Table Of ContentHandbibliothel~
für Bauingenieure
Ein Hand- und Nachschlagebuch
für Studium und Praxis
Begründet von Rohert Otzen
Neue Reihe
herausgegehen von
Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Ferd. Schleicher
der
Statil~ Tragwerl~e
Von
Walther Kaufmann
Vi e r t e ergänzte und verhesserte Auflage
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH 1957
Statik der Tragwerke
Von
Dr.-Ing. habil. Walther I\:.aufmann
o. Professor an der Technischen Hochschule München
Vierte ergänzte und verbesserte Auflage
Mit 367 Abbildungen
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH 1957
ISBN 978-3-540-02154-4 ISBN 978-3-662-13040-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-13040-7
Alle Rechte,
insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.
Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet,
dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photo kopie, Mikrokopie)
zu vervielfältigen.
© by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1957
Ursprünglich erschienen bei Springer-V crlag OH G., Berlin/Göttingen/Heidelberg 1957.
V or,vort zur vierten Auflage
In der Statik der "Stabsysteme" - d. h. der Fachwerke und Stabwerke -,
welche allein den Gegenstand des vorliegenden Buches bilden, sind seit dem
Erscheinen der dritten Auflage im Jahre 1949 keine wesentlichen neuen Erkennt
nisse gewonnen worden, wenn man von einigen speziellen Berechnungsverfahren
absieht, die besonders für Stockwerkrahmen entwickelt wurden. Da sich außer
dem sowohl die Stoffauswahl als auch die Art der Darstellung im Hinblick auf
den Zweck des Buches bewährt zu haben scheinen, hielt ich es für berechtigt,
bei der Neuauflage von größeren Textänderungen abzusehen und mich lediglich
auf einige Verbesserungen und Ergänzungen zu beschränken, die neueren For
schungsergebnissen auf einigen Sondergebieten Rechnung tragen.
So wurde z. B. im ersten Abschnitt (allgemeine Grundlagen) die "Hypothese
der größten Gestaltänderungsarbeit" hinzugefügt, welche in letzter Zeit für die
modernen Vorstellungen über den Bruchvorgang der Werkstoffe immer mehr an
Bedeutung gewonnen hat. Auch die Ausführungen über die Torsion von Stäben
haben einige Ergänzungen erfahren, die sich auf den Fall behinderter Quer
schnittswölbung beziehen (z. B. bei eingespannten Stäben von nichtkreis
förmigem Querschnitt).
Im sechsten Abschnitt (statisch unbestimmte Tragwerke) ist das Kapitel
über "Rahmen" durch Aufnahme einer Berechnungsanweisung für sogenannte
"Vierendeelträger" ergänzt worden. Weiter wurde in diesem Abschnitt eine
Studie zur Berechnung von Brückenträgerrosten mit drillfesten Hauptträgern
hinzugefügt, da diese Frage bei dem Bestreben nach besserer Materialausnutzung
neuerdings eine gewisse Rolle spielt.
Den Schluß des Buches bildet eine Einführung in die "Theorie zweiter Ord
nung" (Verformungstheorie), deren Anwendung sich bei der Berechnung weit
gespannter Hänge- und Bogenbrücken als unerläßlich erwiesen hat.
Herrn Professor Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. F. SCHLEICHER danke ich für ver
schiedene Anregungen, ebenso dem Springer-Verlag für die Sorgfalt, welche er
auch dieses Mal der Ausstattung des Buches hat angedeihen lassen.
München, im November 1956
\V. Kaufmann
Inhal tsverz eichnis
Erster Abschnitt
Allgemeine Grundlagen
Seite
1. Begriff und Aufgabe der Statik 1
2. Die äußeren Kräfte. . . . . . . . . . . . . . . . 2
3. Die inneren Kräfte. . . . . . . . . . . . . . . . 3
4. Die Gleichgewichtsbedingungen des starren Körpers und das Prinzip der virtuellen
Verrückungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
5. Statisch bestimmte und statisch unbestimmte Systeme 7
6. Die Einflußlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
7. Die Grundgleichungen der Statik des stabförmigen Trägers 14
a) Zug (Druck), Biegung und Schub. 15
b) Drillung (Torsion) . . . . . . . . 26
8. Die Grundlagen der Fachwerktheorie . 31
Zweiter Abschnitt
Momente, Quer- und Normalliräfte an statiseh bestimmten Stabwerken
1. Der einfache Balken . . 37
1. Ruhende Belastung . 37
II. Bewegliche Belastung 44
a) Einflußlinien . . . 44
b) A-Polygon und Maximalmomente 46
a) A-Polygon . . . . . . . . . 47
ß) Maximalmomente . . . . . . 49
2. Freiträger, Balken mit überkragenden Enden und Gerberträger . 51
3. Dreigelenkbogen und verwandte Systeme. . . . . . . . . . . 57
Dritter Abschnitt
Ermittlung der Spannkräfte statiseh bestimmter Fachwerke
1. Statische Verfahren für das ebene Fachwerk 66
a) Schnittmethoden . . . . . . . . 66
a) Das CULMANNsche Verfahren 66
ß) Das RITTERsche Verfahren 68
b) Die Cremonaschen Kräftepläne . 70
c) Spannkraftermittlung mit Hilfe der Einflußlinien . 73
d) Die Methode der Stabvertauschung 83
2. Die kinematische Methode. . . . . . 85
a) Die zwangläufige kinematische Kette 85
b) Pol plan und Geschwindigkeitsplan . 87
c) Einflußlinien 95
3. Räumliche Fachwerke. 105
a) Netzwerkkuppeln . 113
b) Schwedlerkuppeln . . . . 113
c) ZIMMERMANNsche Kuppeln ...... . 115
d) Turmgerüste und ähnliche Konstruktionen . 116
Inhaltsverzeichnis VII
Vierter Abschnitt
Die elastischen Formänderungen
Seite
1. Das Prinzip der virtuellen Verrückungen . . . . . . . . 118
a) Das Prinzip für den elastisch-festen Körper . . . . . 118
b) Anwendung auf Stabwerke . . . . . . . . . . . . . 120
c) Anwendung auf Fachwerke. . . . . . . . . . . . . 121
d) Die Belastungseinheiten des Punktes, des Punktpaares, der Geraden und des
Geradenpaares . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 122
2. Die Sätze von der Gegenseitigkeit der elastischen Formänderungen . . .. 127
3. Der CASTIoLlANosche Satz vom Differentialquotienten der Formänderungsarbeit 129
a) Fachwerke 129
b) Stabwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
4. Die Biegungslinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
A. Die Biegungslinie des ebenen Fachw erks als Seil pol ygon der elastischen Gewichte 134
B. Die Biegungslinie stabförmiger Träger. . . . . . . . . . 144
a) Die Gleichung der elastischen Linie des geraden Stabes 144
b) Die Biegungslinie des geraden Stabes als Seilpolygon 147
c) Die Biegungslinie des steifen Stabzuges . . . . . . . . 150
C. Die Biegungslinie als Einflußlinie einer elastischen Formänderung 153
5. Vollständige DarstellUllg der Formänderung ebener Systeme . . .. 154
A. Der WILLIOTsche Verschiebungsplan für das Fachwerk . . . . . 154
B. Ableitung der totalen Verschiebungen aus der Biegungslinie eines Stabzuges 160
Fünfter Abschnitt
Theorie der statisch unbestimmten Systeme
1. Einführung .................. 161
2. Das statisch bestimmte Hauptsystem. . . . . . . . 167
3. Die Elastizitätsgleichungen für die statisch unbestimmten Größen. 172
4. Auflösung der allgemeinen Elastizitätsgleichungen . . . . 182
5. Einführung statisch unbestimmter Hauptsysteme, Reduktionssatz . . 189
6. Aufstellung von Elastizitätsgleichungen mit nur einer Unbekannten. 190
7. Einführung von Formänderungsgrößen als Unbekannte. . . . . . . 199
8. Berechnung statisch unbestimmter Stabwerke durch Momentenausgleich 207
Sechster Abschnitt
Statisch unbestimmte Tragwerke
1. Der durchlaufende Träger. . . . 213
1. Der Träger auf drei Stützen 213
a) Vollwandige Träger . . . 214
b) Fachwerkträger . . . . . 217
II. Der Träger auf vier Stützen 221
a) Vollwandige Träger '. . . 221
b) Fachwerkträger . . . . . 226
II1. Der Träger auf beliebig vielen Stützen. 228
A. Vollwandige Träger . . . . . . . . 228
1. Ableitung der Elastizitätsgleichungen , 228
2. Auflösung der Elastizitätsgleichungen . 233
a) Anwendung der CLAPEYRONSchen Gleichung auf den Balken auf drei
und vier Stützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
b) Allgemeine Lösung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
c) Graphisches Verfahren im Falle eines konstanten Trägheitsmomentes 242
3. Ableitung der Feldmomente, Querkräfte und Stützenreaktionen aus den
Stützmomenten . . 245
4. Einflußlinien . . . 246
a) Stützmomente . 246
b) Feldmomente . 248
c) Querkräfte 249
d) Stützenreaktionen 249
c) Einflußlinien für die Momente und Querkräfte des Endfeldes 250
VIII Inhaltsverzeichnis
Seite
B. Fachwerkträger . . . . . . . . . . . . 251
IV. Der kontinuierliche Träger auf elastischen Stützen · 251
2. Der beiderseits eingespannte Träger . · 253
3. Der Träger auf elastischer Unterlage. . . · "255
4. Rahmen ............... . 259
a) Zweistieliger Rahmen mit Fußgelenken 259
b) Dreistieliger Rahmen mit Fußgelenken . 261
c) Stockwerkrahmen . . . . . . . . . . 266
1. Zweistieliger, symmetrischer Stockwerkrahmen von beliebiger Felderzahl 266
2. Mehrstieliger Stockwerkrahmen . 269
d) Der eingespannte Rahmen . . 271
e) Der geschlossene Portalrahmen 276
f) Rahmenträger . . . . 280
5. Bogenträger . . . . . . . . . . 282
a) Der Zweigelenkbogen . . . . . 282
1. Der vollwandige Zweigelenkbogen . 282
2. Der Fachwerkzweigelenkbogen . . 287
b) Der beiderseits eingespannte Bogen ohne Gelenke. 294
1. Der Vollwandbogen ............ . 294
2. Der Fachwerkbogen . . . . . . . . . . . . . 301
6. Durch einen einfachen Balken versteifte Gelenkbägen und Ketten 303
a) LANGERseher Balken . . . . . . . . . . . . 303
b) Gelenkbogen mit oberem Versteifungsträger . . . . . . . . . 306
c) Durch einen Fachwerkbalken versteifte Kette .. . . . . . . 308
7. Durch einen über drei Öffnungen laufenden Vollwandträger versteifte Kette. 308
8. Dreifach statisch unbestimmter Bogen über drei Öffnungen 314
9. Brückenträgerrost mit drillsteifen Hauptträgern . . . . . . . . . 316
10. Einführung in die Theorie zweiter Ordnung (Verformungstheorie) . 320
a) Vorbemerkung. . . . . . . 320
b) Verankerte Hängebrücken .. 321
c) Bogenträger . 325
Sachverzeichnis 326
Erster Abschnitt
Allgemeine Grundlagen
1. Begriff und Aufgabe der Statik
Die Statik der Baukonstruktionen besteht in der Anwendung gewisser Grund
sätze oder Prinzipien der allgemeinen Statik auf besonders gestaltete, für die
Technik wichtige Körper (Tragwerke). Dem Wesen dieser Tragwerke entsprechend
handelt es sich hier um die Statik fester Körper, wobei der Begriff "fest" im all
gemeinen nicht gleichwertig ist mit "starr", sondern die Untersuchung in vielen
Fällen auch auf das elastische Verhalten der Körper ausgedehnt werden muß.
Unter einem "Tragwerk" soll hier ein materielles System verstanden werden,
bestehend aus einer Verbindung von Stäben, welches zur Aufnahme von Lasten
dient und so gestützt ist, daß es unter dem Einfluß dieser Lasten keine Ver
schiebungen - mit Ausnahme elastischer - erleidet. Fallen alle Stäbe, aus denen
das System zusammengesetzt ist, samt den auf sie wirkenden Kräften in eine
Ebene (Kraftebene), so liegt ein ebenes Tragwerk vor, im andern Falle ein räum
liches.
Diese Tragwerke sind dadurch gekennzeichnet, daß sie aus Stäben bestehen,
deren eine Abmessung groß ist gegenüber den beiden anderen (im Gegensatz zu
den vollwandigen Scheiben, Schalen und Platten). Sie können deshalb in ihrer Ge
samtheit zweckmäßig als "Stabsysteme" bezeichnet werden und bilden den Gegen
stand des vorliegenden Buches.
Je nach der Gliederung der Tragwerke unterscheidet man Stabwerke und
Fachwerke. Erstere bestehen aus biegungsfesten (geraden oder krumn;ten) Stäben,
welche Widerstandsfähigkeit gegen Kräfte beliebiger Richtung und Lage besitzen
und miteinander entweder frei drehbar durch Gelenke oder biegungsfest (bzw.
drillfest) durch steife Ecken verbunden sind. Bei den Fachwerken dagegen wird
vorausgesetzt, daß die äußeren Kräfte nur in den Stabverbindungen (Knoten
punkten) angreifen. Alle Fachwerkstäbe sind in den Knotenpunkten durch rei
bungslose Gelenke verbunden gedacht, wodurch die Annahme begründet ist,
daß jeder Stab nur axiale Beanspruchungen erleidet.
Die Statik der Tragwerke hat wesentlich zwei Aufgaben zu lösen: erstens die
Ermittlung der Lagerkräfte sowie der in den Stäben des Systems auftretenden
Spannungen (vgl. 3) und zweitens die Bestimmung der Formänderungen des
Tragwerks, beides ausgedrückt als Funktion der gegebenen Belastung sowie
etwaiger Temperaturänderungen und Stützenverschiebungen.
Zur Erfüllung dieser Aufgaben stehen zwei Wege offen: das zeichnerische
(graphische) und das rechnerische (analytische ) Verfahren. An sich wäre es folge
richtig, ein Verfahren für alle Fälle durchzuführen und alle Gesetze der Statik
nach diesem zu entwickeln. Bei der Ausführung dieses Vorhabens würde man
indessen bald erkennen, daß sich das gesteckte Ziel häufig nur auf Umwegen
würde erreichen lassen, weshalb man sich zweckmäßig in jedem Einzelfalle für
dasjenige Verfahren entscheidet, welches am schnellsten und sichersten eine
Lösung der gestellten Aufgabe ermöglicht. Hinsichtlich der Genauigkeit ver-
Kaufmann, Statik, 4. Auf!. 1
2 Allgemeine Grundlagen
dient das rechnerische Verfahren den Vorzug und wird deshalb besonders bei
verwickelten Untersuchungen statisch unbestimmter Systeme fast durchweg zur
Anwendung gelangen, aber auch hier wird man ungern nach Erledigung bestimm
ter Vorarbeiten etwa auf die Benutzung der Einflußlinien oder anderer graphi
scher Hilfsmittel verzichten. Für die Ableitung allgemeingültiger Gesetze leistet
die Rechnung in der Mehrzahl der Fälle bessere Dienste als das graphische
Verfahren.
2. Die äußeren Kräfte
Auf einen Körper können zwei Arten von äußeren Kräften wirken: M assen
kräfte, wenn alle Teile des Körpers gleichartig und unmittelbar ergriffen wer
den, und Oberflächenkräfte, welche an der Oberfläche des Körpers wirksam sind.
Für die hier zu betrachtenden Tragwerke kommen beide Arten in Frage, die
Massenkräfte in Form des Eigengewichtes und die Oberflächenkräfte als Lasten
und Stützkräfte, letztere dargestellt durch
die Widerstände der Lager, welche in
folge des Gesetzes der Wechselwirkung
(Prinzip der Aktion und Reaktion) in
gleicher Weise wie die Lasten als äußere
Kräfte aufgefaßt werden müssen.
In der Statik der Tragwerke rech
net man das Eigengewicht mit zu den
Lasten und teilt alle äußeren Kräfte ein
in Lasten und Stützkräfte.
Bei den Lasten ist zu unterscheiden
zwischen ständigen oder bleibenden und
Abb.l veränderlichen oder beweglichen Lasten.
Zu ersteren gehören insbesondere die
Eigengewichte der Tragkonstruktionen, zu letzteren alle Verkehrslasten, z. B. die
Raddrücke von Fahrzeugen, das Menschengedränge auf Brücken usw. Als dritte
Gruppe kommen die Schnee- und Windlasten sowie Erd- und Wasserdruck in
Frage, welche periodisch auftreten, dann aber als ruhende Belastung eingeführt
werden können.
Die Lasten können weiter bestehen aus Einzellasten, wenn die Kraft in einem
Punkte angreift, oder aus stetigen Lasten, welche sich über eine bestimmte Fläche
od.er Linie erstrecken. Letztere können gleichmäßig oder ungleichmäßig verteilt
seIn.
Bei den Einzellasten wird die Annahme gemacht, daß sich der Einfluß einer
Kraft nur auf einen ganz kleinen Umkreis der Oberfläche erstreckt, so daß dieser
genau genug als Punkt - der Angriffspunkt der Kraft - angesehen werden kann.
Endlich ist zu unterscheiden zwischen unmittelbaren und mittelbaren Lasten, je
nachdem diese auf das Tragwerk direkt oder vermittels einer Zwischenkonstruk
tion übertragen werden.
Die Stützkräfte oder Lagerwiderstände können je nach Art und Anordnung des
Tragwerkes in verschiedener Form auftreten. Für die ebenen Systeme kommen
wesentlich folgende Arten in Fragc:
1. Unter einem "verschieblichen Stützgelenk" soll eine Lagerung verstanden
werden, bei welcher sich der zu stützende Körper (Scheibe) um den Lagerzapfen a
(Abb. 1) frei drehen kann, während gleichzeitig das Lager auf einer vorgeschrie
benen Bahn (innerhalb gewisser Grenzen) reibungsfrei versehieblich ist. Dagegen
soll eine Verschiebung des Lagers normal zu dieser Bahn nach beiden Richtungen
ausgeschlossen sein. Ein eventuelles Abheben des Lagers von seiner Führung muß
also durch konstruktive Maßnahmen verhindert werden. Die Stützkraft A kann
Die inneren Kräfte 3
offenbar nur lotrecht zur Lagerführung wirken, fällt also mit der Bahnnormalen
durch das Gelenk a zusammen. Diese Lagerung ist statisch einwertig, da die
Stützkraft A durch eine Zahlenangabe bestimmt ist. Bei gegebener Normalen
richtung ist der Neigungswinkel a von A gegen die Horizontale bekannt. Die
Komponenten Ax = A cosa und Ay = A sina sind also durch A ebenfalls be"
stimmt und voneinander abhängig.
2. Ein "festes Stützgelenk" liegt vor, wenn der zu stützende Körper in einem
Lagerzapfen a frei drehbar festgehalten wird (Abb.2). Die Stützkraft A kann
durch zwei beliebig gerichtete Komponenten - i. allg. eine waagerechte und eine
lotrechte - dargestellt werden, die aber jetzt voneinander unabhängig sind, da der
Neigungswinkel a zunächst nicht bekannt ist. Diese Lagerung ist statisch zwei
wertig, da zur Bestimmung der Stützkraft A zwei Zahlenangaben erforderlich
sind.
3. Bei einer "festen Einspannung" a-b eines Stabes in eine starre Wand
(Abb. 3) ist weder eine Verschiebung noch eine Drehung des Stabes in der Kraft
ebene möglich. Sie ist also statisch dreiwertig. Die drei Reaktionsgrößen sind die
I
I
I
I
IA
I --------- 1v
Abb.2 Abb.3
Lagerkräfte An normal und At tangential zur Einspannung a-b sowie das Ein
spannungsmoment Me.
Sämtliche Stützkomponenten können je nach Art der Belastung des Trag
werks positive oder negative Werte annehmen. Über die bei räumlichen Systemen
auftretenden Lagerkräfte vgl. S. 105ff.
Jede Kraft ist eindeutig bestimmt durch Größe, Richtung und Lage, und
zwar wird angenommen, daß sie allmählich, d. h. nicht stoßartig, von Null bis
zu ihrem Endwert wächst, ohne das System in Schwingungen zu versetzen.
Bei allen in diesem Buche angestellten Überlegungen (mit Ausnahme von
Ziffer 10 des sechsten Abschnitts) wird von der Annahme kleiner Formänderungen
der Tragwerke ausgegangen. Unter dieser einschränkenden Voraussetzung dürfen
die äußeren Kräfte auch am deformierten Tragwerk in derselben Lage und Rich
tung angesetzt werden wie am unverformten. Die auf dieser Annahme aufgebaute
Theorie wird als "Theorie erster Ordnung" bezeichnet. Von einigen Sonderfällen
abgesehen (vgl. Ziffer 10 des sechsten Abschnitts) genügen die damit gewonnenen
Erge bnisse den praktischen Anforderungen.
3. Die inneren Kräfte
Wirkt auf einen festen Körper eine Einzellast, so beeinflußt sie nicht nur
den unmittelbar von ihr getroffenen Angriffspunkt, sondern es werden auch
die Nachbarpunkte in Mitleidenschaft gezogen. Der Angriffspunkt - als mate
rieller Punkt betrachtet - kann der Kraft nicht frei folgen, sondern wird durch
die übrigen materiellen Punkte des Systems daran gehindert. Es wirken also
außer der äußeren Kraft auf den Punkt noch andere - innere - 1K.r äfte, die