Table Of ContentARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG
DES LA N DES NO R D RH EIN -WES TF ALE N
14. Sitzung
am 3. Oktober 1951
in Düsseldorf
ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
HEFT 14
SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH
ISBN 978-3-663-04006-4 ISBN 978-3-663-05452-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-05452-8
Copyright 1952 by Springe< Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag 1952
INHALT
Prof. Dr. Burck.hardt Helferich, Universität Bonn
Stand der Enzymchemie und ihre Bedeutung. 7
Diskussionsbeiträge
von Prof. Dr. R. Danneel, Prof. Dr. B. Helferich, Prof.
Dr. med. E. Lehnartz, Prof. Dr. Dr. e. h. K. Ziegler, Prof.
Dr. phil. S. Strugger, Ministerialdirektor Dipl.-Ing.
L. Brandt, Direktor Dr. F. Gummert, Prof.Dr. W. Weizel,
Prof. Dr. R. Schwarz, Dr. H. Kaiser . . . .. 27
Prof. Dr. med. H. W. Knipping, Direktor der Medizinischen
Universitätsklinik Köln
Ausschnitt aus der klinischen Carcinomforschung am Bei
spiel des Lungenkrebses. . . . . . . . . . . . 38
Diskussionsbeiträge
von Prof. Dr. W. Kikuth, Prof. Dr. R. Danneel, Prof.
Dr. B. Helferich, Dr. H. Kaiser, Prof.Dr.phil.S.strugger,
Prof. Dr. Dr. e. h. K. Ziegler, Prof. Dr. med. G. Lehmann,
Prof. Dr. W. Weizel, Prof. Dr.-Ing. W. Fucks, Prof.
Dr. med. H. W. Knipping. . . . . . . • . . . 57
Stand der Enzymehernie und ihre Bedeutung
Professor Dr. Burckhardt Helferich, Universität Bonn
Die Chemie holt sich als Naturwissenschaft ihre Probleme aus der uns um
gebenden Natur, insbesondere der Erde. Die gesamte Welt der Mineralogie
einschl. der Kohlenlager ist die eine Grundlage, aus der die Chemie entstan
den ist. Als eine andere dient ihr alles das, was die lebende Natur liefert an
Stoffen und an deren Umwandlungen. Ich darf Ihnen heute ein Gebiet aus
dieser zweiten Quelle vortragen, so wie es sich heute der Chemie in seinem
Stand, seiner Bedeutung und seinen Entwicklungsmöglichkeiten darstellt,
das Gebiet der Fermente.
Was sind Fermente. Es mag dies zunächst an einem recht bekannten Bei
spiel erläutert werden. Wenn man Traubenzucker in Wasser löst und die
Lösung sorgfältig vor jeder Infektion durch Keime von Pilzen und Bakterien
schützt, so bleibt diese Lösung und in ihr der Traubenzucker praktisch un
verändert. Seit vorgeschichtlicher Zeit hat der Mensch die Erfahrung gemacht,
daß aber in einer solchen Zuckerlösung, wenn man sie offen, d. h. ungeschützt
vor Keimen aufbewahrt, eine tiefgreifende Anderung mit dem gelösten
Traubenzucker vor sich geht. Er "verwandelt sich" in Alkohol und Kohlen
säure. Schon lange hat man festgestellt, daß diese "Verwandlung" auf den
Einfluß von Kleinlebewesen zurückzuführen ist, vorwiegend von Hefe
pilzen, die in einer solchen nicht zu konzentrierten Zuckerläsung wachsen.
Lange Zeit glaubte man, daß diese Verwandlung unbedingt an das Leben
dieser Hefepilze gebunden sei. Es war die große Entdeckung von Buchner,
etwa um die letzte Jahrhundertwende, daß diese Verwandlung auch ohne
die lebende Hefe, durch einen auf geeignete Weise hergestellten Hefeextrakt,
wenn auch quantitativ nicht im gleichen Umfang herbeigeführt wird. Die
Geschichte dieser Entdeckung ist reizvoll genug, um sie kurz zu erwähnen.
Buchner hatte einen Hefeextrakt durch Ausspressen von Hefe, die vorher
gründlich mit Sand bis zur Zerstörung der einzelnen Zellen verrieben war,
hergestellt, um ihn nach einer Richtung hin weiter zu untersuchen. Es
war das Wochenende gekommen, wo der Münchner damals wie heute gerne
3 Burckhardt Helferich
seine Berge aufsucht. Aber wie sollte man den mühsam gewonnenen kost
baren Extrakt vor der Infektion durch andere Kleinlebewesen schützen?
Buchner bekam von seinem Bruder, einem Mediziner, den Rat, Zucker lösung
zuzusetzen, die eine solche Infektion bis zu einem gewissen Grade unter
binden kann. Buchner folgte dem Rat und war sehr überrascht, daß er bei
seiner Rückkehr aus den Bergen den Zucker nicht unverändert vorfand, son
dern eine deutliche Gärung in Alkohol und Kohlensäure feststellen konnte.
Seine große Leistung war es, daß er diese Beobachtung weiterhin verfolgte -
anstatt den ursprünglich beabsichtigten Versuch von vorne anzufangen -
und so feststellen konnte, daß eine alkoholische Gärung, d. h. die Umwand
lung von Traubenzucker in Alkohol und Kohlensäure auch ohne lebende
Hefe durch einen zell freien Extrakt aus Hefe, bewerkstelligt wird. Damit
war der alte erbitterte Streit zwischen Liebig und Pasteur entschieden. Die
unbekannten Stoffe, die aus der Hefe extrahierbar diese alkoholische Gärung,
diese Fermentation bewirken, rechnete man damals und rechnet man heute
zu den Fermenten. Ihre Entstehung ist, auch heute noch, an das Leben der
Hefe oder anderer Kleinlebewesen geknüpft; insofern hat auch Pasteur recht.
Aber sie wirken auch ohne das Leben selbst, wenn sie einmal vorhanden sind,
unter geeigneten Reaktionsbedingungen.
Ein anderes Beispiel: Wir wissen, daß Stärke, die der Mensch als Nahrungs
mittel zu sich nimmt, schon im Speichel des Mundes, erst recht im weiteren
Verlauf der Verdauung, in Zucker übergeführt, verzuckert wird. Auch hier
liegt ein Stoff vor, der, vom lebenden Menschen gebildet - allerdings nimt
vom Kleinkind - diese Verzuckerung der Stärke auch im Reagenzglas durch
führen kann. Auch dieser Stoff rechnet zu den Fermenten. Er ist ein Ferment,
das als Substrat die Stärke, Amylum, hat, sie in Zucker umwandeln kann
und die daher als Amylase bezeichnet wird. Für die Wirkung solcher Stoffe
ist es besonders charakteristisch, daß sie bei dieser Umwandlung nicht selbst
wesentlich verändert werden, daß man also, wenn genügend Zeit zur Ver
fügung steht, mit einer kleinen Menge des Ferments, der Amylase, eine
theoretisch beliebig große Menge von Stärke in Zucker überführen kann.
Man kennt Stoffe dieser Wirkungsart seit etwa 150 Jahren auch aus der
Welt der einfachen chemischen Reaktionen, die mit dem Leben nichts zu tun
haben. Gerade die Stärke kann man auch mit Salzsäure oder mit Schwefel
säure verzuckern, auch so, daß die betreffende Säure sich praktisch nicht ver
ändert und daß daher eine kleine Menge Säure eine sehr große Menge von
Stärke in Zucker überführen kann. Nach dem Vorschlag des smwedischen
Chemikers Berzelius nennt man seit über 100 Jahren die so wirkenden Stoffe
Stand der Enzymchemie und ihre Bedeutung 9
Katalysatoren. Sie sind in der Lage, einen chemischen Prozeß, der ohne sie
langsam, vielleicht unmeßbar langsam vor sich gehen würde, zu beschleunigen,
ohne selbst endgültig verändert zu werden. Sie wirken, scheinbar nur durch
ihre Anwesenheit, besser gesagt, über labile Zwischen zustände und Zwischen
verbindungen hinweg, aus denen das Substrat, bei unserem letzten Beispiel
die Stärke, erheblich verätrdert - verzuckert - der Katalysator aber praktisch
unverändert hervorgeht.
Trotzdem Vergleiche immer eine bedenkliche Seite haben - hinken -, so
möchte ich doch die Rolle eines Katalysators vergleichen mit der eines Schleu
senwärters, der für einen Wasserlauf eine - oder mehrere - Schleusen zu
betätigen hat, von dessen Tätigkeit das Schicksal des Wasserlaufes und der
Schiffe auf ihm weitgehend abhängt, solange er arbeitsfähig seines Amtes
walten kann.
Die heute gültige Definition von Fermenten kann man wohl so formu
lieren: Fermente - heute gleichbedeutend mit Enzymen - sind Katalysatoren,
die von der lebenden Natur gebildet werden.
Wo kommen solche Fermente vor. Wo spielen sie eine Rolle. Wo treffen
wir auf sie? Die beiden Beispiele sind nur zwei von Hunderten und Aber
hunderten, von denen wir heute sicher wissen und wohl von Tausenden und
Abertausenden, die wir heute noch nicht oder nur ganz unvollkommen und
andeutungsweise kennen. Sicher geht die übergroße Mehrzahl aller Reak
tionen in allen lebenden Organismen unter Zuhilfenahme von Fermenten
vor sich. Je nachdem, welche Fermente vorliegen, wird die eine oder andere
Substanz - als Substrat - verändert oder wird ein und dieselbe Substanz,
je nachdem "welche Schleuse geöffnet oder geschlossen wird", in der einen
oder anderen Richtung umgewandelt.
Aus der großen Fülle der heute schon bekannten Fermente seien noch einige
Beispiele gebracht.
Fette, d. h. Verbindungen - Ester - von Glycerin mit Fettsäuren, werden
durch bestimmte Fermente in ihre beiden Komponenten gespalten, durch
Lipasen. Bei der Verdauung der Fette spielt diese Lipasewirkung eine ent
scheidende Rolle, auch im Darm des Menschen. Verbindungen der Phosphor
säure mit Alkoholen, Phosphorsäureester, werden durch Phosphatasen unter
Aufnahme von Wasser in ihre Bestandteile gespalten, hydrolysiert. Der
artige Prozesse spielen sich, soweit wir wissen, in jeder lebenden Zelle ab
und tragen Zum Energiestoffwechsel der Zelle entscheidend bei. Besonders
reich an Phosphat ase ist die Kartoffelknolle .
10 Burckhardt Helferim
Der bekannte Geruch und Geschmack der Mandeln entsteht beim Zer
kleinern und Anrühren der Mandeln aus einem an sich geruchlosen Bestand
teil der Mandeln, dem Amygdalin, unter dem Einfluß eines der am längsten
bekannten Fermente, dem sogenannten "Emulsin", dadurch, daß Amygdalin
in Zucker, Benzaldehyd und Blausäure gespalten wird.
Eiweiß wird im Magen und im Darm durch Fermente wie Pepsin und
Trypsin in seine Bausteine, die Aminosäuren, zerlegt. Ein pflanzliches
Ferment gleichartiger Wirkung ist das Papa'in.
Die "Verbrennung" von Nahrungsmitteln und Bestandteilen des Organis
mus, z. B. zur Energiegewinnung geht unter dem entscheidenden Einfluß von
oxydierenden Fermenten vor sich, von denen wir heute schon eine große Zahl
kennen. Sie leiten diese Verbrennung - im Gegensatz zur energieliefernden
Verbrennung in der Maschine - so, daß die Bedingungen für den Organismus
erträglich bleiben. Die "Schleusenwärter" sorgen mit ihren Schleusen dafür,
daß die Energie in kleinen Portionen zur Verfügung steht und nicht als alles
zerstörender Wasserfall.
Derartige Beispiele könnten noch weitere in großer Zahl angeführt werden.
Aber auf einen wesentlichen Punkt möchte ich bei der Wirksamkeit der
Fermente noch hinweisen. Die Fermente sind nicht nur Katalysatoren von
energieliefernden Reaktionen, sondern beschleunigen auch solche Reaktionen,
bei denen im Organismus Energie, z. B. chemische Energie oder Sonnenlicht,
aufgenommen, gespeichert oder zum Aufbau energiereicher Substanzen ge
braucht wird. In vielen Fällen hat man sicher feststellen können, daß Fer
mente als echte Katalysatoren nicht nur eine Reaktion in der einen Richtung,
sondern unter anderen Bedingungen der Konzentration und der Energie
abgabe oder -Aufnahme, auch in der entgegengesetzten Richtung beschleuni
gen. Das gleiche Ferment wirkt auf Spaltung wie auf Synthese seines Sub
strates. Der Schleusenwärter kann ein Schiff durch seine Schleuse flußabwärts
oder - wenn die nötige Energie zur Verfügung steht - auch flußaufwärts
dirigieren.
Als Beispiele für den Aufbau von Stoffen aus kleineren Bausteinen, von
fermentativen Synthesen seien die folgenden angeführt.
Lipasen können, wie ich schon sagte, die Fette, Ester, in Glycerin-alkohol
und Säure spalten. Unter anderen Bedingungen der Konzentration geht unter
dem Einfluß von Lipasen aber auch die umgekehrte Reaktion, die Synthese
der Ester unter Abspaltung von Wasser, vor sich.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel der neueren Forschung in USA
ist die fermentative Synthese von Rohrzucker. Aus einem Phosphorsäure-
Stand der Enzymmemie und ihre Bedeutung 11
ester des Traubenzuckers, dem Cori-ester, und Fruktose, kann diese Substanz
jetzt aus ihren beiden Bausteinen, Traubenzucker und Fruktose, aufgebaut
werden, unter dem Einfluß eines Glucose übertragenden Ferments. Eine
technische Bedeutung hat diese Synthese nicht. Aber sie ist ein besonders
gutes Beispiel dafür, wie außerordentlich fein und abgestimmt auf ihre Sub
strate die Fermente arbeiten. Rohrzucker ist ein relativ einfach gebautes
Molekül, dessen Bau, dessen Struktur man fast bis in alle Einzelheiten kennt.
Die Spaltung in seine beiden Bausteine macht seit langem keine Schwierig
keiten. Mit rein chemischen Mitteln ist aber trotzdem die Synthese dieses be
sonders wichtigen Disaccharids noch nicht gelungen, trotz sehr vieler Ver
suche, trotz großer Mühe, die an vielen Stellen darauf verwandt wurde. Erst
das besonders feine, in seinem Bau noch unbekannte Werkzeug, das ent
sprechende Ferment, das uns die Natur in einigen Pilzarten liefert, gab die
Möglichkeit, die Synthese des Rohrzuckers aus seinen beiden Bausteinen auch
im Reagenzglas durchzuführen.
Wissenschaftlich noch bedeutungsvoller ist es, daß es sogar gelungen ist,
mit dem gleichen oder einem ähnlichen Ferment die Synthese der Stärke aus
ihrem Baustein, dem Traubenzucker, durchzuführen. Nach dem, was wir
über diese Synthese wissen, muß sie sehr ähnlich dem Aufbau der Stärke
in der lebenden Substanz vor sich gehen.
Wie Willstätter einmal sagte: »Das fein aufeinander abgestimmte Spiel
der Fermente im lebenden Organismus ist das Leben selbst, soweit wir es
als chemisches Geschehen auffassen können.«
Schon zu Anfang erwähnte ich, daß man die Verzuckerung von Stärke
nicht nur mit den lebenden, von der Natur gelieferten Katalysatoren, den
entsprechenden Fermenten erreichen kann, sondern auch mit Salzsäure,
Schwefelsäure oder andere Säuren, d. h. mit Katalysatoren, die nicht von
der lebenden Natur geliefert werden, mit anorganischen Katalysatoren.
Solche Fälle kennen wir in großer Zahl. Eiweiß hann auch durch Säuren
oder Laugen in seine Bausteine gespalten werden, ebenso Fette, entsprechend
dem alten Prozeß der Seifenherstellung. Alkohole können wir zu Aldehyden
oder Säuren mit rein anorganischen Oxydationsmitteln und Katalysatoren
oxydieren und schließlich verbrennen.
Aber zwischen diesen anorganischen Katalysatoren und den Fermenten
bestehen sehr wichtige Unterschiede. In vielen Fällen brauchen wir für die
Durchführung von Reaktionen mit anorganischen Katalysatoren Bedingun
gen, die man einem lebenden Organismus nicht zumuten kann. Wir können
unser Eiweiß im Magen nicht stundenlang mit Salzsäure kochen, um es