Table Of ContentSTATIONÄRE THERAPIE SUCHTKRANKER | ORIGINALARBEITEN
Stationäre Therapie Suchtkranker mit komorbiden Störungen
Behandlungskonzept der Spezialstation der Privatklinik Meiringen
Claus Aichmüller1 und Michael Soyka1,2
1Privatklinik Meiringen, Willigen, 3860 Meiringen, Schweiz
2Psychiatrische Klinik der Universität München, Nussbaumstraße 7, 80336 München
Korrespondenzautor: Dr. med. Claus Aichmüller; E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung Abstract
Die Zielgruppe der neu eröffneten Suchstation West1 der Privatklinik The target group of the newly opened addict ward of the Private Clinic
Meiringen besteht aus Patienten mit Abhängigkeit von Alkohol, Medi- Meiringen consists of patients with dependence of alcohol, „legal“ drugs
kamenten und isolierten Suchtmitteln (THC, Kokain, Amphetamine) mit and isolated addictive drugs (THC, cocaine, amphetamine) and with
gleichzeitiger psychiatrischer Komorbidität, insbesondere von affekti- psychiatric comorbidity as affective disorders and personality disorders.
ven Angst- und Persönlichkeitsstörungen. Das evidenzbasierte Behand- The evidence based psychosocial treatment concept which is due to the
lungskonzept, welches auf dem biopsychosozialen Modell beruht, wird bio psychosocial model is described. By combination of group therapies
vorgestellt. Durch Kombination von Gruppentherapien mit Einzelthe- with individual therapies, verbal with nonverbal therapy forms, an indi-
rapien, nonverbalen mit verbalen Therapieformen, wird neben einer vidual therapy approach is made possible besides a high treatment
hohen Behandlungsdichte gleichzeitig ein individueller Therapieansatz density at the same time. On the basis of two case reports the therapeutic
ermöglicht. Anhand von zwei Kasuistiken wird das therapeutische Pro- procedure is exemplarily demonstrated.
zedere exemplarisch dargestellt.
Keywords: Alcohol, dependence, psychiatric comorbidity, therapy
Schlagwörter: Alkohol, Abhängigkeit, psychiatrische Komorbidität,
Therapie
der Lebensjahre (Dalys) (Soyka und Küfner 2008). Die Be-
handlung von Suchterkrankungen besteht aus einer Thera-
In der Privatklinik Meiringen (PM) wurde am 22.03.2012
piekette, die sich idealtypisch in vier Phasen einteilen lässt
eine neue Suchtstation eröffnet. In diesem Artikel soll diese
(Soyka und Küfner 2008):
sowohl konzeptuell und inhaltlich vorgestellt werden, wo-
bei auf die Darstellung von biologischen Behandlungsas- (cid:127) Kontaktphase/Entgiftungs- oder Entzugsphase
pekten, die in der Privatklinik Meiringen einen hohen Stel- (cid:127) Entwöhnungsphase
lenwert besitzen, nicht eingegangen wird. Diesbezüglich (cid:127) Weiterbehandlungsphase
sei auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen (Soyka (cid:127) Nachsorgephase
und Küfner 2008). Als Psychiatrische Klinik will sich die
Diese Phasen beinhalten ambulante als auch stationäre The-
Privatklinik Meiringen besonders auf die Behandlung von
rapieelemente. Eine reine Entgiftung allein, die bei schwe-
Suchtpatienten mit komorbider psychischer Störung fo-
ren Entzugserscheinungen in jedem Fall eine stationäre
kussieren.
Aufnahme notwendig macht, stellt noch keine ausreichende
Behandlung des Patienten dar: Katamnestische Untersu-
chungen von Patienten, die nur rein somatisch entgiftet
1 THEORETISCHER HINTERGRUND
und nicht weiter psychotherapeutisch behandelt wurden,
habe ungünstige Verläufe gezeigt (Soyka und Küfner 2008).
Suchterkrankungen, speziell Alkoholismus, gehören zu den Die sogenannte qualifizierte Entgiftung, die bereits psycho-
häufigsten, psychiatrischen Störungen überhaupt (Kraus therapeutische Ansätze enthält bzw. die Entwöhnungspha-
und Pabst 2010, Leune 2012, Soyka und Küfner 2008) se, in der es um Vermittlung und Erlernen von Verhaltens-
und stellen weltweit, auch in der Privatklinik Meiringen, weisen geht, die zu einer möglichst dauerhaften Abstinenz
die zweit häufigste Einweisungsdiagnose dar. Neben de- notwendig sind, sind deshalb ein essenzieller Bestandteil
pressiven Erkrankungen spielen Alkohol- und Drogenkon- der Behandlung von Suchterkrankungen. Die stationäre
sum auch eine überragende Rolle für den Verlust gesun- Behandlung der Suchterkrankung ist aber nicht nur bei
SSuucchhttmmeedd 1155 ((11)) 2 210 –1 332 (2013) 21
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schweren Entzugserscheinungen, sondern beim Vorhanden- 3 BERÜCKSICHTIGUNG EVIDENZBASIERTER
sein einer schweren psychiatrischen Grunderkrankung be- THERAPIEKONZEPTE
ziehungsweise bei einem polyvalenten Suchtverhalten mit
Die Berücksichtigung evidenzbasierter Therapiekonzepte
Einnahme anderer psychotropen Substanzen indiziert.
umfasst nicht nur die zur Verfügung stehenden biologi-
Weitere Vorteile von stationären Entwöhnungsbehandlun- schen Strategien der Suchtbehandlung wie zum Beispiel
gen sind (Soyka und Küfner 2008): der Einsatz von Aversion- und Anticravingmitteln bzw.
von Psychopharmaka bei komorbiden Störungen, sondern
(cid:127) Die Herausnahme des Patienten aus seiner Lebenssitu-
auch die Verwendung von psychotherapeutischen und so-
ation und dem pathogenen Milieu.
ziotherapeutischen Massnahmen, wobei der Begriff Psycho-
(cid:127) Eine in der stationären Behandlung besonders rasch
therapie in Bezug auf Suchterkrankungen häufig unscharf
mögliche therapeutische Gesamtatmosphäre, die den
und in einem sehr weitgefassten Sinne angewandt wird.
Erwerb neuer Einsichten und Erfahrungen und Übernah-
Er reicht von klassischen psychotherapeutischen Methoden
me von sozialen Regeln und Normen begünstigt sowie
über die Soziotherapie bis hin zu unspezifischen, psycho-
die im Vergleich zur ambulanten Behandlung meist in-
sozialen und psychoedukativen Interventionen und reiner
tensiveren Kontakten mit Therapeuten und Patienten.
Wissensvermittlung. Gerade die stationären Psychothera-
Nachteile sind (Soyka und Küfner 2008, Wagner et al. pien bei Alkoholerkrankung basieren heute nicht auf einer
1996): einzigen psychotherapeutischen Methode oder Schule, son-
dern versuchen verschiedene Ansätze zu integrieren, meist
(cid:127) Die relative Länge der stationären Klinikaufenthalte.
handelt es sich um eklektische Gruppentherapien. Auf der
(cid:127) Die begrenzten realen Erprobungsmöglichkeiten neu
Basis von drei Meta-Analysen (Bottlender et al. 2006, Mil-
gewonnener Einsichten und Verhaltensweisen im häus-
ler et al. 2003, Süß 2004), die die Effektivität psychosozi-
lichen Milieu.
aler Behandlungsmethoden bei alkoholabhängigen Patien-
(cid:127) Die seltene Einbeziehung von Familienangehörigen
ten untersuchten, ergaben sich unter dem Aspekt der Evi-
sowie das Risiko der Etablierung regressiver Verhaltens-
denzbasierung die Bewährung folgender psychosozialer
weisen für Alkoholkranke mit hoher psychosomatischer
Therapieformen:
Störanfälligkeit oder komorbiden psychischen Störun-
gen, die in Suchtfachkliniken häufig nicht adäquat be- (cid:127) Motivational Interviewing
handelt oder von diesen erst gar nicht aufgenommen (cid:127) Stressmanagement-Therapie
werden können. (cid:127) Psychoedukation
(cid:127) Kognitive Verhaltenstherapie
Hintergründe für das theoretische Konzept der neuen Sucht-
(cid:127) Interaktionale und psychodynamische Therapie sofern
station waren:
in strukturierter Form und als Teil eines Komplexpro-
(cid:127) Das biopsychosoziale Modell der Suchterkrankung.
grammes angeboten
Das sogenannte biopsychosoziale Modell der Sucht (Küfner (cid:127) Soziales Kompetenztraining
und Bühringer 1996) besteht aus den Faktoren Suchtmittel, (cid:127) Casemanagement
Person und Umwelt. Diese Faktoren sind jeweils aufein- (cid:127) Paartherapie
ander bezogen und beeinflussen sich gegenseitig. Dieses
biopsychosoziale Modell erklärt nicht nur die Ätiopatho-
genese und die Aufrechterhaltung der Sucht, sondern impli- 4 KOMORBIDITÄT
ziert auch entsprechende multimodale therapeutische Inter-
ventionen. Bei Suchterkrankungen besteht eine hohen Komorbidität von
psychiatrischen Erkrankungen, (Prävalenz je nach Studie
unterschiedlich, aber bis zu 2/3 aller Patienten: Boschloss et
2 DER INTERDISZIPLINÄRE ANSATZ al. 2011, Fichter et al. 1996, Hasin et al. 2007, Regier et al.
1990, Schuckit et al. 1997) insbesondere was affektive Er-
In vielen Studien wurde die Notwendigkeit und auch Effek- krankungen und Persönlichkeitsstörungen betrifft. Ergebnisse
tivität eines interdisziplinären Behandlungsansatzes von der Epidemiological Catchment Area Study (Regier et al.
Suchterkrankungen, d.h. die Zusammenarbeit zwischen 1990) zeigen erhebliche Unterschiede zwischen der Komor-
somatisch tätigen Ärzten, Psychiatern, Psychologen, Psy- bidität von Affektiven Störungen und Alkoholismus. Am
chotherapeuten und auch Sozialarbeitern hervorgehoben häufigsten war die Komorbidität bei der unipolaren Manie
(Soyka und Küfner 2008). (6-fach erhöhtes Risiko). Für Dysthymie betrug die odds
ratio 1.8, für die Mayor Depression 1.7. Auch andere Au-
toren (Agosti und Levin 2006) konnten feststellen, dass
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STATIONÄRE THERAPIE SUCHTKRANKER | ORIGINALARBEITEN
bei Alkoholismus die Assoziation mit bipolaren Störun- leiden, insbesondere mit Alkohol und/oder Medikamen-
gen am höchsten ist (ca. 6-fach erhöhte odds ratio). ten und/oder isolierter Kokain- bzw. Amphetaminabhän-
gigkeit und die komorbide psychiatrische Erkrankungen,
Depressive Symptome bei Alkoholismus kann man chrono-
insbesondere Depressionen, Angsterkrankungen und Per-
logisch in primär depressive (dem Alkoholismus vorange-
sönlichkeitsstörungen aufweisen.
hende) sowie sekundäre depressive Symptome (den Beginn
des Alkoholismus folgend) differenzieren. Letztere sind deut-
Ausschlusskriterien sind:
lich häufiger. Generell ist bei komorbiden psychiatrischen
Erkrankungen mit Substanzgebrauch, insbesondere bei af- (cid:127) Akute Selbst- und/oder Fremdgefährdung
fektiven Störungen, mit einem etwas schlechterem Verlauf (cid:127) Patienten, die jünger als 18 Jahre sind
zu rechnen (Driessen 1999, Hobbs et al. 2011, Liang et al. (cid:127) Patienten mit Erkrankungen aus dem schizophrenen
2011, Teichner et al. 2001). In einer holländischen Studie Formenkreis
(Boschloss et al. 2011) konnte aktuell gezeigt werden, dass (cid:127) Patienten mit akuten behandlungsbedürftigen, schweren,
Alkoholabhängigkeit einen Risikofaktor für das Auftreten psychiatrischen Erkrankungen, die es nicht erlauben, am
einer Depression mit ungünstigem Verlauf darstellt. Therapieprogramm teilzunehmen, z.B. Psychotische
Depressionen, schwere Persönlichkeitsstörungen
Es gibt einige ätiologische Hypothesen für das Auftreten
von psychiatrischer Komorbidität wie Angst und affektive (cid:127) Patienten mit instabilem, somatischem Gesundheitszu-
Störungen mit Suchterkrankungen: Die häufigste Hypothe- stand bzw. mit schwerer Entzugssymptomatik
se ist die Selbstmedikationstheorie (Robinson et al. 2011), (cid:127) Patienten mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen
die davon ausgeht, dass Suchtmittelkonsum zur Behand- (cid:127) Patienten mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen
lung psychischer Symptome eingesetzt wird. Biologische (cid:127) Patienten mit Polytoxikomanie, da diese doch im Allge-
Theorien zur Komorbidität sind noch wenige vorhanden. meinen ein anderes Sucht- und Sozialverhalten aufwei-
Aus der Beobachtung, dass wiederholte klinische oder sub- sen, sodass es nicht indiziert erscheint, diese auf dersel-
klinische Entzüge vor allem Panikstörungen auslösen kön- ben Station mit den in der Regel besser sozial adaptier-
nen, wurde die "Kindling-Hypothese" (Georg et al. 1990) ten Alkohol-/Medikamentenabhängigen oder isolierten
formuliert. Daneben gibt es eine Reihe psychologische oder Kokain-/Amphetaminabhängigen zu behandeln.
psychodynamische Erklärungsmodelle zur Komorbidität
Im Rahmen einer schnellen und unkomplizierten Aufnah-
von Angsterkrankungen, affektiven Störungen und Suchter-
me, ein Prozedere, welches in der stationären Behandlung
krankungen (Barth 2011). Hinsichtlich der Wirksamkeit
von Suchterkrankungen sinnvoll ist, werden die obligato-
von psychotherapeutischen Interventionen ist die entspre-
rischen Vorgespräche von den beiden Kaderärzten der Sta-
chende Datenlage noch gering. Es gibt eine relativ gute
tion ohne längere Wartezeit angeboten (entsprechende Kon-
Evidenzbasierung für die Wirksamkeit von kognitiver Ver-
taktmöglichkeiten unter www.privatklinik-meiringen.ch).
haltenstherapie, Motivational Interviewing und Case-Ma-
Die Vorgespräche beinhalten nicht nur ein ausführliches
nagement bei komorbiden affektiven Erkrankungen mit
Arztgespräch, sondern schließen auch eine Stationsbesich-
Substanzkonsum (Baker et al. 2009, Kelly et al. 2012,
tigung ein, die von der Fachpflege übernommen wird. Er-
Watkins et al. 2011).
scheint der Patient unter dem Aspekt der Ein- und Ausschluss-
kriterien geeignet und ist er mit dem Behandlungskonzept
einverstanden, wird anschließend mit der Bettendisposition
5 INHALTLICHE DARSTELLUNG
ein konkreter Eintrittstermin vereinbart. Aufgenommene Pa-
tienten, die in schwer intoxikiertem Zustand eintreten bzw.
Die personellen Ressourcen (Stellenprozente) der Station
initial eine schwere Entzugssymptomatik entwickeln, kön-
bestehen auf der ärztlich/psychologischen Seite aus:
nen auch vorübergehend auf der Akutstation zur bessereren
30% Leitender Arzt, Überwachungsmöglichkeit behandelt werden.
90% Oberarzt,
Am Aufnahmetag wird das medizinisch-psychiatrische und
100% Assistenzarzt,
pflegerische Aufnahmeprozedere durchgeführt mit Erhe-
180%PsychologInnen.
bung der somatisch-psychiatrischen Befunde und Anam-
Beim Therapeutischen Dienst und Sozialdienst gibt es je- nesen. Zusätzlich werden bei jedem Patienten ein EKG
weils eine 30%- bzw. 50%-Stelle, im Pflegebereich sind und ein Aufnahmelabor durchgeführt. Bei Vorliegen von
es 1060 Stellenprozente somatischen Komorbiditäten wird der hausinterne Inter-
nist hinzugezogen. Der Patient erhält Informationen über
Die maximale Patientenzahl der Station beträgt 22.
den Stationsablauf, zudem wird ihm ein Ordner ausgehän-
Der Behandlungsauftrag wendet sich an Patienten und Pa- digt, der die für den Aufenthalt wichtigsten Informationen
tientinnen, die an einer stoffgebundenen Suchterkrankung (wie Ansprechpartner, Informationen über das spezielle
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Suchttherapieangebot, Literaturempfehlungen, ein Thera- 6 ALGORITHMUS FÜR DAS ERSTELLEN EINES
piepass, ein Austrittsplanungsformular etc.) beinhaltet. Dann INDIVIDUELLEN THERAPIEPLANES
wird mit dem Patienten ein auf ihn zugeschnittener Behand-
lungs- und Wochenplan erstellt, welcher die Teilnahme Neben der Teilnahme an den obligatorischen Gruppen-
am obligatorischen und ggf. freiwilligen Stationsprogramm und Einzeltherapien wird für jeden Patienten zusätzlich ein
umfasst. Gemäß ärztlicher Indikation kann der Patient bei individueller Therapieplan erarbeitet. Der Entscheidungs-
Vorhandensein einer psychiatrischen Komorbidität eine ent- prozess für das Erstellen dieses Behandlungsplanes, der
sprechende, allen Patienten mit dieser Diagnose offenste- der psychosozialen Problematik des einzelnen Patienten
hende Therapiegruppe besuchen.
Rechnung trägt, verläuft in mehreren Schritten. Er beginnt
Zu nennen sind: beim ambulanten Vorgespräch. Weitere Evaluationen wer-
den dann im Aufnahmegespräch, im Rahmen der anschlies-
(cid:127) Depressionsgruppe
senden stationären Verhaltensbeobachtung, der psychia-
(cid:127) Angstgruppe
trischen Diagnostik, die auch eine entsprechende Psycho-
(cid:127) Psychoedukationsgruppe bei Traumafolgestörungen
diagnostik enthält, die den Einsatz von standardisierten
Ergänzend können Patienten, die erhebliche Defizite in ih- Beurteilungsverfahren wie SKID II (Strukturiertes Klinisches
rer sozialen Kompetenz aufweisen, an der Interview für DSM IV, Achse 2), HAMD (Hamilton De-
pression Rating Scale), HAMA (Hamilton Anxiety Rating
(cid:127) Gruppe soziale Kompetenz
Scale), BDI (Beck Depression Inventory) etc. umfasst, ge-
teilnehmen. troffen. Aufgrund der dann zur Verfügung stehenden Infor-
mationen werden in den wöchentlich stattfindenden Ober-
Zusätzlich wird jedem Patient mindestens eine Stunde
arztvisiten bzw. interdisziplinären Rapporten die endgülti-
Einzelgespräch pro Woche angeboten, wobei je nach indi-
gen Entscheidungen bzw. Modifikationen gefällt.
vidueller Problemlage dieses im Rahmen der Bezugsperso-
nenpflege, des Sozialdienstes oder psychiatrisch-psycho- Im Sinne einer gemeinsamen therapeutischen Haltung wer-
therapeutisch durchgeführt werden kann. den bei schwierigen/komplizierten Patienten zusätzlich ne-
Kernelemente der Behandlung auf der Suchtstation sind ben dem obengenannten Prozedere gesonderte Fall-Bespre-
die Gruppentherapien, was schon aus ökonomischen Grün- chungen und Fall-Supervisionen durchgeführt.
den sinnvoll ist. Die Bindung an die Gruppe, das Erlernen
sozialer Normen und Kompetenzen sowie die Arbeit im
Mikrokosmos der Gruppe sind wichtige Elemente der Grup- 7 DARSTELLUNG DER EINZELNEN
penarbeit. Zusätzlich weisen nach Yalom (2007) Gruppen- THERAPIEELEMENTE
therapien eine Reihe weiterer positiver therapeutischer Fak-
toren auf, wie zum Beispiel Hoffnung einflößen, Universa- 7.1 STAR-GRUPPE
lität (d.h. die entlastende Erkenntnis, dass andere ähnliche
Probleme haben), Mitteilung von Informationen, die Ent- (Strukturiertes Trainingsprogramm zur Alkoholrückfallprä-
wicklung von Techniken des mitmenschlichen Umgangs, vention)
nachahmendes Verhalten, das interpersonelle Lernen, Al-
Die theoretischen und empirischen Wurzeln von STAR lie-
truismus d.h. das Selbstwert erhöhende Gefühl zu entwi-
gen vor allem im kognitiv-verhaltenstherapeutischen Rück-
ckeln, anderen Gruppenmitgliedern auch etwas bieten zu
fallmodell von Marlatt et al. (1985) sowie in psychodyna-
können. Der Problematik von Gruppentherapien (Mattke
mischen und systemischen Sichtweisen des Rückfallgesche-
2008, Yalom 2007) bei bestimmten Patientengruppen (z.B.
hens. Speziell entwickelt wurde es dann von Körgel und
Ich-schwache und gehemmte Personen, Menschen mit deut-
Schindler (2011). Das STAR-Programm kann auch in modi-
lich dissozialen Verhaltensweisen, ausgeprägte histrionische
fizierter Form auf die Behandlung anderer Suchtgruppen
Persönlichkeiten) wird durch eine entsprechende Selektion
übertragen werden. Insgesamt werden während des stati-
bei den Vorgesprächen begegnet.
onären Aufenthaltes 13 Module angeboten. Die STAR-Grup-
Die Intention dieses stationären Behandlungsangebotes ist pe findet für jeden Patienten zweimal pro Woche statt. Die
es, durch Anwendung von Gruppen- und Einzeltherapien, Module beinhalten die Themen Abstinenz, Hochrisikosi-
Kombination verbaler und nonverbaler Behandlungstech- tuationen, soziale Situation I/II, unangenehme Gefühle I/II,
niken sowie mit Angeboten alternativmedizinischer Verfah- Alkoholverlangen, ausgewogener Lebensstil, Umgang mit
ren (Akupunktur, Thai Chi, Aromapflege), nicht nur eine Ausrutscher und Rückfällen, Gespräch mit Angehörigen
hohe Behandlungsdichte, sondern auch ein dem einzelnen zu den Themen Rückfall und Nachsorge.
Patienten entsprechendes evidenzbasiertes Behandlungsset-
ting anzubieten.
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7.2 PSYCHOTHERAPIEGRUPPE SUCHT (cid:127) Selbstwert
(cid:127) Soziales Netzwerk
Im Gegensatz bzw. in Ergänzung zu der modularen Form Umgang mit Nähe und Distanz in Beziehungen
der STAR-Gruppe fokussiert sich die Psychotherapiegruppe (cid:127) Transfer in den Alltag
Sucht primär auf gruppendynamische Prozesse (Yalom
2007), wobei sie aber auch andere Psychotherapieelemente
insbesonders die des sozialen Kompetenztrainings (Hinsch 7.4 DEPRESSIONSGRUPPE
und Pfingsten 2007, Monti et al. 1995), der motivieren-
den Gesprächsführung (Miller und Rollnick 1991) und der Die Zuteilung zu dieser Gruppe erfolgt nach entsprechen-
kognitiven Verhaltenstherapie (Beck et al. 1993) enthält. der ärztlicher Indikation. Diese Gruppe steht prinzipiell
Kernüberlegung dieser primär auf dem psychodynamisch- allen depressiven Patienten der Privatklinik Meiringen zur
interaktionalen Ansatz basierenden Gruppe ist, dass die Verfügung. Sie ist geschlossen und besteht aus acht Mo-
jeweiligen Verhaltens- und Erlebnisstörungen des einzel- dulen und findet jeden Monat neu statt. Die Basis sind
nen Gruppenmitgliedes zunehmend im Gruppenprozess kognitiv-psychoedukative Elemente (Schaub et al. 2006)
zum Vorschein kommen und dann Persönlichkeitskonflikte, und sie wird in modularer Form angeboten. Diese beinhal-
die insbesondere die Hinwendung zu Suchtmitteln bewir- ten eine Einführung, Information über die Diagnose von
ken verdeutlicht und therapeutisch bearbeitet werden kön- Depression, Vermittlung der Ursachen von Depressionen,
nen. Im geschützten Rahmen der Gruppe lernen die Patien- zwei Module zur Behandlung von Depressionen, das Modul
ten konstruktiver, insbesondere mit ihren unangenehmen "Erkennen und Korrigieren", das Modul "Mir zu liebe"
Gefühlen und nicht steuerbar erlebten Affekten (Körkel und das Modul "Schlussrunde".
1998) umzugehen. Diese Gruppe findet zweimal pro Wo-
che für jeden Patienten statt. Der offene Charakter der Grup-
pe, der sich aus den klinischen Gegebenheiten ergibt, erfor- 7.5 ANGSTBEWÄLTIGUNGSGRUPPE
dert jedoch ein modifiziertes Vorgehen (Yalom 2007), das
ein strukturierteres und eher direktives Vorgehen des Lei- In dieser, auf verhaltenstherapeutischen Elementen basie-
ters favorisiert. Aufgaben des Gruppenleiters sind primär renden, geschlossenen Gruppe, die mit einer Frequenz von
die Konzentration der Mitglieder auf die unmittelbare Situ- einer Sitzung pro Woche stattfindet, werden fünf Module
ation im Hier und Jetzt zu lenken bzw. das Auffangen von angeboten. Während im ersten Modul Informationen zur
Ängsten und die Vermeidung von offenen Konfrontatio- Entstehung, Aufrechterhaltung und zur Behandlung von
nen in der Gruppe, da sich dies im Rahmen von stationä-
Angststörungen vermittelt werden, geht es im zweiten Mo-
ren Psychotherapiegruppen als therapeutisch hinderlich er-
dul um die Erregungskontrolle mit entsprechenden Übun-
wiesen hat (Yalom 2007).
gen. Im dritten Modul steht die kognitive Verarbeitung im
Mittelpunkt, d.h. die Besprechung typischer, dysfunktio-
naler Denkstrategien im Zusammenhang mit Angst. Im
7.3 RESSOURCENGRUPPE STRESS
vierten Modul erarbeiten die Teilnehmer ein individuelles,
psychologisches Störungsmodel und im fünften Modul
Auch hier sollen durch gruppendynamische Prozesse das
werden Inhalte des Gruppenprogramms rekapituliert und
Wahrnehmen von Stress und das Erlernen von ressourcen-
integriert (Alsleben et al. 2004).
orientierten, individuellen Lösungsansätzen vermittelt wer-
den (Kaluza 2005). Jeder Patient kann diese Gruppe einmal
pro Woche besuchen, da sie zweimal pro Woche für jeweils
7.6 PSYCHOEDUKATIONSGRUPPE BEI
maximal elf Patienten angeboten wird. Sie besteht aus
TRAUMAFOLGESTÖRUNGEN
acht Modulen.
Die Themen:
Traumatisierte Patienten können diese, auf verhaltensthera-
(cid:127) Stresstheorie peutischen Elementen beruhende, geschlossene Gruppe
Was ist Stress? besuchen. Die Gruppe besteht aus insgesamt neun Modu-
(cid:127) Stresstheorie len und findet zweimal wöchentlich à 50 min statt. Das
Stressoren/Motive/Stressreaktion Konzept beruht auf dem Manual "Psychoedukation bei
(cid:127) Akuter Stress posttraumatischen Störungen für Einzel- und Gruppenset-
Signale/Transaktionales Stressmodell ting" nach Liedl et al. (2009). In dieser Gruppe werden
(cid:127) Chronischer Stress nicht die persönlichen Traumata der einzelnen Gruppen-
Signale/Folgen mitglieder bearbeitet, sondern thematisch steht die Stabi-
(cid:127) Stressbewältigung lisierungsarbeit im Vordergrund, welche aus Informations-
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vermittlung und entsprechenden Stabilisierungsübungen 9 KOMPLEMENTÄRMEDIZINISCHE ANGEBOTE
(achtsames Körperwahrnehmen, Imaginationsübungen
nach Luise Reddemann) zusammengesetzt ist. 9.1 NADA-OHRAKUPUNKTUR (BULLOCK ET AL. 2002)
Diese wird als ergänzende Behandlungsmethode von aus-
7.7 GRUPPE SOZIALE KOMPETENZ gebildeten Pflegefachkräften durchgeführt und soll nicht
nur eine Verminderung von Entzugsbeschwerden und Sucht-
In dieser geschlossenen, in modularer Form angebotenen druck erzeugen, sondern auch eine stabilisierende und aus-
Gruppe, geht es um die klassischen Themen des sozialen gleichende Wirkung auf Stress, innere Unruhe und Schlaf-
Kompetenztrainings wie Recht durchsetzen, Selbstbewusst- losigkeit haben. Die Akupunktur wird dreimal pro Woche
seinsentwickeln, Kontakte herstellen und Kontakte aufrecht- dafür interessierten Patienten angeboten und fördert gene-
erhalten (Hinsch und Pfingsten 2007). Diese Gruppe, die rell auch die Patientenzufriedenheit.
auf der kognitiven Verhaltenstherapie und psychoedukati-
ven Elementen beruht, wird jeden Monat neu angeboten.
Patienten der Suchtstation werden entsprechend ärztlicher 9.2 WICKEL UND AUFLAGEN
Indikation dieser Gruppe zugewiesen.
Das Anwenden von Wickeln ist eine sehr alte naturheilkund-
liche Methode, um Entspannung und Wohlbefinden zu er-
8 NON-VERBALE THERAPIEFORMEN zeugen.
Da der verbale Zugang bei vielen Suchtpatienten häufig
9.3 AROMAPFLEGE
nicht einfach zu finden ist und deren sprachliche Ausdrucks-
fähigkeiten bzw. deren Introspektionsfähigkeit nicht selten
Durch den Einsatz von ätherischen Ölen soll das psychi-
begrenzt ist, werden non-verbale Therapien angeboten,
sche Wohlbefinden mit positiver und entspannender Wir-
damit die Patienten auf diesem Weg wieder einen besse-
kung gesteigert werden.
ren Kontakt zu sich selbst und anderen finden können.
9.4 THAI CHI
8.1 GESTALTENDES ATELIER
Die Patienten können an der einmal pro Woche angebote-
In den Therapieräumen des Therapeutischen Dienstes der
nen Thai-Chi-Gruppe teilnehmen.
PM finden diesbezüglich vier Gruppen pro Woche zu je-
weils 1.5 Std. statt. Die Gruppengröße ist auf sechs Patien-
ten/Patientinnen limitiert, sodass jeder Patient der Suchtsta-
tion eine Gruppe pro Woche besuchen kann. Thematisch
steht hier das nonverbale Auseinandersetzen mit diversen 9.5 PROGRESSIVE MUSKELRELAXATION NACH JACOBSON
gestalterischen Mitteln und Materialien wie Malen, Um-
gang mit Holz, Textilien, Ton im Vordergrund. Diese von dem amerikanischen Arzt Edmund Jacobson im
Jahre 1934 (Jakobson 1990) veröffentlichte Methode ist ein
wissenschaftlich nachgewiesenes Entspannungsverfahren,
8.2 KÖRPERTHERAPIEGRUPPE welches fünfmal wöchentlich abends von der Pflege ange-
boten wird.
Die Körpertherapie findet zweimal pro Woche für jeweils
acht bis max. zehn Patienten statt, Dauer 50 Minuten. Je-
der Patient hat somit einmal pro Woche die Gelegenheit, 9.6 WEITERE THERAPIEANGEBOTE
die Körpertherapie zu besuchen. In dieser Gruppe wird
die individuelle Körperwahrnehmung geübt und geschult. Nach medizinischer Indikation können die Patienten die
Physiotherapie besuchen. Optional steht den Patienten auch
ein hauseigenes Fitnessstudio zur Verfügung. Weiter be-
steht die Möglichkeit einer individuellen Ernährungsbera-
tung. Im Sinne der therapeutischen Gruppe werden von
der Pflege milieutherapeutische Angebote (Übernahme von
Ämtli auf Station, die Teilnahme an gemeinsamen Aktivi-
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STATIONÄRE THERAPIE SUCHTKRANKER | ORIGINALARBEITEN
täten wie z.B. Kochen, Ausflüge) organisiert. Abgerundet (cid:127) Alkoholabhängigkeitssyndrom, ICD-10 F10.24
wird das Angebot durch Vorträge, (jeden zweiten Don- (cid:127) Benzodiazepinabhängigkeit, ICD-10 F13.2
nerstag-Nachmittag) über suchtmedizinische Themen oder (cid:127) Anhaltend depressive Störung, mittelgradig, ICD-10
gesunde Ernährung. Auch stellen sich in diesem Rahmen F33.1
regionale auswärtige Selbsthilfegruppen bzw. Suchtbera- (cid:127) Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetypus, ICD-10
tungseinrichtungen (wie Contact, Berner Gesundheit) vor. F60.31
(cid:127) St. n. Bulimia nervosa und Anorexia
(cid:127) St. n. Polytoxikomanie, ICD-10 F19.20
10 EINZELTHERAPIE
Biographie
Je nach individueller Problemsituation bzw. entsprechen-
Die Patientin habe ihre Eltern nie kennengelernt, sie sei in
der psychiatrischer Indikation erhalten die Patienten Einzel-
eine Familie adoptiert worden, die selbst drei Kinder ge-
psychotherapie (Frequenz ca. 1 Stunde pro Woche). Unter
habt habe. Ihre Stiefmutter habe sie als streng, konserva-
Berücksichtigung des während des stationären Aufenthal-
tiv, aber liebevoll erlebt. Den Stiefvater, der ein schwerer
tes zur Verfügung stehenden, zeitlichen Rahmens werden
Alkoholiker gewesen sei, habe sie als sehr streng und
Bewältigungs- und lösungsorientierte Therapiemethoden
"böse" in Erinnerung. Als Kind sei sie sehr fröhlich und
bevorzugt, während auf aufdeckende, tiefenpsychologische
aufgeweckt gewesen. In der Schule sei sie zunächst eine
Verfahren, die einen wesentlich längeren Zeitrahmen erfor-
gute Schülerin gewesen. Als ihre Stiefmutter wegen einer
dern und in der Suchtbehandlung wenig erfolgsverspre-
schweren Erkrankung lange im Krankenhaus liegen musste
chend erscheinen (Küfner 2003), eher verzichtet wird. Bei
im Vordergrund stehender Paar- oder Familienproblematik bzw. deshalb oft von zuhause weggewesen sei, habe sich
werden auch klärende Gespräche gemeinsam mit Partnern/ ihr Stiefvater zwischen ihrem 12. und 16. Lebensjahr wie-
Familienangehörigen angeboten. derholt sexuell an ihr vergangen. Zusätzlich traumatisie-
rend und schockierend für sie sei dann gewesen, dass die
Stiefmutter trotzdem zu ihrem Ehemann gehalten habe,
11 SOZIALDIENST als der Missbrauch publik geworden sei. Beginnend ab
der Zeit ihres sexuellen Missbrauchs, habe sie dann zuneh-
Bei bestehenden sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit, mend schwankende, schulische Leistungen erbracht und
Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, Wohnungsprobleme, fi- Verhaltensauffälligkeiten gezeigt. Später habe sie eine Ver-
nanziellen Schwierigkeiten wird unterstützend der Sozial- sicherungslehre absolviert, habe dann geheiratet, wobei
dienst im Hause hinzugezogen. die insgesamt 20 Jahre dauernde Ehe sehr schwierig ge-
wesen sei: einmal aufgrund deutlicher Temperamentsunter-
schiede zwischen ihr und ihrem Ehemann und weil es
12 ORGANISATION DER NACHSORGEBEHANDLUNG zwischen ihnen sexuell nie richtig geklappt habe. Erst im
Alter von 30 Jahren habe sie ihrem Mann sagen können,
Während des stationären Aufenthaltes wird großer Wert dass sie früher wiederholt von ihrem Stiefvater vergewal-
darauf gelegt, dass im Sinne einer anschließenden Weiter- tigt worden sei. Vor ca. sieben Jahren habe sie sich von
behandlungs- bzw. Nachsorgephase das entsprechende ihrem damaligen Ehemann getrennt, seitdem lebe sie al-
ambulante Prozedere organisiert wird. Aufgrund einer um- lein und habe seit ca. zwei Jahren einen neuen Partner, mit
fangreichen Vernetzung mit ambulanten Ärzten, Selbst- dem sie gemeinsam die Wochenenden verbringe. Ihr Tages-
hilfegruppen bzw. Suchteinrichtungen, werden die Patien- ablauf unter der Woche bestehe aus ca. drei Stunden im
ten diesbezüglich unterstützt. Haushalt putzen, anschließend vier bis fünf Stunden schla-
fen, anschließend lesen, Alkohol trinken, vor dem Fernse-
her sitzen, dann wieder schlafen. Unter der Woche lebe sie
13 KASUISTIKEN
sozial sehr zurückgezogen.
13.1 KASUISTIK I
Psychiatrische Anamnese
Eine 45-jährige, geschiedene, berentete, allein lebende Pati- Seit ihrem 12. Lebensjahr, als der sexuelle Missbrauch be-
entin wurde nach einem ambulanten Vorgespräch auf die gonnen habe, habe sie diffuse Ängste besonders vor Dun-
Suchtstation aufgenommen. Es handelte sich um die erste kelheit und gewissen Gerüchen entwickelt. Der Stiefvater
stationär psychiatrische Aufnahme in der Privatklinik Mei- habe sie nicht nur sexuell missbraucht, sondern auch ge-
ringen, die Vierte insgesamt. Die Einweisungsdiagnosen peinigt und sadistisch gequält. Er habe sie z.B. im dunk-
lauteten: len Keller eingesperrt und sie geschlagen. Im Alter von 26
27
Suchtmed 15 (1) 2013
ORIGINALARBEITEN | STATIONÄRE THERAPIE SUCHTKRANKER
Jahren habe sie begonnen, sich zu schneiden, dies sei eine Therapie und Verlauf
mehrjährige Phase gewesen. Aktuell würde sie sich nur
Während des 3-monatigen Aufenthaltes auf der Suchtsta-
noch kratzen bis sie blute. Seit ihrem 15./16. Lebensjahr
tion wurde die von der Patientin missbräuchlich eingenom-
habe sie einen Waschzwang entwickelt. Auch habe sie
mene Bromazepam- und Lorazepamdosis auf eine entspre-
bezüglich ihrer Wohnung einen "Putzfimmel". Durch ihre
chende Psychopax Äquivalenzdosis umgerechnet und die-
bisherigen psychiatrisch psychotherapeutischen Therapien
ses über den Tag fix verteilt gegeben. Anschließend wurde
habe sich ihr Waschzwang inzwischen soweit gebessert,
Psychopax schrittweise im Blindabbau reduziert, sodass nach
dass sie sich nicht mehr krankhaft waschen müsse. Ab
8 ½ Wochen die Benzodiazepinentgiftung vollständig ab-
1984 habe sich eine Ess-Störung entwickelt, insbesondere
geschlossen war. Die initial stattfindende Alkoholentgiftung
mit intermittierenden bulimischen Phasen, es sei besonders
lies unter dieser Psychopaxmedikation allenfalls leichtgra-
stark im Jahre 1991 gewesen. In den letzten Jahren habe
dige, vegetative Entzugssymptome innerhalb der ersten drei
sich allerdings auch die Essstörung gebessert. Bisher sei
Tage erkennen. Im Rahmen der schrittweise verlaufenden
sie dreimal stationär-psychiatrisch im Rahmen von Suizid-
Benzodiazepinentgiftung zeigten sich besondere initial er-
versuchen (Tabletten, Alkohol) behandelt worden, zuletzt
hebliche Reizbarkeit, Stimmungslabilität, Albträume, Schlaf-
2009. Seit 2009 werde sie ambulant psychiatrisch behan-
störungen und auch Suizidgedanken ohne akute Suizidalität.
delt, dabei sei die Behandlungsfrequenz unterschiedlich.
Gegen Ende der Benzodiazepinentgiftung wies die Patientin
Früher sei sie fast täglich ambulant vorstellig gewesen,
kaum noch kognitive Defizite bzw. die anfänglich oft vor-
aktuell sei sie ca. 2-3 Mal im Monat in Therapie. Die Be-
handenen Wortfindungsstörungen auf und sie wurde zuneh-
handlung erfolge mittels Gesprächen und Medikamenten.
mend wacher erlebt.
2009 habe sie eine ambulante Gruppentherapie begon-
nen, was ihr aber bald zuviel geworden sei, da sie die Nähe Im interpersonellen Kontakt d.h. sowohl in der freien Zeit
nicht ausgehalten habe. Wegen kognitiver Defizite und ih- auf der Station als auch im Gruppengeschehen war zunächst
rer Angst vor einer beginnenden Demenz sei sie kürzlich auffällig, dass sich die Patientin unter Vernachlässigung ei-
mittels Schädel-Kernspintomographie und neuropsycholo- gener Interessen stark für die Belange anderer Patienten
gischer Testung abgeklärt worden, wobei die Ergebnisse einsetzte und diesbezüglich ein übersteigertes Verantwor-
in keiner Weise ihre Befürchtungen bestätigt hätten. tungsgefühl zeigte. So fühlte sie sich für eine Mitpatientin
(eine verhaltensauffällige, distanzlose Patientin, die die Mit-
Aktuell nehme sie Trazodon bei Bedarf und 20 mg Escita-
patienten mit ihren Verhaltensweisen ärgerte) verantwort-
lopram pro Tag.
lich. Nachdem sich diese Mitpatientin sehr verletzt zeig-
te, fühlte sich Frau M. wiederum sofortig schuldig und
Suchtmittelanamnese
verantwortlich für diese Mitpatientin. Anfänglich hatte
Seit dem 17. Lebensjahr Beginn mit Cannabis, später auch sie auch große Mühe, sich von den Problemen ihrer Mitpa-
Einnahme von Benzodiazepinen und von Schmerzmitteln tienten und deren Krankheitsgeschichten abzugrenzen. Erst
aufgrund häufiger Kopfschmerzen. Später habe sie ca. sie- viel später gelang es ihr schließlich, Verantwortung an
ben Jahre lang Kokain in unterschiedlicher Dosis genom- das Behandlungsteam abzugeben. In der Anfangsphase
men. Aktuell nehme sie ca. 6 mg Bromazepam pro Tag, zeigte sie auch ein gewisses spaltendes Verhalten, indem
manchmal auch mehr, zusätzlich ca. 9 mg Lorazepam. Al- sie sich z.B. bei der Pflege über die Ärzte und bei den
kohol trinke sie ca. 1 Fl. Rotwein pro Tag oder 2 Bier. Ärzten über die Pflege beschwerte.
Bisher habe sie noch keine stationäre Suchtbehandlung
In der Einzeltherapie zeigte sie zunächst starken Widerstand
absolviert.
und Misstrauen gegenüber ihrer Psychotherapeutin, später
stellte sich heraus, dass dies hauptsächlich durch ihre Ängs-
Psychostatus bei Eintritt
te vor Nähe und Verlassenwerden bedingt war. Erst nach
Es stellte sich eine 45-jährige, gepflegte Patientin vor, die ca. vier Wochen konnte mit ihr ein diesbezügliches konstruk-
wach, allseits orientiert war. Es ergaben sich Hinweise tives Arbeitsbündnis hergestellt werden. Thematisch wurde
auf kognitive Defizite bezüglich Konzentration und Ge- in der Einzeltherapie dann an ihren sich mehr an den Inter-
dächtnis. Im Affekt wirkte sie herabgestimmt, diskret ge- essen anderer orientierten Verhaltensweisen und an Denk-
reizt. Sie berichtete von Grübelneigung. In der Psychomo- schemata bezüglich ihres übersteigerten Verantwortungsge-
torik wirkte sie verlangsamt. Von akuter Suizidalität konnte fühls gearbeitet. Im weiteren Verlauf konnte sich die Patientin
sie sich distanzieren. Sie gab an, dass die Phasen ihrer von den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Umwelt besser
selbstverletzenden Verhaltensweisen wie Schneiden vorbei abgrenzen und es gelang ihr, öfters ihre eigenen Bedürfnisse
seien. Allenfalls würde sie sich bei Belastungen gelegent- zu äußern. Die Einzeltherapie bestand aus einem 1-stündigen
lich noch kratzen. Gespräch und zwei kürzeren Behandlungseinheiten von je
ca. 20 min Dauer pro Woche.
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STATIONÄRE THERAPIE SUCHTKRANKER | ORIGINALARBEITEN
Beginnend ab der 6. stationären Woche konnte die Patientin (cid:127) Alkoholabhängigkeitssyndrom, ICD-10 F10.25
dann an der Psychoedukationsgruppe für Traumafolgestö- (cid:127) Rez. depressive Störung, ggw. leicht bis mittelgradige
rungen teilnehmen. Dort kam es zunächst zu wiederhol- Episode, ICD-10 F33.1
ten Dissoziationen, denen sie durch das Erlernen von Skills (cid:127) Ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung, ICD-10
(z.B. Einsetzen von Duftstoffen) erfolgreich begegnen konn- F60.6
te. Aufgrund der Lokalität des Gruppenraumes im Unter-
geschoss erlebte sie anfänglich eine Art Retraumatisierung, Biographie
da die Quälereien ihres Stiefvaters meist im Keller "statt-
Der Patient sei als Jüngstes von zwei Geschwistern (fünf
fanden". Letztendlich konnte sie zunehmend von den Sta-
Jahre älterer Bruder) geboren. Er habe seine Kindheit und
bilisierungsübungen dieser Gruppe profitieren.
Jugend in einer Kleinstadt verbracht. Als Kind sei er bereits
Ansonsten besuchte die Patientin das gesamte obligatori- sehr schüchtern und ängstlich gewesen. Er habe sich nie
sche stationäre Therapieprogramm wie STAR-Gruppe, Psy- richtig getraut, mit anderen Kindern zu spielen. Vielmehr
chotherapiegruppe, Ressourcengruppe Stress, gestaltendes habe er sich schon als Kind zurückgezogen, habe sich oft
Atelier und Körpertherapiegruppe. Weitere Ressourcen waren in eine Art Fantasiewelt geflüchtet und viel gelesen. Der
für sie sportliche Aktivitäten und Wandern. Vater sei Primarlehrer gewesen. Der Patient habe ihn als
sehr streng, pedantisch und auch kühl-distanziert erlebt.
Während des gesamten stationären Aufenthaltes kam es zu
Er habe sich gerne in sein Arbeitszimmer zu Hause zurück-
einem einzigen Alkoholrückfall innerhalb der ersten vier-
gezogen und sich in seinen Schularbeiten vergraben. Die
zehn Tage, dabei hatte die Patientin mit einer Mitpatientin
Mutter sei Hausfrau gewesen. Ihren Kindern gegenüber
einen Prosecco getrunken.
habe sie sich eher distanziert gezeigt, ihr sei es schwer ge-
Psychopharmakologisch wurde das bei Eintritt bestehen- fallen, ihren Kindern Liebe und Wärme zu geben. Der Pa-
de Escitalopram von 20 mg auf 30 mg/d mit gutem Erfolg tient habe dann 13 Jahre die Schule besucht und mit der
hin-sichtlich Stimmung und Antrieb erhöht. Matura abgeschlossen. In der Schule sei er eher durchschnitt-
lich und nicht ganz fleissig gewesen. Lernschwierigkeiten
In den wöchentlich stattfindenden interdisziplinären Rap-
habe er aber nie gehabt. Auch in der Pubertät sei es für
porten wurden im Team die Erfahrungen mit der Patientin,
ihn sehr mühsam gewesen, Kontakte zu Gleichaltrigen her-
wie sie sich in den Einzel- und den Gruppentherapien prä-
zustellen. Vor Mädchen habe er große Ängste und Unsicher-
sentierte, diskutiert und ein einheitliches Prozedere ihr ge-
heiten verspürt. Nach der Matura sei er in der Rekruten-
genüber festgelegt.
schule gewesen, anschließend habe er ein Jura-Studium
Bei Entlassung konnte die Patientin in deutlich stabilisier- begonnen. Diese Zeit sei für ihn sehr belastend gewesen,
tem und von Alkohol und Benzodiazepinen vollständig insbesonders weil er wegen seiner Schüchternheit nie wirk-
entgiftetem Zustand nach Hause entlassen werden. Die lich Anschluss zu Mitstudenten gefunden hatte. Im Alter
Weiterbehandlung wurde dann durch ihre vorbehandeln- von 23 Jahren hatte er dann eine längere depressive Epi-
de Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie übernom- sode, sodass er letztendlich sein Studium habe abbrechen
men. Der gesamte stationäre Verlauf stellte für die Patientin müssen. Anschließend habe er wieder bei den Eltern ge-
zudem ein erhebliches Erfolgserlebnis dar, weil sie dieses wohnt und sich während der nächsten zwei Jahren mit
lange und intensive stationäre Behandlungsprogramm durch- verschiedenen Temporärarbeiten über Wasser gehalten.
stehen konnte, gerade weil sie zu Beginn des stationären Danach habe er ein Informatikstudium begonnen, wel-
Aufenthaltes diesbezüglich erhebliche Zweifel hatte und sie ches er auch abgeschlossen habe. Seit ca. vier Jahren sei
bis dahin stets engere interpersonelle Kontakte auf Grup- er im IT-Bereich einer Universität beschäftigt. Auch dort
penebene vermieden hatte. fühle er sich als Einzelgänger.
Der Kontakt zu Frauen sei ihm bisher stets schwergefallen,
erst im Alter von 29 Jahren hätte er erstmals eine Freun-
13.2 KASUISTIK II
din gehabt, allerdings habe diese Beziehung nur zwei Mo-
nate gedauert. Vor ca. fünf Monaten habe er erneut eine
Der 32-jährige, ledige, alleinlebende Informatiker wurde
Frau kennengelernt, die Interesse an ihm signalisiert habe.
nach einem ambulanten Vorgespräch mit einem Syndrom
Allerdings fühle er sich in dieser Beziehung sehr unsicher,
süchtigen Verhalten und einem depressiven Syndrom auf
auch habe es bisher sexuell aufgrund von Erektionsschwie-
die Suchtstation aufgenommen. Es handelte sich um die
rigkeiten nicht richtig geklappt.
erste stationär-psychiatrische Aufnahme in der Privatklinik
Meiringen, die Zweite insgesamt.
Die Einweisungsdiagnosen lauteten:
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Suchtmed 15 (1) 2013
ORIGINALARBEITEN | STATIONÄRE THERAPIE SUCHTKRANKER
Psychiatrische Anamnese und ängstlich. Er vermied direkten Blickkontakt. Er berich-
tete von ausgeprägten sozialen Ängsten und Insuffizienz-
Bereits als Kind habe er unter seiner, bis heute andauern-
gefühlen. Von Suizidalität war er glaubhaft distanziert.
den, ausgeprägten Schüchternheit gelitten. Im Alter von
22 Jahren habe sich dann auch, bedingt durch seine Isola-
Therapie und Verlauf
tion im Studium, eine zunehmende depressive Sympto-
matik in Form von Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit, Inte- Während der ersten vier stationären Tage zeigte der Patient
resselosigkeit und Schlafstörung entwickelt. Er habe sich leicht- bis mittelgradige psychovegetative Entzugssymp-
auch nicht mehr konzentrieren können, sodass er nach tome, die mit einer Reservemedikation von max. 60 mg
langem Zögern zu einem ambulanten Psychiater gegan- Oxazepam/d gut zu kupieren waren. Im Verhalten auf Sta-
gen sei. Dieser habe ihn dann in eine psychiatrische Kli- tion und in den Gruppen zeigte sich der Patient sehr ängst-
nik eingewiesen. Dort sei er sechs Wochen gewesen und lich, schüchtern, unsicher. Mit ärztlicher Indikation wur-
man habe ihm damals mit Antidepressiva (Mirtazapin und de er neben dem obligatorischen Gruppenprogramm der
Venlafaxin) behandelt. Zudem habe es eine supportive, Gruppe "Soziale Kompetenz" und der Depressionsgruppe
psychotherapeutische Begleitung gegeben. Nach einer Teil- zugeteilt. In der Einzeltherapie, die mit einer wöchentli-
remission seiner Symptomatik sei er entlassen worden. chen Frequenz von einer Stunde stattfand, wurde insbe-
Die anschließenden zwei Jahre habe er sich noch sehr sondere an den depressiven und selbstunsicheren Denk-
schwach, antriebsarm und auch orientierungslos gefühlt, schemata des Patienten gearbeitet. Im weiteren stationären
sodass er in dieser Zeit nur Temporär-Jobs habe ausüben Verlauf zeigte er sich etwas selbstsicherer und konnte z.B.
können. Beginnend ab dem Jahre 2011 habe es erneut im in der Psychotherapiegruppe einem eher dominanten Grup-
Rahmen seiner sozialen Isolation wieder zunehmende penmitglied widersprechen, was für ihn ein Erfolgserleb-
depressive Symptome gegeben, besonders habe er sich stark nis darstellte. Auch gelang es ihm, gewisse Ängste gegen-
bei der Arbeitsstelle ausgegrenzt gefühlt. Zudem hätten über Frauen zu überwinden, wiederholt zeigte er diesbe-
ihn in der letzten Zeit seine sexuellen Probleme im Zu- züglich ein kokettierendes Verhalten, was für ihn neu war.
sammenhang mit seiner neuen Freundin stark belastet. Seit Zusätzlich konnte er dann in Einzelgesprächen mit dem
ca. sechs Monaten habe er sich erneut in ambulante psych- leitenden Arzt der Station sexualmedizinische Gespräche
iatrische Behandlung begeben. Aktuell nehme er 15 mg durchführen. Dabei ging es um seine Erektionsstörungen.
Mirtazapin/d. In diesen Gesprächen zeigte sich, dass er eher übertriebe-
ne Vorstellungen hatte, was ein Mann beim Sex leisten
Suchtmittelanamnese müsse. Nach einem Paargespräch wurde ihm ein nach
Masters und Johnson (Schoof-Tams 1975) modifiziertes
Bereits ab seinem 20. Lebensjahr habe er sich angewöhnt,
Vorgehen beim sexuellen Kontakt mit seiner Freundin emp-
Alkohol zu trinken, um in Kontakten mit Gleichaltrigen
fohlen. Im Rahmen von Wochenendbeurlaubungen berich-
lockerer zu werden. Während sich sein Alkoholkonsum
tete der Patient dann über eine deutliche Verminderung
früher in Grenzen gehalten habe, habe er in den letzten drei
seiner sexuellen Ängste und Erektionsprobleme.
Jahren verstärkt und zunehmend getrunken. Die Tagestrink-
menge habe zuletzt ca. ein bis eineinhalb Flaschen Rotwein Unter einer Medikation mit Mirtazapin 30 mg und Bupro-
betragen. Den Alkohol habe er meist abends getrunken, um pion 150 mg kam es zu einer guten Remission der anfäng-
sich nach einem belastenden Arbeitstag entspannen zu lich mittelgradig ausgeprägten, depressiven Symptoma-
können. Ausschlaggebend für den Alkoholkonsum sei auch tik. Initial berichtete der Patient auch von wiederholtem
die für ihn aufgrund seiner ausgeprägten Schüchternheit Craving – während des stationären Aufenthaltes kam es
sehr belastende Arbeitsatmosphäre gewesen. Er habe sich aber zu keinem Alkoholrückfall. Nach sechs Wochen konn-
z.B. nicht getraut seinem autoritären Chef zu widerspre- te der Patient in deutlich gebessertem psychisch stabilen
chen bzw. seine Arbeitskollegen um Hilfe zu bitten. Weiter- Zustand nach Hause entlassen werden.
hin belastend seien seine sexuellen Versagensängste gewe-
sen, auch deshalb habe er getrunken. Bisher habe er sich
noch keiner ambulanten oder stationären Entgiftungsbe-
14 DISKUSSION UND AUSBLICK
handlung unterzogen. Drogen habe er bisher nie genom-
men, auch sei er Nichtraucher.
Der Artikel konzentriert sich auf das psychosoziale Behand-
lungskonzept der Suchtstation der Privatklinik Meiringen
Psychostatus bei Eintritt
mit Focus auf psychiatrischer Komorbidität. Die Suche nach
Es stellte sich ein 32-jähriger, ausreichend gepflegter Pati- optimalen Behandlungsstrategien für Abhängigkeitserkran-
ent vor. Er war wach, allseits orientiert. Im Alkometer war kungen ist ein fortlaufender Prozess. Trotz der Komplexi-
er mit 0,6‰ alkoholisiert. Im Affekt wirkte er herabgestimmt tät von Suchterkrankungen und erheblicher methodischer
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Suchtmed 15 (1) 2013
Description:Diese Phasen beinhalten ambulante als auch stationäre The- rapieelemente. sodass er in dieser Zeit nur Temporär-Jobs habe ausüben können.