Table Of ContentFORSCHUNGSBERICHTE DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
Nr. 1430
Herausgegeben
im Auftrage des Ministerpräsidenten Dr. Pranz Meyers
von Staatssekretär Professor Dr. h. c. Dr. E. h. Leo Brandt
DK 547.455/458
547.458.414
Prof. Dr. Almuth Klemer
Dr. Kurt Homberg
Dipl.-Chem. Heinz Lukowski
Dipl.-Chem. Pranz Zerhusen
Organisch-Chemisches Institut der Universität Münster
Synthesen und Abbau von Oligosacchariden
mit verzweigten Ketten
WESTDEUTSCHER VERLAG KÖLN UND OPLADEN 1965
ISBN 978-3-663-03923-5 ISBN 978-3-663-05112-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-05112-1
Verlags-Nr. 011430
© 1965 by Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen
Gesamtherstellung : Westdeutscher Verlag
Inhalt
Einleitung .................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Vorkommen und Bedeutung verzweigter Oligosaccharide ............... 7
1. Die Hydrolysengeschwindigkeit der 0(-1.4- und ß-1.6-Bindung in
4-0(-6-ß-Bis-n-glucosido-n-glucose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Beschreibung der Versuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 14
11. Synthese eines weiteren verzweigten Trisaccharides:
3.6-Bis-ß-n-glucosido-n-glucose ................................. 15
Beschreibung der Versuche ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 24
IH. Die Einwirkung von Alkali auf 3.6-Bis-ß-n-glucosido-n-glucose ..... 32
Beschreibung der Versuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 36
IV. Über den alkalischen Abbau einiger n-Glucosemethyläther:
2-Methyl- und 2.4.6-Trimethyl-n-glucoseen (2.3) ................... 40
Beschreibung der Versuche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 41
5
Einleitung
Vorkommen und Bedeutung verzweigter Oligosaccharide
Nahezu alle Oligosaccharide bestehen aus geradkettig aneinander gebundenen
Monosaccharid-Resten. Der Aufbau ist dadurch gekennzeichnet, daß, abgesehen
von den Endgruppen, die Glieder der Kette stets alternierend über das glykosi
dische C-Atom eines Gliedes und eine alkoholische Hydroxylgruppe des folgenden
Bausteines miteinander verbunden sind. Demgemäß stellt z. B. die Stachyose ein
geradkettiges Tetrasaccharid dar1.
4-o<,6-ß-Bis-D-glucosido-D-glucose
Oligosaccharide, bei denen zwei oder mehr Monosaccharid-Reste mit den alkoho
lischen Hydroxylgruppen eines Monosaccharides verbunden sind, werden als
Gruppe der »verzweigtkettigen« Oligosaccharide zusammengefaßt. Der Begriff
verzweigtkettig bezieht sich also nicht auf die Kohlenstoffketten der einzelnen
Monosaccharide, sondern auf die Anordnung der Bausteine. Die 4-1X-6-ß-Bis-n
glucosido-n-glucose ist z. B. ein verzweigtes Trisaccharid.
Verzweigte Oligosaccharide kommen in der Natur sehr selten vor. Nur zwei
generelle Vorkommen sind bisher bekannt: In einigen Solanum-Arten findet man
1 In diesem Bericht wurden wegen ihrer besseren Übersichtlichkeit im wesentlichen die
bewährten Strichformeln verwendet:
o
I I
I 11
- =HC-OH -I = Hf-O-C-CH3
I
7
diesen Stofftyp in Form von Alkaloidglykosiden2, und aus Frauenmilch wurden
einige kompliziert aufgebaute freie verzweigte Oligosaccharide isoliert3.
In bei den Fällen besitzen diese Oligosaccharide ein besonderes biologisches Inter
esse. So wird die Resistenz bestimmter Solanumarten gegenüber dem Kartoffel
käferlarven-Befall mit ihrem Gehalt an diesen Glykosiden in Verbindung ge
bracht. Die verzweigten Oligosaccharide aus der Frauenmilch sind Wuchsstoffe
für den Lactobazillus bifidus, der für das Gedeihen des Säuglings von großer
Wichtigkeit ist.
Verzweigte Oligosaccharide besitzen ferner eine besondere Bedeutung für die
Kenntnis der Strukturen der zahlreichen verzweigten Polysaccharide.
Die Strukturermittlung der Polysaccharide stützt sich im wesentlichen auf die
Methylierung mit anschließender Hydrolyse und den oxydativen Abbau. Daneben
liefert die partielle Hydrolyse des betreffenden Polysaccharides oft wertvolle Hin
weise, da sie zu definierten charakteristischen Spaltprodukten führen kann. Für
die Kenntnis der Art der Verzweigungen des Polysaccharides sind dabei jene Ab
bauprodukte besonders wertvoll, die die verschiedenen Bindungstypen in sich
vereinen. Ein direkter und unmittelbarer Beweis für die verzweigtkettige Struktur
eines Polysaccharides würde daher erst die Isolierung eines verzweigtkettigen
Oligosaccharides bedeuten. Solche Abbauprodukte wurden jedoch, abgesehen
von ganz wenigen Ausnahmen4, bisher niemals gefunden, obwohl von verschie
denen Arbeitskreisen intensiv nach solchen unter den Hydrolysenprodukten ge
sucht wurde.
Angesichts der außerordentlichen Verbreitung der verzweigten Polysaccharide
- zu dieser Gruppe gehären z. B. das Amylopektin, Pflanzengummiarten, Man
nane, Pektine und viele Bakterienpolysaccharide - ist eine Kenntnis verzweigter
Oligosaccharide von besonderem Wert.
Es war daher von erheblichem Interesse, Methoden zur chemischen Synthese ver
zweigter Oligosaccharide zu finden. Die Kenntnis der Eigenschaften solcher Ver
bindungen, insbesondere die der Hydrolysengeschwindigkeit seiner verschiedenen
glykosidischen Bindungen, würden dazu beitragen, jenem wichtigen, noch unge
lösten Problem in der Strukturaufklärung verzweigtkettiger Polysaccharide näher
zukommen.
Die ersten Synthesen verzweigter Trisaccharide wurden vor einigen Jahren von
A. KLEMER entwickelt.
1956 wurde über die Synthese des ß-Methyl-6-[ß-D-glucosido ]-4' -6' -äthyliden
cellobiosids5 und ein Jahr später über die des freien verzweigten Trisaccharides
4-C(-6-ß-Bis-ß-D-glucosido-D-glucose berichtet6•
KUHN, R., J. Löw und H. TRISCHMANN, Chern. Ber. 88, 1492 (1955).
KUHN, R., und]. Löw, Chern. Ber. 88, 1690 (1955); Angew. Chern. 68, 212 (1956).
3 KUHN, R., H. H. BAER und A. GAUBE, Chern. Ber. 89,2514 (1956); 91, 364 (1958).
KUHN, R., und A. GAUBE, Chern. Ber. 93, 647 (1960).
4 HAQ, S., und G.A.ADAMS, Canad. ]. Chern. 39, 1563 (1961).
5 KLEMER, A., Chern. Ber. 89, 2583 (1956).
6 KLEMER, A., Angew. Chern. 69, 638 (1957); Chern. Ber. 92,218 (1959).
8
Das folgende Bild vermittelt eine Übersicht über das Prinzip dieser beiden Syn
thesen.
Beide Trisaccharide sind 4-6-verzweigt. Dieser Typ wurde gewählt, weil von
allen verzweigten Polysacchariden das Amylopektin und das ihm nahestehende
Glykogen die wichtigsten sind. Diese enthalten 1.4- und 1.6-und in sehr geringem
Umfange auch 1.3-Bindungen. Diese beiden Polysaccharide haben wegen ihrer
großen Bedeutung für die Ernährung und Biochemie intensive Bearbeitung
gefunden.
~~ ~
D
() HC R'; (R';) 0 0 CR,
j
1. A:tobrom-o_glucose/Ag20
2. NaüCH,
3. partielle Hydrierung (Abspaltung von R~)
4. Chromatogr. Trennung
D
D
CR"
o ü H ' ü
o
R; ~ -Ü-CH2-C.HS 6-ß-D-Glucosido-maltosc
R'; = -CSH5
9
1. Die Hydrolysengeschwindigkeit der e<-1.4-
und ß-1.6-Bindung in 4-e<-6-ß-Bis-n-glucosido-n-glucose7
Mit der partiellen Hydrolyse des Amylopektins haben sich besonders intensiv
WOLFROM und MitarbeiterS befaßt. Die Untersuchungen gehen von der Voraus
setzung aus, daß sowohl alle 0:.-1.4-als auch alle 0:.-1.6-Bindungen des Amylopektins
unabhängig voneinander hydrolisiert werden, und zwar jeder der beiden Bindungs
typen mit einer bestimmten Geschwindigkeit. Bei der Rechnung wird für die
0:.-1.4-Bindung der Wert für die Hydrolysenkonstante der Maltose, für die 0:.-1.6-
Bindung der der Isomaltose zugrunde gelegt. Berücksichtigt man außerdem den
bekannten Verzweigungsgrad des Amylopektins, so kann man rechnerisch er
mitteln, bei welchem Hydrolysengrad z. B. ein Maximum an Trisacchariden mit
einer 1.4- und mit einer 1.6-Bindung zu erwarten ist. Die drei Trisaccharide:
a) 4-0:.-6-0:.-Bis-D-glucosido-D-glucose
b) 4-0:.-Isomaltosido-D-glucose
c) 6-0:.-Maltosido-D-glucose
()
o
sollten demgemäß bei einem bestimmten Hydrolysengrad mit gleicher Wahr
scheinlichkeit auftreten. Die Praxis zeigt jedoch, daß unter diesen Bedingungen
nur b) isoliert werden kann. Über das Auftreten der beiden anderen bei der parti
ellen Hydrolyse des Amylopektins zu erwartenden Trisaccharide ist bisher nichts
bekannt.
7 KLEMER, A., Tetrahedron Letters Nr. 22, 5 (1960).
8 THOMPSON, A., und M. L. WOLFROM, ]. Arner. ehern. Soc. 75, 5849 (1951), und frü
here Arbeiten.
10
Das Ergebnis könnte in einer anormal großen Hydrolysengeschwindigkeit einer
oder der beiden glykosidischen Bindungen im verzweigten Trisaccharid, bei dem
ja die beiden glykosidischen Bindungen an den alkoholischen Hydroxylgruppen
eines Glucoserestes angreifen, begründet sein.
Wir haben daher die partielle Hydrolyse von 4-1X-6-ß-Bis-n-glucosido-n-glucose
als Modellsubstanz untersucht. Dabei zeigte sich nun aber überraschenderweise,
daß sowohl die 1X-1.4- als auch die ß-1.6-Bindung in diesem Trisaccharid nicht
schneller sondern vielmehr langsamer als in den zugehörenden Disacchariden
Maltose und Gentiobiose hydrolysiert werden.
Für die Bestimmung der beiden Hydrolysenkonstanten des Trisaccharides wurden
folgende Bedingungen gewählt:
Temp.: 100° (Ultra-Thermostat)
0.05 n H2S04
Nach einer bestimmten Hydrolysendauer wurden die entstandenen Spaltprodukte
n-Glucose, Maltose und Gentiobiose sowie unverändertes Ausgangsprodukt mit
Hilfe der Isotopen-Verdünnungsanalyse (Zusatz von 14C-n-Glucose und 14C_
Maltose) und der anschließenden quantitativen chromatographischen Auftrennung
des Hydrolysats an Cellulosepulver mittels eines automatischen Fraktionssammlers
isoliert.
Alle Komponenten wurden in chromatographisch reiner Form erhalten. Die
Mengen an n-Glucose und Maltose stimmten überein mit den nach der 14C_
Methode gefundenen Werten.
Die folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse:
Trisaccharid Hydrolysendauer D-Glucose Maltose Gentiobiose
Einwaage [mg] [Stunden] [mg] [mg] [mg]
151.5 12.5 43 10 32
182 6 26 13 29
Die für die Rechnung benötigten Hydrolysengeschwindigkeitskonstanten von
Maltose und Gentiobiose wurden auf optischem Wege bei gleicher Temperatur
und gleichem pH-Wert ermittelt. Die verwendeten Disaccharide waren beide ana
lytisch und chromatographisch rein. (Die Reindarstellung erfolgte über die reinen
ß-Oktacetate. )
K = 0.087 Std.-1
Ma
KGent = 0.037 Std.-1
Aus diesen Zahlen und je einem der gefundenen Werte für Maltose und Gentio
biose aus der Trisaccharid-Hydrolyse (es wurden die Werte der sechsstündigen
Hydrolyse eingesetzt) ergibt die Rechnung (vgl. 9) für die Hydrolysengeschwin
digkeitskonstanten der 1X-1.4- und der ß-1.6-Bindung im Trisaccharid folgende
Werte:
KTris = 0.056 Std.-1 KTris = 0.028 Std.-1
lX-l.4 ß- 1.6
9 ]ONES, R. W., R.]. DIMLER und C. E. RIST, ]. Amer. ehern. Soc. 77, 1659 (1955).
11
Mit diesen Zahlen wurden die Werte für Gentiobiose, Maltose und Glucose zur
Zeit t = 12.5 Stunden und der Glucose zur Zeit t = 6 Stunden berechnet und
mit den gefundenen verglichen.
Glucose Maltose Gentiobiose
Zeit
[Std.] gef. ber. gef. ber. gef. ber.
12.5 0.80 1.11 0.10 0.12 0.29 0.28
6 0.40 0.56 0.105* 0.235*
Die Zahlen in dieser Tabelle geben die Mol-Verhältnisse an.
*
Diese gefundenen Werte wurden für die Rechnung eingesetzt.
Die Tabelle zeigt, daß die Maltose- und Gentiobiose-Werte recht gut mit den be
rechneten übereinstimmen. Der gefundene Glucose-Wert liegt für die beiden
Versuchsreihen um das gleiche Verhältnis etwas zu tief gegenüber dem berechne
ten Mol-Verhältnis.
Der Vergleich der errechneten Hydrolysenkonstanten untereinander zeigt, daß die
ot-1.4-Bindung im Trisaccharid etwa 1,5mal langsamer als in Maltose und die
ß-1.6-Bindung im Trisaccharid etwa 1,3mallangsamer als in Gentiobiose hydro
lysiert wird.
Obwohl die Modellsubstanz eine ß-1.6-Bindung gegenüber der ot-1.6-Bindung im
Amylopektin besitzt, ist es sehr wahrscheinlich, daß auch in dem bisher nicht be
kannten verzweigten Trisaccharid 4-ot, 6-ot-Glucosido-D-glucose die Hydrolyse
der ot-1.6-Bindung langsamer als in Isomaltose erfolgen wird. Die Frage, warum
dieses verzweigte Trisaccharid unter den Hydrolysenprodukten des Amylopektins
noch nicht gefunden wurde und auch bei anderen verzweigten Polysacchariden
bisher nie Oligosaccharide dieses verzweigten Typs isoliert wurden, bleibt damit
noch unbeantwortet.
Berechnung der Hydro!Jsenkonstanten der 4-ot, 6-ß-Bis-D-glucosido-D-glucose1o
a Anfangskonzentration an Trisaccharid
qI(t) = Konzentration an Gentiobiose
Ht) = Konzentration an Maltose
1) (t) Konzentration an Glucose
K Hydrolysenkonstante der ot-1.4-Bindung im Trisaccharid
1
K2 Hydrolysenkonstante der ß-1.6-Bindung im Trisaccharid
Ka Hydrolysenkonstante der Gentiobiose
K4 Hydrolysenkonstante der Maltose
Die vollständige Hydrolyse der 4-ot-.6-ß-Bis-D-glucosido-D-glucose ist eine Über
lagerung von vier Reaktionen 1. Ordnung.
Herrn Dr. W. MECKSTROIlT, Org. ehern. Institut der Universität Münster, danke ich
10
für die Durchführung der Berechnung.
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