Table Of ContentLehrbuch der
Technischen Physik
von
Dr. Dr.-Ing. Hans Lorenz
o. Profe~~or an der TechniHchen Hoch~whnlp Danzig
Geheimer RegiernngHrat
Zweite, neubearbeitete Auflage
Erster Band
'l'echnische Mechanik
starrer
Gebild~
Berlin
Verlag von Julius Springer
1924
Technische Mechanik
starrer Gebilde
von
Zweite, vollstandig neubearbeitete Auflage
der Techn. Mechanik starrer Systeme
Erster Teil
lUechanik ebenel' Gebilde
Mit 29;, Textabbildung~n
Berlin
Verlag von Julius Springer
1924
ISBN 978-3-642-98431-0 ISBN 978-3-642-99245-2 (eBook)
DOl 10.1007/978-3-642-99245-2
AIle Rechte, insbesondere das der Dbersetzung
in fremde Sprachen, vorbehalten.
Copyright 1924 by .lulius Springer in Berlin.
Softcover reprint of the hardcover 2nd edition 1924
Vorwort.
Die erste Auflage der "Technischen Mechanik starrer Systeme" ,
welche den ersten Band meines Lehrbuches der Technischen Physik
bildet, ist im Jahre 1902 erschienen und mit dem 1904 folgenden
zweiten Bande, der "Technischen Warmelehre", schon seit mehreren
Jahren vergriffen. lch habe zunachst versucht, auf Grund meiner
20 jahrigen Lehrtatigkeit durch zahlreiche Zusatze und Abanderungen
das Werk der Neuzeit anzupassen, muBte aber nach langerer Arbeit
feststellen, daB dadurch die Einheitlichkeit der Darstellung verloren
geht, so daB ich mich schlieBlich fiir eine vollig neue Niederschrift
aus einem Gusse entschied. Das hat naturgemaB eine starke Ver
zogerung des Erscheinens der Neubearbeitung zur Folge gehabt. Dazu
kam, daB ich vor der Drucklegung einige .groBere Abschnitte in ihrer
neuen Fassung in meinen Vo rlesungen fiir Anfanger und reifere
Studierende, sowie im Seminar fiir angewandte Mechanik an der
Technischen Hochschule Danzig erproben wollte.
Zur Trennung in die Mechanik ebener und raumlicher Gebilde
habe ich mich auf Grund meiner Lehrerfahrungen entschlossen. Die
Mechanik in der Ebene ist nicht nur viel einfacher als die im Raume
und darum dem Anfanger leichter zuganglich, sie umfaBt auch die
wei taus meisten praktisch wichtigen Probleme, zu deren selbstandiger
Behandlung das Buch den Leser an Hand von Beispielen fiihren
will. 1st er mit diesem Stoffe vertraut, so bietet die raumliche
Mechanik, insbesondere unter Zuhilfenahme der Vektorrechnung, die
in der Ebene keine nennenswerte Rolle spielt, als Erweiterung nicht
so viele Schwierigkeiten mehr wie bei ihrer SteHung an die Spitze.
Aber auch innerhalb der beiden Teile, von denen der erste hier vor
liegt, wahrend der zweite in Jahresfrist folgen solI, habe ich auf
einen iibersichtlichen Aufbau des Stoffes groBen Wert gelegt und
den Zerfall des Werkes in eine Reihe kaum noch zusammenhangen
der Abhandlungen vermieden. Die groBeren Abschnitte sind dabei
so abgefaBt, daB sie von einem mit den Grundbegriffen bekannten
Leser ohne fortwahrende Riickverweisungen fiir sich verstandlich
sind. Im einzelnen bemerke ich noch, daB in del' Statik neben den
analytischen auch die graphischen Methoden zu ihrem Rechte kommen,
und daB ich sowohl hier als auch in der Dynamik des Punktes und
der starren Scheibe auf die Widerstande, vor allem die Gleitreibung,
angesichts ihrer groBen Wichtigkeit etwas ausfiihrlicher eingegangen
bin, als dies in andel'll Schriften iiblich ist. DaB ich auch sonst in
der Stoffauswahl, Anordnung und DarsteHung eigene Wege gegangen
bin, wird der kundige Leser bemerken, auch wird man mir wohl
die gelegentliche Aufnahme eigener Forschungsergebnisse zubilligen.
Quellenangaben finden sich nur im Verein mit Hinweisen auf weiter-
\'I Vorwort.
gehende Ausfiihrungen. Mit Riicksicht auf die Raumersparnis sind
aIle Wiederholungen und jede unnotige Breite vermieden. Das Buch
erfordert demnach, selbst auf angestrengter Arbeit beruhend, ein
ernstes Studium und bietet dafiir Studierenden del' Mathematik, Physik
und aller Zweige del' Technik mannigfache Aufschliisse, sowohl im
Text als auch in den zahlreichen Beispielen.
Del' Raumersparnis dient auch die sehr allgemeine Verwendung
del' Newtonschen Abkiirzung fUr die zeitIichen Ableitungen durch
Punkte iiber del' Veranderlichen, sowie die Benutzung moglichst
kurzer W orte ohne grundsatzliche Vermeidung hierfiir gebrauchlicher
langerer mit gleicher Bedeutung. Hier'von sei u. a. angefiihrt:
Geschwindigkeit = Lauf
Beschleunigung = Anlauf
Verzogerung = Ablauf
Winkelgeschwindigkeit = Drehwert
Winkelbeschleunigung = Andrehwert
Umfangsgeschwindigkeit = Umlauf
Radialgeschwindigkeit = Strahllauf
Halbmesser, Radius = Arm
Radiusvektor = Strahl
Tragheitsmoment = Schwungmoment
Tragheitshalbmesser = Schwungarm
Zentrifugalmoment = Schleudermoment
Komponente = Teil, Anteil
Impuls, Antrieb = Prall
Impulsmoment = Drall
kinetische Energie =Wucht
potentielle Energie c=Drang
Gesamtenergie = Macht
Zentrifugalkraft = Fliehkraft
mathem. Pend el = Fadenpendel
physisches odeI'
materielles Pend el = Scheibenpendel
materieller Punkt = Massenpunkt
Koeffizient = Beiwert
Konstante = Festwert
universelle Konstante = Weltwert
Die Zeichnung del' gegeniiber del' ersten Auflage stark ver
mehrten und fast durchweg neuen Abbildungen haben meine Assi
stenten Dr. Falkenhagen, Dipl.-Ing. Beckmann und cando mach.
Oestert durchgefiihrt, die beiden letzteren mich auch bei del' Kor
rektur wirksam unterstiitzt, wofiir ich ihnen allen an diesel' Stelle
ebenso danke wie dem riihrigen Verlage fUr sein Entgegenkommen
in del' wiirdigen Ausstattung des Buches.
Danzig-Langfuhr, im April 192-1.
H. Lorenz.
Inhaltsverzeichnis.
Erstes Buch: Kinematik ebener Gebilde.
,,",eitt-'
I. Geometrische Bewegungslehre ..... .
~ l. Verschiebung und Drehung cbener Uebilde 1
~ 2. Die Hiillkurven bewegter Scheiben 5
~ 3. Theorie del' Planimeter . . . .
II. Zeitliche Bewegungsiinderungen 11
~ 4. Einfiihrung del' Zeit. . . . . . 11
~ i). Geschwindigkeit oder Lauf. . . 15
~ 6. Winkelgeschwindigkeit oder Drehwert 19
~ 7. Be~chleulligung odeI' Anlauf . 22
~ :-:. Bahnanlauf und Normalanlauf 2.
~ 9. Strahlanlauf und Drehanlauf . :30
~ 10. Die Zentralbewcgung :)3
III. Einfache und zusammengesctzte S('hwingungen 38
~ II. Die einfache geradlinige Schwingung . . . . . . :1:<
~ 12. Zusamml'nsetzung cinfachel' Schwingungen auf einer Geraden 43
~ 13. Grundschwingungen und Oberschwingungen . . . . 46
~ 14. Die harmonische Analyse . . . . . . . . . . . . 49
§ 15. Zusammensetzung gcgeneinander geneigter Schwingungen ;,5
IV. Gezwungene und Relativhewegung 5!1
~ 16. Die gezwungene Hewegung. . . . . . . r,!J
~ 1.. Das Fadenpendel . . . . • . . . . . . 64
~ 18. Die freie Relativbewegung obne Drchung 6H
~ 19. Die freie Relativbewegung mit Drehung . 7.5
§ 20. Die gezwungene Rclativbewogung ohne Drehung . 78
~ 21. Die gezwungene Relativbewegung mit Drehung ."i0
Zweites Buch: Dynamik lIes Massenpunktes.
V. Grundlag end er D~' nam ik des M assenpn nk tes :-:4
~ 22. Masse und Kraft :-:4-
§ 23. Krafte mit gemeins<lmem Angri/tspunkt . . . 87
~ 24. Wecbselwirkung, Prall und HewegungsgroBe . 90
~ 25. Die Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . \15
§ 26. Die Arbeit del' Wef'hselwirkung zweier .\lassenpunkte 99
VI. Di e allge me iue Se b Wefe . . . . . . . . 108
~ 27. Das Schwerefeld pines .l\lassellpunktes . 10:,
S 28. Das Schwerefeld kugelformiger lVIassen 107
§ 29. Storung des Schwerefelde~ einer Kugel durch cine zweite 11:)
VII. Widerstandskraft e llf<
§ 30. Die Gleitreibung 118
§ 31, Die Dampfung . 124-
~ 32. Del' q uadratische Widerstancl 128
VITI. Dynamik ebener SclnYingungf'n 133
§ 33. Frcie Reibungsschwingungen . . 13il
§ 34. Freie gedampfte Schwingungen . IRS
§ 35. Schwingungen mit quadratischem Widerstand 144
~ 36. Erzwungene ungedampfte Schwingungen 147
~ 37. Erzwungene Schwingungen mit Dampfung. . 152
§ :18. Zusammengesetzte erzwungene Schwingungen 161
VIII Inhaltsverzeichnis.
Drittes Bucb: Statik ebener Gebilde. Seite
IX. Analytische Statik ....... . 165
§ 39. Eigenschaften der starren Gebilde 165
§ 40. Krafte an der starren Scheibe 169
§ 41. Parallele Krafte. . . . . . . . . 172
§ 42. Kraftepaare ......... . 176
§ 43. Das Gleichgewicht starrer ebener Gebilde 179
§ 44. Theorie des ebenen statisch bestimmten Fachwerkes 185
§ 45. Das Stiitzeck und Seileck 191
§ 46. Die Seil- und Stiitzkurve " . . . . . . . . . . 197
X. Graphische Statik ............... . 206
§ 47. Zusammensetzung und Zerlegung von Kraften und Krattepaaren. 206
§ 48. Das Krafteck und Seileck . . . . . . . 211
§ 49. ParalleIkratte und stetige Belastung 216
§ 50. Der Kriifteplan des eben en Fachwerkes 219
XI. Das Reibungsgleichgewicht . 222
§ 51. Die doppelt gestiitzte Scheibe . . . 222
§ 52. Die Seil- und Hautreibung. . . . . 229
§ 53. Die Steifigkeit der Ketten und Seile 232
§ 54. Das Gleichgewicht Iockerer Massen . . 236
§ 55. Die Standfestigkeit der Futter- und Staumauern . 242
§ 56. Das Gleichgewicht feuchter Erde. . . . . . . . 247
Viertes Bucb: Dynamik starrer Gebilde.
XII. Grundlagen del' Dynamik starrer Gebilde . 253
§ 57. Der Satz von D'Alembert und die Bewegung einer zusammen-
hangenden Massengruppe . . . . . .. . 253
§ 58. Die Arbeitsgleichung starrer Scheiben. . . . . . . . . . 256
§ 59. Karper mit veranderlicher Masse . . . . . . . . . . . . 262
§ 60. Schwungmomente und Schleudermomente starrer Scheib en 268
XIII. Reibungsfreie Bewegung starrer Scheib en 274
§ 61. Allgemeine Theorie der Scheibenbewegung. . . . . . . . 274
§ 62. Kritische Drehwerte rotierender Wellen ........ . 279
§ 63. Wirkung eines periodischen Momentes auf die Schwungmasse 286
§ 64. Das Scheibenpendel . . . . . 292
§ 65. Das Doppelpendel. . . . . . 296
§ 60. Theorie del' Hebelwagen . . . 301
§ 67. Der federnd gelagerte Stab . 306
§ 68. Der zwanglaufig bewegte Stab 310
§ 69. Das Kraftespiel im Kurbeltrieb 315
§ 70. Das Walzpendel. . . . . . . . 321
XIV. Scheibenbewegung mit Widerstanden 327
§ 71. Die Scheibe auf fester Fiihrungsbahn . . . . . . 327
§ 72. Die Bewegung zweier sich beriihrender Scheiben . 332
§ 73. Der Rollwiderstand . . • . . 337
§ 74. Die Bewegung der Fuhrwerke 342
XV. Der StoB fester Scheiben 348
§ 75. Der StoB freier Scheiben 348
§ 76. Der ZentralstoB freier Scheiben . 354
§ 77. Der StoB festgehaltener Scheib en . 359
XVI. Die Seilbewegung ....... . 365
§ 78. Die Bewegungsgleichungen eines Seiles 365
§ 79. Der Seiltrieb • . . . . . . . . . • . 370
§ 80. Schwingungen eines gespannten Seiles 375
Namenverzeichnis ............ . 382
Sachverzeichnis ............. . 382
Erstes Buch.
Kinematik ebener Gebilde.
I. Geometrische Bewegungslehre.
§ 1. Verschiebung und Drehung ebener GebiMe. Beobachten
wir die uns umgebenden Gegenstande, so zeigt sich, daB einzelne
von ihnen, z. B. die Gebaude, ihre gegenseitige Lage beibehalten,
andere dagegen, wie Fuhrwerke, Tiere und wir selbst, ihre Lage
gegeniiber den ersteren, sowie untereinander verandern. Die ersteren
Korper befinden sich dann nach unserer Ausdrucksweise im Zu
stande del' Ruhe (gegeneinander), die letzteren im Zustande del'
Bewegung (gegeniiber den erstel'en sowie untereinander), wobei wir
die in Klammern gesetzten naheren Bezeichnungen gewohnlich untel'
driicken.
Bei naherem Zusehen erweist sich nun die Ortsveranderung
eines beliebigen Korpers als ein auBerst verwickelter V organg, wes
halb wir uns zunachst auf die Verfolgung eines einzelnen Korper
punktes beschranken. Die aufeinanderfolgenden Lagen eines solchen
Punktes bezeichnen wir dann als seine Bahn, die im allgemeinen
eine Raumkurve sein und von den Bahnen anderer Korperpunkte
verschieden sein wird. 1m einfachsten Fall kann diese Bahn eine
Gerade sein, vielfach werden wir es auch mit gekriimmten, abel'
ebenen Bahnen zu tun haben. . Verlaufen nun die Bahnen aIler
Korperpunkte in parallelen Ebenen, so sprechen wir die ganze Er
scheinung als eine ebene Bewegung an. Mit diesel' wollen wir
uns vorlaufig allein beschaftigen und uns weiter auf Karpel' be
schranken, deren einzelne Punkte wahrend del' Bewegung ihre gegen
seitige Lage nicht andern. Solche vollkommen starre Karpel' gibt
es in Wirklichkeit nicht, indessen kommen ihnen Gegenstande aus
Metallen, natiirlichen odeI' kiinstlichen Steinen, sowie aus Holz an
gefertigte Dinge vermoge del' nul' auBel'ordentlich kleinen Verschie
bungen ihrer Teile gegeneinander hinreichend nahe, um diese Verein
fachung wenigstens fiir den Gesamtvorgang zu rechtfertigen. 1st ein
derartiger Korper senkrecht zu den parallelen Bewegungsebenen seiner
Einzelpunkte nul' wenig ausgedehnt, so sprechen wir wohl auch von
I .. orPTlz, Tf'chn. PhYRik 1, 1. ~. Allfl. 1
2 Geometrische Bewegungslehre.
einer starren Scheibe. Andert diese ohne jeden Zusammenhang
mit andern gleichartigen Scheib en ihre Lage, so vollzieht sie eine
freie Bewegung, ist sie aber dabei mit anderen Korpern irgendwie
verbunden, so haben wir eine unfreie odeI' gezwungene Bewegung
vor uns. Die Gesamtheit der miteinander verbundenen Scheib en,
die sich in ihren Bewegungen gegenseitig bedingen, heiBt dann eine
kinematische Kette (griechisch ~[Y1J,ua=Bewegung). Die ein
fachsten Beispiele solcher Ketten bilden die G lei t s t ii c k e auf einer
geraden odeI' krummen Fiihrungsschiene und der Zapfen mit Lager,
wobei aIle Punkte der mit dem beweglichen Teile verbundenen Schei.be
konzentrische Kreise beschreiben.
Da nun die Lage eines Punktes in der Ebene durch seine Ab
stande von zwei festen Punkten eindeutig gegeben ist, so brauchen
wir auch nur die Bewegung zweier Punkte einer Scheibe zu ver
folgen, womit diese Bewegung auf die der geraden Verbindungslinie
beider Punkte, die im iibrigen willkiirlich gewahlt werden konnen,
zuriickgefilhrt ist. Denken wir
uns in Abb. 1 eine Gerade A B
in die neue Lage A' B' ver
schoben, die mit der urspriing
lichen den Winkel gl bildet, so
schneiden sich die Mittellote der
Verbindungslinien A A' und B B'
der Endpunkte beider Lagen in
P so zwar, daB AP= A' P,
BP= B' P, also wegen der
Gleichheit der beiden Strecken
A B und A' B' auch 6 A B P "-'. A' B' P. Dann also ist auch
1:: P A B = 1:: P A' B', sowie 1:: P B A = 1:: P B' A', und wegen der
Neigung cp' von A'B' gegen AB wird <j.:APA'=l::BPB'=cp'.
Die ebene Bewegung einer mit der betrachteten Strecke
fest verbundenen starren Scheibe kann daher durch die
Drehung urn einen Pol P ersetzt werden.
Bringen wir dann die Strecke A' B' in die dritte Lage A" B" II A B ,
so ist auch diese Verlagerung gleichwertig del' Riickdrehung um
einen zweiten Pol P' mit demsetben, abel' entgegengesetzten Dreh
winkel-cp'. Zwei gleiche, aber entgegengesetzte Drehungen
einer Scheibe ergeben daher eine Parallelverschiebung
odeI' umgekehrt: die Parallelverschiebung einer starren
Scheibe kann auch durch zwei entgegengesetzt gleiche
Drehungen um verschiedene Pole hervorgerufen werden.
1st die dritte Lage A" B" der Strecke nicht parallel del' ersten,
sondern urn den beliebigen Winkel cp" gegen die zweite Lage A' B'
geneigt, so konnen wir sie au+ch unmittelbar aus der ersten durch
eine Drehung vom Betrage cp' cp" erhalten usw., so daB sich auf
einanderfolgende Drehungen einfach algebraisch addieren.
Wir haben hisher nur die Endlagen der einzelnen Ortsveran
derungen diesel' mit del' starren Scheibe verbundenen Geraden A B
Vc rschiebung und Drehung ebener Gebilde. 3
ins Auge gefant, liber die Zwischenlagen der beiden Punkte A und B,
d. h. liber ihre wahren Bahnen dagegen nichts ausgesagt. Sind beide
Bahnen bekannt, bzw. durch Flihrungs- oder Leitkurven festgelegt,
so diirfen wir das vorstehende Verfahren der Polbestimmung auf je
zwei benachbarte Lagen del' Strecke AB anwenden. Die zugeharigen
Mittellote fallen dann mit den N ormalen del' Bahnen in A und B
zusammen und schneiden sich im Pole P, der allerdings bei del'
Ortsveranderung del' Geraden ebenfalls war.dert und eine in der
Bewegunsgebene feste Polbahn beschreibt. Betrachten wir nun
mehr in Abb. 2 drei aufeinanderfolgende unendlich nahe Lagen del'
Strecke A B mit den zugehOrigen Polen Pl P2 P3, so wird bei del'
Drehung urn P del' erste mit AB fest verbundene Pol P nach PI'
2 l
und bei weiterer Drehung urn P der erste Pol nach P/', der zweite
3
nach P/' gelangt sein, wobei wegen der Drehung urn unendlich
kleine Winkel, P2 Pl = P2 P/ = P2" Pt, P3 P2 == P3 P2" ist und die
Strecken Pl Pl in Pl' P2 Pt in
Po Eenkrecht auf del' festen Pol- /
b~hn P P P stehen. Damus folgt, 1",
l 2 3
daB die mit A B fest verbunden " "\ '" '-
ge d ac h ten auf em· an d erf 0 Ig end en ~ 1.1£ ',\', ',~' ,-
Pole Pt" P2" P3 eine als beweg- Ii / \" ~\ "''-
liche Polbahn bezeichneteKurve /fj ~~:, '\ '-\""
bilden, die ersichtlich auf der " '" \ , ",
,,'-\ \
festen Polbahn abrollt, ohne zu ", "", \
gleiten, wobei immer del' Be- '" \"
riihrungspunkt beider Pol- "
bahnen den augenblicklichen ,.q'£f-----"1B.
Pol, den sog. Momentanpol Abb.2.
bildet. Wir diirfen demnach
die beliebige ebene Bewegung einer starren Scheibe durch
das Abrollen einer mit ihr starr verbundenen Kurve, del'
bewegIichen Polbahn, auf einer in del' Ebene festliegenden
Kurve, del' festen Polbahn, ersetzen, welche dabei die beweg
liche Polbahn in allen ihren Lagen umhiillt. Durch diese Rollbewegung
sind dann umgekehrt die Bahnen del' beiden Punkte A und B und mit
ihnen alIe Punktbahnen del' bewegten Scheibe als Rollkurven be
stimmt, wovon man in del' Technik der Fortbewegung durch Rollen
umfassenden Gebrauch macht, indem man die feste wie bewegliche
Polbahn unmittelbar zur Begrenzung del' gegeneinander bewegten
Karpel' benutzt. Sie kannen offenbar miteinander vertauscht werden,
wodurch neue Rollkurven del' vorher festen Scheibe entstehen, die
sich in den Beriihrungspunkten stetig an die vorher betrachteten
anschlie13en.
1. Bei!!piel. RoUt z. B. ein Kreis auf einer festen Geraden, Abb. 3,
so beschreibf>n seine Umfangspunkte gemeine Zykloiden, die innerhalb
und aul3erhalb des Umfanges gelegenen Punkte dagegen Trochoiden, deren
Normalen stets durch den als Momentanpol wirkenden Beriihrungspunkt des
Rollkreisumfangs mit del' Fiihrungsgeraden hindurchgehen. Rollt ein Kreis
auf einem festen andern Kreise, Abb. 4, dem sog. Grundkreis, so erhalten wir
1*