Table Of ContentUwe Hartmann
Hinnerk Becker
SWrungen cler GeschlechtsiclentiUit
Ursachen, Verlauf, Therapie
SpringerWienN ewYork
Univ.-Prof. Dr. Dipl.-Psych. Uwe Hartmann
Dr. Hinnerk Becker
Medizinische Hochschule Hannover,
Zentrum Psychologische Medizin,
Hannover, Deutschland
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Die Deutsche Bibliothek - ClP Einheitsaufnahme
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Geleitwort: Philosophische Anthropologie
der Geschlechtlichkeit
FUr die theoretische Biologie bedeutet Ge folgt und damit eine kUnstlerische Funda
schlechtlichkeit einen erratischen Block; mentalontologie des Menschen im Reich
denn es ist theoretisch keineswegs ausge der Kunst - als dem Bereich der "ernsten
macht, dass der evolutiv wichtige Zuwachs Scherze" - realisiert. Dass das Rettende
an genetischer Varianz im Verhaltnis zur das Weibliche ist, hat insofern einen un
Stabilisierung von konservativen Genom Uberbietbaren letzten Sinn, der, wie der
Eigenschaften nur durch Geschlechtlichkeit Faust-Regisseur Peter Stein in einem Vortrag
und damit verschiedene Geschlechterrol zeigte, nicht im Katholizismus aufgeht, wohl
len stabilisiert werden konnte. Vielleicht aber diesen als Folie verwendet und diese
dUrfen wir somit das Faktum unserer Ge in der Mutter-Gottheits-Konzeption zugleich
schlechtlichkeit als "Geschenk der Natur" transzendiert. Das Schlussbild von Faust II
betrachten, das evolutiv keineswegs zwangs ist im Hegelschen Sinne "hochste Synthe
laufig sich ebenso unabgesichert durchge se", steht fUr "das Ganze", steht fUr "Sein"
setzt hat wie die Materie gegenuber der im Sinne der Ousia. Man k6nnte sagen, dass -
Antimaterie, ein Sieg der ersten Mikro-Se im Gegensatz zu jeder Form von reduktiver
kunden unserer Welt, von dem theoretische lronisierung - das Spiel der "ernsten Scher
Physiker lakonisch feststellen, dass im Kampf ze" hier einen Endpunkt erreicht hat, in dem
der Elektronen Uber die Positronen die Elek die spielerischen Metamorphosen im Schluss
tronen "eben gewonnen" haben. punkt "zur Ruhe kommen", im Sinne einer
Nehmen wir in diesem Sinne mogliche gewissen "End-gU Itigkeit".
Geschlechterrollen als naturwUchsige Dis Wieso ist der Aufstieg, die Transzen
positionen, so stellt sich die Frage, wie wir denz, eine Phanomen des Weiblichen? Und
als Subjekte hiermit umgehen. Goethes was heiBt "Ewig-weiblich"?
epochales Werk, "Faust II", endet mit dem "Polaritat und Steigerung" ist ein Zentral
Satz "Das Ewig-Weibliche zieht uns hin thema Goethes gewesen. Dazwischen steht
an". Goethe hat diese Polaritat von mann als vermittelndes Element die Poiesis, die
lich und weiblich nicht nur als "Polaritat Poesie, Mignon, Euphorion, d.h. die Gemischt
und Steigerung" begriffen, sondern dieses geschlechtlichkeit, die I ntersexual itat. Wie
Prinzip durch die gesamte Literatur-, Men ist diese Geschlechter-Dialektik, die im 19.
schen- und Weltgeschichte hindurch ver- Jahrhundert zum "Kampf der Geschlechter"
VI Celeitwort
(z.B. bei Strindberg) entartete, zu verste Kraft, als Kreativitat, als wirklichkeits
hen? Ein Vorschlag, den ich hierzu machen schaffende Kraft"; 3. "Geschlechtlichkeit
mochte, ist die Auffacherung des Problems als ontologisches Modell des Psychischen".
im Sinne von Plato in drei Kapitel. Ich nenne Sie werden nun fragen, wo ich diese
sie: 1. "Geschlechtlichkeit als Wahnsinn"; Konzepte in den platonischen Dialogen vor
2. "Geschlechtlichkeit als schopferische finde; hier die Belegstellen:
Geschlechtlichkeit als Wahnsinn
1m Phaidros-Dialog wird der platonische namlich, welche, derVernunft bar, die nach
Sokrates herausgefordert, eine Rede uber dem Rechten strebende Denkweise uber
die Frage zu halten nach der Bedeutung wiegend, zur Lust an der Schonheit ver
der Liebe fUr den Menschen. Phaidros sagt leitet und sofort von den ihr verwandten
zu Sokrates: "lch raume ein, was du sprichst; Begierden zur Schonheit des Leibes mit
... Dass der Verliebte in einem krankhaf lebendiger Kraft getrieben wird, diese sie
teren Zustand sei als der Nichtverliebte, gende Triebkraft ... heiBt Liebe.", von der
das will ich dir als Voraussetzung zuge Sokrates sagt, sie mache den Menschen
ben; ... " Sokrates verhullt sich, wie er sagt, so unvernunftig, dass man sich den Ver
"dam it ich die Rede so schnell als mog liebten entziehen musse: "dass man einem
lich durchrenne und nicht vor Scham in verliebten und deshalb notgedrungen un
Stocken gerate, wenn ich auf dich blik vernunftigen Menschen sich niemals ge
ke.", wobei die eigentliche Scham sich fallig zeigen musse, sondern weit eher ei
wohl auf die Krankung der Gottin der lie nem nichtverliebten und seine Vernunft
be bezieht, wenn es heiBt: "Die Begierde besitzenden. "
Geschlechtlichkeit als schopferische Kraft
1m Phaidros aber entschuldigt sich Sokra wenn er es anblickt, verehrt er es wie ei
tes: "Eine arge Rede hast du erst selbst nen Gott, und fUrchtete er nicht den Schein
hierher gebracht und dann auch mich ge eines ubermaBigen Wahnsinns, er wurde
notigt zu sagen". Er entschuldigt sich bei gar dem Liebling opfern wie einem Got
Eros, dem Sohn der Aphrodite: "Nein, nicht terbild ... Diesen leidenschaftlichen Zu
ist sie wahr, diese Rede" ... und er fUhrt stand aber, oh schoner Knabe, an den ja
fort: "Denn ehe mir etwas zustoBt wegen meine Rede gerichtet ist, heiBen die
der Schmahrede gegen den Eros, will ich Menschen Eros". Von Eros fUhrt Sokrates
versuchen, ... mit entbloBtem Haupte (zu aus, dass dessen Kraft zur Erkenntnis des
sprechen) und nicht wie damals aus Scham Gottlichen fuhrt: "Nun sind sie bei ihm,
mich verhullend." Sokrates fuhrt aus: "Nun nun sehen sie das strahlende Angesicht
aber werden uns die groBten der Guter durch des Lieblings ... wird seine Erinnerung zu
Wahnsinn zuteil, freilich nur einen Wahn dem Wesen der Schonheit fortgefUhrt ...
sinn, der durch gottliche Gabe gegeben dann leitet sich der Quell jenes Stromes,
ist." Sokrates sagt uber den Liebenden: den Zeus, als er den Ganymed liebte, Lieb
"Wenn er ein gottahnliches, die Schon reiz nannte, in Fulle dem Liebhaber zu
heit wohl abbildendes Antlitz sieht oder ... dieses, oh Knabe, so groBes und gottli
eine solche Korpergestalt, wird er zuerst ches wird dir die von einem Liebhaber
von Schauer ergriffen ... sodann aber, gewidmete Freundschaft schenken." Ab-
Geleitwort VII
schlieBend entschuldigt sich Sokrates bei Diese Textstellen erlautern auf wunder
Eros mit den Worten: "Dieser Widerruf sei bare Weise die Goethesche Oberzeugung
dir, geliebter Eros, gewidmet und als Schuld von Polaritat und Steigerung und die da
bezahlt." mit verbundene Transzendenz.
Geschlechtlichkeit als ontologisches Modell des Psychischen
Fragen wir nach einem ontologischen Theodor Schneider "Zeichen der Nahe
Modell des Psychischen in der platonischen Gottes - Grundriss der Sakramenten
Philosophie hinsichtlich der Geschlechter theologie" (Matthias Grunewald Verlag
rollen, so werden wir an den Androgynen Mainz (1979): "In der Theologie, vor al
Mythos im Gastmahl erinnert, der in einer lem in der Sakramententheologie wird der
tiefen Verbindung zum Urbegriff des Sym Begriff Symbol zunachst im alten griechi
bolischen, des Symbolons steht. schen Wortsinne verwendet als Erkennungs
Der Umgang e.G. Jungs mit "Symbo zeichen, das eine innere Verpflichtung, einen
len" ist von der Umgehensweise der Reli Vertrag, eine bestimmte Weise der Begeg
gionen damit nicht zu trennen, auf die Jung nung und Gemeinschaft enthalt, darstellt
sich ja auch immer wieder bezieht. So heiBt und aktualisiert. So ist seit dem 4. Jahr
es an einer Stelle in "Definitionen" (S. 448): hundert das Wort Symbolon Name fUr das
"Das urtLimliche Bild tritt solchergestalt als Erkennungszeichen der Christen, das ge
Mittler ein und beweist damit wiederum meinsame Glaubensbekenntnis. Diese Wort
seine erlosende Wirksamkeit, die es in den wahl stUtzt sich auf folgenden anti ken
Religionen stets gehabt hat." Dabei geht Brauch: "Unter Freunden, Gastfreunden,
es wiederum darum, dass Symbole nicht Geschaftstei I habern oder Kaufleuten war
in erster Linie Zeichen "fUr etwas" sind, es Sitte, bevor man sich trennte, irgendei
d.h. fUr etwas anderes stehen, was sie nur nen Gegenstand, eine Spielmarke, ein Sie
reprasentieren oder auch dass sie etwa - gel, ein Tafelchen, ein Knochelchen, ein
im modern en konstruktivistischen Sinne - GeldstLick, in zwei Halft en zu teilen, von
einen Gehalt "erzeugen", generieren, oder denen jeder Partner eine Halfte an sich
im Sinne der postmodernen Theorie des Per nahm, als Zeichen, an dem man sich wie
formativen (Lyotard) daflir stehen, dass Ge der erkennen sollte, oder um einen Boten
halte "vereinbart", abgesprochen worden auszuweisen, oder eventuell die aus einer
sind; vielmehr sind Symbole die Sache fruheren Begegnung stammenden Rechte
selbst. Sie stehen weder fur Realitat noch geltend zu machen. Bekanntlich hat Pla
schaffen sie Realitat sondern sie sind Rea ton diese antike Sitte in seinem Androgynen
litat. Wie ist dies zu verstehen? mythos verwendet, den er im Gastmahl
In den christlichen Religionen gibt es Aristophanes vortragen laBt: Seitdem Zeus
ein zum Status des "Symbols" in der Tie den ursprunglichen Menschen in zwei Teile
fenpsychologie paralleles Problem, nam zerschnitten hat, sucht jede Halfte stan
lich die Frage nach der Glaubens-Bedeu dig die sie erganzende Halfte."
tung von Symbolen, insbesondere unter dem "Unsere ehemalige Naturbeschaffenheit
Druck der Entmythologisierungstheologie: namlich war nicht dieselbe wie jetzt, son
inwieweit sind religiose Zeichen lediglich dern von ganz anderer Art .. aus beiden
"Kommunikationsmittel", "Erkennungszei Mann und Weib zusammengesetzt ... Da
chen" und inwieweit sind sie Realitat im mals war die ganze Gestalt jedes Men
Sinne der "Sakramente" (Sakramenten schen rund, indem Rucken und Seiten im
theologie). So heiBt es in dem Buch von Kreis herumliefen, und ein jeder hatte vier
VIII Geleitwort
Hande und ebenso viele FuBe und zwei (Ich und Du) bei Buber. Die Sakramenten
einander durchaus ahnliche Gesichter ... theologie fUhrt aber noch zu einer Steige
aber einen gemeinschaftlichen Kopf ... rung des Realitatsgehaltes von "Symbol"
Wenn man recht schnell fort zu kommen insofern, als es zur Entwicklung des Be
beabsichtigte, dann bewegte man sich wie griffs "Realsymbol" kommt und dam it zum
die Radschlagenden ... auf seine damali Begriff des "Sakraments": "Der eigentli
gen acht Glieder gestUtzt schnell im Krei che Symbolbegriff der Theologie heiBt Sa
se fort ... Sie waren daher auch von ge krament (im engen Sinne) und meint das
waltiger Kraft und Starke und gingen mit unentschrankbare Ineinander und Mitein
hohen Gedanken um, so dass sie selbst an ander eines menschlichen, innerweltlichen
die Gotter sich wagten ... sich einen Zu Aspekts und einer gottlichen Komponen
gang zum Himmel bahnen wollten, um die te." In diesem Sinne wird beispielsweise
Gotter anzugreifen ... Nach langer Ober Leiblichkeit aufgefasst als "realisierendes
legung sprach Zeus: Ich glaube ein Mittel Zeichen" im Gegensatz zum "bloB infor
gefunden zu haben, wie die Menschen mierenden Zeichen". Das realisierende
erhalten bleiben konnen und doch ihrem Zeichen beinhaltet, dass der aktuale VoII
Obermut Einhalt geschieht ... Ich will nam zug von etwas nicht mehr etwas "meint",
lich jeden von ihnen in zwei Halft en zer nicht mehr "fUr etwas steht" sondern et
schneiden, und so werden sie zugleich was realisiert und in dem Sinne Wirklich
schwacher und uns nutzlicher werden, weil keit ist. Mit den Worten Theodor Schnei
dadurch ihre Zahl vergroBert wird, und sie ders: "Realsymbol Leib will sagen: unsere
sollen nunmehr aufrecht auf zwei Beinen Leiblichkeit ist ein realisierendes Zeichen ...
gehen ... Ais nun so ihr Korper in zwei Teile Starkstes realisierendes Zeichen personaler
zerschnitten war, da trat jede Halfte mit Nahe ist unser Leib als Hinweis und Aus-
sehnsuchtigem Verlangen an ihre andere . druck dieser menschlichen Person. Der Leib
Halfte heran ... voller Begierde, wieder zu als Korper ist nicht einfach schon in Total
sammenzuwachsen ... Jeder von uns ist identifikation die menschliche Person. Er
demnach nur eine Halbmarke von einem ist Zeichen, Sichtbarkeit der Person, aber
Menschen ... Daher sucht denn jeder be realisierendes Zeichen. In ihm verwirklicht
standig seine andere Halfte (symbolon) ... sich die Person, der Leib ist verwirklichen
Der Grund hiervon namlich liegt darin, dass des Zeichen fUr diesen Menschen, sein Ich,
dies unsere ursprungliche Naturbeschaffen sein Verhalten, sein Denken und Handeln,
he it ist, und dass wir einst ungeteilte Gan seinen Selbstvollzug."
ze waren. Und so fUhrt die Begierde und Das ontologische Modell der zugrun
das Streben nach dem Ganzen den Namen de liegenden Dualitat der Geschlechtlich
Liebe." keit korrespondiert mit einer als "Ambi
Die allgemeine (anthropologische) Ver guitat des Psychischen" zu bezeichnenden
wendung dieses Symbolbegriffs meint also Polaritat ursprunglicher psychischer Instan
das Zusammen von zwei Komponenten, den zen. Ein Weg, Mehrdeutigkeit archetypi
Verweis und Bezug der einen auf die an scher Bilder zu konzipieren, bezieht sich
dere, die zunachst beide in ihrem Vollzug auf das Phanomen des Widerspruchs in sich
undVerstandnis in der innerweltlichen Wirk selbst; das Phanomen der inneren Brechung,
lichkeit zu suchen sind." der inneren Dialogik. Signale, Anmutungs
In diesem Sinne ist Symbol zuallererst erlebnisse, die von Symbolen, Bildern Zei
Ausdruck realer Korrespondenz, Ausdruck chen, Gestalten ausgehen, sind nicht ein
realer Bezuglichkeit auf anderes, auf das heitlich sondern in sich widerspruchlich,
konkret verwiesen wird im Sinne von Po zeigen den Charakter der Ambiguitat; und
laritat bei Goethe, im Sinne von Dialogik zwar dies nicht deswegen, weil sie unter-
Celeitwort IX
schiedlich aufgefasst werden oder mehr Licht auf, denn er ist darin nicht nur ab
teilig sind, sondern, weil sie den Wider strakt bei sich, sondern erhebt sich zu sich
spruch in sich selbst tragen. Dies druckt selbst, zum Lichte seines Denkens, seiner
der Satz von Hegel aus: "Die Sache hat Aligemeinheit, seiner Freiheit. Zuerst hat
an ihr selbst ihr Gegenteil". Was konnte sich fur den Begriff des Unendlichen erge
das heigen: die Sache hat an ihr selbst ihr ben, dass das Dasein in seinem Ansichs
Gegenteil? Wieso ist blau auch nicht-blau ein sich als Endliches bestimmt und uber
oder auch gelb? Wieso ist die Eins zugleich die Schranke hinausgeht. Es ist die Natur
die nicht-Eins, die Einheit die Vielheit, das des Endlichen selbst, uber sich hinauszu
Ganze das Geteilte, das Mannliche das gehen, seine Negation zu negieren und
Weibliche oder wie Hegel sagt, die End unendlich zu werden."
lichkeit die Unendlichkeit: nicht in dem 1m Schlusskapitel des ersten Bandes wird
Sinne, dass diese Qualitaten ihr Gegen diese innere Antinomie aller begrifflichen
teil sind, wohl aber dieses "an sich haben" Entitaten deutlich gemacht am Beispiel
und insofern Mehrdeutigkeit, Mehrdeutig "Obergang in das Wesen"; d.h. in unse
keit aus dem Innen, aus sich selbst her rem Zusammenhang wesentlich: Genesis
aus, erzeugen? Diesen Gedanken entwik von archetypischen Bildern. Hegel spricht
kelt Hegel in der Wissenschaft der Logik. hier von der "unendlichen negativen Be
Man kann dies z.B. nachvollziehen in dem ziehung auf sich", von der "Unvertraglich
Kapitel uber Endlichkeit und Unendlich keit ihrer mit ihr selbst"; vom "Abstogen
keit in Verhaltnis zum Sein, wo das Endli ihrer von sich selbst" sowie: "Das Bestim
che als Negation und das Unendliche als men und Bestimmtwerden ist nicht ein
die Negation der Negation erscheint. "Das Obergehen, noch augeri iche Veranderung,
Unendliche ist die Negation der Negati noch ein Hervortreten der Bestimmungen
on, das Affirmative, das Sein, das sich aus an ihr, sondern ihr eigenes Beziehen auf
der Beschranktheit wieder hergestellt hat, sich, das die Negativitat ihrer selbst, ihres
Das Unendliche ist, und in intensiverem Ansichseins ist". Diese Ambiguitat des
Sinn als das erste unmittelbare Sein; es ist Psychischen wird in der Jungschen Arche
das wahrhafte Sein, die Erhebung aus der typologie als die kompensatorische Kopp
Schranke. Bei dem Namen des Unendli lung zwischen gegensatzlichen Archety
chen gehtdem Gemut und dem Geiste sein pen wie Anima und Animus reprasentiert.
Schlussbetrachtung
Welchen kognitionspsychologischen Sinn rer selbst" ringen. Was heigt dies? Subjek
kann man nun aber dieser internen Polari te finden innere Andersheiten in sich selbst,
tat zwischen Selbstsein und Anderssein, innere Polaritaten in sich selbst vor, die
zwischen Selbstheit und Andersheit im Sinne introjiziert - oder naturwuchsig in ihnen
von Emmanuel Levinas geben? 1m Sinne vorhanden - prasent sind, und die Aufga
der sozialontologischen Theorie des Berli be der Geschlechterrolle besteht dann darin,
ner Philosophen Michael Theunissen, dar diese innere Andersheit im Selben in ein
gestellt in seinem Werk "Der Andere", ist Verhaltnis zu setzen mit der Andersheit im
von dem Horizontcharakter der Selbstwerde intersubjektiven Bereich, ein Vorgang, den
prozesse auszugehen. Selbstsein bedeutet Theunissen mit dem Begriff der "Ver
fUr Theunissen, den permanenten Vorgang anderung" belegt hat. Das wesenhaft dem
des Anderswerdens dadurch zu gewahrlei Anderen sich anahneln, mimetisch attrahiert
sten, dass Subjekte mit dem "anderen ih- werden und sich dam it verwandeln (zum
x Celeitwort
anderen seiner selbst} stellt den identitats Synthese aus Weiblichkeit und Mannlich
bildenden Sinn (den ontologischen Status) keit (vgl. Levinas' Werk "Totalitat und
von Geschlechtlichkeit dar. Geschlecht Unendlichkeit"). Diese Synthese des Selbst
lichkeit erhalt damit einen tiefen Sinn im enthalt immer etwas Vorlaufiges, in sich
Hinblick auf den Horizontcharakter von Spannungsvolles, das nur dadurch uberwun
Identitatsbi Idungsprozessen. Ph i losophen den werden kann, dass eine je neue Wahl
wie S6ren Kierkegaad und Jean Paul Sar des Selbst erfolgen kann; und diese bedarf
tre habe diese Prozesse als Vorgange der eines Momentes der Steigerung, des Selbst
"Selbstwahl" beschrieben. Selbstwahl aber uberstieges, der bei Kierkegaard als "Wahl"
bedeutet in paradoxer Weise Selbstrelati bezeichnet wird. Diese Wahl prozesse, die
vierung im Sinne des von Theunissen zi Kierkegaard in seinem Fruhwerk "Entwe
tierten Satzes Kierkegaards "Das Selbst muss der-Oder" beschrieben hat, bezeichnen
gebrochen werden, um ein Selbst zu wer einen Zustand von innerer Harmonie und
den". Wie ist dies zu verstehen? Nach Wurde. Und so m6chte ich mit einem Zi
Kierkegaards Werk "Krankheit zum Tode" tat schlieBen aus "Entweder-Oder", wo es
stellt das Selbst eine Synthese dar, eine heiBt: "Ich habe ... bemerkt, dass, wenn
Synthese zwischen unvereinbaren Gegen ein Mensch einmal geliebt habe, dies sei
satzen. So sagt Kierkegaard: "Der Mensch nem Wesen eine Harmonie verliehe, die
ist eine Synthese von Unendlichkeit und sich nie ganz verliert; jetzt m6chte ich
Endlichkeit, von Zeitlichem und Ewigem, sagen, wenn ein Mensch wah It, so verleiht
von Freiheit und Notwendigkeit, kurz eine das seinem Wesen eine Feierlichkeit, eine
Synthese." Man k6n nte erganzen: ei ne stille Wurde, die sich nie ganz verliert."
Nachiiberlegung: Geschlechtlichkeit und Bewusstsein
Man kann sich die sch6pferische, die chischen. Ich glaube nun, dass hiermit die
wirklichkeitsschaffende Kraft der Ge bewusstseinsbezogene Funktion der Ge
schlechtsidentitat auf mehrerlei Weise er schlechtsidentitat aber noch nicht erschlos
lautern; einmal so, dass sie - im Goetheschen sen ist, namlich ihre Horizonthaftigkeit: d.h.
Sinne auf Polaritat bezogen wird, indem Ge Geschlechtsidentitat als Metapher fUr
gensatze einander anziehen, Polaritat En Bewusstsein. Bewusstsein ist ja nur als
ergien freisetzt; eine h6here Position liegt asympotischer Rahmen, als Rahmen mit
im Gedanken der Ambiguitat, der inneren Horizontcharakter aufzufassen. Es gibt keine
Dialektik Hegels, die Goethe auf den Be definitive Grenze, keine fixierbare Entitat.
griff brachte: "Jedes ausgesprochene Wort Geschlechtsidentitat fragt immer nach dem
ruftseinen Gegensinn heNor". Dies bedeutet: andern ihrer selbst im Sinne des horizont
Die Geschlechtsidentitat - in ihrer Ambi haften SelbstLiberstiegs. Der UnerschlieB
guitat - bildet quasi eine fundamentale Ei barkeit des Anderen entspricht das Unein
genschaft des Psychischen ab, namlich die holbare im Selben. Insofern ist Im-Ge
basale innere Widerspruchlichkeit des Psy- schlecht-Sein eine Form von Bewusstsein.
Prof. Dr. med. Dr. phil. H.M. Emrich
Abt. Klinische Psychiatrie und Psychotherapie
Medizinische Hochschule Hannover
30623 Hannover
Inhalt
1. Einleitung .................................................................................................................. 1
Der Begriff "Identitat" ............................................................................................... 2
Storungen der Geschlechtsidentitat und ihre soziokulturelle Bedeutung ................... 4
Historische und ethnologische Aspekte des Phanomens ........................................... 7
Zur Zielsetzung dieses Buches .................................................................................. 9
2. Storungen der Geschlechtsidentitat: der heutige Kenntnisstand im Oberblick ....... 11
2.1 Definition, Klassifikation und Vorkommen ........................................................ 11
Zur Begriffsdefinition und klassifikatorischen Einordnung .................................. 11
Diagnostische Leitlinien .................................................................................... 11
ICD 9/10 ............................................................................................................ 12
Diagnostische Kriterien fUr Transsexualismus (F 64.0) nach ICD 10 ................... 12
DSM III/III-R ...................................................................................................... 12
Gender Dysphoria Syndrome ............................................................................. 13
Die in diesem Buch verwendete Terminologie .................................................. 13
Zur Vorkommenshaufigkeit von Geschlechtsidentitatsstorungen ........................ 14
Bundesrepublik Deutschland ................................................................................... 15
Erklarungsansatze fUr die Unterschiede in der geschlechtsgebundenen
Inzidenz von Geschlechtsidentitatsstorungen ............................................... 16
2.2 Die Entwicklung der Geschlechtsidentitat und ihrer Storungen ........................ 17
2.2.1 Die psychische Entwicklung der Geschlechtsidentitat ............................. 17
Das psychoanalytische Erklarungsmodell der psychosexuellen Entwicklung .. 18
Entwicklung der Geschlechtsidentitat bei Jungen ........................................ 18
Theorien liber die Entwicklung der Geschlechtsidentitat bei Madchen ........ 21
Entwicklungspsychologische Theorien zur Entwicklung der
Geschlechtsidentitat ............................................................................... 22
Integratives Erklarungsmodell und Zusammenschau .................................... 23
2.2.2 Somatische Grundlagen der Geschlechterdifferenzierung ........................ 23
Die sexuelle Differenzierung des Gehirns .................................................... 23