Table Of ContentH.-D. Bastian · Theologie der Frage
Hans Dieter Bastian
Theologie der Frage
Ideen zur Grundlegung einer theologischen
Didaktik und zur Kommunikation der Kirche
in der Gegenwart
Chr. Kaiser Verlag München
Für Ruth Bastian
© 1969 Chr. Kaiser Verlag München
Alle Rechte vorbehalten, auch die des auszugsweisen Nachdrucks,
der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung.
Einbandentwurf und Umschlag: Claus J. Seitz
Satz und Druck: Buch-und Offsetdruckerei Georg Wagner, Nördlingen
Printed in Germany
INHALT
Vorwort 7
I: Einführung 9
ll: Zur Philosophie der Frage 18
m: Zur Psychologie der Frage 31
IV: Die Frage zwischen Zeit und Geschichte 51
V: Zur Hermeneutik der Frage: Die Macht der
Gewohnheit 66
VI: Zur Soziologie der Frage 90
1. Die Frage in der Gruppe 90
2. Fragen an die Gruppe 100
3. Fragen, welche die Gruppe stellt 111
4. NachfrageundAngebot 122
Vll: Zur Anthropologie der Frage 131
1. Mensch und Tier 131
2. Alt und neu 137
3. Hermeneutik und Wissenschaft 146
vm: Zur Politologie der Frage 156
1. Fragen im öffentlichen Handlungsraum 156
2. Befehl im Fragestreit 165
3. Laienfrage und Kirchenordnung 172
4. Befragte Vorurteile 176
IX: Kybernetik und Frage 180
X: Frage und Linguistik 196
1. Sprache mit Fragezeichen 197
2. Sprache ohne Fragezeichen 205
3. Frage und Bild 212-- .
4. Fragen, Bedeutung, Verstehen 224
XI: Zur theologischen Systematik der Frage 249
XII: Zur Frage in biblischen Texten 264
1. Zur Frage im Alten Testament 265
2. Zur Frage im Judentum 276
3. Zur Frage im Neuen Testament 281
XIII: Zur Religionspädagogik der Frage 292
1. Die Frage zwischen Scholastik und Pietismus 292
2. Die Frage zwischen Katechetik und Reform
pädagogik 298
3. Die religionspädagogische Tragweite der Frage
306
XIV: Die Frage als Problem der Homiletik 318
XV: Letzte Fragen 337
XVI: Zusammenfassung 347
Namenregister 352
Sachregister 358
VORWORT
Seinen Leser, glaube ich, muß man sich denken; das
ist schon ein Teil unsrer Arbeit, die Erfindung eines
Lesers, eines sympathischen, nicht unkritischen, eines
nicht allzu überlegenen, auch nicht unterlegenen, eines
Partners, der sich freut, daß wir an ähnlichen Fragen
herumwürgen, und nicht ärgerlich wird, wenn unsere
Ansichten sich kreuzen, nicht herablassend, wenn er
es besser weiß, nicht blöde, nicht unernst und nicht
unspielerisch, vor allem nicht rachsüchtig.
M. Frisch, Tagebuch
Mit letztem literarischem Atem geschrieben, gibt das Vorwort dem Leser
Auskunft, warum der Autor es nicht unterlassen konnte und unterlassen
hat, ein Buch zu verfassen.
Jede wissenschaftliche Publikation in der Praktischen Theologie muß
sich heute vor der Frage rechtfertigen, ob sie sich zumutet, an der Prä
gnanz der Theorie und der Kompetenz der Methoden etwas zu verbes
sern. Wird die Frage negativ beantwortet, kündigen auch wohlwollende
Leser mit gutem Recht ihr Interesse auf. Darum kommt keine theolo
gische Arbeit heute ohne ein ausgewogenes Maß an sachlicher Polemik
aus.
Daraus resultiert, daß dieses Buch einige klar erkennbare Ziele anvisiert:
- eine realitätsnahe, einwandssensible Hermeneutik oder Kommunika
tionstheorie.
- eine dialogische Beschäftigung mit verschiedenen nicht-theologischen
Wissenschaften, die von der Kommunikation handeln.
- eine politische Praktische Theologie, welche die Aufarbeitung der Er
fahrungen des Dritten Reiches, des Zweiten Weltkrieges und seiner Fol
gen nicht den Historikern überläßt.
So habe ich dieses Buch unter folgenden Voraussetzungen geschrieben:
1. In den theoretischen Schriften B. Brechts, aber auch von F. Dürren
matt, M. Frisch, E. Ionesco u. a. finden sich Aufschlüsse, welche der
Theologe nur zu seinem eigenen Schaden übersieht.
2. Die Sachgespräche mit nicht-theologischen Autoren habe ich durch
forciertes Zitieren von Fachliteratur zu provozieren versucht.
7
3. Da ich nicht weiß, was ein »Heilsereignis« ist- auch noch keines er
lebt' habe -, aber sehr wohl weiß - wie alle meine Zeitgenossen - was
»U nheilsereignisse« sind und was sie bewirken, habe ich mich bemüht,
einige Inkarnationen des Unheils in der neueren deutschen Geschichte
theologisch zu bedenken. Vielleicht ist es auf indirektem Weg über die
Kategorie des Nicht-Unheils möglich, ganz von fern wieder des versun
kenen Heils ansichtig zu werden.
4. Ein Buch, das sich der Frage und dem Fragen thematisch verpflichtet,
darf es sich leisten, mehr Fragen zu stellen, als der Autor zu beantworten
imstande ist.
5. Vorarbeiten, die ich in Aufsätzen und anderen Beiträgen mit ver
gleichbarer Problematik begonnen hatte, wurden hier aufgenommen und
fortgeführt.
Das Manuskript war im August 1968 abgeschlossen. Für die Mitarbeit
an den Korrekturen danke ich meinen Assistenten, Herrn Dr. H.-M.
Bamikol und Herrn Pastor J. Melchert. Von Herrn Melchert wurde auch
das Register angefertigt. H.-D. B.
8
KAPITEL I
EINFüHRUNG
Immer frag: Wie lernen?
B. Brecht, Me-ti
Der Mensch als ein Wesen, das Fragen stellt, steht im Mittelpunkt dieser
theologischen Erörterung. Gleichwohl ist es nicht die Absicht, hiermit
einen Beitrag zur Anthropologie zu leisten. Wir zielen vielmehr auf die
Grundlegung einer theologischen Didaktik. Das Thema erscheint heute
ebenso aktuell wie schwierig. In der pädagogischen Diskussion ist die
Frage nach der Didaktik keineswegs geklärt, sondern kräftig im Fluß.
Religionspädagogische Annäherungen an diese oder jene Konzeption
liegen vor, sollen hier aber nicht fortgesetzt werden. Unser Bemühen
wendet sich überhaupt nicht unmittelbar an den Unterricht, an Bildungs
probleme und ähnliche Nöte der Jugenderziehung. Diese Zurückhaltung
hat verschiedene Gründe.
Erstens: Wir befürchten eine sachfremde Verengung der Perspektive,
wenn die didaktische Frage von vornherein auf den Unterricht und die
Organisationsform der Schule begrenzt wird. Wer im Anschluß an die
neuzeitlichen Lerntheorien Lernen als eine Veränderung des Verhaltens
begreift, das durch bestimmte Faktoren ausgelöst wird, der kommt nicht
daran vorbei, seine Optik zu weiten. Der Mensch lernt von der ersten
Lebensstunde bis zu seiner letzten. Bestimmte Phasen sind dem Lern
prozeß günstig, andere weniger günstig. Unmöglich und unnötig ist dem
Menschen das Lernen nie. In unseren Breiten wird das Lernen in Schu
len und Hochschulen organisiert und institutionalisiert, aber es wäre
vermessen, seine Wirksamkeit darauf zu beschränken. Gerade in einer
Zeit des geistigen Umbruchs wie der unseren wird das Verhalten vieler
Menschen beständig und fast täglich von Bedingungen neuen Lernens
betroffen. Eine sich rasch ändernde Wirklichkeit erzeugt einen Men
schentyp, der sich lernflexibel auf neue Verhältnisse einstellt. Erkennt
nisse dieser Art, die hier nur in großem Umriß angedeutet sind, katapul
tieren die traditionelle Pädagogik aus ihren gewohnten Voraussetzungen.
Die pädagogische Theorie des Lernens läßt sich weder auf die Schule
9
noch auf den Jugendunterricht begrenzen. Sie muß alle Verhaltensände
rungen bedenken, die pädagogisch relevant sind. Der Didaktik aber
steht die Wahl nicht frei: Sie hat zu reflektieren, wie und wo gewisse
Sachverhalte intentional oder funktional lehrhaft vermittelt werden.
Didaktische Dimensionen finden sich heute in der Publizistik der Mas
senmedien, in der Werbung und fast bei allen sprachlichen Informations
trägem, zu denen der Unterricht nur u. a. gehört.
Zweitens: Die Erforschung der genannten Phänomene ist für den Päd
agogen wie für den Theologen gleich unerläßlich. Der Pädagoge kann
nicht übersehen, daß das Homo-educandus-Problem mit nie geahnter
Wucht und mit immensem Umfang auf ihn zukommt. Der Theologe
muß erkennen, daß in der Konfrontation biblischer Verkündigung mit
dem Menschen- gewollt oder ungewollt- Veränderungen des Verhal
tens gezeitigt werden, die als Lernprozesse zu interpretieren und dem
zufolge auch zu verantworten sind. Natürlich gilt jeweils auch das
Gegenteil: Wo notwendige Veränderungen nicht vollzogen werden, wo
Lernprozesse verhindert, blockiert oder beschnitten werden, ist die päd
agogisch-theologische Fragestellung gefordert. Die religionspädagogi
sche Forschung der Gegenwart ist weit davon entfernt, der neuzeit
lichen. Lerntheorie ein sachgemäßes Gegenüber zu sein. Allzu sehr sind
ihre Entwürfe noch institutionell konzipiert, also auf den kirchlichen
Unterricht oder den Religionsunterricht in der Schule ausgerichtet. Die
Tatsache, daß die Kirche hier bewußt lehrt, schließt aber nicht aus, daß
sie an tausend anderen Stellen, in der Predigt, in kirchlichen Verlaut
barungen, bei Kirchentagen usw auch lehrt, ohne allerdings hierfür ein
theologisches Bewußtsein mitzubringen. Unsere Fragerichtung ist aus
drücklich nicht institutionell, sondern funktionell orientiert. Wir inter
essieren uns für alle Gelegenheiten, in denen mit oder ohne Absicht
Lernprozesse kirchlicher Relevanz ablaufen. Wir fragen nicht nach dem
Inhalt der kirchlichen Lehre, sondern: unter welchen Bedingungen voll
zieht sich die Kommunikation des Menschen mit der Verkündigung,
wenn er ihr als Lernender begegnet, als ein Wesen also, das sein Verhal
tenangesichts gemachter Erfahrungen verändert?
Den Blick auf Unterricht und andere Lehrformen klammem wir metho
disch aus. Wir halten es für notwendig, genau wie in der Physik auch in
der Praktischen Theologie zwischen Makrozuständen und Mikrozustän
den zu unterscheiden. Als Makrozustände charakterisieren wir alle An
gaben, die man auf Grund von makrostrukturellen Beobachtungen ma"
chen kann. Dazu gehören in der Didaktik zB die Angaben über den
Lehrgegenstand, über Lehrmittel, Methoden usw; Makrozustände kirch-
10