichten:
Abbau von Herrschaft zugunsten weitestgehender Selbstbestimmung des
einzelnen - einlosbar sein mag. Stimmen Ratetheoretiker in den Grund
fragen ihrer Analyse der kapitalistischen Gesellschaft iiberein, so folgt
daraus noch nicht zwangslaufig eine gemeinsame und allen verbindliche
strategische Organisationsperspektive. Letztere variiert in betrachtlicher
Breite, yom radikalen Ablehnen aller iiberkommenen Institutionen und
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ebenso radikalen Neubeginn sich frei assoziierender Menschen bis hin zu
Kompatibiliditstheorien, welche die - zumindest voriibergehende - Ver
einbarkeit von Rategedanke und Parlamentarismus behaupten, sich in
ihren organisatorischen Ausdifferenzierungen teilweise bereits mit stan
disch-korporativen Ideen beriihren.
Der Band versucht, an Hand deutscher Texte der zwanziger Jahre in
T eil I dieses Spektrum zu belegen, wenngleich sofort angefiigt werden
muB: nicht ganz vollsdndig. Denn einmal zwang Platzbeschrankung zu
drastischer Auswahl, zum anderen sollten aIle Texte - iiberwiegend heute
kaum mehr zugangliche Broschiirenliteratur -, wenn irgend moglich, in
sich ungekiirzt wiedergegeben werden, urn den Zusammenhang zu wahren
und ihre wissenschaftliche Brauchbarkeit nicht zu gefahrden. Auf Auf
nahme von Texten wurde auch dann verzichtet, wenn diese mittlerweile
in anderen Editionen wieder greifbar sind, was zwar gelegentlich zu
Lasten der systematischen Rundung dieses Teiles gehen mag - und erklart,
weshalb beispielsweise ein so wichtiger Theoretiker wie Karl Korsch nicht
vertreten ist -, andererseits das Kiirzen der Texte ersparte und so die
Auswahl vor dem Verkommen zur unbrauchbaren Zitatologie bewahrte.
Am Anfang stehen Texte von Riihle und Laufenberg, die beide - bei
aller Unterschiedlichkeit ihrer politis chen Position - dem rate-kommu
nistischen Fliigel der deutschen Linken zugezahlt werden konnen.
Otto Ruhle, 1874 geboren, vermutlich urn 1900 zur SPD gestoBen, 1911
Abgeordneter seiner Partei im sachsischen Landtag, seit 1912 im Reichstag,
war bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges hinein einer der bedeutendsten
Wanderlehrer der SPD, beteiligt an der Ausarbeitung des sozialistischen
Schulungsprogramms. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges radikalisierte
sich seine schon zuvor vorhandene Sympathie mit dem linken Fliige!. Er
beteiligte sich an der Griindung des »Spartakus«, spielte eine fiihrende
Rolle in den revolutionaren Ereignissen in Sachsen urn die Jahreswende
1918/19. Nach der Griindung der KPD zahlte er dort zur linken Opposi
tion, die faktisch nach dem Heidelberger Parteitag (Oktober 1919) den
Bruch mit der sowjet-freundlichen Partei vollzog, weil sie mit ihrer Forde
rung auf Schaffung einer proletarisch-revolutionaren Einheitsorganisation
nicht durchzudringen vermochte. Spatestens seit 1920 galt Riihle als
der fiihrende Theoretiker dieser Einheitsorganisationen, als Initiator
der Griindung der »Allgemeinen Arbeiter Unionen«, die politisch
Freilich keine Rolle spielten. Sein Konzept, in vielem dem der hollan
dischen Marxisten urn Pannekoek und Gorter ahnlich, ging aus von
einer radikalen Ablehnung der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen,
deren Zentralisierungs- und Biirokratisierungstendenzen er scharf verur
teilte, wollte an deren Stelle eine von der Betriebsebene aufsteigende Rate
organisation setzen, die - wesentlich Kampfinstrument der Arbeiterklasse
in ihren Organisationselementen zugleich doch schon die zukiinftigen For
men einer klassenlosen Gesellschaft antizipieren sollte. Das Ziel war, die
Solidaridt der Arbeiter durch praktische Dberwindung aller biirgerlichen
BewuBtseins- und Organisations form en herzustellen, ein Ziel, das Riihle
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selbst nach dem Abebben revolutionarer Erregung immer mehr entschwin
den sah. 1923 entstand im Auftrage der »Allgemeinen-Arbeiter-Union
Einheitsorganisation« (AAUE) seine letzte, in unmittelbarem praktisch
politis chen Bezug stehende Schrift: »Von der burgerlichen zur proleta
rischen Revolution«, die gleichsam Zusammenfassung seiner politis chen
Erfahrungen und Erwartungen in linkskommunistischen Organisation en
ist, aus der die organisationstechnisch zentralen Kapitel wiedergegeben
werden.
Heinrich Laufenberg, 1872 geboren, promovierter Volkswirt und Redak
teur, Autor einer zweibandigen »Geschichte der Arbeiterbewegung in
Hamburg, Altona und Umgegend« (Hamburg 1911), wechselte 1904 von
der Zentrumspartei zur SPD. Von Franz Mehring nach Hamburg empfoh
len, wurde er dort Leiter der Hamburger Parteischule, geriet jedoch bald
wegen linksradikaler Opposition in Schwierigkeiten und verlor 1912 alle
Parteiamter. Wahrend der November-Revolution von 1918/19 war er in
Hamburg einer der fiihrenden Kopfe, vom 11. November 1918 bis 21. Ja
nuar 1919 Vorsitzender des Hamburger Arbeiterrates. Seiner ursprung
lichen Konzeption nach - ahnlich Ruhle - fur revolutionare Umgestal
tung der Gesellschaft mit Hilfe einer proletarisch-revolutionaren Organi
sation, wurden seine Analyse und strategische Einschatzung parteilicher,
gewerkschaftlicher, selbst parlamentarischer Organisationen bald differen
zierter. Laufenberg, der meinte, die Arbeiterschaft musse ihre traditionel
len Organisationen branchen-syndikalistisch umstrukturieren, Zentralver
bande schaffen, die nach Berufen und Branchen gegliedert sein solI ten,
unterstrich gleichwohl - und dies unterscheidet ihn ganz deutlich von
Ruhle -, daB es nicht urn die Zertrummerung bestehender Organisations
formen ging, sondern urn deren Umformung und Weiterbildung. In der
politischen Praxis der November-Revolution bedeutete dies den Kompro
miB von proletarischer Rateorganisation und burgerlichem Parlamentaris
mus, ein Kooperationsangebot an das Burgertum, Freilich getragen von der
Hoffnung, das sozialistische Organisationsprinzip werde sich langfristig
durchsetzen konnen.
Die folgenden Texte von Daumig, Muller, Kreft und der Arbeitsgemein
schaft sozialistischer Techniker sind der sogenannten »reinen Ratetheorie«
zuzuordnen, einer Theorievariante, die im wesentlichen auf jene Organisa
tionselemente rekurierte, die in der Einleitung stilisierend herausgearbeitet
werden: proletarischer Charakter des Ratesystems (Wahlrecht nur fur
Arbeitnehmer und solche Selbstandigen, die niemanden beschaftigten), Ab
lehnung jeglicher verbandlicher Strukturierung der Gesellschaft, Verbin
dung von okonomischer und politischer Organisation, Rate als Kampf
und Verfassungsorgane zugleich und als Instrument der »Diktatur des
Proletariats«, die Freilich niemals eine Diktatur der Minderheit, immer
nur eine der uberwiegenden Mehrheit des Volkes gegenuber einer Rest
minderheit sein sollte.
Diese »reine Ratetheorie« wurde getragen von den »revolutionaren Ob
leuten«, ursprunglich einer Gruppe von Funktionaren des Berliner Metall-
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arbeiterverbandes, die jedoch schon wahrend des Krieges ihren EinfluB
wesentlich auszuweiten vermochte, zur Zeit der November-Revolution
von 1918/19 dann weit iiber Berlin hinaus Verbindung zu schwerindu
striellen Gebieten, vor allem Ruhrgebiet und Sachs en, besaB. Politisch
iiberwiegend zum linken Fliigel der USPD zahlend und dies en auch weit
gehend dominierend, operierten ihre Fiihrer doch zugleich innerhalb der
Partei recht selbstandig. Gelegentlich ist die Gruppe zwischen USPD und
Spartakus verortet worden, doch trifft solche Zuweisung das komplizierte
Verhaltnis zur eigenen Partei wie zum Spartakus - auch wenn im Herbst
1920 die Mehrzahl von ihnen zur KPD iiberging - nur hochst unzurei
chend.
Richard Muller, 1890 geboren, bis zum Ersten Weltkrieg Leiter der Dre
herbranche im Berliner Metallarbeiterverband, war urspriinglich Begriin
der und Fiihrer der »revolutionaren Obleute«, verlor indessen seine intel
lektuell dominierende Position 1918 an den sich dem Kreis anschlieBenden
Ernst Daumig. Daumig, 1866 geboren, aus biirgerlichem Elternhaus stam
mend, war langere Zeit Fremdenlegionar gewesen, bevor er 1898 der SPD
beitrat und seit 1901 an verschiedenen sozialdemokratischen Zeitungen
arbeitete. 1911 yom »Vorwarts« als Mitarbeiter fiir milirartechnische und
Arbeiterbildungsfragen iibernommen, mufhe er seine journalistische Tatig
keit 1916 zugleich mit seinem Wechsel zur USPD aufgeben. Er kann als
der eigentlich theoretische Kopf der »revolutionaren Obleute« betrachtet
werden, zusammen mit Miiller als konsequentester Vertreter einer rate
demokratischen Neuordnung Deutschlands nach der Novemberrevolution.
[m »Arbeiter-Rat, Organ der Arbeiterrate Deutschlands«, in Berlin er
schienen 1919 und 1920, schuf sich dieser Kreis sein politisch-theoretisches
Forum, dessen Mitherausgeber und verantwortlicher Redakteur Artur
Kreft war. Hier wurde, Woche fUr Woche, der Verlauf der deutschen wie
auBerdeutschen Ratebewegungen verfolgt und kommentiert, wurden Vor
schlage und rate-demokratische Organisationsmodelle entwickelt, deren ge
legentliche Detaillierung den weniger Vertrauten - der glaubt, Ratetheo
rien zeichneten sich durch besonders gering en Komplexitatsgrad aus - iiber
raschen mogen. Ein Beispiel hierfiir ist der Entwurf der sozialistischen
Techniker.
Otto Neurath, geboren 1882, war habilitierter Nationalokonom und noch
vor Ende des Ersten Weltkrieges Professor an der Handelsakademie in
Wien. Neurath, der im Laufe seines Lebens eine Fiille wichtiger wirt
schaftspolitischer Kmter innehatte, gehorte politisch zu den Austromar
xisten urn Max Adler und Otto Bauer. Schon vor dem Krieg beschaftigte
er sich vor allem mit Fragen okonomischer Planung im Sozialismus, ent
wickelte spater dann, nicht zuletzt auf Grund der Erfahrungen der Kriegs
wirtschaft, die These, sozialistische Wirtschaftsplanung habe auf der
Grundlage von Naturalrechnung, nicht von Geldrechnung zu geschehen.
Die Ratebewegung war ihm wesentlich »organisatorische Vorbereitung der
Vollsozialisierung und Mittel, die Arbeiter wirtschaftlich zu schulen«, wie
es im wenige Zeilen umfassenden Vorwort seiner grundlegenden, hier auf-
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