Table Of ContentStatik und Dynamik
der Schalen
Von
Wilhelm Flügge
Dr.-Ing.
Professor of Engineering Mechanics
Stanford University
Zweite, neubearbeitete Auflage
Mit 121 Abbildungen
Springer-Verlag
Ber lin/Göttingen/Heidelberg
1957
ISBN 978-3-642-52729-6 ISBN 978-3-642-52728-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-52728-9
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Copyright 1934 by Springer-Verlag ORG., Berlin
@ by Springer-Verlag ORG., BerlinjGöttingenjHeidelbcrg 19:>7
Softcover reprint of the hardcover 2nd edition 1957
Vorwort zur zweiten Auflage
Als dieses Buch erschien, war es das einzige "Schalenbuch" und hat
sich als solches rasch viele Freunde erworben. Als die erste Auflage gegen
Kriegsende vergriffen war, wurde wegen der allgemeinen Notlage ein un
veränderter Neudruck als ein Notbehelf in Aussicht genommen, aber
wegen der sich schnell verschlechternden Wirtschaftsverhältnisse nicht
mehr ausgeführt. Eine Überprüfung der Lage nach Kriegsende zeigte,
daß eine Neubearbeitung an vielen Stellen nötig geworden war, um dem
Fortschritt der Schalentheorie Rechnung zu tragen. Die Durchführung
dieser Neubearbeitung verzögerte sich wiederholt, zunächst wegen der
allgemeinen Lage in Deutschland, dann, weil der Verfasser inzwischen in
einen Wirkungskreis eingetreten war, der seine ungeteilte Aufmerksam"
keit verlangte. Als es endlich möglich wurde, dem Plane ernsthaft näher
zutreten, war die Versuchung groß, durch Einfügung neuen Materials
den Umfang des Buches anschwellen zu lassen, nach R. W. POHL das
sicherste Anzeichen für das Altern eines Buches. Der Verfasser hat dieser
Versuchung nach Kräften widerstanden und sich bemüht, durch Fort
lassen weniger wichtigen Materials den Umfang einigermaßen in den
alten Grenzen zu halten. In Zielsetzung und allgemeiner Anlage ist das
Buch das alte geblieben, noch immer ein lebendiges Stück des alten Göt
tingen, in dem es einst entstanden ist.
Viele Fachgenossen aus aller Welt haben durch Zuschriften und
mündliche Mitteilungen dazu beigetragen, Form und Inhalt des Buches
in der Neuauflage zu verbessern. Es ist dem Verfasser eine angenehme
Pflicht, ihnen allen für ihre Hinweise und Vorschläge zu danken. Dem
Verlage gebührt auch diesmal Dank für die gewohnt gute Ausstattung
des Buches. Ganz besonderen Dank schuldet der Verfasser Herrn
Dr. JULIUS SPRINGER dafür, daß er nie müde wurde, an die Notwendig
keit einer Neuauflage des Buches zu erinnern. Ohne seine Bemühungen
hätte das Schalenbuch noch ein paar Jahre auf sich warten lassen.
Los Altos, Calif., im Juni 1957
Wilh. Flügge
Aus dem Vorwort der ersten Auflage
Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist die Technik nacheinander auf
verschiedenen Gebieten vor Fragen gestellt worden, die dem in diesem
Buche behandelten Stoffkreise angehören, und ihre glückliche Lösung
hat gelegentlich zu einem epochemachenden Fortschritt der konstruk
tiven Gestaltung geführt. Als besonders in die Augen springende Bei
spiele seien genannt der Behälterbau, die Formgebung der unstarren
Luftschiffe, verschiedene Fragen des Turbinen- und Dampfmaschinen
baues, die weittragenden Dachkonstruktionen aus Eisenbeton und neuer
dings "die eben erst aktuell gewordenen Fragen des Flugzeugbaues
(Schalenrümpfe usw.). Mit der Lösung dieser Fragen befaßt sich ein dop
pelter Kreis von Fachgenossen und dementsprechend hat sich auch dies
Buch an einen Leserkreis vOILzweierlei Art zu wenden, an den entwerfen
den Ingenieur, der sich für die Ergebnisse der Schalentheorie interessiert
und ihre Darstellung in einer Form fordern muß, die ihm die unmittelbare
Anwendung zur Lösung seiner konkreten Aufgaben ermöglicht, und an
den Forscher auf dem Fachgebiete der technischen Mechanik, dessen
Aufgabe es ist, unser Wissen auf diesem Gebiet weiter zu treiben und für
neue, kompliziertere Fragen neue Lösungen zu finden. Ihn interessiert
nicht nur der Bestand des Vorhandenen, sondern auch die Methodik,
durch die es gewonnen wurde, und der Ausblick auf Möglichkeiten der
Weiterentwicklung .
Diesem doppelten Leserkreis entspricht das Buch, indem es einerseits
jede Rechnung, soweit es irgend mit dem gesteckten Umfange vereinbar
ist, bis zum letzten Ziel durchführt, bis zur Gewinnung und anschaulich
bildlichenDarstellung zahlenmäßiger Ergebnisse, und indem es anderseits
auch vor schwierigen mathematischen Entwicklungen dann nicht
zurückschreckt, wenn dies schärfste Werkzeug technischer Wissenschaft
zur Erreichung des Zieles unbedingt notwendig ist. Dagegen ist es bewußt
vermieden worden, solchen Fragen nachzugehen, deren Interesse aus
schließlich im Spekulativen liegt, ohne daß die derzeitige oder zukünftige
Anwendung auf ein technisches Ziel gegeben wäre, während es anderseits
ebenso unterbleiben konnte, das Einsetzen von Zahlenwerten in die ge
botenen Formeln in extenso vorzuführen.
Aus dem Vorwort der ersten Auflage V
Der Mannigfaltigkeit der angeführten Fragestellungen entspricht eine
fast noch größere Mannigfaltigkeit der Originalliteratur, die in ihren me
chanischen Voraussetzungen, in der Verständlichkeit und Güte der Dar
stellung, in dem Maße der Verwendung mathematischer Hilfsmittel, in
dem Grade der Durchführung der Rechnungen und in den benutzten
Symbolen für die fundamentalen Größen ein außerordentlich buntes
Bild bietet. Dazu kommt als weiterer Übelstand, daß manche - und
darunter einige der wertvollsten Arbeiten - an schwer zugänglicher und
schwer auffindb arer Stelle erschienen sind. Hier Abhilfe zu schaffen
und das reiche vorhandene Material in einheitlicher und bequemer
Form für Forschung und Praxis zugänglich zu machen, ist nachgerade
ein dringendes Bedürfnis geworden. Wie es sich bei einer solchen
Systematisierung eines großen, vielgestaltiren Stoffgebietes ganz von
selbst ergibt, sind bei dieser Gelegenheit auch manche noch bestehende
Lücken geschlossen worden. Wo sie liegen, zeigen am deutlichsten die
Stellen geringster Dichte im Literaturverzeichnis.
Heiligenhafen, im August 1934
Wilh. Flügge
Inhaltsverzeichnis
Seite
1. Allgemeine Grundlagen .
1. Einführung . . . . . . . 1
2. Membranspannungszustand 5
3. Transformation der Längskräfte 7
4. Längskrafttransformation in schiefwinkligen Koordinaten 10
5. Transformation der Momente . . . . . . . . . . 13
6. "Theorie der Beanspruchung von Stahlbetonschalen 14
11. Membrantheorie der Rotationsschalen 22
1. Allgemeines . . . . . . . . 22
2. Drehsymmetrische Belastung . . . . . . 26
a) Differentialgleichungen. . . . . . . . 26
b) Lösung für verschiedene Schalenformen 26
3. Fragen der Formgebung . 36
a) Kuppel gleicher Festigkeit 36
b) Tropfenbehälter . . . . 39
4. Unsymmetrische Belastung 43
a) FOURIER· Ansatz 43
b) Kugelschale 45
IX) Inhomogene Lösung 46
ß) Homogene Lösung . 49
y) Apsidenkuppel ... 51
c) Lösung für Schalen beliebiger Form 54
d) Kegelschale . . . . . . . . . . . 58
e) Einschaliges Hyperboloid 59
f) Lösung durch konforme Abbildung 65
5. Formänderungen . . . . . . . . . . 70
a) Differentialgleichungen für die Verschiebungen 70
b) Dehnungslose Verformungen ..... . 74
c) Lösung der inhomogenen Gleichungen .. 77
d) Geschlossene Lösung für die Kugelschale 79
e) Drehsymmetrische Verformung 79
f) Ringschalen 81
6. Formänderungsarbeit . 82
7. Statisch unbestimmte Systeme 85
Inhaltsverzeichnis VII
Seite
III. Membrantheorie der Zylinderschalen 89
1. Rohre und Tonnendächer ..... 89
2. Formänderungen . . . . . . . . . . 96
3. Statisch unbestimmte Zylinderschalen 98
4. Vieleckkuppeln . . . . . . . . . . 100
IV. Menibrantheorie für beliebige Schalenformen 111
1. Gleichgewichtsbedingungen für eine Schale beliebiger Form III
2. Elliptisches Paraboloid . . 114
3. Hyperbolisches Paraboloid 117
a) Ränder längs der Erzeugenden 117
b) Ränder längs der Hauptkrümmungslinien 120
4. Konoidschale . . . . . . . . . . . . 127
5. Der Spannungszustand affiner Schalen. 131
a) Allgemeine Theorie . . . . . . . . 131
b) Kuppeln . . . . . . . . . . . . . 134
<X) Lotrechte Verzerrung von Rotationsschalen 134
ß) Waagerechte Verzerrung von Rotationsschalen 135
y) Vieleckkuppeln 138
c) Behälterschalen 139
d) Gewölbe 139
V. Biegetheorie der Kreiszylinderschale 141
1. Die Differentialgleichungen der Zylindertheorie 141
2. Lösung für die an den Rändern x = const belastete Zylinderschale 151
3. Theorie der Tonnendächer 156
4. Behältertheorie . . . . . . . . 164
VI. Biegetheorie der Drehschalen . 172
1. Differentialgleichungen . . . 172
a) Gleichgewichtsbedingungen . . 172
b) Elastizitätsgesetz . . . . . . 174
c) Differentialgleichungen für drehsymmetrische Randlasten 177
2. Kugelschale konstanter Wandstärke . . 180
a) Strenge Lösung . . . . . . . . . . 180
b) Näherungslösung für dünne Schalen 182
c) Lösung durch numerische Integration 185
d) Einzelkräfte und kleine Ausschnitte 187
3. Schale mit beliebiger Meridianform und veränderlicher Wandstärke 189
a) Strenge Lösung . . . . . . . . . . 189
b) Näherungslösung für dünne Schalen 191
4. Kegelschale . . . . . . . . . . . . . 196
a) Kegelschale konstanter Wandstärke 196
b) Kegelschale mit linear veränderlicher Wandstärke 201
VII. Theorie der Faltwerke 203
1. Membrantheorie 203
2. Biegetheorie . . . . . . 207
VIII Inhaltsverzeichnis
Seite
VIII. Die Stabilität der Schalen ....... . 214
1. Grundlagen der Theorie der Schalenknickung . 214
2. Stabilität der Kreiszylinderschale . . . . . . . 219
a) Differentialgleichungen für gleichmäßig verteilte Grundspannungen 219
b) Lösung für zweiachsigen Druck. ...... 225
c) Lösung für reinen Schub . . . . . . . . . . 237
d) Lösung für kombinierten Schub und Längsdruck 241
0:) Allgemeine Lösung . . . . . . . . . . 241
ß) Knickbedingung für kurze Zylinder 245
e) Ursachen eines Biegungsbruches vor Erreichen der Knicklast 247
3. Stabilität der Kugelschale . . . . . . . . . 256
IX. Schwingungen drehsymmetrischer Schalen 263
1. Dehnungslose Schwingungen . . . . . 263
2. Vollständige Schwingungstheorie für die Kreiszylinderschale 268
Literaturübersicht 273
Sachverzeichnis 284
I. Allgemeine Grundlagen
1. Einführung
Bei der Berechnung von Ingenieurkonstruktionen aller Art sucht
man sich die dreidimensionalen Körper, mit denen man es immer zu
tun hat, durch eine Idealisierung zu vereinfachen, die es ermöglicht,
das Wesentliche ihres Spannungszustandes leichter zu überblicken. Die
älteste solche Idealform ist die des Stabes. Balken und Säulen, über
haupt alles, was aus Walzprofilen oder Holzbalken hergestellt wird, läßt
sich in seiner statischen Wirkungsweise beschreiben durch die Fiktion
einer Linie, deren elastische Gestaltänderungen (Dehnung, Krümmungs
änderung, Verwindung), bestimmten Kraftgrößen, den Schnittkräften
(Längskraft, Biegemoment, Torsionsmoment) proportional sind.
Eine ganz entsprechende Idealisierung einer andern Gruppe von
Konstruktionselementen führt zum Begriff der Schale, der uns hier
beschäftigen soll. Die Wandung eines Behälters, die Membran eines
Aneroidbarometers, die Hülle eines Luftballons sind Konstruktionsteile,
die sich nicht linienhaft darstellen lassen. Der Wunsch, das Kräftespiel
in ihnen zu verfolgen, führt zu der Vorstellung eines zweidimensionalen
Kontinuums, einer materiellen Fläche, die Kräfte übertragen und Form
änderungen erleiden kann, und die dabei ein bestimmtes Elastizitäts
gesetz befolgt. Man nennt sie kurz einen Flächenträger und unter
scheidet zwei Fälle: Den ebenen Flächenträger, mit dem wir uns in
diesem Buche nicht befassen wollen, nennt man Platte, während jeder
gekrümmte Schale genannt wird.
Eine Schale wird begrenzt durch zwei gekrümmte Flächen, ihre
Laibungen. Ihr Abstand t, die Schalenstärke, ist gering gegen ihre
anderen Abmessungen, im übrigen aber beliebig veränderlich. Diejenige
zwischen den beiden Laibungen liegende Fläche, die überall die Schalen
stärke halbiert, wird Mittelfläche genannt. Gibt man ihre Gestalt und
die Schalenstärke für jeden ihrer Punkte, so ist die Schale dadurch
geometrisch vollkommen beschrieben.
Um die in den Schalen wirksamen Kräfte der Rechnung zugänglich
zu machen, ist es zunächst nötig, diese inneren Kräfte genauer zu
definieren. Wir denken uns aus der Schale ein kleines, etwa recht
winkliges Stückchen herausgeschnitten, dessen Kanten wir dsx und dsy
Flügge, Schalen, 2. Auf!. 1
2 Allgemeine Grundlagen
nennen wollen, um damit gleich anzudeuten, daß wir die Absicht haben,
mit ihnen einen Grenzübergang nach Null zu machen. In jeder der
vier Schnittflächen, die den Inhalt t· d8x oder t· My haben, wirken
Spannungen, die, wie wir später noch sehen werden, in vielen Fällen
gleichmäßig über die kleine 'Fläche verteilt sind. Dann sind sie schon
dadurch bestimmt, daß man ihre Resultierende angibt. Diese ist aber
noch keine geeignete Rechengröße ; denn sie hängt offenbar von der
Schnittlänge d8x oder My ab. Wi~ machen sie von dieser Willkür frei,
indem wir sie durch die Schnittlänge dividieren und diese dann nach
Null gehen lassen. Dann nimmt der Quotient im Sinne der Differential
rechnung einen Grenzwert an, den wir als Schnittkraft bezeichnen. Er
hat die Dimension einer Kraft je Längeneinheit, kann also etwa in
gje:,m oder tjm gemessen
werden und ist die Kraft,
die durch die Längen
einheit eines in der Schale
geführten Schnittes über-
"11
tragen wird. Wir zerlegen
sie in Komponenten nach
einem rechtwinkligen
8
Achsenkreuz, das durch
Abb. 1. Schnittkräfte am Schalenelement
die Schnittangente, die
Schalennormale und die tangential zur Schale laufende Schnittnormale
gebildet wird. Für diese Komponenten geben wir an Hand der Abb. 1
die folgenden Definitionen:
In einem Schnitte x = const (Kante AB) bezeichnen wir die auf
die Längeneinheit des Schnittes bezogene Kraft in Richtung x mit N
X"
und nennen sie Längskraft. Sie wird als Zugkraft positiv, als Druckkraft
negativ gezählt. Entsprechend ist die Längskraft Ny zu definieren.
Die in einem Schnitte x = const wirkende, auf die Längeneinheit.
des Schnittes bezogene Kraft, die die Richtung der Schnittangente hat,
nennen wir Schubkraft und bezeichnen sie mit N xy. Sie gilt als positiv,
wenn sie in einem Schnitt, in dem eine positive Längskraft die Rich
tung der positiven Koordinat.enachse hat, auch ihrerseits in Richtung
wa,chsender Koordinaten zeigt. Entsprechend ist für die Schnitte y = const
die Schubkraft Nyx zu definieren. Das Vorzeichen der Schubkräfte ist
von den Koordinaten derart abhängig, daß es sich umkehr~, wenn auf
einer Koordinatenachse die positive Richtung umgekehrt wird.
Eine inhaltlich gleichbedeutende,. aber in vielen Fällen brauchbarere
Definition der Schnittkräfte erhält man, wenn man von den Spannungen
ausgeht.. Wir grenzen in einem Schnitte x = const ein kleines Flächen
element dF ab (Abb. 2). Die in ihm übertragene Normalspannung sei (Jx,
die Schubspannungskomponente parallel zur Mittelfläche 'txy und die