Table Of ContentUniversität Ulm
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Leiter: Prof. Dr. Florian Steger
Strukturelle Untersuchung
zu einem komplexen chirurgischen Text
des ausgehenden Mittelalters
Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin
der Medizinischen Fakultät
der Universität Ulm
Georg Brenner
aus Rheydt / Odenkirchen
2016
Amtierender Dekan: Prof. Dr. T. Wirth
1. Berichterstatter: Prof. Dr. H.-J. Winckelmann
2. Berichterstatter: Prof. Dr. W.-D. Müller-Jahncke
Tag der Promotion: 18.11.2016
I
INHALTSVERZEICHNIS
I. EINLEITUNG
Problemstellung: Der Stand der ‘Würzburger Wundarznei’
in der medizinischen Fachprosa des Mittelalters ....................................... 1
II. MATERIAL UND METHODIK
II.1. Historische Hilfsmittel ............................................................................... 4
II.2. Zum Stand der Forschung .......................................................................... 5
II.3. Die Problematik der Überlieferung ............................................................ 7
II.4. Die Komplexität der textlichen Gliederung:
Die Platzierung der Eintragungen ............................................................ 13
II.5. Die Chronologie der Eintragungen .......................................................... 15
II.6. Die inhaltliche Ausdünnung der vier Nachträge ...................................... 17
II.7. Konsequenzen für die Edition .................................................................. 22
III. ERGEBNISSE
III.1. Das Textgefüge des 10. Segments ............................................................ 25
III.2. Die handschriftliche Überlieferung .......................................................... 29
III.3. Kommentar zu den einzelnen Rezepten ................................................... 34
III.3.1. Der Basis-Text (a) der Haupthand (II): Fistel-(und Krebs-)Rezeptar ...... 34
[1] „Für dye fistel yn den naß lochern“ ................................................... 34
[2] „Für dye fystell an den agen oder an der nasen“ ............................. 35
[3] „Für dye fystell bey der nasen“ ......................................................... 36
[4] „Eyn guter tranck für dye fystell“ ...................................................... 37
[5] „Holwurtz wyder dye fystell“ ............................................................ 38
[6] „Für dye fistel yn den naß lochern“ ................................................... 40
[7] „Für dye fystell nym meerretych vnd bleye“ ..................................... 41
[8] „Dye fyßtell schyer zu heylen“ .......................................................... 42
III.3.2. Exkurs zu den Eintragungen (b) von Hand V:
Das Warzen-(Fistel-)Rezeptar eines Würzburger Wundarztgesellen ...... 44
[9*] „Vür alle geschwülst“ .................................................................... 45
[10*] „Ein pulffer vür die figwarczel<n>“ .............................................. 46
[11*] „Die viegwarczel<n> zu heilen vnd die fisttelen“ ......................... 47
[12*] „Vor die feÿgwarczel<n> in dem arß“ .......................................... 48
[13*] „Vor die fistel“ ............................................................................... 51
[14*] „Wiltu den würm deten“ ................................................................ 53
[15*] „Wiltu ein gut bülfer machen for die büllen“ ................................ 56
[16*] „Vor die fÿge warczel“ .................................................................. 82
[17*] „Ein pülfer zu den feÿck warczelen“ ............................................. 83
III.3.3. Exkurs zu den Eintragungen (c) von Hand III:
Das Milz-Feigwarzen-Rezeptar ................................................................ 94
[18*] „Vor die fek warczeleinn“ ............................................................. 95
II
[19*] „Wenn einem die gemecht geschwelen“ ..................................... 100
[20*] „Buchss bam ist gut vůr vnkuscheit“ .......................................... 102
[21*] „Von der vnkuscheit“ .................................................................. 104
[22*] „Das hÿrn von einem hasen gebratten“ ....................................... 105
[23*] „Was dÿe gemecht macht vf sten“ .............................................. 114
[24*] „Der da vubel hort“ ..................................................................... 117
[25*] „Wer ein bosß milcz hatt“ ........................................................... 122
[26*] „Vůr die feg blatteren“ ................................................................ 132
[27*] „Wer sÿch inwentigck her keltt het“ ........................................... 135
[28*] „Wer dÿe fallende sucht hat“ ...................................................... 138
[29*] „Wer ein boß milcz het“ .............................................................. 143
[30*] „Wer tuofels abÿß beÿ im treget“ ................................................ 149
[31*] „Wiltu machen daß einem das hare vs valle“ .............................. 152
[32*] „Wyltu machen das einer stetlÿchen slaff“ ................................. 154
III.3.4. Die Ulcus-cruris-Therapie (d) von Hand IV:
‘Ein Stück für alte Schäden’ .................................................................. 161
[33*] „Ein stůck vúr alt scheden“ ......................................................... 161
[34*] „Wan dem daß faůl fleyß ein wenig myndert“ ............................ 167
III.3.5. Exkurs zu den Eintragungen (e) von Schreiber VI:
Die Harn-Rezepte ................................................................................... 176
[35*] „Wen du nit harme myegst“ ........................................................ 177
[36*] „Wen der harem wee thüt“ .......................................................... 178
[37*] „Wen eim dy oderen nit versto<n> will“ .................................... 197
IV. DISKUSSION ................................................................................... 214
V. ZUSAMMENFASSUNG ............................................................... 231
VI. LITERATURVERZEICHNIS
VI.1. Quellenverzeichnis ................................................................................. 233
VI.2. Literaturverzeichnis ............................................................................... 246
VII. ANHANG: EDITION DES GESAMTTEXTES
VII.1. Editorische Vorbemerkung .................................................................... 275
VII.2. Textausgabe ........................................................................................... 280
a) Fistel-(und Krebs-)Rezeptar .............................................................. 280
b) Warzen-(Fistel-)Rezeptar ................................................................. 283
c) Milz-Feigwarzen-Rezeptar ............................................................... 287
d) Ulcus-cruris-Therapie ....................................................................... 293
e) Harn-Rezepte .................................................................................... 295
VII.3. Abbildungen zum Text .......................................................................... 297
Lebenslauf ......................................................................................... 302
III
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
a 1. Spalte LexMA Lexikon des Mittelalters
a.a.O. am angegebenen Ort math.-nat. mathematisch-
Abb. Abbildung naturwissenschaftlich
Abs. Absatz masch.schr. maschinenschriftlich
Adj. Adjektiv med. medizinisch
adj. adjektivisch Mhd. Mittelhochdeutsch
ahd. althochdeutsch mhd. mittelhochdeutsch
Anm. Anmerkung mm Millimeter
Arch. Archiv n. Chr. nach Christus
Aufl. Auflage neund. neuniederdeutsch
b 2. Spalte N. F. Neue Folge
Bd. Band Nr. Nummer
Bde. Bände Part. praet. Partizipium praeteritum
Bl. Blatt pharm. pharmazeutisch
bzw. beziehungsweise phil. philosophisch
cap. capitulum plur. Plural
dass. dasselbe praes. Präsens
Dat. Dativ R. Reihe
d.h. das heißt r recto (Vorderseite)
Diss. Dissertation redig. redigiert
dittogr. dittographisch rer. pol. rerum politicarum
d. J. der Jüngere S. Seite
ebd. ebenda s. sieh
engl. englisch Sp. Spalte
EnzMedGesch Enzyklopädie stf. starkes Femininum
Medizingeschichte stm. starkes Maskulinum
f. folgende stn. starkes Neutrum
ff. (mehrere) folgende stv. starkes Verb
Fig. Figur Suppl. Supplement (Ergänzungsband)
frnhd. frühneuhochdeutsch s.v. sub voce (unter dem Stichwort)
Fschr. Festschrift Tab. Tabelle
g Gramm Taf. Tafel
german. germanistisch u.ö. und öfter
gestr. gestrichen usw. undsoweiter
Habil.schr. Habilitationsschrift V. Vers
Hann. Hannover v verso (Rückseite)
hrsg. herausgegeben Verl. Verlag
Hs. Handschrift vgl. vergleiche
Hss. Handschriften VL Verfasserlexikon
idg. indogermanisch v.u. von unten
ind. indikativ Z. Zeile
Kap. Kapitel z.B. zum Beispiel
korr. korrigiert zit. zitiert
lat. lateinisch
1
I. EINLEITUNG
Problemstellung: Der Stand der *‘Würzburger Wundarznei’1
in der medizinischen Fachprosa des Mittelalters
Die Untersuchungen zu dem hier erfassten ‘komplexen chirurgischen Text’2 ordnen
sich ein in eine Forschungstradition, die in den 1890er Jahren durch Julius Leopold
Pagel durch Zeitschriftenpublikationen und Editionen begründet3, durch Karl Sud-
hoff weitergeführt4 und von der modernen Chirurgie-Geschichtsschreibung aufge-
griffen wurde5.
Sudhoffs heuristisch ausgerichtete Forschungen führten dazu, dass zu Beginn
des 20. Jahrhunderts das Interesse der Medizinhistorik bevorzugt den altdeutschen
Werken chirurgischen Fachschrifttums galt6. Entsprechend stellte er seine Funde ab
1930 im ‘Verfasserlexikon’ zur ‘deutschen Literatur des Mittelalters’ vor7, was der
Prager Wissenschaftshistoriker Gerhard Eis nach Sudhoffs Tod8 fortsetzte und nach
Abschluss der ‘Verfasserlexikons’-Erstauflage in mehreren Nachtragsserien9 bis
1971 weiterführte. Die ab 1977 erscheinende und 2008 abgeschlossene ‘Verfasser-
lexikons’-Zweitauflage hat das von Gerhard Eis 1936 entwickelte10 Konzept der
Artes-Literatur aufgegriffen und gezeigt, dass die medizinischen Texte nicht nur im
Vergleich mit der Artes-Literatur einen herausragenden Platz beanspruchen, son-
1 Zu den vorangestellten Symbolen (*, + und °) sieh unten Anm. 16.
2 Vgl. den Titel und sieh die Vorarbeiten von BRENNER (2010).
3 PAGEL (1892); PAGEL (1894).
4 SUDHOFF (1914/18).
5 BRUNN (1928); SACHS (2000-2004), hier insbesondere II (2001).
6 KEIL (1981).
7 KEIL (1997b).
8 1938.
9 EIS/ARNOLD/KEIL/SCHMITT (1958-1965); EIS/KEIL (1971).
10 EIS (1937).
2 Einleitung
dern sogar im Rahmen des gesamten altdeutschen Schrifttums den beachtlichen
Anteil von 10 Prozent ausmachen11, während es die Schriften aller anderen Fachdis-
ziplinen zusammen nur auf 9 Prozent bringen und auch die juristischen Texte mit
insgesamt 8 Prozent deutlich zurückbleiben. Und innerhalb der Medizinliteratur
wiederum beanspruchen die chirurgischen Texte ein stattliches Segment, das im 13.
Jahrhundert einsetzt, gegen Ende des Mittelalters zunehmend an Umfang und
Reichweite gewinnt und den Gipfel seiner Wirkungsmächtigkeit mit den wundärzt-
lichen Lehrbüchern Hieronymus Brunschwigs und Hans von Gersdorffs erreicht12.
So kann es nicht überraschen, das der Auftakt zur deutschen Literatur heilkund-
lich ist und dass das deutsche Schrifttum mit den *‘Basler Rezepten’ einsetzt, die
einen chirurgischen Text bieten13 –: einen veterinärchirurgischen zwar, aber immer-
hin doch einen wundärztlichen, der für eine dermatochirurgische Maßnahme die
Anleitung bereithält14. Medizinische Kurztexte – meist pharmazeutischer Ausrich-
tung – schließen sich bis zum 12. Jahrhundert an15. Zu der Vielzahl medizinischer
Fachtexte des 12. bis 15. Jahrhunderts, deren Textmuster variabel ist und deren Ar-
rangement teils hohe Komplexität aufweist, ist auch die sogenannte ‘Würzburger
Wundarznei’ zu zählen.
Die ‘Würzburger Wundarznei’ ist eine Papierhandschrift im Folioformat, die
1995 in einem Hamburger Antiquariat auftauchte, 1996 erstmals wissenschaftlich
beschrieben wurde. Ihren Namen erhielt sie aufgrund eines Eintrags auf dem vorde-
ren Innenspiegel, wo ein Villus Walcher aus Würzburg von sich vermerkt, er habe
1528 das Buch „seinem …“ zugestellt, wobei der Name des Empfängers ausradiert
ist. Sie umfasst 96 durchgezählte Blätter und dürfte um 1500 entstanden sein. Da-
rauf deuten sowohl die Schrift der Haupthand, eine fränkische Bastarda, als auch
das Wasserzeichen hin, Berge mit Kreuz und Sternen, das nach Briquet zwischen
1488 und 1507 unter anderem in Wien und Freiburg im Breisgau Verwendung fand.
11 CROSSGROVE (1994), S. 59f.
12 PANSE (2012), S. 149-160 und 221-227; EnzMedGesch (2007), I, S. 217ab; VL I (1978), Sp. 626-630.
13 ASSION (1973), S. 136; CROSSGROVE (1994), S. 32 und 40.
14 EIS (1951/82); VL I (1978), Sp. 628f.
15 ASSION (1973), S. 136f.; CROSSGROVE (1994), S. 40f.
Einleitung 3
Die Schreibsprache weist dagegen eine große Abhängigkeit von den Quellen auf,
die der Kompilation zugrunde liegen, und erscheint daher als Kriterium zur Ein-
grenzung der Herkunft und Entstehungszeit des Textes weniger geeignet.
Der Kodex bildet eine Texteinheit und besteht aus einer Sammlung medizi-
nischer Rezepte und Kurztraktate, die überwiegend nach pharmazeutischen Dar-
reichungsformen (Pflaster, Salben, Pulver, Wässer, Öle, Wundtränke, Gebrannte
Wässer) und zu einem kleineren Teil nach therapeutischen Indikationen angeordnet
sind. Das Manual richtet sich insbesondere an Wundärzte und steht von seinem
Aufbauprinzip her, dem gemäß die Rezepte nicht nach traumatologischen, sondern
nach pharmazeutischen Aspekten arrangiert sind, in derjenigen Tradition deutsch-
sprachiger chirurgischer Textsammlungen, die auf die um 1425 entstandene ‘Cirur-
gia’ °+*Peters von Ulm zurückgehen. Neben der ‘Cirurgia’ konnten als weitere Vor-
lagen bereits identifiziert werden der °+*‘Bartholomäus’ (um 1200), das ‘Arznei-
buch’ °+*Ortolfs von Baierland (um 1280), das °+*‘Buch von guten Pflastern und
Salben’ (Speyer, um 1470) sowie, zumindest für eine der Nachtragshände, der
°+*‘Gart der Gesundheit’ (1485).
Insgesamt lässt sich das Werk in zwölf Segmente gliedern, von denen das zehn-
te das nach Inhalt und Systematik problematischste darstellt und dem Verständnis
den meisten Widerstand entgegensetzt: die fünf Textblöcke stammen von fünf ver-
schiedenen Händen, die Reihenfolge der Rezeptserien spiegelt nicht das zeitliche
Nacheinander in der Niederschrift der Textpassagen wider und die Rezepte bezie-
hen sich auf die Behandlung divergenter Krankheiten (Krebs, Fisteln, Warzen,
Feigwarzen, Ulcera cruris sowie Milz- und Harnleiden), so dass die Genese des
ganzen Segments schwierig zu rekonstruieren ist.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Transkription, Kommentierung und kriti-
sche Edition des 10. Segments der ‘Würzburger Wundarznei’. Darüber hinaus soll
ein Blick auf Methodik, Wissensstand und Sprache der Medizin und Pharmazie um
1500 geworfen werden, da die ‘Würzburger Wundarznei’ von allen Vertretern
chirurgischer Arzneimittelhandbücher den reichhaltigsten, umfangreichsten und
schwierigsten Text bietet.
4
II. MATERIAL UND METHODIK
II.1. Historische Hilfsmittel
Hilfreich für das Einarbeiten in mittelalterliche medizinische Handschriften-Texte
waren das paläographische Grundlagenwerk von Karin Schneider (1999) und
vorausliegende Untersuchungen von Joachim Kirchner (1967), die sich für die
Erschließung des ‘komplizierten chirurgischen Textes’ (der *‘Würzburger Wund-
arznei’16) bestens eigneten.
Was den Sprachstand betrifft, wurde auf die bewährte mittelhochdeutsche
Grammatik von Reichmann/Wegera (1993) zurückgegriffen, die sowohl zum Deu-
ten der syntaktischen Strukturen wie zum Erklären der Wortformen ausreichte. Die
Wortbildung ließ sich anhand des Standardwerkes von Walter Henzen (1965)
analysieren. Und was die Deutung der Fachtermini anbelangt, so waren die lexiko-
graphischen Untersuchungen von Willem Daems (1993) maßgebend und ließen sich
in semantischen Zweifelsfällen durch die Deutungen von Jörg Mildenberger (1997)
und Iolanda Ventura (2009) ergänzen.
Als hilfreich erwies sich daneben die Edition der pharmazeutischen alemanni-
schen ‘Grabadin’-Übersetzung von Vaňková/Keil (2005). Vorbild waren darüber
hinaus die beispielhaften Ulmer Dissertationen über das Tagebuch des Dr. Franc,
16 Auf folgende drei Lexika wurde durch Kennung mit Symbolen hingewiesen:
[*] Der exponentiell anteponierte Asterisk (beispielsweise bei *‘Würzburger Wundarznei’) dient als Ken-
nung für Stichwörter aus dem ‘Verfasserlexikon’ [VL].
[°] Ein anteponierter Kreis-Exponent (beispielsweise bei °Wundtrank) verweist auf den entsprechenden
Artikel in der ‘Enzyklopädie Medizingeschichte’ [EnzMedGesch].
[+] Ein vorangestellter Kreuz-Exponent (beispielsweise bei +Chirurg) kennzeichnet Stichwörter aus dem
‘Lexikon des Mittelalters’ [LexMA].
Mehrfach-Kennung (beispielsweise bei °+*Peter von Ulm) zeigt an, dass das so gekennzeichnete Stich-
wort in zwei oder allen drei gängigen Nachschlage-Werken vertreten ist. – Im Literaturverzeichnis sind
die durch Kennung ausgewiesenen Lexikon-Artikel nicht eigens erfasst.
Description:Die 'Würzburger Wundarznei' ist als chirurgische Formelsammlung Skrofeln; Skrofuloderm, Tuberculosis cutis colliquativa; sieh auch unten Anm.